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Institutioneller Wandel außerhalb der Kirchen

Drittmittel korrumpieren mehr und mehr die Idee der Universität. Problem auch von Kirchen.

Verantwortlich: Wolfgang Lieb

Bei real stagnierenden Grundmitteln, sind die Universitäten, um überhaupt noch Forschung betreiben zu können, mehr und mehr auf die Einwerbung von Drittmitteln angewiesen. Der Wettbewerb um Drittmittel wurde geradezu zum Steuerungsinstrument der Universitätsforschung. Das Grundecht der Wissenschaftsfreiheit für den einzelnen Hochschulwissenschaftler wird dadurch eingeschränkt und die Idee der Universität als ein von Fremdbestimmung, von wirtschaftlichen Verwertungsinteressen oder von politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freier Ort der Wissenschaft wird zunehmend korrumpiert. Von Wolfgang Lieb.

Welche Probleme bringt die Abhängigkeit von Drittmitteln mit sich?

Drittmittel sorgen nicht mehr dafür, dass die Hochschulforscher zusätzliches Geld für die Forschung ausgeben können, wie das früher einmal der Fall war, sie werden mehr und mehr zur Grundbedingung für Forschung überhaupt. Weite Bereiche der Forschung könnten ohne Drittmittel gar nicht mehr durchgeführt werden, weil die Grundfinanzierung der Forschung seit Jahren stagniert.

Es besteht die Gefahr, dass das Individualrecht der Wissenschaftsfreiheit, das jedem Hochschulwissenschaftler vom Grundgesetz garantiert wird, ausgehöhlt wird und das individuelle Erkenntnisinteresse und damit auch die Forschungsentwicklung insgesamt vom Wettbewerb um die Einwerbung von Drittmitteln gesteuert wird.


Die nach wie vor überwiegend öffentlich finanzierten Hochschulen geraten unter das Diktat einseitiger externen Verwertungsinteressen. Dieser grundlegende institutionelle Wandel bedroht die innere akademische Freiheit und unterwirft Bildung und Wissenstransfer äußeren Zwecken.

Das Konzept der wettbewerbsgesteuerten Hochschule, also das Regime von McKinsey und Co widerspricht den „professionskulturellen“ Voraussetzungen einer freien Wissenschaft und beeinträchtigt die Innovationsfähigkeit der Hochschulforschung. Denn Innovationen entstehen innerhalb der Universität als Ergebnis weitgehend ungeplanter Prozesse in Nischen, die sich einer direkten Kontrolle entzögen. Sie beruhen auf kollektivem Lernen, setzten Vertrauen und gegenseitige Anerkennung vor. Durch strikte Effizienzorientierung geraten gerade jene assoziativen Arbeitsformen, Freiräume und Vertrauensbeziehungen unter Druck, die eine zentrale Bedingung für Innovationen sind….

Zur Kurzstudie.

Auf dieselbe Problematik hatte  Pfr. Hans-Jürgen Volk vor kurzem in seinem Artikel zur EKiR Landessynode Januar 2015 hingewiesen.

College-Kultur in den USA: Der Efeu welkt

Harvard, Yale oder Princeton galten lange als Ideal der Universitätskultur. Doch die amerikanischen Eliteuniversitäten sitzen auf der Anklagebank – wegen Rassismus, sexueller Gewalt und einer Erziehung zur Anpassung. Den Angriff auf den Kern hat im Sommer der Anglist und Literaturkritiker William Deresiewicz geführt. Anfang August stand auf dem Titelbild des Magazins The New Republic die Fahne der Harvard University in Flammen. “Don’t send your kid to the Ivy League”, schrie die Überschrift, Unterzeile: “A better education – and a better life – lies elsewhere.” Online wurde der Text auf einen Schlag zum meistgelesenen in der Geschichte des Magazins. Und im Herbst ließ Deresiewicz dann das Buch folgen, das die These ausführlich ausrollt (Excellent Sheep: The Miseducation of the American Elite and the Way to a Meaningful Life. Free Press, New York 2014). Sie lautet, sehr kurz gefasst: Die Fixierung darauf, es durch die brutalen Auswahlschleusen bis hoch in die Ivy League und dadurch mutmaßlich ins Lager derjenigen zu schaffen, die sich über Geld keine Sorgen mehr machen müssen, produziere überangepasste Strebernaturen, töte Neugier, Abenteuergeist und Kreativität und stürze ganze Familien ins Unglück. Mehr dazu.

Technikerkrankenkasse: Krankenstand 2014 steigt, Beschäftigte fehlen nicht öfter, aber länger

Berlin, 28. Januar 2015.

14,8 Tage waren Erwerbspersonen – dazu zählen Beschäftigte und ALG-I-Empfänger – in Deutschland 2014 durchschnittlich krankgeschrieben. Dies entspricht einem Krankenstand von 4,05 Prozent, der damit 0,9 Prozent höher liegt als im Jahr zuvor. Dies gab die Techniker Krankenkasse (TK) heute auf ihrer Pressekonferenz zum Depressionsatlas Deutschland bekannt.

Der Anstieg resultiert laut TK ausschließlich aus der längeren Dauer der Krankschreibungen. 13,3 Tage fehlten Erwerbspersonen in Deutschland im Krankheitsfall, die durchschnittliche Dauer stieg damit um 4,5 Prozent (12,9 Tage in 2013)…

Zur Quelle

Die Auswirkungen des Bluttest auf Trisomie21

Ob ein ungeborenes Kind das Downsyndrom hat, lässt sich heute unkompliziert und schnell diagnostizieren. In meiner Ethikvorlesung habe ich gelernt, dass 90% aller Kinder bei denen eine Trisomie21 festgestellt wird abgetrieben werden. Die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik werden immer besser. Selbst das deutsche Ärzteblatt titelte neulich mit einer „Eugenik von unten“.

Ein Feature der Zeit widmet sich den Erfahrungen zweier Familien, deren Kinder die Diagnose Downsyndrom bekommen haben. Eindrücklich werden die Auswirkungen der Entscheidung auf das Leben der Familien geschildert.

Die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste fordert in einem Memorandum eine “Neugestaltung der europäischen Politik”

In dem von mehreren Wissenschaftlern verfassten Memorandum wird Europa die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg attestiert. Gefordert wird die Schaffung einer europäischen Identität, als auch grundlegende Reflexionen in der Wirtschafts-, Finanz-, und Familienpolitik. Kritisiert wird eine Politik der “wirtschaftlichen Stärke” ohne Visionen. Stattdessen, so unter anderem der EASA-Präsident Felix Unger, solle die Besserung der sozialen Lage, eine Bekämpfung der Ungleichheit sowie eine Rückbesinnung auf Demokratie und humanistische Werte Ziel der EU sein. Auf dem Spiel stünden nicht zuletzt die “Errungenschaften der europäischen Wissenschaft und Kultur”.

Eine ergänzende Einleitung zu dem Memorandum hat hier Prof. Dr. Günter Buchholz verfasst.

Das Memorandum im Wortlaut:…

1. EUROPÄISCHE IDENTITÄT: DIE POLITISCHEN UND KULTURELLEN ELITEN EUROPAS SIND AUFGERUFEN MIT NACHDRUCK AUF DIE SCHAFFUNG EINER EUROPÄISCHEN IDENTITÄT HINZUWIRKEN. DER DAUERHAFTE ZUSAMMENHALT UND DIE STÄRKUNG DER EUROPÄISCHEN IDENTITÄT HÄNGEN GEGENWÄRTIG IN ERSTER LINIE VON DER BESSERUNG DER SOZIALEN LAGE AB.

2. KONTROLLE DES FINANZSEKTORS: EINE DER DRINGLICHSTEN AUFGABEN IST, DEN EUROPÄISCHEN FINANZSEKTOR ZU REDIMENSIONIEREN UND IHN STRENGEN KONTROLLEN ZU UNTERZIEHEN. DIE ABKEHR VON STEIGENDEN FINANZINVESTITIONEN IST DIE VORAUSSETZUNG FÜR MEHR INVESTITIONEN IN DAS BRACHLIEGENDE HUMANKAPITAL.

3. ENTWICKLUNG DER REALWIRTSCHAFT: DIE ZUNEHMENDE ORIENTIERUNG DER REALWIRTSCHAFT AUF DEN GELDERWERB IST WIEDER AUF DIE ORIGINÄREN AUFGABEN DER REALEN GÜTERVERSORGUNG ZURÜCKZUFÜHREN. ENTSCHEIDEND DABEI SIND BREIT ANGELEGTE INNOVATIONEN, DIE DEN WEG IN EINE SOZIAL-ÖKOLOGISCHE MARKTWIRTSCHAFT ERÖFFNEN.

4. EIN NEUES GLEICHGEWICHT ZWISCHEN BÜRGER UND POLITIK: DAS ÜBERZOGENE ZURÜCKDRÄNGEN DES STAATES HAT IN EUROPA ZU TEILS DRAMATISCHEN SOZIALEN PROBLEMEN GEFÜHRT. DIE EUROPÄISCHE POLITIK IST VERPFLICHTET WIEDER EIN AUSGEWOGENES VERHÄLTNIS ZWISCHEN ÖFFENTLICHEM UND PRIVATEM REICHTUM HERZUSTELLEN.

5. PRIVATE HAUSHALTE UND FAMILIE: DIE ZUNEHMENDEN VERÄNDERUNGEN DER FAMILIENSTRUKTUREN, DER DEMOGRAPHISCHE WANDEL, DIE MIGRATION UND STEIGENDE SOZIALE NOTLAGEN BEDÜRFEN EINER NEUEN UND UMFASSENDEN FAMILIENPOLITIK. EINE ERHÖHUNG DES WIRTSCHAFTSWACHSTUMS ALLEIN KANN DIE STRUKTURELLEN PROBLEME DER PRIVATEN HAUSHALTE NICHT LÖSEN.

8. MITGESTALTUNG DER GLOBALISIERUNG: EUROPA KANN SICH NICHT ALLEIN DURCH WIRTSCHAFTLICHE STÄRKE ZU EINEM WICHTIGEN GLOBALEN MITSPIELER ENTWICKELN. ES HAT AUF DER GRUNDLAGE VON MODERNER BILDUNG UND WISSENSCHAFT DIE WERTE DER DEMOKRATIE UND DER VOM HUMANISMUS GEPRÄGTEN EUROPÄISCHEN KULTUR IN DIE MULTI-POLARE WELT HINEINZUTRAGEN. Der vollständige Text.

Reformruine Riester-Rente. Interview zur Rentenproblematik mit Norbert Blüm.

„Die Rente ist sicher“: Kaum ein anderer Satz hat sich in den Köpfen der Bürger so eingeprägt wie der des ehemaligen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm. Heute wird die gesetzliche Rentenversicherung 125 Jahre alt. Im Interview beurteilt Blüm die aktuelle Situation kritisch.

ECHO: Welche Reform in der jüngeren Geschichte der Rentenversicherung war aus Ihrer Sicht der größte Irrweg?
Blüm: Eindeutig die Riester-Rente.
ECHO: Was haben Sie gegen kapitalgedeckte Systeme?
Blüm: Ich bevorzuge die Anbindung der sozialen Sicherheit an die Arbeit und nicht ans Kapital. Die Arbeit muss die höchste Wertschätzung in einer Gesellschaft haben und nicht das Kapital. Im Übrigen: Wer heute noch behauptet, die kapitalgedeckten Systeme seien sicher, der lebt auf einem Eisberg ohne Funkverkehr. Durch die weltweite Finanzkrise sind diese Systeme allesamt ins Rutschen gekommen. Das Rentensystem in Chile ging deshalb sogar bankrott…  Zum Interview.

Was die Kirche vom Fernsehen lernen kann II: Die Geiselhaft der Quote

Das Fernsehen vereint momentan extreme Gegensätze, die nebeneinander existieren. Biedere Konzepte, die sich in Dauerschleifen wiederholen und kreative, mitreißende, neue Stoffe. Auf der einen Seite kaputtgesparter Diletantismus und auf der anderen große Investitionen mit hoher Qualität.

Es gibt strukturelle Gründe warum sich das Fernsehen parallel unterschiedlich entwickelt. Dabei lassen sich interessante Parallelen zur Lage der Kirche ziehen. Es zeigt sich, das die Kirche die Wahl hat, welchen Kurs sie einschlagen. Daher lohnt der Blick auf das Fernsehprogramm.

In einer Serie werden  9 in Einzelartikeln dargelegte Thesen zur Zukunft von Kirche und Fernsehen entfaltet. Hier sind wir also beim 2. Beitrag .

  1. Qualität kostet Geld
  2. Die Quote ist eine Form der Geiselhaft
  3. Man muss seinem Produkt vertrauen
  4. Gebt den Kreativen die Macht
  5. Es gibt eine Sehnsucht nach großen Erzählungen
  6. Die feste Programmierung ist ambivalent
  7. Erfolg ist da, wo man ihn nicht sucht
  8. Wer seine Kunden/Gemeinde kennt hat Erfolg
  9. Versprechen Sie keine Wunder

Die Gefangenschaft der Quote

Im Zeitalter des öffentlich-rechtlichen Staatsfunks interessierte die Quotejahrzehntelang nicht. Erst seit dem Erstarken der privaten Fernsehsender ist die Quote eine relevante Größe. Sie liefert eine scheinbar objektive Zahl, den Wert der käuflichen Werbeblöcke zu ermitteln.

Zahlen gelten als objektiv und wissenschaftlich und lassen sich hervorragend vergleichen. Jeder weiß, dass vier Millionen mehr sind als drei Millionen.

Wie wenig die Quote mit Wissenschaft und Objektivität zu tun hat, zeigt sich an der Messmethode. Da lange Zeit RTL, Sat1 und Co gegenüber ARD und ZDF im Nachteil waren, wurde die „werberelevante Zielgruppe“ eingeführt. Gemessen werden nur ZuschauerInnen zwischen 14 und 45 Jahren, da jüngere ZuschauerInnen tendenziell das Privatfernsehen schauen. Da die Reichweite in der Zielgruppe sinkt, wird die Neudefinition der „werberelevante Zielgruppe“ diskutiert. Die Quote folgt also eng begrenzten Zielen und manipuliert damit die Wahrnehmung.

Unsäglicher Weise haben sich die öffentlich- rechtlichen Sender der Quote und ihrem Druck angeschlossen. Seit dem ist die Quote das goldene Kalb um das fast jeder Fernsehschaffende tanzt. Für ARD und ZDF ergibt es wenig Sinn sich der Quote auszuliefern. Am offensichtlichsten haben sie kaum Werbezeit zu verkaufen. Aber am wichtigsten: Ihr Auftrag ist keine große Reichweite sondern die Grundversorgung an Bildung, Kultur und Unterhaltung. Dieser Auftrag alleine rechtfertigt eine bundesweite Zwangsabgabe aller Haushalte. Ob das öffentlich rechtliche Fernsehen diesen Auftrag erfüllt, lässt sich also an der Quote nicht erkennen. Besser wäre es Befragungen dergestalt durchzuführen:

Hatte die Berichterstattung im Fernsehen einen Einfluss auf die letzte Wahlentscheidung?

Half das Fernsehen komplexe politische Zusammenhänge zu verstehen?

Wann habe ich Neues vom Fernsehen gelernt?

Die Geiselhaft der Quote beginnt in dem Moment, wo sie das Programm diktiert. Obwohl sie unfähig ist die Erfüllung des Auftrags zu erfüllen, wird das gesamte Programm nach ihr ausgerichtet. Gesendet werden keine interessanten Dokumentationen, sondern Checks in denen Trivialwissen der ZuschauerInnen bestätigt wird. Der Sport wird durch König Fußball dominiert und die politische Berichterstattung findet in boulevardesken Talkshows statt, in denen sich die gleichen Leute mit den selben Phrasen nicht zu Wort kommen lassen.

Die Quote verhindert jegliche Änderung. Sobald die ZuschauerInnen nicht das gewohnte Programm vorgesetzt bekommen, bleiben sie fern. Während neue ZuschauerInnen nicht von Beginn an bemerken, wenn gutes im Programm versteckt wurde. Das Diktat der Quote geht so weit, dass sich Schauspielerin Iris Berben beschwerte, dass sie in Deutschland nur drehen können, wenn Geranien blühen. Sonst befürchten die Sendechefs, dass die Quote ausbleibt.

Die Kirche könnte aus der Geiselhaft der Quote lernen. Zuerst müsste sie sich selber aus der Geiselhaft ihrer Statistiken befreien. Wenn die EKD im Impulspapier „Kirche der Freiheit“ fordert die Quote der GottesdienstbesucherInnen mehr als zu verdoppeln, befindet sie sich schon in deren Geiselhaft. Dabei sagt die Zahl der Gottesdienstbesucher nichts über den Erfolg der Verkündigung aus. Selbst wenn mehr Menschen einen Gottesdienst besuchen, kann durch de Anpassungen dafür gesorgt werden, dass weniger Impulse mitnehmen oder sich in ihrem Glauben bestätigt fühlen. Genau wie ARD und ZDF benutzt die Kirche quantitative Statistik, während eine qualitative Auswertung ihrem Auftrag eher entspricht. Damit setzt die Kirche Anreize für ein quantitatives Wachstum. Wie ich letzte Woche geschrieben habe, hat die Kirche auch ein qualitatives Problem. Es ist nicht Absicht von „Kirche der Freiheit“ auf Kosten der Qualität zu wachsen. Dennoch begibt sich die Kircheauf ein gefährliches Terrain., wenn sie auf die falschen Zahlen schaut oder schauen lässt. 

Ebenso sind die quartalsmäßigen Zahlen der Kirchenaustritte zu betrachten. Es ist schmerzhaft trotz einem fast universalen Anspruch Mitglieder zu verlieren. Auf die Verluste zu schauen lähmt alle Beteiligten. Die neueste Mitgliederbefragung hat einen Schritt in eine gute Richtung getan. Statt auf die Mitgliederstatistik zu schauen, sollte in den Fokus rücken, wo Kirche ihrem Auftrag gerecht wird. Die Bindung an die Kirche liegt in großem Maßen an der Qualität der persönlichen Begegnung. Die gilt es auszubauen. Die ist aber kaum messbar.

Ein Blick auf diese Statistiken ist zuerst schmerzlich. Wie viele Mitglieder kann die Kirche nicht erreichen? Alle werden es niemals sein. Das schaffen auch nicht die Gewerkschaften, Parteien, Vereine oder das Fernsehen. „Wachstum gegen den Trend“ muss hier anfangen. Es muss ein neuer Trend einer offenen persönlichen Kirche gestartet werden. Leuchttürme können gegen den Trend wachsen. Eine einige Kirche in denen motivierte verantwortliche Personen an der Qualität arbeiten kann einen Trend setzten. Ob das zu einem Wachstum bei den Mitgliedern führt mag ich bezweifeln. Aber diese Statistik interessiert mich nicht als Mitglied und Akteur in der Kirche. Die Momente, wo ich für eine Person im richtigem Moment Dasein kann sind wichtiger als die Reichweite meiner Veranstaltung. Wer der Versuchung falscher Statistiken widersteht, kann den Weg zu wirklichen Reformen finden.

Reformern sind genau das Stichwort für nächste Woche. Dann geht es darum, warum man seinem eigenen Produkt vertrauen muss. Ich werde zeigen, wie panische Reformanstrengungen und immer wieder neues Gegensteuern einen negativen Sog aufbauen. Auch das kann Kirche vom Fernsehen lernen.

Nein zu ‚Reformen‘ nicht nur in der Kirche: „Tätiger Widerspruch. Über die Bologna-Reform und ihre Folgen.“ Von Prof. Volker Gerhardt, Berlin

Tätiger Widerspruch. Über die Bologna-Reform und ihre Folgen.

in: Forschung und Lehre 11/2014

Zum Autor: Professor Volker Gerhardt lehrte bis zu seiner Emeritierung 2014 Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er wirkte mit in zahlreichen Universitäts-, Akademie- und Fachkommissionen. Von 2002 bis 2012 war er Mitglied im Nationalen Ethikrat. Letzte Buchveröffentlichung: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, München 2014 (C.H. Beck).

Kritik am Niedergang der Universität

Die Andeutungen lassen erkennen, dass unter dem permanenten Anspruch auf Reform zwar vieles anders und manches gewiss auch besser geworden ist. Dennoch ist es den Universitäten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schlechter gegangen. Daran hat das Strohfeuer der Exzellenzinitiative nichts geändert. Jetzt aber hat die Studienreform nach dem Bologna-Modell das Zeug, den deutschen Universitäten den Geist auszutreiben, also eben das, was sie im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert zum Vorbild für anspruchsvolle Universitätsgründungen in aller Welt gemacht hat…

»Die Studienreform nach dem Bologna-Modell hat das Zeug,
den deutschen Universitäten den Geist auszutreiben.«

So kam es zu der verhängnisvollen Verwechslung von Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung. Insbesondere die Hochschulpolitiker in Deutschland sahen in den Richtwerten für den Vergleich, verbindliche Vorgaben für die Angleichung, aus der nichts anderes als eine Nivellierung werden konnte. So kam es zu einer durchgreifenden Neuorganisation von oben. Sie wurde mit der institutionellen Härte kurzer Fristen und mit dem herben Charme finanziell begünstigter, aber eben auch sanktionsbewehrter Leistungsvereinbarungen durchgesetzt. Den Flankenschutz bot die bürokratische Neuerfindung der Akkreditierungsbüros, die immerhin Arbeitsplätze für Personen schafften, die für ihre gescheiterte Universitätskarriere entschädigt und als Prüfer und Berater eben der Institution wirken konnten, die ihnen die erwünschte Tätigkeit versagt hatte…

Ein regelrechtes Schurkenstück muss man es nennen, dass die Einführung der Bologna-Studiengänge als „kostenneutral“ ausgegeben wurde. Jeder konnte wissen, dass der Erfolg der neuen Formen der Lehre an zusätzliche Leistungen für Betreuung, Begleitung und Beratung der Studierenden gebunden ist. Darauf aber waren die Personaletats der Hochschulen nicht eingestellt, und sie wurden selbst dann nicht angehoben, als der Mangel himmelschreiend war. ..

… Und so ist es mit der Überrollung durch Bologna zu einer weiteren Überlast für die ohnehin überlasteten Universitäten gekommen… Aus dem Studium ist ein Prüfungsmarathon geworden, der die Beteiligten erschöpft, ohne ihnen das Gefühl zu geben, ein Ziel erreicht zu haben. Der sprunghaft gestiegene administrative Aufwand lähmt überdies die Verwaltung in den Fakultäten und Instituten. Nun liegt der Niederschlag der Reform wie Mehltau auf den einzelnen Disziplinen. Was gut gemeint war, hat im Effekt großen Schaden angerichtet. Deshalb kann es bei dieser Reform nicht bleiben.

in: Forschung und Lehre 11/2014

Das Verschwinden des Wissens. Von Konrad Paul Liessmann, Philosoph, Wien

Das Verschwinden des Wissens. Von Konrad Paul Liessmann, Philosoph. Der Artikel ist ein leicht gekürztes Kapitel aus seinem neuen Buch «Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung», gerade erschienen im Paul-Zsolnay-Verlag, Wien

15.9.2014, NZZ


Das Ziel von Bildungsprozessen ist nicht mehr eine wie auch immer definierte Bildung, sondern der umfassend kompetent gewordene Mensch, der mit Fähigkeiten ausgestattet ist, die es ihm angeblich erlauben, in jeder Situation die angemessenen Entscheidungen zu treffen…

Das Kompetenzkonzept ist ein Kind der Ökonomie

Historisch gesehen wurzelt das Kompetenzkonzept nicht in der Pädagogik oder Bildungstheorie, sondern in der Ökonomie. Die ersten Kompetenzmessungsmodelle wurden mit dem Ziel entwickelt, Prüfungsverfahren für die unterschiedlichsten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale von Menschen zu gewinnen, um deren Einsatz für Unternehmen zu optimieren.

Durchaus in diesem Geist wurde dieses Konzept dann in die Pädagogik übertragen und machte dort Karriere…

Zukünftige Bildungsforscher werden in der Umstellung auf die Kompetenzorientierung vielleicht den didaktischen Sündenfall unserer Epoche sehen, die Praxis der Unbildung schlechthin, und womöglich zur Einsicht kommen, dass Kompetenz genau das bedeutet, was der Philosoph Odo Marquard einst manchen «kompetenten» Vertretern seiner eigenen Zunft unterstellt hatte: Sie seien für nichts zuständig, zu manchem fähig und zu allem bereit. Aber vielleicht ist es genau das, was intendiert ist. In der Kompetenzorientierung zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer hypertrophen Gestalt.

Zum Artikel.

Vgl. dazu ähnliche Beiträge in den Wortmeldungen, wie z.B. den Artikel von Ekkehard von Kuenheim (BMW): Wider die Ökonomisierung der BIldung.