Archiv für den Monat: Mai 2013

Was George Sandel mit der Doppik/NKF in der Kirche zu tun hat

George Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann, Berlin 2012

Als Papst Benedikt die USA besuchte, las er Messen in Stadien in New York und Washington. Für die kostenlos ausgegebenen Karten entwickelte sich ein Schwarzmarkt, bei dem bis zu 200 Dollar für eine Karte geboten wurde. Die Kirche protestierte: „Die Feier eines Sakraments sei mit Geld nicht aufzuwiegen“. – Dies ist nur eines vieler Beispiele, wie Markt- und ökonomistisches Denken in alle Bereiche des Lebens eingedrungen sind: in die Politik, die Medizin, die Bildung, Sport – und auch in Kirche und Religion.

Für Den Autor und Harvard- Professor Sandel stellt sich anhand etlicher Beispiele aus der Lebenswirklichkeit die Frage: wollen wir eine (zu begrüßende) Marktwirtschaft oder eine die Gesellschaft im Kern bedrohende Marktgesellschaft? Bisher verhinderte ein prekärer Diskurs die Dominanz von Argumenten über das gute Leben in die Politik – und ließ banales, marktkonformes, gegenüber Werten neutrales Denken triumphieren. Was es daher heute braucht ist eine Debatte darüber, in welchen Bereichen Märkte dem Gemeinwohl dienen und wo sie eben nichts zu suchen haben. Denn: Märkte und Kommerz verhalten sich gegenüber dem Charakter der von ihnen erfassten Güter eben nicht neutral, sondern verändern ihn. Im eingangs genannten Beispiel der Papstmesse wird das offensichtlich. Die Reaktion zeigte, dass man erkannt hat, dass Güter beschädigt oder entwertet werden, wenn man sie kommerzialisiert, im Beispiel also die Eucharistie käuflich zu erwerben ist. Das wird in dem besonderen Fall zwar besonders eindrücklich, trifft aber generell zu: Der Charakter der Güter verändert sich unter Marktbedingungen. Diese Erkenntnis führt zwangsläufig zu der Frage, wie weit denn der Markt reichen dürfe. Und wo dem Markt Grenzen gezogen werden müssen, damit die Gesellschaft selbst keinen Schaden nimmt. Denn Marktdenken führt anders als herrschende (und für Crashs verantwortliche) Ökonomen gerne behaupten, in anderen Sektoren als der Ökonomie selbst eben gerade nicht zu höherer, sondern zu geringerer Wirksamkeit. Sandel belegt das bspw. mit Studien zur intrinsischen Motivation aus der Schweiz. Sie haben gegenüber der marktkonformen extrinsischen Motivation eine geringere Wirkung. Damit sind wir mitten in einer in der kirchlichen Reformdebatte heiß diskutierten Frage. Weil die kirchlichen Reformen ja gerade die intrinsische Motivation zerstört wie etwa Prof. Michael Welcker oder Prof. Isolde Karle u.a. nicht müde werden zu betonen. Und folglich die von den Reformern intendierte Wirksamkeit kirchlicher Arbeit gerade schwächen.

Ein weiteres zentrales kirchliches Reformthema ist durch die Darstellung von Sandel ebenfalls berührt, wenngleich dort selbst nicht erwähnt: die Frage des Rechnungswesens. Denn Märkte und Kommerz verändern den Charakter der von ihnen erfassten Güter – so Sandel. Das gilt in der Kirche analog für das Rechnungswesen. Eine Umstellung von der (erweiterten!) Kameralistik auf die Doppik ist wie wir in Beiträgen im Monatsthema Mai 2013 darlegen konnten, organisatorisch eine Herausforderung, ein „Jahrhundertprojekt“. Und es verursacht hohe Kosten bei einem nicht feststellbaren Nutzen (vgl. den Beitrag von Prof. Bogumil, Bochum, im Dt. Pfarrerblatt). Allein diese Fakten wiegen überaus schwer. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass mit der Doppik ein Marktdenken in die Kirche eindringt, das dem Charakter der Kirche diametral entgegenläuft. Und das sich dem Gegenstand gegenüber nicht neutral verhält, sondern seinen Charakter verändert. „Die Feier eines Sakraments sei mit Geld nicht aufzuwiegen“, stellten die Kirchen in den USA anlässlich des Schwarzmarktes für die Karten zur Papstmesse fest. Analog gilt noch viel mehr: „Der Wert der/einer Landeskirche lässt sich monetär nicht bewerten!“. Genau das geschieht aber in der Bilanz. Die Bilanz bewertet die Summe dessen, was Kirche ausmacht und zu kirchlichem Handeln gehört, monetär. Aus theologischer Sicht geht das aber gar nicht! Spätestens dann, wenn eine ernsthafte theologische Debatte um die Doppik einsetzt, spätestens dann wird die Doppik nicht nur als (im Vergleich zu einer erweiterten Kameralistik) nutzlos und teuer, sondern als im Kern schädlich erkannt werden.  Denn Doppik/NKF ist kein Beleg einer sich auch in der Administration endlich modernisierenden, auch wirtschaftlich handelnden Organisation, sondern Symbol einer angepassten Marktkirche – und damit eine Parallele zu der von Sandel beschriebenen gesellschaftsschädigenden Marktgesellschaft. 

Pfr. Friedhelm Schneider

Kirchenkrise – welche Krise? Zur Selbstkasteiung der Binnenkirchler

Die Rede von der Krise der evangelischen Landeskirchen und der katholischen Bistümer ist (noch) allerorts zu hören. Mit martialischen Begriffen wie „hochexplosives Gemisch aus Versorgungskosten, Teuerungsrate und schrumpfenden Einnahmen“ (so das ev. Papier „Kirche der Freiheit“ (KdF), 2006, S. 7) werden seit ungefähr 2005 Furcht, Angst und Schrecken verbreitet und das Kirchenvolk auf ein „Heulen und Zähneklappern“ eingeschworen. Kurz auf einen empirischen Punkt gebracht: Bis 2030 sei mit 33% weniger Mitgliedern und mit 50% weniger Kirchensteuern zu rechnen. (KdF, S. 21)…

Hintergrund dieser Selbstkasteiung sei die Notwendigkeit, dem weniger werdenden Kirchensteuergeld Taten folgen zu lassen. Dass diese Zahlen schlichter Unsinn sind…

lesen Sie bei Pfr. Dr. Dieter Becker.

Wer berät unsere Kirchen?

Bei der praktischen Umsetzung, der »Implementierung« des neuen Systems, sei zu sehr auf externe Beratung gesetzt worden. Das habe viel Geld gekostet und verhindert, dass Kompetenz innerhalb der kirchlichen Finanzverwaltung aufgebaut wurde, die Dokumentation und Verwaltung der elektronischen Daten sei unzureichend gewesen. Als besonderes Anliegen hob der Prüfungsausschuss hervor, auch für die Finanzverwaltung in der Landeskirche qualifiziertes Personal zu gewinnen und auszubilden. – So Werner Scheler, der Vorsitzende des synodalen Rechnungsprüfungsausschusses der ELK Bayern auf der Frühjahrssynode 2013 der ELK Bayern.

Dr. Ulrich Metzmacher, Vorstandsvorsitzender der Paul Gerhardt Diakonie“ sprach in seinem Vortrag „Erwartungen der Diakonie an ‚ihre‘ Kirche“  auf dem Fachtag „Diakonie und Kirche am 10.  April 2013  in Lobetal von Ernst &Young Gutachten, voraussetzend, dass seine Hörer wissen, wer damit gemeint ist:

Natürlich ist heute auch die Organisation Kirche durchdrungen von Ressourcenknappheit, Ernst & Young Gutachten, Tarifverträgen, Wirtschaftsplänen etc. – all die Dinge, die die heile Welt stören und denen man mitunter klammheimlich, manchmal auch ganz offen, ablehnend gegenüber steht. Gleichzeitig aber muss man notgedrungen bei diesen lästigen Effizienz- und Effektivitätsprojekten irgendwie mitmachen, weil Kirche eben auch eine Organisation ist. Und so ist das Schimpfen auf die Diakonie, die sich zum sozialwirtschaftlichen Kontext bekennt, auch ein probates Mittel, eigenes Unbehagen – eigentlich möchte man ja mit dieser ganzen unmoralischen Ökonomisierung nichts zu tun haben – zu externalisieren. Psychoanalytisch ist das ein klassischer einfacher Projektionsmechanismus. Ich schimpfe auf die anderen, weil sie Elemente repräsentieren, die ich in meinem eigenen Handeln nicht wahrhaben will oder nicht mag.“ (Diakonie und Kirche– 10 theologische Überlegungen, in:Dokumentation „Diakonie und Kirche – gemeinsam auf dem Weg?“ Fachtag am 10. April 2013 in Lobetal, hrsg. vom DWBO u.a., S. 24)

Ernst& Young stellt sich selbst auf seiner Webseite so vor: „Ernst & Young ist einer der internationalen Marktführer in der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung sowie Risiko- und Managementberatung. Unsere über 7.400 Mitarbeiter in Deutschland sind durch gemeinsame Werte und unseren hohen Qualitätsanspruch verbunden. Gemeinsam mit den 167.000 Kollegen der internationalen Ernst & Young-Organisation betreuen wir unsere Mandanten überall auf der Welt. Das gemeinsame Ziel aller Mitarbeiter ist es, unter Einsatz all ihrer Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen das Potenzial unserer Mandanten zu entfalten.“

Hauptsitz in Deutschland ist  Stuttgart
Vorsitzender der Geschäftsführung ist  Georg Graf Waldersee

Die Ernst & Young Group hat 2012 einen Jahresumsatz von 1,22 Mrd. Euro gehabt. Ihre Geschäftsberichte sind seit 2004 ebd. einsehbar.

Unheimliche Geschäfte von Banken

Die Skandale der Deutschen Bank

Mehrfach wurden Büros wichtiger Mitarbeiter von der Polizei durchsucht, zahlreiche Prozesse laufen. Die Bank ist in einen Hypothekenskandal verstrickt, in eine Affäre um mehrere hundert Millionen Euro unterschlagener Mehrwertsteuer, sie muss sich mit Vorwürfen der Bilanzfälschung und der Zinsmanipulation auseinandersetzen. Was ist los mit der einst so angesehenen und stolzen Bank? Das ZDF hat eine sehenswerte Dokumentation ausgestrahlt.

Die Zinsräuber

Falschberechnungen, zu frühe Abbuchungen oder zu späte Gutschriften – Beispiele wie Banken Kunden bei Krediten um riesige Beträge prellen, gibt es viele. Das haben Experten festgestellt. Die Institute weisen alle Vorwürfe von sich. Lesen Sie den Artikel.

Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit – eine Rezension.

 In seinem fulminanten Werk, das voll gepackt ist mit Geschichtskenntnis seit der Antike, Erzählungen aus Mythenschätzen fast der ganzen Welt und prägnanten gesellschaftlichen Analysen sowie politischen Visionen verdeutlicht der Philosoph Sloterdijk eindringlich, dass Zorn ein unabdingbarer `Motor´ von Lebensveränderung (in Gesellschaft, Kirche, Welt) ist.

Lesen Sie die Rezension von ZornundZeit.

Der Zorn Gottes – eine Buchbesprechung

Es soll Menschen geben, die die Süddeutsche wegen der Kommentare von Heribert Prantl lesen. Und es soll PfarrerInnen geben, die insbesondere vor hohen Festtagen zur Süddeutschen greifen. Wegen der dann ganz speziellen Kommentare des Chefredakteurs. Dann nämlich schreibt Prantl nicht über den politischen Betrieb, sondern über die großen Fragen des Lebens und Sterbens, vor die das jeweilige Fest die Menschen stellt. Und das wird bisweilen eine regelrechte Predigt. Und damit schreibt Prantl auch ein bisschen für die PfarrerInnen und Pfarrer und die Fragen, die das jeweilige Fest an sie stellt. Kurz: Prantl wird zur Quelle ihrer Inspiration – oder könnte es werden. Denn die Zahl seiner Predigt-Kommentare ist angewachsen und füllt mittlerweile ein ganzes Buch: „Der Zorn Gottes – Denkanstöße zu den Feiertagen“.

 

Meinung – Sehr wohl der Rede wert

…Ich selber bin Pfarrerskind und habe zwei Schwestern. Keiner Pfarrerstochter wurde Anfang der Achtzigerjahre im Arbeiter- und Bauernstaat noch zugemutet, auch nicht an der Akademie der Wissenschaften, wider eigenen Willen die FDJ-Sekretärin für SED-Agitation und Propaganda abzugeben. Frau Merkel hat das getan – und sicher war das für Platzerhalt und Fortkommen nützlich… Lesen Sie den Leserbrief.

 

Eine Buchbesprechung: Das erste Leben der Angela M. ein lesbares, weil durchaus informatives Buch. Denn es ist mehr als ein Buch nur über Merkel – auch, weil diese Frau bis 1990 kaum etwas hergab, worüber es sich zu berichten lohnte. Das ist zugleich auch eine der Schwächen dieser DDR-Biographie der Kanzlerin. Die auf Sensation getrimmte Berichterstattung rund ums Buch ist mit dem Inhalt kaum vereinbar. Weder ist Merkels “erstes Leben” besonders spannend, noch ist sie dort, obgleich sie vielleicht durchaus linientreu war, nachdrücklich aufgefallen. Mehr.

Berliner Senat stoppt Zahlungen an Jüdische Gemeinde

Der Berliner Senat hat Medienberichten zufolge die staatsvertraglich zugesicherten Geldzahlungen an die Jüdische Gemeinde Berlin vorübergehend gestoppt. Grund sei ein fehlender Stellenplan. So sei nicht nachzuvollziehen, wie viel Personal mit welcher Bezahlung wo eingesetzt werde, heißt es unter Berufung auf Senatskreise. Pro Quartal ging es im vergangenen Jahr um ca. 3 Millionen Euro oder 2/5 des gesamten Etats der Gemeinde. Lesen Sie den Artikel.

Stiftung Warentest – Geldmangel nach Kapitaldeckung

Über die Hintergründe der Umstellung von Finanzierungen auf Kapitaldeckung gibt eine Meldung über die Stiftung Warentest Aufschluss. Droht ein ähnliches Schicksal in der Kirche mit den kapitalgedeckten Rückstellungen und Stiftungen für Pensionsansprüche und Versorgungsleitstungen? Wird die scheinbar rationale Rückstellung zu geringer(er) Ausschüttung führen? Und muss der infolge niedriger Zinsen spärliche Ertrag dann anschließend – durch Kirchensteuermittel – noch zusätzlich aufgestockt werden?

Zur Meldung:

Erstmals in ihrer fast 50-jährigen Geschichte hat die Stiftung im vergangenen Jahr einen Verlust von 1,2 Millionen Euro erwirtschaftet.

Der Grund: Das Verbraucherschutzministerium hat die Form seiner finanziellen Unterstützung für die Stiftung Warentest modifiziert, um – so das Argument – deren Unabhängigkeit zu stärken. Die jährliche Zuwendung an die Stiftung wurde gekürzt, dafür hat sie ein Kapital von 50 Millionen Euro erhalten, das ihr regelmäßige Zinsen einbringen soll. Lesen Sie den Artikel.

Starker Tobak!

Günter Brakelmann: Evangelische Kirche im Entscheidungsjahr 1933/1934: Der Weg nach Barmen – Ein Arbeitsbuch: Band 5 der Schriftenreihe „Zeitansage” des Evangelischen Forums Westfalen und der Evangelischen Stadtakademie Bochum, LIT-Verlag, Berlin 2010, 395 Seiten, 49,99 Euro, ISBN 3-643-10686-5

Brakelmanns „Barmen Buch” schlägt einen anderen Weg ein als die meisten Veröffentlichungen über die erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) vom 29. bis 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen. Für gewöhnlich beschäftigt man sich vor allem mit der damaligen binnenkirchlichen und theologischen Situation. Man exegesiert und würdigt die Barmer Theologische Erklärung (BThE) als theologisches Dokument. Man stellt die Auseinandersetzungen um deren Inhalt und Stellenwert dar und versucht ihre ökumenische Ausstrahlung von damals bis heute aufzuweisen.

Der Bochumer Sozialethiker und Zeitgeschichtler hingegen stellt Synode und theologische Erklärung in den Rahmen der innen- und kirchenpolitischen Entwicklung der 16 Monate seit Hitlers Machtübernahme: Wie vollzog sich in dieser Zeit der politische und gesellschaftliche Aufbau des Dritten Reiches? Welche grundlegenden Veränderungen im Rechtssystem fanden statt? Wie war die evangelische Kirche, der damals noch zwei Drittel der Deutschen angehörten, in die Dramatik dieser Monate verflochten? Wie stellte sich der Protestantismus zu den revolutionären Veränderungen in Staat und Gesellschaft? Denn die evangelische Kirche musste, so Brakelmann, „ihre kirchenpolitische und kirchenrechtliche Position zum NS-System formulieren und ihre Mitverantwortung für den inneren, den religiösen und sittlichen Aufbau eines Gemeinwesens neuen Typs bestimmen.” (Seite 7). Zur Rezension