Archiv der Kategorie:
Gesellschaftsvertrag

65 Jahre Grundgesetz. Kermani-Rede und Video mit Heribert Prantl zu „Neuen Bedrohungen für die Grundrechte“

1. Rede von Dr. Navid Kermani zur Feierstunde „65 Jahre Grundgesetz“ im Bundestag

Sehr geehrte Herren Präsidenten! Frau Bundeskanzlerin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Exzellenzen! Liebe Gäste!

Das Paradox gehört nicht zu den üblichen Ausdrucksmitteln juristischer Texte, die schließlich größtmögliche Klarheit anstreben. Einem Paradox ist notwendig der Rätselcharakter zu eigen, ja, es hat dort seinen Platz, wo Eindeutigkeit zur Lüge geriete. Deshalb ist es eines der gängigsten Mittel der Poesie.

Und doch beginnt ausgerechnet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit einem Paradox. Denn wäre die Würde des Menschen unantastbar, wie es im ersten Satz heißt, müsste der Staat sie nicht achten und schon gar nicht schützen, wie es der zweite Satz verlangt. Die Würde existierte unabhängig und unberührt von jedweder Gewalt. Mit einem einfachen, auf Anhieb kaum merklichen Paradox ‑ die Würde ist unantastbar und bedarf dennoch des Schutzes ‑ kehrt das Grundgesetz die Prämisse der vorherigen deutschen Verfassungen ins Gegenteil um und erklärt den Staat statt zum Telos nunmehr zum Diener der Menschen, und zwar grundsätzlich aller Menschen, der Menschlichkeit im emphatischen Sinn. Sprachlich ist das ‑ man mag es nicht als brillant bezeichnen, weil man damit einen eminent normativen Text ästhetisierte – es ist vollkommen, nichts anderes. Das Protokoll des Vortrags anläßlich der Feiersstunde im Bundestag.

Heribert Prantl: „Neue Bedrohungen für die Grundrechte“. Eine Analyse im Video.

Damals nur als Übergangslösung gedacht, wird das Grundgesetz nun 65 Jahre alt. Sind die Ziele der Gründerväter aufgegangen? Und ist die Wirksamkeit der Grundrechte durch die NSA-Spionagetechniken bedroht?  Zum Video.

 

Gustav W. Heinemann: Aufstieg des Tüchtigen. Eine Buchbesprechung.

Thomas Flemming: Gustav W. Heinemann Aufstieg des Tüchtigen.

17.03.2014  Von Petra Weber

Gustav W. Heinemann machte schon Ende der 1930er Jahre die „Hohlheit und Nützlichkeitsgesinnung“ des liberalen Bürgertums, dem er sich einst selbst verbunden gefühlt hatte, für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich.
Thomas Flemming glaubt zwei Kontinuitätslinien im Leben von Gustav Heinemann feststellen zu können: seinen christlichen Glauben und – noch wichtiger – sein Streben nach einer „bürgerlichen Existenz“, deren spezifische Ausprägung er darin sieht, dass dieser sich als „Citoyen“ in der „Tradition der bürgerlichen Freiheitsbewegung von 1848“ verstanden habe… Zur Quelle.

Die Kontrolle der Zukunft – Edward Snowden und das neue Erdzeitalter. Von Prof. Elmar Altvater

von Elmar Altvater
Als Edward Snowden vor knapp einem Jahr die Machenschaften von US-amerikanischer NSA und britischem GCHQ aufdeckte, löste er eine weltweite Debatte über die bedrohliche Macht der Geheimdienste aus. Snowden hat bloßgelegt, in welchem Ausmaß die Fünferbande der Geheimdienste – die „Five Eyes“ aus den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland – die Bürgerinnen und Bürger in aller Welt ausspionieren, in welch planetarischer Größenordnung sie Daten klauen, speichern und für ihre Zwecke nutzen – und damit die Privatheit aller Menschen zerstören, die nach Art. 12 der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen geschützt ist. Damit aber ist auch die Meinungsfreiheit, die Grundlage von politischer Betätigung wie auch von Widerstand gegen die Herrschenden, im Kern bedroht und folglich auch die Demokratie. Zum Artikel.

“Sapere aude! Warum wir eine neue Aufklärung brauchen” – Rezension eines Buchs von Heiner Geißler

Heiner Geißler, Sapere aude„Wage zu denken“ war der Leitspruch des deutschen Philosophen Immanuel Kant, mit dem er 1784 für die Aufklärung warb. Aufbrechen sollten die Menschen aus ihrer Unmündigkeit und Hörigkeit gegenüber den Obrigkeiten des Absolutismus.

Heute, so Heiner Geißler in seinem neuen Buch Sapere aude (auch erhältlich in der Print-Ausgabe), leiden die Menschen unter einem neuen Absolutismus, dem der Ökonomie und dem religiösen Fundamentalismus des Islam und der katholischen Kirche. Und sie verhalten sich ähnlich unmündig diesen Tendenzen gegenüber… Mehr dazu.

Zu Kants Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ Rundfunkbeitrag von von Prof. Mathias Burchardt

Zu den Schlüsseldokumenten unserer Kultur gehört Kants  Schrift: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ von Mathias Burchardt, Universität Köln.
Der Eingangssatz wird vielen geläufig sein: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“– einer Unmündigkeit, die aus Faulheit oder Feigheit resultiert. Wer die Anstrengung des eigenen Urteilens auf sich nimmt und die Furcht vor Repression durch Vorgesetzte oder den Opportunitätsdruck der Mehrheitsmeinung hinter sich lässt, ist in der Lage, Propaganda zu durchschauen und in der Abwägung von Argumenten besonnene politische Entscheidungen zu treffen. Exponierte Orte, die eigene Urteilkraft zu üben und seine Feigheit durch Persönlichkeitsbildung zu überwinden, sind Schulen und Universitäten. Bildung ist in dieser Hinsicht das Lebenselixier des demokratischen Staates… Besinnen wir uns lieber auf die Fundamente der demokratischen Kultur und reklamieren eine Reformpolitik, die Vernunft und Freiheit der Bürger nicht als potentiellen Widerstand neutralisiert, sondern zu ihrem einzig legitimen Ausgangspunkt nimmt. Beitrag in SWR II von Mathias Burchardt.

Gedenkjahr zum Beginn des Ersten Weltkriegs wirft seine Schatten voraus – von Prof. Jost Eschenburg

2014. Gedenkjahr für 1914, Beginn des Ersten Weltkriegs. Was kommt bei all dem Gedenken und Erinnern auf uns zu? Wird 2014 das Jahr der Geschichtsklitterer und -kleisterer, der Beschöniger und Verharmloser? So jedenfalls hat es angefangen. Prof. Jost-Hinrich Eschenburg parallelisiert die Angriffskriege 1914 und 2001 (Afghanistan). Er argumentiert und protestiert in einem Leserbrief auf Artikel zur Gedenkjahreröffnung der SZ und zeigt: wie Menschen die Geschichte deuten, so gestalten sie auch die Gegenwart. Eine neue Lernkultur würde uns weiter helfen.

Leserbrief zur Wochenendbeilage der SZ 3 (2014), 4./5.1.2014 besonders zum Interview „Schuld“ mit Herfried Münkler (S.10):

Es ist verdienstvoll von der Süddeutschen Zeitung, das wichtige Thema des Jahres 2014, den Ersten Weltkrieg, gleich zu Jahresbeginn aufzugreifen. Was genau war das Falsche am damaligen Denken und Handeln der verantwortlichen Politiker und Militärs, das zu dieser bis dahin größten Katastrophe aller Zeiten führte?

Leider geht es in dem Interview hauptsächlich darum, die absurde alte These von der deutschen Alleinschuld zurückzuweisen. Statt sich damit aufzuhalten müsste doch
jede beteiligte Nation ihren Anteil an dieser Katastrophe so präzise wie möglich aufarbeiten, wir Deutschen also den deutschen Anteil. Davon ist aber nicht die Rede. Vielmehr
geht es um Entlastung von einer Schuld, die heute noch Folgen hat: „Weil wir historisch schuldig sind, … dürfen wir außenpolitisch nirgendwo mitmachen“, und als Beleg der angeblich schlimmen Konsequenzen dieses Denkens wird „das außenpolitische Desaster
Guido Westerwelles beim Eingreifen der Nato gegen den libyschen Diktator Gaddafi“ angeführt.

Das ist eine neue Tendenz, die auch in dem in der Wochenendbeilage zitierten Buch „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark zu beobachten ist. Dort heißt es (S.16): „Die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 haben uns exemplarisch vor Augen geführt, inwiefern ein einzelnes, symbolträchtiges Ereignis … die Politik unwiderruflich verändern kann, indem es bisherige Optionen zunichte macht und neuen Optionen eine unvorhersehbare Dringlichkeit verleiht“. Allerdings, die USA haben sich 2001 genauso verhalten wie Österreich-Ungarn 1914: Auf das Verbrechen vom 11. September folgte das noch viel größere Verbrechen vom 7. Oktober, der Angriff auf Afghanistan. Ebenso folgte auf auf das Verbrechen vom 28. Juni 1914 das viel größere Verbrechen vom 28./29. Juli: die von Deutschland gedeckte österreichische Kriegserklärung an Serbien und der erste Angriff auf Belgrad. Man kann nur schwer das eine rechtfertigen und das andere verurteilen. Lieber äußert man wieder Verständnis für den Angriffskrieg, ein Rückfall hinter die UN-Charta.

Ein Fazit von Christopher Clark lautet: „So gesehen war der Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen.“ (S.716) Dem ist scharf zu widersprechen: Die kollektive Planung des gewaltsamen Todes von Millionen von Menschen durch die damals Verantwortlichen in allen beteiligten Ländern war ein Verbrechen, das größte bis dahin begangene. Millionen
von jungen Leuten wurden zum Massenmord getrieben; wen wundert es da, dass einige von ihnen später freiwillige Massenmörder wurden? Sollte es nicht die vordringliche Aufgabe der Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg sein, das Denken zu erkennen, das in die Katastrophe geführt hat, damals wie heute?

Prof. Dr. J.-H. Eschenburg, Augsburg (die Wort-Meldungen danken für die Überlassung des

Leserbriefs)

Das Ende der Nachkriegsdemokratie

Der Klassenkampf ist zurück. Überall im Westen wollen die Menschen wissen, wer für die Krise bezahlt. Dabei ist dies längst entschieden: Bei der Verteilung der Konkursmasse des Schuldenstaats zählen die Ansprüche der Gläubiger mehr als die seiner Bürger. Der europäische Wohlfahrtsstaat ist Geschichte. Der Artikel der SZ über Wolfgang Streeks „Ende der Nachkriegsdemokratie“

 

Die Fiskalkrise der Währungsunion stellt die kontinentaleuropäische Variante einer weltweiten Entwicklung in den reichen Demokratien dar, in deren Verlauf ein zweiter Souverän in Gestalt der internationalen „Finanzmärkte“ zu den Staatsvölkern und mit diesen konkurrierend hinzugetreten ist. Heute ist offenkundig und fast schon selbstverständlich, dass die gewählten Regierungen der Länder des demokratischen Kapitalismus zwei Herren auf einmal dienen müssen, deren Ansprüche oft nicht gegensätzlicher sein könnten.

 

Die Fiskalkrise und die Einheit Europas von Wolfgang Streek, In: Aus Politik und Zeitgeschichte 4/2012, 7–17.

 

 

Wachsende soziale Ungleichheit gefährdet die Demokratie

Serge Halimi, Le Monde diplomatique.

Die sozialen Unterschiede wachsen weltweit. Noch problematischer ist das immer größer werdende Kapitalvermögen in den Händen weniger. Denn dieses Kapital drängt hin zur politischen Einflussnahme, der Regierungen scheinbar ohnmächtig gegenüberstehen. Diese wachsende Unwucht nicht nur in den westlichen Demokratien gefährdet diese und wendet sich gegen die objektiven Interessen der Mehrheit.

In einer gut lesbaren, informationsreichen Analyse aus Le Monde diplomatique thematisiert Serge Halimi dieses Problem. Sein aus globaler Perspektive verfasster Beitrag enthält wertvolle Hinweise auch für WahlbürgerInnen in Deutschland.

Lesen Sie „Der wahre Skandal: soziale Ungleichheit untergräbt die Demokratie“