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Bekenntnisse

Dogmatische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme? Arbeitsbericht zur Neuauflage der Bekenntnisschriften in der Badischen Landeskirche.

05/20115, Wolfgang Vögele

– Was sollen wir denn damit?
– Da haben wir noch nie hineingeschaut!
– Das soll ich einmal unterschrieben haben?

Solche Aussagen kann man hören, wenn Pfarrer und Älteste zum ersten Mal einen Blick in neue Ausgaben und Auflagen der Bekenntnisschriften werfen. Bekenntnisschriften führen bekanntlich ein Schattendasein im evangelischen Legitimationsuntergrund – weit verbreitetes und ausgedehntes Wurzelwerk bei geringer Blütengröße. Dabei schaffen die Grundordnungen der evangelischen Landeskirchen eigentlich ein solides normatives Dreieck zwischen Bibel, Bekenntnisschriften und Kirchenrecht. Die ausgewogene Balance dieses Dreiecks geht allerdings in den letzten Jahren zunehmend verloren. Um die theologische Dignität der Bekenntnisschriften zu würdigen und anzuerkennen, ist zunächst ihre Kenntnis vonnöten….

Glaubensvisionen haben im Moment ja gar keine Konjunktur, die Zukunft scheint in der Gegenwart der evangelischen Kirche ihren Ort verloren zu haben. Denn in den Konsistorien ächzt man unter der Last der grauen Wirklichkeit und hat bisher kein Mittel gegen die bleibend hohen Austrittszahlen gefunden: Milieuanalysen, Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen, Reformprogramme oder das Pfeifen im Walde (Minderheit mit Zukunft!) haben alle nicht geholfen. Aus der EKD kommt der Vorschlag, die Confessio Augustana als das früheste und gemeinsame Grundbekenntnis der Reformation als gemeinsame Grundlage der evangelischen Landeskirchen zu implementieren[11]. So würde die EKD von der „Kirchengemeinschaft“ zur Kirche mit gemeinsamem Bekenntnis promoviert. Diesem Vorschlag ist schon mit guten historischen und aktuellen Gründen widersprochen worden. Er nimmt einfach das Differenzmoment nicht ernst genug. Man muss im Übrigen kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass dieser Vorschlag zwischen der Kritik an dem damit verbundenen Zentralismus und den bekannten irrationalen Regionalisierungskräften zerrieben werden wird.

Visionär wäre die Weiterführung von Leuenberg zu einem europäischen evangelischen Bekenntnis, das über die landeskirchlichen und nationalen Grenzen hinausreicht. Aber im Moment sind Kräfte und Personen nicht zu erkennen, die dafür Kraft, Kreativität und langen Atem besitzen würden. Der Heilige Geist hat im Moment eine Menge zu tun. Zum Artikel.

Wer ist Jesus Christus für uns heute? Vortrag auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Villigst, 24. April 2015 von Peter Bukowski

04/2015

Textausschnitt: „Wer ist Jesus Christus für uns heute? Der an Belhar verdeutlichte Dreischritt mag auch uns den Takt vorgeben, in dem wir dem lebendigen und gegenwärtigen Christus heute begegnen: – indem wir wahrnehmen, was sich in uns und unserer Welt seiner Herrschaft widersetzt,- indem wir uns stärken und ermutigen lassen von den vielen Zeichen seiner versöhnenden Gegenwart und indem wir uns senden lassen als achtsame Schülerinnen und Schüler dessen, der uns Gottes Wesen und Willen kundtut. Das alles setzt aber voraus, dass wir in seiner Nähe leben. Will sagen: dass wir in Kontakt treten zu dem, der uns als König, Priester und Prophet zugewandt ist und an uns arbeitet, indem er und tröstet und zurechtbringt. Solche Kontaktnahme geschieht auch über Einsicht, auch über theologische Reflexion. Sie vollzieht sich aber zuerst und vor allem in gelebter Frömmigkeit.“

Gliederung des Vortrages:

I. Einleitung

II. Was sagen wir, wenn wir uns zu Jesus als dem Christus bekennen?

III. Notger Slenczkas Einspruch

IV. Wer ist Jesus Christus für uns heute? Das Bekenntnis von Belhar

V. Unser aktuelles Christuszeugnis

VI. Schluss

Der vollständige Text.

 

Die Kirche in der DDR und die Barmer Theologische Erklärung. Von Prof. em. Wolf Krötke

Vortrag von Prof. Wolf Krötke

1. Barmen – „Orientierung“ für die Kirchen in der DDR?

„Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 wurde in der DDR […] zu einem Dokument der Orientierung für das kirchliche Leben“. Das hat Reinhard Höppner in dem gerade erschienenen Bändchen „Das Erbe der Bekennenden Kirche in der DDR“ lapidar behauptet.[1] Man muss, wenn man den dominierenden Beitrag dieses Bändchen von Heino Falcke dazu nimmt, sogar noch ein Wörtchen hinzufügen. Dieser Satz sagt dann: Besonders in der DDR hat die Barmer Erklärung für das „kirchliche Leben“ (was immer das ist) eine Orientierungsfunktion gehabt. Und in der Tat: So wie Heino Falcke vom „Erbe der Bekennenden Kirche in der DDR“ erzählt,[2] kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, die Barmer Theologische Erklärung hätte die Wege und Werke der Kirchen, aber auch der Christinnen und Christen in der DDR auf eine besonders intensive Weise „orientiert“. Was Falcke selbst betrifft, so kann man ohne Zweifel sagen, dass er für diese Orientierung auf bemerkenswerte und mutige, freilich durchaus auch auf besondere Weise gut gestanden hat. Aber gilt das auch für das „kirchliche Leben“, das sich landauf-landab in den Landeskirchen der DDR abgespielt hat? …  Der vollständige Text.

Öffentlicher Festvortrag von Prof. em Jürgen Moltmann: Die Barmer Theologische Erklärung

Öffentlicher Festvortrag von Prof. em. Jürgen Moltmann zum Auftakt des Studientages der vier kirchenleitenden Organe der ELKB „Die Barmer Theologische Erklärung – Ein Bekenntnis?“ am 31. Mai 2014 im Landeskirchlichen Archiv der ELKB in Nürnberg.

Der folgende Vortrag wurde vom Autor zur Veröffentlichung überlassen. Herzlichen Dank!

1. Die dramatischen Jahre 1933 und 1934
Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1933 begann die Nazidiktatur. Alle Institutionen der Gesellschaft wurden dem totalen Staat untergeordnet und gleichgeschaltet, wie es damals hieß. Im Sommer 1933 waren die evangelischen Kirchen an der Reihe. Die Bewegung der „Deutschen Christen“, die aus dem völkischen und rassistischen Denken der späten zwanziger Jahre hervorgegangen war, eroberte mit Hilfe der Nazipartei in den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 die Herrschaft in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK), in den meisten Landeskirchen und in der Mehrzahl der Gemeinden. Viele Pfarrer, die später in den Widerstand gingen, wurden von der Woge der nationalen Begeisterung mitgerissen. Eine evangelische Nationalsynode wählte am 27. September in Wittenberg Ludwig Müller, Marinepfarrer aus Danzig, den Bevollmächtigen Adolf Hitlers, zum Reichsbischof („Reibi“). Er stand an der Spitze einer sogenannten Reichskirchenregierung, deren Mitglieder noch am gleichen Tag berufen wurden – von vier waren drei „Deutsche Christen“1). Dieser Machtübernahme der Deutschen Christen in den Kirchen im Sommer 1933 setzte – welche Ironie der Geschichte! – die Großkundgebung des Gau Groß-Berlin im Berliner Sportpalast am 13. November 1933 ein überraschendes Ende. Nach dem Vortrag ihres Reichsleiters Hossenfelder kam eine Entschließung dieser Versammlung der Deutschen Christen zustande, der einem wachsenden Teil der evangelischen Christenheit in Deutschland die Augen öffnete und sie abschreckte. Die wichtigsten Sätze der Erklärung der Deutschen Christen lauten: „Wir erwarten von unserer Landeskirche, dass sie den Arierparagraphen schleunigst durchführt … Wir erwarten, dass unsere Landeskirche als eine deutsche Volkskirche sich frei macht von allem Undeutschen im Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral. Wir fordern, dass eine deutsche Volkskirche ernst macht mit der Verkündigung einer heldischen Jesusgestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums, in dem an die Stelle der zerbrochenen Knechtsseele der stolze Mensch tritt, der sich als Gotteskind dem Göttlichen in sich und in seinem Volk verpflichtet fühlt. Wir bekennen, dass der einzig wirkliche Gottesdienst für uns der Dienst an unseren Volksgenossen ist und fühlen uns als Kampfgemeinschaft von unserem Gott verpflichtet, mitzubauen an einer wahrhaften und wehrhaften völkischen Kirche, in der wir die Vollendung der deutschen Reformation Martin Luthers erblicken und die allein dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates gerecht wird.“2)
Die Wirkung dieser „Offenbarung“ war enorm: Es kam zu Massenaustritten bei den „Deutschen Christen“, die Reichskirchenregierung geriet in eine Krise, das Geistliche Ministerium löste sich auf. Ende 1933 hatte der Widerstand gegen die deutsch-christliche Machtübernahme in der evangelischen Kirche Pfarrer und Gemeinden an vielen Orten ergriffen. Es entstanden „Bekenntnisgemeinden“, „Bruderschaften“, „Gemeindetage Unter dem Wort“. Schon im September 1933 hatte Martin Niemöller in Berlin-Dahlem den „Pfarrernotbund“ gegründet mit dem Aufruf, sich für ihre Verkündigung nur an die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Reformation zu binden. Nach einer Woche kamen 1.500 Pfarrer in den Notbund. Anfang 1934 waren es 7.000 Mitglieder. Aus den „Notbund-Pfarrern“ wurden dann „Bekenntnispfarrer“ in den „Bekenntnisgemeinden“. Sie erklärten im Januar 1934 dem Reichsbischof ihren Ungehorsam und forderten die Wiederherstellung der schrift- und bekenntnismäßigen Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK).
Es folgten Disziplinarmaßnahmen und Absetzungen der Bekenntnispfarrer. Dagegen entstanden in der altpreußischen Union eine Reihe von „Bekenntnissynoden“, die dem Vorbild der „freien reformierten Synode“ in Barmen im Januar 1934 folgten. Im Februar übernahm ein „Bruderrat des gesamten Pfarrernotbundes“ die Leitung der Bekennenden Kirche (BK). Die süddeutschen evangelischen Kirchen in Bayern und in Württemberg hielten sich noch für „intakte Kirchen“. Sie gerieten jedoch Anfang 1934 unter Druck des Reichsbischofs und seines „Rechtswalters“ Jäger. Nachdem Bischof Meiser und Bischof Wurm im Januar versucht hatten, sich mit dem Reichsbischof zu arrangieren, kam es auch in diesen Kirchen zur Opposition von Bekenntnispfarrern gegen die Kirchenleitung. Am 11. April 1934 wurde der „Nürnberger Ausschuss“ gegründet, aus dem später der „Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche“ hervorgehen sollte. Am 22. April kam es zum Bekenntnistag in Ulm der „Vertreter der württembergischen und bayerischen Landeskirche, der Freien Synode im Rheinland, in Westfalen und Brandenburg, sowie vieler bekennender Gemeinden und Christen in ganz Deutschland“3, die sich, wie es hieß, zur „rechtmäßige(n) evangelischen Kirche Deutschlands vor dieser Gemeinde und der gesamten Christenheit“4) erklärten. Damit war der status confessionis erklärt.
Der Nürnberger Ausschuss beschloss in drei Sitzungen die Einberufung einer „deutschen Nationalsynode“. Auf Vorschlag von Pfarrer Karl Immer wurden Hans Asmussen, Karl Barth und Thomas Breit mit der Ausarbeitung einer „Theologischen Erklärung“ beauftragt. Später wurde der Erlanger Lutheraner Hermann Sasse hinzuberufen. Am 7. Mai beschloss der Reichsbruderrat – wie er jetzt hieß – in Kassel die Einberufung einer Bekenntnissynode auf die Tage vom 29. bis 31. Mai 1934 nach Barmen.
Die Vorgeschichte der Barmer Theologischen Erklärung begann jedoch in Bonn. Dort traf sich am 12. Mai ein Kreis bekennender Christen, und Professor Karl Barth in Bonn schrieb „Die vier Artikel einer Erklärung zur Bildung einer Bekenntnisgruppe in der evangelischen Kirche in Bonn“. Zwei Tage später tagte der genannte Dreierausschuss – Asmussen, Barth und Breit – in Frankfurt und verfasste die theologischen Thesen, die zur „Barmer Theologischen Erklärung“ werden sollten. Die Übereinstimmung der zwei lutherischen und des einen reformierten Theologen wurde in Kürze, „in ruhiger und müheloser Unterredung“, wie Barth schrieb, erzielt. Barth schrieb den Grundriss der sechs Barmer Sätze in wenigen Stunden nieder. Hierher gehört auch die Story vom „Mittagsschlaf“. Die Beratungen begannen um 11 Uhr, nach dem Essen zog man sich auf die Zimmer zurück. Barth rauchte seine Pfeife und schrieb hart und schnell die „Erklärung“ nieder. Asmussen litt an „akuter Migräne“, und Breit war durch kirchenpolitische Ferngespräche verhindert. Barth erzählte gern: „Das Luthertum hat geschlafen“. Und daher kommt es, „dass die Töne der Barmer Erklärung so reformiert klingen“5. Es kam dann auch zwischen dem 12. Mai und dem Beginn der Synode Ende Mai zu Einsprüchen der Erlanger Lutheraner: Sasse hielt die Erklärung für „viel zu unionistisch“. Althaus hielt sie für untragbar und für „einen „Verrat an meiner Kirche“. Für Bischof Meiser war die Erklärung nicht „volkstümlich“ genug6. Dennoch konnte Hans Asmussen den Entwurf der Synode in Barmen vortragen. Asmussen musste sogar dafür sorgen, dass Karl Barth nach Barmen eingeladen wurde. Barth missachtete das ihm auferlegte Reiseverbot und kam von Bonn nach Barmen. Das ist ja auch nicht so weit.
Zur Bekenntnissynode in Barmen kamen aus 25 Landes- und Provinzialkirchen 139 Delegierte. Frau von Mackensen war die einzige Frau. Die reformierte Gemeinde Gemarke sorgte für Unterkunft und Räume. Zwei Befürchtungen erfüllten sich wunderbarerweise nicht: 1. die GESTAPO griff nicht ein, und 2. konfessionelle Differenzen behinderten nicht die Einmütigkeit im Bekennen der Wahrheit.
Bevor ich auf die Theologie der Barmer Theologie eingehe, muss ich noch zwei politische Ereignisse im Sommer 1934 erwähnen. Vier Wochen nach der Bekenntnissynode in Barmen kam der Massenmord an der SA-Führung unter Ernst Röhm durch die SS auf Anweisung Hitlers: wenigstens 140 Tote. Auch General Schleicher und seine Frau wurden nebenbei ermordet. Das war die letzte Gelegenheit für die Reichswehr, Hitler legal zu stürzen. Aber Hitler hatte bereits mit dem Reichswehrminister Blomberg einen Pakt geschlossen und setzte nicht mehr auf die SA und das Volksheer, sondern auf die Reichswehr, der er Aufrüstung und Vergrößerung versprach. Vier Wochen darauf, am 2. August 1934 starb der alte Reichspräsident Paul von Hindenburg. Seine Befugnisse gingen auf den Reichskanzler Hitler über, der damit auch Oberbefehlshaber der Reichswehr wurde. Damit war die Unabhängigkeit der Reichswehr zu Ende. Der Fahneneid wurde auf den Führer geschworen. Die deutsche Justiz war schon weitgehend gleichgeschaltet. Der führende Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt, den heute noch viele verehren, rechtfertigte Hitlers Mordaktion mit den Worten: „(D)ie Tat des Führers … untersteht nicht der Justiz, sondern“ ist „selbst höchste Justiz.“7)
In der historischen Darstellung wird oft mit der Barmer Synode und der Geburt der Bekennenden Kirche Schluss gemacht. Aber es gab am 19. und 20. Oktober 1934 noch eine weitere wichtige Bekenntnissynode: die Bekenntnissynode von Berlin-Dahlem. Sie brachte theologisch nichts Neues, zog aber weitreichende kirchenrechtliche Konsequenzen aus der Barmer Erklärung. Schon in der Ulmer Erklärung hatte sich die Opposition gegen den Reichsbischof und seine „Reichskirche“ als die „rechtmäßige Evangelische Kirche Deutschlands“8) bezeichnet. Als der Reichsbischof im August 1934 die Forderung nach einer deutschen Nationalkirche erhob, erklärte der Bruderrat der BK ihn und seinen „Rechtswalter“ Jäger für von der christlichen Kirche geschieden und aus der „Gemeinde des Herrn ausgeschlossen“. Kirchenordnung und Kirchenrecht kommen aus dem Evangelium und dem Wesen der Kirche, nicht aus der Staatsordnung. Das war der neue Grundsatz von „Dahlem“. Das „kirchliche Notrecht“ trat in Kraft, und der Bruderrat schuf aus seiner Mitte den selbstständigen „Rat der Deutschen Evangelischen Kirche“. Diese scheinbar nur kirchenrechtliche Entscheidung war von weitreichender Bedeutung. „Dahlem proklamierte die Freiheit der Kirche und ihren bruderrätlichen Aufbau in einem Staat, der gerade zum ‚totalen Staat’ geworden war“9), sagt Martin Rohkrämer. Die evangelische Kirche in Deutschland war damit auf dem Weg vom Widerstand zur Selbstständigkeit. Das war für den deutschen Christen Emanuel Hirsch in Göttingen ungeheuerlich und reine „Schwarmgeisterei“. 1936 schrieb er, weitsichtig wie er war: „Alles Recht auf Erden, auch das Recht der Kirche ist von der Souveränität des Staates getragen … Wenn jetzt aus eigenem Recht kirchliche Ordnung gesetzt wird, … dann hat die Totenglocke über dem deutschen evangelischen Volkskirchentum geschlagen.“10) Die Totenglocken hatten aber über die Deutschen Christen und ihren Sprecher Emanuel Hirsch schon lange geschlagen. Dahinter aber steht die Frage: Waren die mutigen Entscheidungen von Barmen und Dahlem 1934 nur durch eine „Notsituation“ hervorgerufen, sodass sie nach Ende der Not ihre Bedeutung verlieren und die Kirchen wieder zum Status quo ante zurückkehren können? Oder wurde in der Notsituation etwas Neues geboren und überzeugend sichtbar? Damit kommt eine ganz große Frage auf uns zu. Hieß es im Widerstand gegen die deutschchristliche Bewegung nur: „Kirche muss Kirche bleiben“ – oder waren Barmen und Dahlem auch der Ruf des Evangeliums nach vorn: „Kirche muss Kirche Jesu Christi werden“? Also: sind Barmen, Dahlem und die Bekennende Kirche nur eine Episode in der Kirchengeschichte, oder der Neuanfang der in Wahrheit bekennenden Kirche? Barmen – Anfang oder Episode? Das ist leider auch heute noch für viele eine offene Frage. Und diese offene Frage muss theologisch entschieden werden. Und damit komme ich zu Punkt 2: Zur Theologie der Barmer Theologischen Erklärung.

2. Zur Theologie der Barmer Theologischen Erklärung
Die Barmer Theologische Erklärung wurde nach dem Krieg in den Kirchen der Union und den reformierten Kirchen in den Rang eines Bekenntnisses erhoben. Sie findet sich auch im deutschen „Evangelischen Gesangbuch“ Nr. 836. Ich selbst bin auf diese Erklärung ordiniert worden. Die lutherischen Kirchen akzeptierten zwar diese Barmer Erklärung, hielten aber ihr lutherisches Bekenntnis mit dem „Konkordienbuch“ für abgeschlossen.
Ich gehe jetzt auf die These I und auf die dritte These ein. Die Thesen sind so aufgebaut: Bibelstelle – Bekenntnis – Verwerfung.

2.1. Barmen I als Neuformulierung des reformatorischen solus Christus
Erste These: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh. 14, 6) „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder. Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden.“ (Joh. 10, 1.9)
Bekenntnis: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“
Verwerfung: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte und Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Die erste These ist grundlegend für die ganze Erklärung. Alle anderen Thesen sind in ihrem Lichte zu lesen. Hier wurde das reformatorische solus Christus und sola scriptura in den ideologischen und weltanschaulichen Konflikten des 20. Jahrhunderts neu formuliert. Die Bibelstelle, mit der sie beginnt, ist das Wichtigste: Jesus Christus spricht: „Ich bin der Weg.“ Barth schrieb später dazu: „Die Kirche lebt davon, dass sie die Stimme dieses Ich hört und die Verheißung ergreift, die ganz allein in diesem Ich beschlossen ist. Dass sie also die Wahrheit erkennt, die … ganz allein Jesus Christus selbst ist.“11) Weil Jesus Christus nach Karl Barth die „Selbstoffenbarung“ Gottes ist, ist er das „eine Wort Gottes“, das wir zu hören haben. Darum kann die Kirche keine anderen Ereignisse (wie die Machtergreifung 1933) oder andere Mächte (wie die nationalsozialistische Bewegung), oder historische Gestalten (wie Adolf Hitler) neben diesem einen Wort als Gottes Offenbarung anerkennen. Die erwähnten Ereignisse, Mächte und Gestalten waren politischer Natur und waren bei den Deutschen Christen Teil ihrer politischen Theologie. So sagte die Richtlinie der Deutschen Christen in Thüringen vom 11. Dezember 1933: „Wie jedem Volk, so hat auch unserem Volk der ewige Gott ein arteigenes Gesetz eingeschaffen. Es gewann Gestalt in dem Führer Adolf Hitler und in dem von ihm geformten nationalsozialistischen Staat. Dieses Gesetz spricht zu uns in der aus Blut und Boden erwachsenen Geschichte unseres Volkes.“12) Die Frage einer „Theologie der Natur“ oder einer „natürlichen Theologie“ ist nicht betroffen. Die Wahrheit der „natürlichen Theologie“ ist per definitionem gerade keine Offenbarung Gottes, sondern im Licht der natürlichen Vernunft erkennbar. Und Barth hat dann das nachgeholt in seiner Theologie der natürlichen Lichter in der „Kirchlichen Dogmatik“ Band IV/3.
Weit über die Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen hinaus hat diese These I den deutschen Protestantismus wieder in die Ursprungsperspektive der Reformation gestellt – und damit in den Horizont der ganzen Christenheit auf Erden, was ein völkisches Christentum nicht leisten konnte.

2.2. Barmen I und die Juden
Die andere Diskussion, die sich nach dem Krieg kritisch an Barmen I anschloss, war die Frage: Barmen I und die Juden. Barth selbst hatte nach einem Brief an Eberhard Bethge 1967 es als seine „Schuld“ bezeichnet, dass er im Unterschied zu Dietrich Bonhoeffer damals „die Judenfrage nicht ebenfalls entscheidend geltend gemacht habe“13). In allen Erklärungen der Bekennenden Kirche wird zwar der Arierparagraph, d.h. die Entfernung von Judenchristen aus der Deutschen Evangelischen Kirche abgewiesen, aber zur allgemeinen Judenverfolgung, die sofort nach der Machtergreifung 1933 einsetzte, sagt die Barmer Erklärung nichts. Lag das an der Exklusivität des Christusbekenntnisses in Barmen I wie Klaus Scholder vermutete? Wurde mit den Ereignissen, Mächten und Gestalten der Geschichte auch die Offenbarung Gottes durch Moses an Israel ausgeschlossen?
Ich glaube nicht, dass es diese dogmatischen Gründe des Christozentrismus waren. Man hatte das verfolgte Judentum so wenig im Blick wie die verfolgten politischen Gegner der Nazis. Bonhoeffer sah 1933 klarer als Karl Barth. Beide schrieben aber 1938 schon: Wer das Judentum verwirft, verwirft Jesus Christus. Karl Barth: „Wer ein Judenfeind ist, der gibt sich als ein prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen.“14) Bonhoeffer: „Eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Jesu Christi nach sich ziehen, denn Jesus Christus war Jude.“15)
1984 haben wir – die Gesellschaft für Evangelische Theologie und der Reformierte Bund in Wuppertal – versucht, das in der Rezeption der Theologischen Erklärung von Barmen nachzuholen, und gesagt: „Der Jude Jesus Christus ist der für Israel und die Völker gekreuzigte und auferweckte Herr. Er ist das eine Wort Gottes, wie es uns in der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments bezeugt wird.“16)
War das gut? Genügt das nach Auschwitz? Soll das Judentum, der Gott Israels und das erwählte Volk in der exklusiven Christologie von Barmen I immer schon mitgedacht und eingeschlossen werden?17 Ich glaube nicht, dass das überzeugend ist. Barmen muss in seiner historischen Judenblindheit stehen bleiben, und wir müssen für die Gemeinschaft von Christen und Juden neu die Augen öffnen. Ich verweise auf den Rheinischen Synodalbeschluss von 1980 und das jüdische Dokument „Dabru Emeth“ aus den USA.

2.3. Barmen III und der Weg in die Selbstständigkeit
Ich komme zu These III. These III ist für den Weg der evangelischen Kirche in die Selbstständigkeit wichtig.
Bibelstelle: „Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist.“ (Eph 4, 15.16)
Bekenntnis: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.“
Verwerfung – und das hat „Dahlem“ dann aufgenommen: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“
Im Vergleich mit dem Kirchenartikel der Confessio Augustana 7 fallen sofort die folgenden Punkte auf:
1) Die christliche Kirche ist „die Gemeinde“. Sie ist nicht die Hierarchie der Priester oder der Pastoren. Was oberhalb der versammelten Gemeinde an notwendigen Strukturen oder Organen existiert, dient einzig und allein der Gemeinde vor Ort. Die versammelte Gemeinde ist nicht der Ortsverein der Landeskirche. Weil immer hierarchische Entlastungen oder organisatorischen Entfremdungen der „Gemeinde“ entstehen, muss die Priorität und Selbstständigkeit jeder einzelnen Gemeinde betont werden.
2) Die Gemeinde ist die brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft. Diese soziale Querverbindung der Gemeindeglieder untereinander ist gegenüber CA 7 neu. Eine geschwisterliche Gemeinschaft, in der Menschen miteinander und füreinander eintreten, war in der Parochialstruktur der alten Staats- und Volkskirche kaum möglich. Der Pietismus brachte es zur ecclesiola in ecclesia, d. h. zu Gemeinschaften von Bekehrten in den volkskirchlichen Strukturen. Besonders eindrücklich ist die Herrnhuter Gemeine. In der Zeit der Bekennenden Kirche aber entstanden zum ersten Mal widerständige und selbstständige Gemeinden. Dass in Barmen III nur die Brüder erwähnt werden, ist zeitgeschichtlich bedingt. Barth kamen schon damals leise Zweifel, ob das nicht eine Einschränkung sei. Im Blick auf die Pastoren entstanden aus den Erfahrungen der Bekennenden Kirche und ihren Vikarinnen gegen Kriegsende die ersten positiven Gutachten zur Ordination der Frau, die sich nach und nach in allen evangelischen Kirchen durchgesetzt hat. Aber im Blick auf die Gemeinde nur von Brüdern zu sprechen, ist schlicht und einfach falsch.
3) Als Gemeinde ist die Kirche keine „unsichtbare Kirche“, keine Kirche des Glaubens allein, sondern eine sichtbare Zeugnisgemeinschaft. Sie bezeugt durch Glauben und Gehorsam, durch ihre Botschaft wie durch ihre Ordnung, dass sie allein Christi Eigentum ist. Das ist die Gestaltwerdung Christi in der offenen, einladenden Gemeinschaft.
4) Ihr Glaube ist zugleich ihre Hoffnung. Ihre Erfahrung der Gegenwart Christi ist zugleich die Erwartung seiner universalen Erscheinung in Herrlichkeit. Sie versteht sich selber als realen Anfang – nicht nur als Antizipation, sondern als realen Anfang seiner Zukunft. An die Stelle der alten Reichs-, Staats- und Volkskirche tritt hier die an der universalen Hoffnung orientierte Gemeinde Christi. Die Kirche ist nicht das Reich Gottes auf Erden, wie der konstantinische corpus christianum-Gedanke sagte. Sie löst sich auch nicht in das allgemeine Christentum der Gesellschaft auf, wie der Kulturprotestantismus im 19. und 20. Jahrhundert dachte. Die Kirche Christi ist auch nicht nur eine Religion im Dialog der Religionsgemeinschaften. Die Kirche ist die Gemeinde Jesu Christi und mit Israel gemeinsam das messianische Volk des kommenden Reiches Gottes auf Erden.
Der Punkt, an dem diese Differenz zum Tragen kommt und entschieden werden muss, ist ausgerechnet die Kirchenordnung. Muss sich die Kirche in ihrer Ordnung dem Staat anpassen, wie Emanuel Hirsch das für seine völkische Kirche verlangte? Oder regelt sie ihre Angelegenheiten im Rahmen der geltenden Gesetze selbstständig? Muss ihre Ordnung der Staatsordnung entsprechen? Das war damals die Frage. Heute ist wohl an die Stelle der Politisierung aller Verhältnisse durch den totalen Staat die Ökonomisierung aller Verhältnisse durch den totalen Markt getreten. Müssen wir also in den Kirchen effiziente Unternehmensstrukturen aufbauen?
Die Barmer These III bringt die konkrete Gestalt der bekennenden Gemeinden treffend zum Ausdruck:
1) Kirchenmitgliedschaft ist freiwillig. Wer zur Bekennenden Kirche gehörte, bekam die rote Karte. Die Familie meiner Frau gehörte zur Bekennenden Kirche. Und 2) die Leitung der Bekennenden Kirche übernimmt ein Bruderrat. Die Schwestern sind natürlich eingeschlossen. Gemeindebruderrat, Kreisbruderrat, Provinzialbruderrat, Bruderrat der altpreußischen Union, Synode der Deutschen Evangelischen Kirche. Auf der Seite der Naziregierung und der Deutschen Christen stand das Führerprinzip – ein Volk, ein Reich, ein Führer. Auf der Seite der Bekennenden Kirche stand dieses Räteprinzip, das wohl evangelischer ist, wie ich als reformierter Christ glaube.

3. Christen im Widerstand
Ich komme zur Gegenwart: Christen im Widerstand. Die evangelische Kirche hat zum Naziterror 1933 durchweg geschwiegen. Nur Hans Asmussen und Pastoren in Hamburg-Altona hatten schon 1932 gegen den Naziterror auf den Straßen Hamburgs protestiert. Als die Bewegung der „Deutschen Christen“ ihr selbst an den Kragen ging, ist sie aufgewacht und in den Widerstand der BK gegangen. Als der Arierparagraph auf die Kirche angewendet werden sollte, gab es christliche Solidarität. Aber zunächst nur mit den „Judenchristen“, und das auch nur begrenzt. Noch 1943 erklärte ein kirchlicher Ausschuss, Judenchristen müssten die evangelische Kirche der Deutschen verlassen. Aber man darf den kirchlichen Widerstand der bekennenden Gemeinden nicht klein reden. Karl Barth schrieb 1964 mit Recht: „Faktisch … hat diese Barmer Synode damals, ob wir es wollten oder nicht, auch eine hochpolitische Bedeutung gehabt. Es war ein Minimum, was wir damals geleistet haben; aber immerhin – es war ein Minimum von Opposition gegen das ganze nationalsozialistische Regime als solches in einer ganz schmalen Sparte. Es war keine Heldentat. Immerhin darf man sagen: Wäre nur auf allen Gebieten des deutschen Lebens ein solches Minimum an Widerstand geleistet worden! Wo war damals die deutsche Presse geblieben, das deutsche Theater, das deutsche Rechtswesen, ich darf vielleicht auch einmal sagen: die deutsche Armee? Die deutsche evangelische Kirche hat mit leiser Stimme und in einem schmalen Sektor wenigstens dieses Politicum auf den Plan gestellt, welches in Deutschland und in der übrigen Welt durchaus auch als Politicum gewürdigt worden ist. Denn wenn die Kirche ein Bekenntnis ausspricht, dann kann das nicht nur innerkirchliche Bedeutung haben.“18 Soweit Karl Barth.
Aber es kam nicht – in der Kürze der Zeit war das wohl auch nicht möglich – zu einer Verbindung des kirchlichen Widerstands und des politischen Widerstands. Helmut Gollwitzer und die vielen anderen „jungen Brüder“ der BK ließen sich einziehen, um nicht gleich erschossen zu werden. Viele sind gefallen oder erst nach Jahren der Gefangenschaft heimgekehrt. Was hinderte bekennende Protestanten daran, in den politischen Widerstand zu gehen? In den von den Deutschen während des Krieges besetzten Ländern gingen viele Protestanten in den Untergrund und schlossen sich der aktiven Résistance an. Das waren nicht nur reformierte Christen in Frankreich, sondern auch die Lutheraner in Norwegen und in Dänemark. Der norwegische Bischof Eivind Berggrav erklärte 1952: „Gehorsam einer teuflischen Macht gegenüber wäre nichts anderes als Sünde … Unter solchen Umständen besteht prinzipiell das Recht zu Aufruhr in der einen oder anderen Form.“19
Was hinderte die kirchlich widerstehenden Christen im Nazideutschland, in den aktiven Widerstand zu gehen und dem Weg zu folgen, den Dietrich Bonhoeffer gegangen ist? Ich glaube, es waren zwei Dinge: 1) Der Obrigkeitsgehorsam war seit Luther und der deutschen Reformation tief in der protestantischen Seele verankert. „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat!“ (Römer 13) Und die missdeutete lutherische „Zwei-Reiche-Lehre“ zog eine Grenze zum politischen Widerstand, die auch heute noch viele nicht überschreiten können. 2) Es ist sehr schwer, im eigenen Volk dem eigenen Volk zu widerstehen. Wer das im Zweiten Weltkrieg tat und Kriegsdienst verweigerte, wird noch heute von manchen Landesverräter genannt. Deutschland „Heilig Vaterland“ war auch tief in der protestantischen Kirche verankert. Darum starben mehr bekennende Christen in Stalingrad als in Buchenwald.
Das Problem des Übergangs vom kirchlichen zum politischen Widerstand kommt seit Kriegsende immer wieder auf uns zu, wenn wir die Anti-Apartheid-Bewegung und die Befreiungsbewegungen in Ländern mit Diktatur, Rechtlosigkeit und Unterdrückung unterstützen oder nicht unterstützen. Ich erinnere noch die heftigen Diskussionen in Deutschland seit 1970 über das Antirassismus-Programm des Ökumenischen Rates. Zum Glück ist dieses Problem durch Nelson Mandela gelöst.

4. Kirche auf dem Weg in die Selbstständigkeit
Mein letzter Punkt: Ist Kirche auf dem Weg in die Selbstständigkeit?
1) Nach 1945 stand man vor der Frage: Neuanfang aus der Bekennenden Kirche oder Restauration der alten Volkskirche? Die Synode von Treysa 1945 stellte die Weichen und der Zug fuhr ab in Richtung Restauration der kirchlichen Verhältnisse vor 1933. Nur der Name wurde gewechselt – und das ist bedeutend genug. Aus der „Deutschen Evangelischen Kirche“ wurde die „Evangelische Kirche in Deutschland“. Das heißt, Deutschland ist nicht das Vorzeichen der evangelischen Kirche, sondern nur der Ort der evangelischen Kirche. Die bald einsetzenden lutherisch-konfessionellen Bedenken gegen die angeblich „reformierte“ Barmer Erklärung traten erst zurück, als es zur Leuenberger Konkordie 1973 kam. Die EKD verlor auch die Eigenschaften eines nur äußerlichen Kirchenbundes und nahm die Züge einer Kirche an.
2) Die Erfahrungen und Erklärungen der Bekennenden Kirche bestimmten aber den Geist und den Weg der evangelischen Kirche in der DDR – viel mehr als den Geist und den Weg der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik. Dort musste man Widerstand mit einer anderen Diktatur, einer anderen Ideologie und einem anderen totalitärem Staat fortsetzen. In der Bundesrepublik passte man sich dem kirchenfreundlichen Staat an. In den Ereignissen des Herbstes 1989, die von manchen als die „protestantische Revolution“ angesehen wurden, zeigte sich der Widerstandsgeist der Christenheit, genauer: der lutherischen Nikolaikirche in Leipzig als Initialzündung für den massenhaften gewaltfreien Widerstand und die Demonstrationen, die das DDR-Regime beendeten und die Berliner Mauer zu Fall brachten. Zuerst mit dem demokratischen Ruf „Wir sind das Volk!“, dann mit dem Ruf „Wir sind ein Volk!“
Warum hat die evangelische Kirche im wiedervereinigten Deutschland die kirchenpolitischen Erfahrungen der Kirchen in der DDR nicht übernommen? Oder jedenfalls von ihnen zu lernen versucht? Sie sollten von uns lernen, aber wir nicht von ihnen. Und das betrifft zwei konkrete Punkte: die Militärseelsorge, die in der DDR von kirchlichen Beauftragten außerhalb der Militärstruktur betrieben wurde, und die Kirchensteuer. Die wurde in der DDR freiwillig, aber nachhaltig geleistet.
Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen. Die volkskirchliche „Betreuungskirche“ haben wir schon in den Kirchenreformbemühungen der sechziger Jahre zu reformieren versucht. Wir suchten die Gemeindekirche. Nur in der versammelten Gemeinde Christi hören die Existenzkämpfe der alten Welt auf und das Leben der zukünftigen neuen Welt Gottes beginnt. Wo eine Gemeinde aus einer „Parochie“, d.h. aus einem kirchlichen Betreuungsbezirk zu einer Gemeinschaft wird, wird sie selbstständig. Es entstehen ein gegenseitiges Anteilnehmen und Teilen und die gegenseitige Hilfe. Es erwachen die Geistesgaben und die Lebenskräfte einer Gemeinde. Wir erleben dieses Erwachen zur Mündigkeit in vielen evangelischen Gemeinden heute, die anfangen, ihr Gemeindeleben selbst zu gestalten. Alle guten Initiativen für Kindergärten, Hilfe für Behinderte, für „die Tafel“ der Armen, für die Weiterbildung der Arbeitslosen und den Sprachunterricht für Zuwanderer sind doch an der „Basis“ entstanden und werden auch hier ausgeübt. Wird eine Gemeinde zur Gemeinschaft, dann wird sie auch zur Quelle des Lebens und der Orientierung für viele. Natürlich fordert das die aktive Beteiligung der Gemeindeglieder. Aber eine Kirche, die nichts fordert, tröstet auch nicht.
In der Zukunft einer säkularen und multireligiösen Gesellschaft wird die Kirche eine freie Kirche werden müssen, wenn ihre mündigen Glieder es so wollen. Eine von staatlichen Zwängen und ökonomischen Privilegien freie Kirche, aber eine Kirche mit einer universalen Hoffnung auf das kommende Reich Gottes und darum mit einer universalen Mission für das gemeinsame Leben in Gerechtigkeit und Frieden.
Liebe Brüder und Schwestern! Barmen 1934 ist eine Zumutung und eine Verheißung im Widerstand und auf dem Weg in die Selbstständigkeit der Gemeinden Jesu Christi.
Ich danke Ihnen.

Zur Person: Prof. Dr. mult. Jürgen Moltmann
war bis zu seiner Emeritierung 1994 Professor für Systematische Theologie
an der Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

1)

Zur Geschichte vgl. E. Wolf, Barmen. Kirche zwischen Versuchung und Gnade, München 1957; M. Rohkrämer, Die Synode von Barmen in ihren zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, in: J. Moltmann (Hrsg.), Bekennende Kirche wagen. Barmen 1934-1984, München 1984, 23-58; C. Nicolaisen, Zur Entstehungsgeschichte der Barmer Theologischen Erklärung, in: R. Weth/M. Heimbucher (Hrsg.), Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, Neukirchen 7 2009, 23-29.

2)

Entschließung des Gaues Groß-Berlin der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“vom 13.11.1933, in: Greschat, Martin / Krumwiede, Hans-Walter (Hrsg.), Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen Bd. V, Neukirchen-Vluyn 1999, 104 f. Siehe auch Weth/Heimbucher, a.a.O., 38.

3)

Ulmer Erklärung vom 22. April 1934; zeitnah veröffentlicht z.B. in: Die Lage in Württemberg. RKZ 84 (1934) Nr. 17, 29.4.1934. S. 140. Auch als Flugblatt vertrieben; s. Faksimileabdruck bei Mayer, Eberhard: Deutschkirche oder Bekenntniskirche? Der Ulmer Bekenntnistag 1934 und der Kampf um die rechtmäßige Evangelische Kirche Deutschlands. Mithg. v. der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ulm. Langenau / Ulm 1984. S. 3. Auszüge abgedruckt in: in: Greschat, Martin und Krumwiede, Hans-Walter (Hrsg.), Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen Bd. V, Neukirchen-Vluyn 1999, 108f.

4)

Ebd.

5)

K. Barth, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung. Mit einer Einleitung von E. Jüngel und einem Editionsbericht herausgegeben von M. Rohkrämer, Zürich 1984, 255–256.

6)

Rohkrämer, a.a.O., 38.

7)

So Carl Schmitt in der Deutschen Juristenzeitung 1934, Sp. 946. Siehe auch Rohkrämer, a.a.O., 43.

8)

Ulmer Erklärung vom 22. April 1934, a.a.O., 108f.

9)

Rohkrämer, a.a.O., 48.

10)

Ebd., 49.

11)

Barth, a.a.O., 85.

12)

Weth, a.a.O., 37.

13)

K. Barth, Brief an Eberhard Bethge vom 22. Mai 1967; abgedruckt in: Karl Barth Gesamtausgabe V, 1961-1968, Zollikon-Zürich 1975, 403

14)

K. Barth, Eine Schweizer Stimme 1938-1945, Zürich 1985, 89f. Siehe auch B. Klappert, Barmen I und die Juden, in: Moltmann, Bekennende Kirche wagen, 59-125, dort 110.

15)

D. Bonhoeffer, Ethik, hg. v. I. Tödt, H. E. Tödt, E. Feil und C. Green, DBW 6, München 1992, dort 95.

16)

Moltmann, Bekennende Kirche wagen, 267.

17)

Wie Pinchas Lapide gesagt hat: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich. Das stimmt auch. Außen denen, die schon beim Vater sind – und das sind die Juden.“

18)

K. Barth, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, 230.

19)

Quellen zur Konfessionskunde Reihe B, Protestantische Quellen, Heft 5, Die Evangelische Staatslehre, ausgewählt und eingeleitet von M. Jacobs, Göttingen 1971, 155.

20)

Bayerische Landeskirche nähert sich Barmen. Zu einem Studientag der Landessynode.

(F.S.) Die bayerischen Theologinnen und Theologen haben spätestens seit den 70iger Jahren mit Barmen keine Probleme mehr. Das Gedankengut ist internalisiert und muss darüber nicht mehr diskutieren. Anders die offzielle Bayerische Landeskirche, deren verzögerter Aufarbeitungsprozess der Zeit des Dritten Reiches auf gravierende Defizite früherer Kirchenleitungen hinweist. In der Folge  schlagen diese Zeit betreffende Themen bis in die jüngste Zeit bisweilen für außen Stehende unerwartet hohe Wellen. Und die verblüffte Öffentlichkeit reibt sich verwundert die Augen. Erinnert sei an die noch frische Umbenennung  der nach dem seinerzeitigen Landesbischof Meiser benannten Meiserstraße in München im Jahr 2010 in Katharina-von-Bora-Straße. Hier könnte ein entscheidender Schritt der Landeskirche unter dem neuen Landesbischof Bedford-Strohm bevorstehen, wie das Bayerische Sonntagsblatt berichtet:

„Welche Bedeutung kommt der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 heute zu? Bei einem Studientag der Landessynode in Nürnberg am 80. Jahrestag der Barmer Erklärung ging es darum, die Bedeutung von Barmen für die bayerische Landeskirche zu klären. Wohnt Barmen der Charakter einer Mahnung inne, oder könnte aus der Barmer Erklärung gar ein Bekenntnis werden?

…Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen?…
Der Tübinger Theologieprofessor Jürgen Moltmann beklagte in seinem Vortrag den Einzug ökonomistischen Denkens in die Kirche. Heute stehe anstelle der Politisierung durch den totalen Staat die Ökonomisierung am totalen Markt. Wer nur danach frage, wie Kirche effizienter gestaltet werden könne, der »entmündigt die aktiven Brüder und Schwestern in den Gemeinden«…“

Ein Hauch von Barmen

3. Juni 2014 von Andreas Reinhold

…Unsere Kirche ist keine Kirche Jesu Christi mehr, wenn sie nach Regeln funktioniert, die der Botschaft unseres Herrn widersprechen. Folgen wir dem eingeschlagenen Weg einer Monetarisierung in weiten Bereichen kirchlicher Arbeitsfelder, wird dies zwangsläufig der Fall werden. Darum: Ein Hauch von Barmen täte uns gut in diesen Zeiten. Denn in einem hat unser Präses vollkommen recht: Der christliche Glaube segnet nicht alles ab – auch nicht innerhalb der Kirche. Zum Artikel

Die dritte Barmer These und die „Kirche der Freiheit“

von Martin Schuck

In diesen Tagen ist wieder Barmen-Jubiläum. Es gehört zu den Ritualen der EKD und einiger Landeskirchen, dass die Barmer Theologische Erklärung und das Stuttgarter Schuldbekenntnis im Zehnjahresabstand mit Jubiläumsfeierlichkeiten oder zumindest einzelnen Gedenkveranstaltungen bedacht werden. Im Falle der Barmer Theologischen Erklärung ist es interessant, sich die unterschiedlichen Akzentuierungen in den einzelnen Jahrzehnten anzuschauen.
Beim großen Barmen-Jubiläum 1984 stand die zweite These im Mittelpunkt. Das erklärt sich einerseits aus dem Grad der Politisierung des damaligen Protestantismus, wo es um die großen Themen Frieden und weltweite Gerechtigkeit ging – am Horizont tauchte auch die Ökologie, damals symbolisiert durch das „Waldsterben“, auf –, andererseits aber aus den Versuchen des letzten Aufgebots des Barthianismus, noch einmal die „Systemfrage“ zu stellen und die „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt“ zu proklamieren.
Zehn Jahre später war es zum 60. Jahrestag die fünfte These, die besonderes Interesse auf sich zog. Nach dem Fall der Mauer und der deutschen Vereinigung 1990 stand, kurzzeitig herausgefordert durch die Erfahrung der Kirchen in der DDR, das Staat-Kirche-Verhältnis im Mittelpunkt der Debatten, und „Barmen“ diente als mahnendes Wort angesichts des längst in die Wege geleiteten „Weiter so“.
Zum 80. Jahrestag erfreut sich die dritte These, in der die Kirche vorgestellt wird als „die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt“, besonderer Aufmerksamkeit. Diese Gemeinde habe mit ihrem Glauben, ihrem Gehorsam, ihrer Botschaft und mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass „sie allein sein Eigentum ist“. Die Frage stellt sich, ob es irgendeinen Anhaltspunkt in den aktuellen Debatten für die Gültigkeit dieses Kirchenverständnisses gibt. Irgendwie erscheint diese These im Blick auf die gegenwärtige „Kirche im Reformstress“ (Isolde Karle) nur noch als theologische Lyrik für die Sonntagsreden.
Die gegenwärtige Richtung, so sagen die Kritiker, werde eher durch den Verwerfungssatz der dritten These beschrieben: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“ Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Kirche nicht nur durch ihre Botschaft, sondern auch durch ihre Ordnung das Evangelium Jesu Christi bezeugt. Für die Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus war das unmittelbar einleuchtend. Ein Pfarrer, der Teil des nationalsozialistischen Machtapparates ist, kann nicht glaubwürdig über die in Christus geschenkte Freiheit predigen.
Schwerer zu verstehen ist jedoch, warum für die Kirche im demokratischen Staat das gleiche gilt. Aber ein – wie in „Kirche der Freiheit“ geforderter – Umbau der Kirche nach den Vorstellungen von Unternehmensberatern, die zu möglichst effizienten Führungsstrukturen auf Kosten der Mitbestimmung in den Synoden raten, kann auch die frohe Botschaft verdunkeln. Wie sollte ein Angestellter des Unternehmens Kirche glaubhaft über den Barmen III vorgestellten Text Eph 4, 15-16 predigen?
Es ist nun mal so eine Sache mit den Erklärungen und Bekenntnissen der Alten. Man erinnert immer wieder gerne an sie und vor allem an die Heldentaten derer, die sie damals formuliert haben. Man macht sich aber selten klar, dass sie das Ergebnis realer Auseinandersetzungen sind und mit dem Ende dieser Auseinandersetzungen zwar nichts von ihrer grundsätzlichen Richtigkeit, aber eben doch ihre damalige Passgenauigkeit verloren haben. Versuche wie etwa 1984, gegenüber dem demokratischen Staat „bekennende Kirche“ zu simulieren, wirkten genauso hilflos wie heutige Versuche, das in „Kirche der Freiheit“ propagierte Reformprogramm als reformatorisches Kirchenverständnis im Sinne von Barmen III zu verkaufen.

EKBO-Synode: EKD durch Änderung der Grundordnung als Kirche anerkennen!?

In ihrem Artikel „Evangelische Existenz heute“ sorgen sich der ehemalige Kirchenpräsident der Pfälzischen Landeskirche, Eberhard Cherdron und Dr. Martin Schuck um die Entwicklung des Protestantismus. Eine Sorge ist der Missbrauch der Leuenberger Konkordie zu Zwecken der kirchlichen Zentralisierung:

„Nicht erst seit 2006 dreht sich die Frage nach der ekklesialen Qualität der EKD um die Frage nach einem gemeinsamen Bekenntnis aller EKD-Gliedkirchen. Immer wieder gab es Vorstöße, der Confessio Augustana diese Funktion zuzuschreiben, was jedoch am Einspruch der reformierten und unierten Kirchen scheiterte. Der Versuch, den Text einer Konkordie, die zum Zweck der Herstellung von Kirchengemeinschaft formuliert wurde, zum Bekenntnistext umzuwidmen und zum »EKD-Bekenntnis« zu machen, führt in der Sache nicht weiter. Grundsätzlich war ja die EKD auch vor 1973 nicht bekenntnislos: Sie bekennt sich in ihrer Grundordnung immerhin zu Jesus Christus als dem einen Herrn der Kirche, zum Evangelium, wie es in der Heiligen Schrift bezeugt wird, zu den altkirchlichen Symbolen und zu den in ihren Gliedkirchen geltenden reformatorischen Bekenntnisschriften. Außerdem bejaht sie die von der Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Aussagen über Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche.

Vor diesem Hintergrund kann die Leuenberger Konkordie nichts anderes leisten als die Möglichkeitsbedingungen für die Erklärung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft – und damit von Kirchengemeinschaft – zu formulieren: Die unterschiedlichen reformatorischen Bekenntnisse sind nicht mehr kirchentrennend, weil die Konkordie eine Lesart reformatorischer Theologie präsentiert, die lutherischen, reformierten und unierten Christen ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums und der Sakramente, vor allem des Abendmahls, ermöglicht – mehr nicht. Die Konkordie ist keine Superstruktur, die über die hergebrachten Bekenntnisse gelegt wird und diese überbietet, sondern lediglich eine Anleitung zum gemeinsamen Bekennen Gottes trotz unterschiedlicher Bekenntnisse und – daraus folgend – unterschiedlicher Kirchenordnungen. Es ist eine Überfrachtung dieses Textes, wenn ihm die einem Bekenntnis wesensmäßig zukommende konstituierende Funktion für kirchliche Ordnung zugeschrieben wird.“

Wie berechtigt die Sorge der beiden Theologen Cherdron und Schuck ist, zeigt die Drucksache 15 Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz 19. bis 20. April der Kirchenleitung betr. Anregung zu einer Änderung der Grundordnung der EKD: „Die Landessynode wolle beschließen:

Die Landessynode der EKBO regt an, die Gemeinschaft innerhalb der EKD im Geist der

Leuenberger Konkordie durch eine Grundordnungsänderung als Kirche anzuerkennen. Da-

mit möchte sie im 40. Jahr der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger

Konkordie) einen neuen Impuls geben, die Gemeinschaft der Gliedkirchen der EKD als Kirche zu verstehen.“