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Impulspapier Kirche der Freiheit

Zum ersten Mal: Eine Folge kritischer Fragen und Stimmen zum Reformprozess im EKBO-Wochenblatt „die Kirche“

In der evangelischen Wochenzeitung „die Kirche“ erschien in der Nr. 26 vom 30. Juni 2013, S. 3 das erste Interview einer mehrteiligen Folge zum Reformprozess der EKD. „Auf den Geist Gottes Vertrauen“ ist der ganzseitige Artikel überschrieben. In der Überschrift wird Isolde Karle’s Meinung hervorgehoben: „Der aktuelle Umbau in den evangelischen Kirchen orientiere sich zu sehr an Profit-Unternehmen.“ Zum Weiterlesen wird ihr Buch empfohlen: Kirche im Reformstress, Gütersloh 2010. Isolde Karle ist Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität in Bochum und lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.

Eine Woche später, in der 27. Ausgabe vom 7. Juli 2013, S. 9 kam Heinzpeter Hempelmann zu Wort, Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg und „Referent für die EKD-Denkfabrik ‚Mission in der Region‘ in Stuttgart“. Er wurde von Martin Rothe nach den Ergebnissen des Heidelberger Sinus-Instituts befragt und plädiert für „Pfarrer als Teamplayer auf regionaler Ebene. Gemeinsam sollen sie zuständig sein, möglichst viele Milieus in ihrer Region zu erreichen. Dies befördere nicht die Segregation, denn die gebe es jetzt schon. Das Bild vom Leib Christi überträgt er auf die verschiedenen Milieukirchen, die sich von Zeit zu Zeit zum Feiern und Bekennen des gemeinsamen Gottes treffen sollten.

In der 28. Ausgabe vom 14. Juli 2013 wird auf S. 6 in einem längeren Leserbrief von Gudrun Thiem aus der Matthias-Claudius- Gemeinde Berlin-Heiligensee große Dankbarkeit über die Meinungen von Isolde Karl geäußert und der fehlende Realitätsbezug des Reformpapiers „Kirche der Freiheit“ betont. Frau Thiem schreibt: „Oft habe ich den Eindruck, dass die Basis schon viel weiter ist, als alle mit viel Aufwand hergestellten Papiere, deren Durcharbeitung den mit drängenden Problemen beschäftigten GKRs zusätzlich zugemutet wird. Ärgerliches Beispiel: das Arbeiten mit Zielen. Als ob solches nicht schon von jeher die Voraussetzung dafür wäre, dass lebendige Gemeinden entstehen, und zwar durch das Engagement vieler, in verschiedenen Bereichen kompetenter haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter.“

Auf S.9 folgt das dritte Interview von Martin Rothe zum Reformprozess, dieses Mal mit Jan Roß, dem Zeit-Redakteur und Autor des Buches „Zur Verteidigung des Menschen. Warum der Mensch Gott braucht“, Rowohlt-Berlin Verlag 2012. „Europa braucht ein Christentum, das nicht labert, sondern Güte und Liebe ausstrahlt.“ ist seine These. Er fragt: „Wie soll eine evangelische Kirche überleben, die nicht zu sagen weiß, was sie glaubt, und die kaum noch Gläubige hat.“ Die evangelikalen Kirchen würden die der Zukunft sein, während der „Mainstream-Protestantismus“ von heute verschwinden werde. Die Gesellschaften seien schon jetzt religiös fast völlig erkaltet.

Doch die Redaktion überschrieb den Artikel mit großen Buchstaben: „Heilig und auf der Höhe der Zeit.“ Lassen wir uns überraschen von den nächsten Folgen der Serie!

Dr. Katharina Dang

Wettbewerb – «Hayekianer» zum Thema Religion

Keine Denkverbote gab es bei der Tagung der „Hayekianer“ bei der Frage, ob Religion für die Freiheit nützlich, schädlich oder unerheblich sei.

Michael Zöller von der Universität Bayreuth sieht in der (reformatorischen?) Betonung der individuellen Verantwortung vor Gott einen freiheitlichen Einfluss christlicher Religion in der Politik, wobei er den Wettbewerb von Religionen für zentral hält, damit sich nicht freiheitsbeschränkende Monopole bilden.

Einig mit dem Islamwissenschafter Bassam Tibi von der Universität Göttingen waren sich die meisten «Hayekianer» darin, dass die Säkularisierung ein westliches Phänomen ist und dass weltweit eine Rückkehr religiös-politischer Fundamentalismen zu beobachten ist, welche u. a. im Islam einen guten Nährboden finden, weil dieser nicht auf eine Trennung des Religiösen vom Politischen ausgelegt ist.

«Hayekianisch» wäre dabei wohl, die Religionsfreiheit zu schützen und niemandem Denkverbote aufzuerlegen, aber von allen Toleranz für den freien Wettbewerb der religiösen Überzeugungen einzufordern. (NZZ)

 

Freie Dienstleistungspastoren – ein positives Signal oder eine Bedrohung für die Kirche ?

Wer sich für die Hochzeit ungewöhnliche Orte außerhalb der Kirche aussucht, hat häufig Mühe, einen Pfarrer für die Trauung zu finden. Viele suchen sich daher freie Redner wie Mickey Wiese. – Ein Interview bei jesus.de.

Kommentar: Es geht hier wohl weniger um die Frage des „Event-Pastors“, der im Titel des Interviews angekündigt wird. Es gibt genügend Pfarrerinnen und Pfarrer in kirchlichen Diensten, die Taufen oder Trauungen im Wald, auf der Heide, am Fluss, im See durchführen. Und es gibt ernst zu nehmende an der Kirche interessierte Zeitgenossen, die die Kirche vor zu viel Event warnen, wie Weltklassetrainer Holger Geschwindner im Interview im Deutschen Pfarrerblatt. Insofern setzt die Überschrift ein falsches Signal. Im Kern geht es doch darum, dass sich Kirche im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ mehr und mehr auf pastorale Dienstleistung reduzierend. Gleichzeitig werden die Arbeitsbedingungen ihrer professionellen Mitarbeiter anhaltend einengt und verschlechtert. PastorInnen gehen

1. in die äußere Emigration.

So wollen immer mehr deutsche Theologen in der Schweiz Pfarrer werden und man fragt dort mittlerweile: „Was tun? Sie aufnehmen? Oder ist das Kirchenschiff schon voll?“

2. in die innere Emigration (das zahlenmäßig am häufigsten anzutreffende Phänomen)

3. sie machen sich beruflich selbständig.

Wenn sie sich selbständig machen, dann haben sie im Wettbewerb auf dem „Markt“ der kirchlichen Dienstleistungen klare Vorteile: 1. sie können – ohne den kirchlichen Apparat mitfinanzieren zu müssen – unvergleichlich günstiger anbieten und dabei immer noch mehr verdienen 2. sie werden vermutlich bessere Dienstleistungen erbringen. Das dürfte sich empirisch aus der Tatsache ergeben, dass den Schritt in die Selbständigkeit nur diejenigen gehen werden, die im Bereich der „Dienstleistungen“ einen Schwerpunkt der Arbeit setzen und schon hinreichend positives feed-back bekamen. Der Weg in die Dienstleistungskirche wird also der Kirche à la longue sicher schaden. Aber die Kirche erntet dann die Früchte, die sie selbst mit Wettbewerbsorientierung und Markt gesät hat.

Friedhelm Schneider

Kirchenleitende Zukunftsvorstellungen

Thies Gundlach: Liebhaber ohne festen Wohnsitz – Kirche in der Fläche 2050

Vortrag auf dem Internationalen Symposium „Mittendrin! Kirche in peripheren, ländlichen Regionen“ vom 23.-25. Mai 2013 im Alfred Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald

Auf ein Abenteuer habe er sich eingelassen, ohne die hochkompetent besetzte wissenschaftlich Tagung aus Zeitgründen mitverfolgen zu können, den Schlussvortrag zuzusagen.

Dr. Thies Gundlach als einer der drei Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD  war gebeten worden, aus kirchenleitender Sicht die Kirche auf dem Lande im Jahr 2050 und somit ein zu erreichendes Ziel zu beschreiben. Er rundete die 37 Jahre auf 40 auf und wies auf die Wüstenwanderung Israels hin: 40 Jahre Wüstenwanderung und dann das gelobte Land.

Wüstenwanderung hieß für den Referenten Durststrecke. Immer wieder betonte er seinen Respekt vor denjenigen, die „dieses Elend der Wüstenwanderung“ durchstehen müssen. Aber die Wüste erwies sich als eine selbstgeschaffene. Sie sei der Umbau unserer Kirche, das alternativlos zu vollziehende Verkleinern unserer Kirche. Als Gründe dafür wurden die „drei großen D’s genannt, die uns zusetzen: Demographie, Deinstitutionalisierung und Dezentralisierung. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen.“ Diese drei D’s scheinen genug zu sagen. So musste der kategorische Imperativ nicht begründet werden: „ Wir sind eine Kirche, die muss kleiner werden.“ „Die erste Grundaufgabe der Hauptamtlichen und der Ehrenamtlichen ist Loslassen.“ „Diese Aufgabe ist unserer Generation gestellt.“ – Von wem? 

Thies Gundlach war klar, dass Kleinerwerden Relevanzverlust bedeuten wird.Er sah die Zuschauer: „Viele, die davon ausgehen ( Säkularisierungsthese); Das hört jetzt bald auf mit diesen Frömmigkeiten und den Christen.“

Dass die Wüstenwanderung keine Freude ist, setzte er als Erfahrung seiner Zuhörer voraus: „Die Schmerzen der Anpassung, die vor uns sind, das ist überhaupt keine Prophetie. Sie haben das ja in diesen Tagen alle vor Augen.“ Trotzdem beschreibt er sich in seiner Selbstvorstellung auf der Webseite der EKD als jemanden, der mit „Lust und Leidenschaft“ den Reformprozess befördere.

Vorteil der „kleineren Einheiten“ werde sein, dass es weniger Neid und Konkurrenz gäbe und mehr familiäres Heimatgefühl.

Flüssig sollen die Strukturen werden, unterwegs, auf der Wanderschaft, wie im Mittelalter die wandernden Mönche. Überhaupt ist das Mittelalter Vorbild mit seinen Klöstern als geistlichen Orten, in denen stellvertretend für die Menschen geglaubt wird, die nur als flüchtige Besucher Kontakt mit dem Glauben haben. Aber auch die großen Kathedralen sollen weiterhin nötig sein, die die Glaubensflaneure anlässlich großer Feste aufsuchen werden.

Was wird bleiben von dem, was wir jetzt haben? Antwort: „Die Schätze der Tradition, der Väter und Mütter bleiben erhalten, die drei B´s : Bach – Backstein – Beten. 2050 werden wir das auch alles haben, zwar in kleineren Zahlen, aber wir werden das alles auch haben.“

Aber die kleinere Zahl sei nicht schlimm, denn: „Die Menge der Zeugen ist nicht ausschlaggebend für die Wahrheit des Zeugnisses.“

Diese selbst eingeschlagene Wüstenwanderung ohne Hoffnung auf Wunder, mit denen man erst mal nicht rechnen könne, und als ein Ausziehen der Linien, die wir jetzt haben, sie ist aber kein Selbstmord. Am Ende, nach 40 Jahren werden wir staunen „über Gott. Uns gibt es immer noch. Wider Erwarten gibt es uns immer noch.“ Denn Gott sei „ein Liebhaber ohne festen Wohnsitz“.

Dies belegte er in einem ersten Punkt „ Von der Freiheit Gottes“. Es folgte ein Abschnitt über die Sehnsucht der Menschen, jener Glaubensflaneure, Gelegenheitsbesucher. Zu seinem Höhepunkt wird der schöne Satz „Was haben wir für eine schöne Aufgabe, den Himmel offen zu halten.“

Der dritte Abschnitt handelte von der Stärke einer Kirche der Freiheit. Der Referent bat um Verzeihung, dass er diesen Begriff wieder aufnehme. Man soll sich treu bleiben, auch in seinen Fehlern.

Ohne Diakonie sei das Zeugnis nicht glaubwürdig, aber Kirche als Wertelieferant und diakonischer Träger, auch wenn es dafür Schulterklopfen und Anerkennung gäbe, sei nicht alles. „Wir brauchen die schönen Gottesdienste, die schönen Andachten.“ Einen Kummer habe er im Blick auf die Zukunft: Es gelte unseren Kernauftrag wieder zu entdecken, das Geistliche, von Gott zu reden und das mit einer kleinen, geistlich tiefen Minderheit. Das werde dann wie in den Städten auch in den peripheren Räumen auf dem Lande gelingen, wenn wir nur die Kunst erlernten, das loszulassen, was losgelassen werden müsse. Auf die Nachfrage, was er damit meine, werde er nicht antworten. Er sei nicht lebensmüde.

Pfrin. Dr. Katharina Dang

Kirche der Freiheit blutet die Gemeinden aus

Prof. Eberhard Mechels kritisiert das Reformpapier Kirche der Freiheit. In seinem Erfurter Vortrag.

Der von Oben vorgeschriebene Reformkurs widerspricht dem Wesen von Kirche und führt daher in die falsche Richtung. Mechels sieht die Arbeit der Gemeinden durch die Kirche der Freiheit gefährdet. Niemals wurde die Arbeit von PfarrerInnen so abgewertet, wie in der gegenwärtigen Situation.

Kirche der Freiheit versucht die EKD als die eigentlich Form von Kirche zu etablieren. Man erhofft sich durch weniger konkrete Bindung wachsen zu können. Doch das angestrebte Ziel geht auf Kosten der Gemeinden vor Ort. Ganz im Paradigma des Marktes sollen die Zentren gestärkt werden und auf Kosten der Peripherie.

 

Kirche der Freiheit ist keine neue Entwicklung. Die Idee hat einen langen Werdegang. Die Kirche hat sich als Dienstleisterin dem Staat angebiedert. Damit hoffte man der Gesellschaft die eigene Nützlichkeit zu erweisen. Folgerichtig wurden für diese Dienstleistungen dann Bürokratien als Ebenbild der Gesellschaft erschaffen. Gerade diese Funktionalisierung und Differenzierung macht Mechels für die wachsende Entfremdung vieler Personen mit der Kirche verantwortlich.

 

Zukunftsweisend ist Kirche für Mechels nicht als Dienstleisterin oder als Verwaltungsebene, sondern als Gemeinde. Ekklesia ist die körperliche Versammlung mit Wort und Sakrament. Nach Mechels muss sich die Kirche wieder auf diesen Kern besinnen.

 

Lesen Sie hier den interessanten Vortrag in voller Länge.

Praktisch-theologische Bemerkungen zum Impulspapier

Im Juli 2006 hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein

Impulspapier“ unter dem Titel „Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische

Kirche im 21. Jahrhundert“ veröffentlicht, das in der allgemeinen wie in der

kirchlichen Öffentlichkeit intensiv debattiert wurde. An der Diskussion beteiligte sich auch Prof. Jan Hermelink, Göttingen mit seinem Artikel „Die Freiheit des Glaubens und die kirchliche Organisation. Praktisch- theologische Bemerkungen zum Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“. Sein Beitrag kommentiert das Papier aus dezidiert praktisch-theologischer Perspektive.

Wohin führt der Weg der EKD?

Ein kritischer Diskurs von Prof. Eberhard Mechels über das Impulspapier Kirche der Freiheit mit den Themen

  1. Eine positive Bilanz?
  2. Die Strategie der Geringschätzung und der Überforderung der Pfarrer und Pfarrerinnen. Die Abwertung der Ortsgemeinde
  3. Das Übel der Selbstsäkularisierung der Kirche

Kirche der Freiheit oder Kirche der Distanz?

Das Reformpapier ist gekennzeichnet durch einen Geist, der gezielt dem Geist der Mutlosigkeit und Verzagtheit entgegen wirken und die Chancen und Möglichkeiten der Kirche beherzt ausloten möchte.

Diese Leitintention ist ausdrücklich zu begrüßen und zu würdigen. Auf diesem Hintergrund benennt die Autorin Prof.in Isolde Karle, Bochum, in einem Beitrag drei kritische Punkte im Hinblick auf den konkreten Inhalt des Impulspapiers.

1. Kirche der Distanz

2. Veränderungspathos

3. Die Krise der Kirche – ein Managementproblem?

Pfarrberuf und Kirchenreform

In den Pfarrvereinsblättern wurden schon zahlreiche Beiträge und auch die „Freiburger Erklärung“ zu der Änderung des § 107 (2) PfDG veröffentlicht. In seinem vor dem Freiburger Stadtkonvent gehaltenen Vortrag bettet der Münsteraner Professor für Praktische Theologie, Christian Grethlein, diesen „Fall“-. in die allgemeine Debatte um Kirchenreform und PfarrerInnenbild ein. Er kommt von dort aus zu einer kritischen Bewertung der Änderung des § 107 (2), die für ihn eben gerade nicht der Kommunikation des Evangeliums als grundlegender Aufgabe der Kirche förderlich ist.

Der grundsätzliche Beitrag von Prof. Gretlein, Münster, im badischen Pfarrerblatt Ausgabe 9/2010 reflektiert im konkreten Fall das Ansinnen der badischen Kirche aus dem Jahr 2009, Schulpfarrer zusätzlich auch zu Gemeindediensten zu verpflichten. Der Vorstoß der Landeskirche wurde damals gestoppt.