Schlagwort-Archive: Staat und Religion

Schweiz: wie sich das Verhältnis Staat-Religion in unterschiedlichen Kantonen „pragmatisch“ weiter entwickelt. Vorbild für die Situation in Deutschland?

03/2018, Leserbrief von Daniel Kosch

Daniel Kosch (Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)) mit einem Leserbrief zum Beitrag von Stephan Schmid-Keiser: „Zum gestörten Verhältnis von Staat und Religion“.
Und dann eine Replik von Stephan Schmid-Keiser (21.2.2018).

… Das Verhältnis von Staat und Religion ist – mindestens so weit ich sehe – nicht „gestört“, sondern entwickelt sich hierzulande in gut helvetischer Tradition pragmatisch und in kleinen Schritten hin zu Lösungen, die der veränderten Religionslandschaft Rechnung tragen….

Mehr dazu.

 

Prof. Olivier Roy, Heilige Einfalt: Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen.

Olivier Roy, französischer Protestant, Jahrgang 1949, lehrt am European University Institute in Fiesole. Sein Buch „Heilige Einfalt: Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen“ gilt als Pflichtlektüre. Es liefert eine von der Meinung vieler Medien abweichende Erklärung über die Entstehung von Dschihadismus und Fundamentalismus. Bericht und Leseproben.

29.11.14, Bericht über einen Artikel der SZ in pro:

Beim Dschihadismus geht es nicht um Islam, sagt der Orientalist Oliver Roy. Den Zulauf zu Terrororganisationen wie zum IS bezeichnet er außerdem als Jugendbewegung und er ist für ihn ein Zeichen, dass Integration funktioniert.

Fundamentalismus entstehe, wenn eine Religion aus ihrer Kultur herausgelöst werde. Religion und Gesellschaft könnten sich dann nicht mehr gegenseitig formen und korrigieren, sagte Roy im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Der Orientalist erforscht am European University Institute im italienischen Fiesole die Ursprünge des Fundamentalismus. Er selbst ist Protestant. In seinem Buch „Heilige Einfalt“ erklärt er seine Idee, dass Kultur und Religion sich gegenseitig beeinflussen müssten, um gut zu funktionieren. Nur so bekomme n Fundamentalismendie Gesellschaft eine Werte-Basis und die Religion passe sich den Anforderungen des Lebens an.

Genau das sei beim islamischen – und auch beim christlichen – Fundamentalismus aber nicht gegeben… Mehr dazu.

Zur Vertiefung die Buchempfehlung, Rezension der NZZ und zwei Leseproben:

Olivier Roy, Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen

Rezensionsnotiz dazu in der Neuen Zürcher Zeitung, 24.07.2010
„Luzide“ findet Rezensent Clemens Klünemann diese Analyse des religiösen Fundamentalismus von Olivier Roy. Das Buch macht für ihn deutlich, wie die aktuellen Debatten um Burka und Schleier oder früher Gehorsamsgelübde gegenüber der Katholischen Kirche genuin zu den westlichen Gesellschaften gehören und diese mitgeprägt haben. Roys Beschreibung der Entkoppelung von Religion und Kultur im Prozess der Säkularisierung ist in Klünemanns Augen besonders erhellend. Danach nutzen die Religiösen die Abtrennung von der Kultur, um alle gesellschaftlichen Veränderungen zu ignorieren und sich auf dem Markt der Religionen deutlich sichtbar positionieren zu können.

Leseprobe I zu Olivier Roy: Heilige Einfalt.

Kultur und Religion: Der Bruch

Wenn Gläubige und Ungläubige in derselben Kultur zusammenkommen

Die Unmöglichkeit einer religiösen Gesellschaft

Das Religiöse schafft, meistens implizit, ein kulturelles Umfeld, weil die Religion auch als eine Kultur erlebt wird. Dass die Religion folgenreich für die Kultur ist, ist unvermeidlich, denn keine Gesellschaft kann sich ausschließlich mittels eines expliziten Glaubens behaupten. Die Herrschaftsausübung kann nur funktionieren, wenn die dominierende Religion sich zu einer Kultur entwickelt, das heißt zu einem symbolischen und imaginären System, das die gesellschaftliche und politische Ordnung legitimiert, aber den Glauben nicht zu einer Bedingung des Zusammenlebens macht. Konformität und nicht Glaube begründet eine Gesellschaft, das ist der Unterschied zwischen einer Gesellschaft und einer Gemeinschaft.

Leseprobe II

Die Orthopraxie: Wenn Laien und Religiöse sich darüber verständigen, was richtig ist

Die Säkularisierung bedeutet nicht unbedingt einen Konflikt, nicht einmal die Trennung vom Religiösen. Eine säkularisierte Gesellschaft kann weiter im Einklang mit einer religiösen Kultur und religiösen Werten bleiben. Die Säkularisierung betrifft den Glauben, aber nicht notwendigerweise die Werte. Wenn die Säkularisierung die Politik berührt und das Thema der Trennung von Religion und Staat auf den Plan ruft, verlangt sie nicht unbedingt eine Debatte über moralische Werte: Klerikale und antiklerikale Kräfte können dieselbe Vorstellung von Moral haben, und Veränderungen der Sitten führen nicht automatisch zu einem Konflikt zwischen Religion und Kultur…

Revisted: Wie viel Religion verträgt der liberale Staat? – von Jürgen Habermas

6. August 2012

Die Kommunikationsgemeinschaft, die sich in Sachen Religion unter den Bedingungen eines demokratisch-liberalen Rechtsstaats abzeichnet, ist eine Übersetzungsgemeinschaft. Den religiösen wie den nichtreligiösen Bürgern wird dabei einiges zugemutet.

Der liberale Staat ist also mit religiösem Fundamentalismus unvereinbar. In diesem Konflikt tritt eine Gestalt der Moderne einer anderen, als Reaktion auf entwurzelnde Modernisierungsprozesse entstandenen Gestalt der Moderne entgegen. Der liberale Staat kann seinen Bürgern gleiche Religionsfreiheiten – und ganz allgemein gleiche kulturelle Rechte – nur unter der Bedingung garantieren, dass diese gewissermassen aus den integralen Lebenswelten ihrer Religionsgemeinschaften und Subkulturen ins Offene der gemeinsamen Zivilgesellschaft heraustreten. Gleichzeitig darf auch die Mehrheitskultur ihre Mitglieder nicht in der bornierten Vorstellung einer Leitkultur gefangen halten, die sich eine ausschliessende Definitionsgewalt über die politische Kultur des Landes anmasst. In seinem Urteil über die Zulässigkeit der Beschneidungspraxis von Muslimen (und Juden) verkennt das Kölner Landgericht, dass zusammen mit den eingebürgerten Muslimen «auch der Islam zu Deutschland gehört». – In der Rolle von demokratischen «Mitgesetzgebern» gewähren sich alle Staatsbürger gegenseitig den grundrechtlichen Schutz, unter dem sie als Gesellschaftsbürger ihre kulturelle und weltanschauliche Identität wahren und öffentlich zum Ausdruck bringen können. Dieses Verhältnis von demokratischem Staat, Zivilgesellschaft und subkultureller Eigenständigkeit ist der Schlüssel zum Verständnis der beiden einander ergänzenden Motive, die Säkularisten und Multikulturalisten fälschlich für unvereinbar halten. Das universalistische Anliegen der politischen Aufklärung erfüllt sich erst in der fairen Anerkennung der partikularistischen Selbstbehauptungsansprüche religiöser und kultureller Minderheiten… Zum Artikel.

Jüdische und muslimische Religionsführer rufen gemeinsam die EU-Institutionen zum Kampf gegen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus in Europa auf

10.06.14. Jüdische und muslimische Religionsführer haben die EU-Institutionen zum Kampf gegen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus in Europa gemahnt. Am Rande des jährlichen Treffens von Religionsführern mit den EU-Spitzen riefen Vertreter der beiden Glaubensgemeinschaften am Montag in Brüssel dazu auf, gegen alle Gruppen mit rassistischen und fremdenfeindlichen Ideologien vorzugehen. Ihre dürfe keinen Eingang in die politische Debatte finden. Zur Quelle.

Zum Hintergrund: Religionsführertreffen

Der Lissabon-Vertrag von 2009 schreibt einen regelmäßigen Dialog zwischen den EU-Institutionen und Vertretern wichtiger Religionen vor. Doch Parlamentspräsident Jerzy Buzek beschrieb die Zusammenarbeit am Montag (30.05.2011) auch als Herzensangelegenheit. Die Trennung zwischen Staat und religiösen Gemeinschaften sei zwar sehr wichtig. „Aber es sollte so etwas wie eine freundliche Trennung sein. Denn die religiösen Gemeinschaften können uns bei vielen Dingen helfen und die höchst wichtigen Werte der menschlichen Würde und der Menschenrechte fördern.“ Zur Quelle.

 

Berliner Senat stoppt Zahlungen an Jüdische Gemeinde

Der Berliner Senat hat Medienberichten zufolge die staatsvertraglich zugesicherten Geldzahlungen an die Jüdische Gemeinde Berlin vorübergehend gestoppt. Grund sei ein fehlender Stellenplan. So sei nicht nachzuvollziehen, wie viel Personal mit welcher Bezahlung wo eingesetzt werde, heißt es unter Berufung auf Senatskreise. Pro Quartal ging es im vergangenen Jahr um ca. 3 Millionen Euro oder 2/5 des gesamten Etats der Gemeinde. Lesen Sie den Artikel.