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Zwischenbilanz des Umbauprozesses

Politik mit Prognosen. Schöne Bescherung: Erneut Allzeithoch bei Kirchensteuereinnahmen! Von Hans-Jürgen Volk

02/2019

„Geld ist … nicht nur ein Mittel, um den Verkündigungsauftrag zu erfüllen. Die Art, wie die Kirche mit ihrem Geld umgeht, ist selbst ein Teil glaubwürdiger Verkündigung. Wort und Tat müssen im Einklang miteinander stehen. Hier hat sich die Parallelität von christlicher Botschaft und kirchlichem Handeln zu bewähren. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht nur nach innen, sondern insbesondere auch im öffentlichen Raum.“ (Aus dem Bericht der Höppner-Kommission an die Landessynode 2013)

Ein Beispiel unter Vielen zu Anfang: in einem ländlichen Kirchenkreis haben 3 Kirchengemeinden fusioniert. Die Familie Müller lebt in einem Dorf mit 800 Einwohnern und eigener Kirche. Bis vor kurzem gab es auch ein Gemeindehaus, in das der Sohn Max zum Konfirmandenunterricht ging. Doch das Gemeindehaus wurde verkauft. Jetzt muss Max zum Unterricht in die 10 km entfernte Kreisstadt. Seine Oma ging gerne zur Frauenhilfe. Sie ist gehbehindert und auf einen Rollator angewiesen. Auch die Frauenhilfen wurden zusammengelegt und treffen sich nun im großen Gemeindehaus der Stadt. Oma Müller kann kaum mehr teilnehmen. Bei ihr sind schon Tränen geflossen. Die Zentralisierung der Frauenhilfe empfindet die Familie als lieblos. Die Eltern Müller sind drauf und dran, ihren Sohn Max vom Konfirmandenunterricht abzumelden, zumal sie vor einigen Tagen in ihrer Zeitung gelesen haben, dass die Kirchensteuereinnahmen erneut gestiegen sind. Und sie sehen an ihrer Gehaltsabrechnung, dass sich auch ihr eigener Kirchensteuerbeitrag in den vergangenen Jahren erheblich erhöht hat. Sie zahlen immer mehr, und die Kirche zieht sich immer weiter von ihnen zurück. Das verdirbt die Stimmung.

Die Landessynode im Januar 2006 war der Ausgangspunkt massiver struktureller und atmosphärischer Veränderungen der Ev. Kirche im Rheinland. Grundlage dieser Veränderungen war die Einschätzung der zukünftigen finanziellen Rahmenbedingungen. Die Arbeitsgruppe II zum Dienst- und Arbeitsrecht stellt in ihrem Papier fest:
„Die finanziellen Rahmenbedingungen der Ev. Kirche im Rheinland werden sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in grundlegender Weise verändern. Die Folge dieses demografischen Wandels lässt sich auf eine schlichte Kurzformel bringen:
Im Jahre 2030 wird die evangelische Kirche ein Drittel weniger Mitglieder als im Jahre 2002 haben und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.
Die Veränderung der finanziellen Rahmenbedingungen wird zu einer massiven Veränderung der Gestalt der Evangelischen Kirche im Rheinland führen. Dieser Veränderungsprozess ist bereits im Gange.“
Der Tiefpunkt bei den Kirchensteuereinnahmen war im Jahr 2004 mit einem Nettokirchensteueraufkommen von unter 500 Mio. € erreicht. Doch statt dies prognostizierten Rückgangs von 1-2% im Jahr stiegen die kirchlichen Einnahmen zunächst moderat an. Ab 2013 wurden die Zuwächse bei den kirchlichen Einnahmen kräftiger. Für das Jahr 2019 plant die rheinische Kirche mit einem Verteilbetrag von 744 Mio. €. Spannend bleibt die Frage, welche Entscheidungen die Landessynoden ab 2006 wohl getroffen hätten, wäre ihnen das Faktum der tatsächlichen Finanzentwicklung bekannt gewesen.

Mehr als eine Kampagne
Man kann nachvollziehen, warum die sog „einfache Formel“ für Viele in den Jahren 2006 und danach plausibel war. Tatsächlich gab es bei den Kirchensteuereinnahmen ab 1994 ein Auf und Ab mit Tendenz nach unten. So konnte man problemlos der Landessynode Graphiken präsentieren, nach denen sich der Negativtrend bei der Mitgliederentwicklung in der Finanzentwicklung widerspiegelte. Stellt man allerdings Mitgliederentwicklung und Finanzentwicklung über einen längeren Zeitraum gegenüber, ergibt sich ein anderes Bild. Die folgende Tabelle macht Eins zumindest deutlich: Man kann nicht monokausal, wie es mit der „einfachen Formel“ geschah, auf Grund sinkender Mitgliederzahlen eine sinkende Finanzkraft prognostizieren:

1970

1977

1987

1990

2000

2007

2014

2018

2019

Gemeindeglieder in Mio.

3,856

3,604

3,318

3,269

3,113

2,92

2,70

2,544

Nettokirchen-

steuer-Aufkommen

in Euro

200 Mio.

350 Mio.

440 Mio.

580 Mio.

551 Mio.

562 Mio.

586 Mio.

737 Mio.

744 Mio.

Gleichen Zeitraum stiegen die Einnahmen aus Kirchensteuermitteln um satte 544 Mio. €. Wir reden hier über einen Trend, der seit nahezu einem halben Jahrhundert anhält. Die allzu simple Logik „weniger Mitglieder = Verlust an Finanzkraft“ stimmt so nicht.
Dennoch wird sie bis heute von Verantwortungsträgern unserer Kirche, insbesondere von den Finanzdezernenten, als Tatsache dargestellt. So sollte man in einer Kirche nicht miteinander umgehen! Bis heute sind die Finanzverantwortlichen der rheinischen Kirche nicht aus dem überholten und widerlegten Narrativ von 2006 ausgestiegen. Der ökonomisch kompetente Georg Immel, der in seinen Äußerung realistisch und zutreffend darstellen konnte, welche Faktoren die Einnahmesituation einer Kirche beeinflussen, erweckte dennoch den Eindruck, allein auf Grund des demographischen Wandels stehe der Einbruch bei den Kirchensteuermitteln kurz bevor und es könne gar nicht anders sein, als dass die Kirche im Jahr 2030 nur noch über die Hälfte der Finanzkraft gegenüber dem Jahr 2002 verfüge. Sein Nachfolger Bernd Baucks äußert sich zwar vorsichtiger. In seinem Finanzbericht an die Landessynode von 2017 kündigt allerdings auch er eine „Trendwende“ an. Nach seiner Darlegung habe sich die Kirchensteuerentwicklung möglichweise bereits von der Entwicklung der staatlichen Steuereinnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer abgekoppelt – und zwar auf Grund der negativen Mitgliederentwicklung.
Die positive Situation bei den Kirchensteuereinnahmen wird als Intermezzo dargestellt. Als 2006 entgegen der einfachen Formel die Einnahmen moderat stiegen, war das für Immel „kein Grund zum Jubeln“. Später sprach er angesichts der notorisch positiven Entwicklung bei den Kirchensteuern von einer „positiven Hypothek“ (,was immer das sein mag,) oder einem „Zwischenhoch“. Bekanntermaßen wurde daraus ein kräftiges Langzeithoch. Dennoch erweckt auch Baucks immer wieder den Eindruck, alleine auf Grund des demographischen Wandels und der negativen Mitgliederentwicklung könne es auf Dauer mit den Kirchensteuereinnahmen nur bergab gehen.
Die „einfache Formel“ von 2006 war mitnichten eine sachliche, an Fakten orientierte Information. Tatsächlich handelte es sich um eine kirchenpolitisch motivierte Kampagne. Eine krisenhafte Mangelsituation wurde leicht abseits der Faktenlage prognostiziert, um gewünschte Umbaumaßnahmen und Strukturveränderungen durchzudrücken. Dies beschädigt Vertrauen!
Noch bedrückender ist Folgendes: Was als Kampagne begann, entwickelte im Blick auf zukünftige Versorgungsansprüche von Pfarrern und Kirchenbeamten eine schädliche Eigendynamik. Je nach Ausgangslage wurden versicherungsmathematische Gutachten erstellt mit der Vorgabe, dass auf Grund der Mitgliederentwicklung die Finanzkraft der Kirche um 1-2% im Jahr sinken würde. Die Folge waren übertriebene Zuführungen an die Versorgungskasse bei gleichzeitiger finanzieller Auszehrung der kirchlichen Basis. Mit mehr als 25% der Kirchensteuereinnahmen werden aktuell in der rheinischen Kirche zukünftige Versorgungs- und Beihilfeansprüche abgesichert.
Gewiss werden die Kirchensteuereinnahmen auf Grund wirtschaftlicher Krisen in Zukunft auch einmal rückläufig sein. Und gesamtwirtschaftliche Risiken gibt es ja zu Genüge.
Bestritten wird lediglich, es könne mit den kirchlichen Einnahmen in Zukunft nur noch bergab gehen. Bestritten wird mit großer Entschiedenheit, man könne alleine auf Grund einer prognostizierten Mitgliederentwicklung präzise Aussagen über die zukünftige Finanzkraft einer Kirche machen.

Der Auftrag der Kirche und der fragwürdige Umgang mit dem ihr anvertrauten Geld
Im Blick auf die Frage, wie die Kirche mit dem ihr vertrauten Geld umgehen soll, heißt es im Papier der Höppner-Kommission unter 3.1.1.: „Dabei müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es der genuine Auftrag der Kirche ist die Verkündigung des Evangelium von Jesus Christus. An diesem Auftrag muss sich alles andere ausrichten.“
Nun wäre es eine außerordentlich kühne Behauptung, all die seit 2006 vollzogenen Umbaumaßnahmen hätten nur dem einen Ziel gedient, nämlich die Verkündigung des Evangeliums voranzubringen. Tatsächlich standen zwei Ziele im Vordergrund: 1. Kostenreduzierung gerade dort, wo es um den Dienst der Verkündigung, die Arbeit mit Menschen vor Ort und um Begegnungsräume (z.B. Gemeindezentren und Kirchen) ging.
2. Die Stärkung der Organisation, um so zu einer zentral gelenkten, kampagnenfähigen Kirchenstruktur zu kommen, bei der der Kirchenkreisebene zulasten der Gemeinden die entscheidende Scharnierfunktion zukommen sollte.
Wer statt einer positiven Vision von Kirche eine „einfache Formel“ zum Ausgangspunkt sog. „Reformen“ nimmt, erzeugt eine „Kirche der Angst“. Schaut man genauer hin, so ist die Angst vor Finanzkraft- und Kontrollverlust das handlungsleitende Motiv der „Reformer“ bis heute. Auch deswegen wirken die kirchenleitenden Appelle, „Mut zur Veränderung“ zu entwickeln unter Inkaufnahme „schmerzlicher Abschiede“ so schal und wenig überzeugend. Tatsächlich zeigt sich da eine mutlose Kirche, die sich im Zweifel trotz hehrer Sozialrhetorik unsozial gegenüber den eigenen Mitarbeitenden verhält und die Zuwächse an Finanzkraft zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche verwendet, sowie die Verwaltungen massiv aufstockt. Es geht um Rückbau, um Downsizing, um zu retten, was aus Sicht der Mutlosen noch zu retten ist.
Am Auftrag der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus soll sich alles andere ausrichten! So forderte es damals die Höppner-Kommission in ihrem bemerkenswerten Papier. Wer die Barmer Theologische Erklärung als Kompass ansieht, kann dem nur zustimmen. Wenn dies im Zentrum der Überlegungen zu einer Umgestaltung der Kirche steht, sind folgende Punkte zu beachten:
Verkündigung und Finanzprognostik: Es sollte endgültig Abschied genommen werden von der sog. „einfachen Formel“ und der damit verbundenen Grundannahme „weniger Mitglieder = Rückgang der Kirchensteuereinnahmen“. Wenn eine Grundannahme seit fast 5 Jahrzehnten durch die tatsächliche Finanzentwicklung wiederlegt wird, kann sie nur falsch sein. Diese falsche Finanzprognostik war im Übrigen ursächlich für den massiven Abbau an Pfarrstellen, die bedrückende Behandlung des theologischen Nachwuchses ab 2006 und vor allem den schlimmen Umgang mit der „Generation Sonderdienst“. Damals verloren etliche Pastorinnen und Pastoren ihre berufliche Existenz, die zum Teil seit vielen Jahren gedeihlich für unsere Kirche Dienst taten. Dass heute nur noch Wenige Theologie mit dem Berufsziel Pfarramt studieren möchte, dürfte auch in diesem sozialethischen Sündenfall seine Ursache haben. Hiermit soll keineswegs für einen unbesonnene Umgang mit kirchlichen Geldern plädiert werden. Gerade weil wir nicht wissen, wie es um die Finanzkraft unserer Kirche im Jahr 2015 oder 2030 steht, ist ein vorsichtiger und disziplinierter Umgang mit kirchlichen Haushalten geboten.
Verkündigung und zukünftige Versorgungsansprüche: Hier gibt es keine einfache Lösung. Die rheinische Kirche steht wie andere Landeskirchen auch vor der großen Herausforderung, in den kommenden Jahren für eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen im Ruhestand Pensionen zu gewährleisten. Vor längerer Zeit, bereits Ende der 80-er Jahre, hat man sich für eine kaitalgedeckte Lösung entschieden. Dies ist nur dann verantwortbar, wenn man Vertrauen in die langfristige Integrität der aktuellen Finanzmarktstruktur hat. Dies wäre allerdings naiv. Die gewaltigen Risiken, die das angelegte Kapitalvermögen betreffen, seien hier nur kurz umrissen:
Die Finanzkrise von Herbst 2008 war nur der Höhepunkt in einer Reihe von zyklisch auftretenden Krisen an den Finanzmärkten. Die Politik zumindest in Europa hat damals alles daran gesetzt, ein an sich marodes System stabil zu halten, um damit die angelegten Vermögenswerte zu schütze.
Dies geschah vor allem durch die Politik des billigen Geldes durch die EZB. Hiermit wurden Banken und schließlich auch Staaten gestützt. Die Vermehrung der Geldmenge führte allerdings nur sehr begrenzt zu mehr Investitionen im Bereich der Realwirtschaft. Vor allem der Handel mit spekulativen Finanzprodukten wurde befördert.
Dies geschah auch deshalb, weil trotz halbherziger Regulierungsbemühungen mit Finanzspekulationen immer noch deutlich höhere Renditen zu erzielen sind als mit Investitionen in der Realwirtschaft. Das weltweit angelegte Kapitalvermögen übersteigt schon seit langem um ein Mehrfaches das Weltbruttosozialprodukt mit rasch wachsender Tendenz. Es handelt sich um eine globale Megablase, bei der früher oder später eine Bereinigung unausweichlich ist.
Es wäre ein glattes Wunder, könnten das Kapitalvermögen, dass zur Zeit zur Absicherung von Versorgungsansprüchen angelegt ist, über die Jahrzehnte hinweg einigermaßen unbeschadet gerettet werden. Die Fallhöhe ist deutlich höher sowie die Möglichkeiten staatlicher Interventionen begrenzter als im Herbst 2008.
Wie geht man nun mit einer derartigen Analyse um? Eine Abkehr von einer kapitalgedeckten Altersvorsorge für Pfarrer und Kirchenbeamte ist kaum mehr möglich. Hier kann man nur hoffen, dass es am Ende doch nicht so schlimm kommt. Im Augenblick fließt allerdings ein gutes Viertel der Kirchensteuereinnahmen in Finanzanlagen. Gerade angesichts der guten Kirchensteuereinnahmen der letzten Jahre ist dies eine ungute Übertreibung, zumal dann, wenn dies einhergeht mit Personalabbau beim Dienst am Menschen und vor allem auch in der Verkündigung. Die Analyse relativiert die Frage erheblich, ob die Mittel zur Versorgungssicherung nun 18, 22 oder 24% des Nettokirchensteueraufkommens ausmachen. Sinnvoll wäre eine maßvolle Reduzierung der Versorgungssicherungsumlage, um finanziellen Spielraum zu schaffen für Dienste in den Gemeinden. An der immer prekären Situation im Pfarrdienst wird sich auf Grund der geringen Zahl an Theologiestudenten kurzfristig kaum etwas ändern lassen. Andere Berufsgruppen wie Jugendreferenten oder Gemeindepädagogen stehen allerdings ebenfalls im Dienst der Verkündigung. Durch eine personelle Verstärkung könnten hier die im Pfarrdienst sich abzeichnenden Lücken zumindest teilweise kompensiert werden.
Verkündigung und Verwaltung: Bei der Arbeit mit Mensch wurden in den Einrichtung und Diensten auf allen kirchlichen Ebenen, in der Jugendarbeit, bei der Kirchenmusik und vor allem im Pfarrdienst kräftige Einschnitte vorgenommen mit dem Argument, man müsse sparen. Dagegen wurden immer mehr Finanzmittel zur Absicherung zukünftiger Versorgungsansprüche abgezogen. Vielleicht noch stärker war der finanzielle Mehraufwand durch die Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF) sowie der Verwaltungsstrukturreform. Ursprünglich einmal wollte man mit beiden Projekten Kosten reduzieren. Tatsächlich gibt es etliche Kirchenkreise, in denen sich die Verwaltungskosten seit 2010 mehr als verdoppelt haben. Das geht zu Lasten der Finanzkraft der Gemeinden!
Ein Szenario, bei dem in manchen Kirchenkreisen 2-3 Mal so viele Vollzeitstellen in der Verwaltung einem ausgezehrten Pfarrdienst gegenüberstehen, ist ebenso wahrscheinlich wie im Blick auf seine Öffentlichkeitswirksamkeit verheerend. Die durch die Kirchenleitung vorgenommene Vereinfachung der Kirchlichen Verwaltungsordnung ist hier ein erster, begrüßenswerter Schritt. Notwendig ist allerdings eine Trendumkehr. Vorbild könnten hier mittelständische Unternehmen sein, die vom IT-Bereich über die Personal- und Finanzverwaltung Arbeiten von externen Anbietern kostengünstig erledigen lassen. Modellhaft sollte man versuchen, dezentrale Verwaltungsstrukturen zu ermöglichen, die von mehreren Gemeinde getragen werden.

Die Kraft der Kirche
Es sind nicht die Kirchensteuereinnahmen, es ist nicht die Finanzkraft und erst recht nicht eine mehr oder weniger effiziente Verwaltung, die die Kraft der Kirche ausmachen. Es sind die Menschen, die sich von Gottes Wort ansprechen und begeistern lassen.
Dies wird belegt durch den klassischen paulinischen Text in 1. Kor. 12,12-30: Das Bild vom Leib. Als Christen leben wir in Beziehung zueinander wie die einzelnen Glieder, die gemeinsam einen Leib bilden und in dem jedes Glied seinen Platz und seine Wertigkeit hat. Dass dieser Leib zumindest zeichenhaft Christus darstellt, geht aus V. 27 hervor: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.“ Von daher hat sowohl die äußere Gestalt wie auch das interne Miteinander der Kirche Verkündigungscharakter. Der reale Zustand der Kirche unterstreicht und bezeugt das Evangelium von Jesus Christus oder er macht die eigene Botschaft unglaubwürdig und verstellt Menschen den Weg zu Christus.
Das gerade evangelische Christen in eigener Weise auf ihre konkreten Alltagserfahrung mit ihrer Kirche reagieren, ist mir spätestens seit einem Gespräch auf einem Dorffriedhof im nördlichen Westerwald deutlich geworden. Die Trauerfeier ist vorüber und ich habe mich von den Angehörigen der Verstorbenen bereits verabschiedet. Ein Gespräch mit dem Bestatter kommt zustande. Da gab es zahlreiche Beerdigungen in den letzten Wochen. Der Bestatter, den ich sehr schätze, berichtet von zunehmenden Schwierigkeiten, Pfarrerinnen und Pfarrer für Beerdigungen zu finden. Ich selbst weiß von Engpässen, die es in der letzten Zeit bei der einen oder anderen Trauung und bei Hochzeitsjubiläen gab. Allerdings konnte schließlich doch jemand gefunden werden, der den Dienst übernahm. Was der Bestatter mir dann erzählt, überrascht mich dann doch. Zunehmend würden auch in unserer Region freie Theologen angefragt. Da gäbe es z.B. ein Unternehmen mit mehreren Theologen und Psychologen. Die böten alles an von der Trauerfeier, der Trauung bis hin zur seelsorgerlichen Begleitung. Die nähmen sich Zeit für die Leute. Und sie würden zunehmend auch von Mitgliedern der beiden Kirchen angefragt. Ich frage mich, was sich da entwickelt – vor allem dann, wenn in ein paar Jahren die Lücken im Pfarrdienst noch größer werden.
Ich unterhalte mich mit einer jungen Frau, die in der Medienbranche tätig ist. Sie unterstützt uns bei unserer Öffentlichkeitsarbeit und sie hat vielfältige Kontakte zu freien Gemeinden. Das da bundesweit seit einigen Jahren die Mitgliederzahlen wachsen, wohingegen sie bei den beiden großen Kirchen rückläufig sind, ist mir bekannt. Wir unterhalten uns über die Situation in der rheinischen Kirchen, dass es da kaum noch junge Theologinnen und Theologen gibt. Sie berichtet, dass nahezu alle Bildungseinrichtungen, die den theologischen Nachwuchs für freie Gemeinden und Gemeinschaften ausbilden, überlaufen sind. Das überrascht mich, denn diese Pastoren habe deutlich geringere Verdienstmöglichkeiten und unsichere Konditionen als Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche.
Wenn ausgerechnet die Menschen, die sich von Gottes Wort ansprechen und begeistern lassen, sich jenseits der Volkskirchen einbringen und ihr Christsein leben, verliert eine Kirche an Kraft. Auch dies ist ein Grund, umzudenken und Abschied zu nehmen von einer fragwürdigen Finanzprognostik, die bereits in der Vergangenheit erhebliche Schäden verursacht hat.

Kritik der aufblasbaren Kirche. Über Klerikalismus, Banalität und Gleichheit. Von Wolfgang Vögele

10/2018,

8. Fromme Nivellierungen

… Solche bewusst herbeigeführten ekklesiologischen Nivellierungen führen zu großen Verlusten an Wertschätzung. Einerseits wird das Pfarramt mit immer mehr Bürokratie und Verwaltungsaufgaben überlastet, so dass Pfarrern schlichtweg die Zeit genommen wird, theologisch tätig zu werden. Auf der anderen Seite wird insinuiert, dass die theologische Arbeit von Prädikanten, Diakonen, Ehrenamtlichen mit Sicherheit genauso gut erledigt werden könnte. Diese Unterstellung aber verwechselt das Billige und das Qualitätvolle. Ehrenamtliche erledigen Arbeit kostengünstiger, aber keineswegs zwingend qualitätvoller. Theologie erscheint in diesem Kontext nicht mehr als ein Bündel anspruchsvoller Kompetenzen, um sich selbständig und ohne klerikal-obrigkeitliche Bevormundung mit allen möglichen Themen der Bibel, des Glaubens, der Ethik auseinanderzusetzen und dazu ein begründetes Urteil abzugeben….

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Unruhen im Bistum Trier wegen Bistumsreformen: Protest gegen die Bistumsreform – 5 vor 12

10/2018

Protest gegen die Bistumsreform – 5 vor 12
Am Samstag, den 20. Oktober 2018 um 11:55 Uhr findet eine zentrale Protestkundgebung auf dem Domfreihof am Bischofsitz in Trier statt.
Die Initiative ruft alle, die mit der Zerschlagung der Pfarreien und Kirchengemeinden nicht einverstanden sind, zur Teilnahme auf.
Der nebenstehenden „5vor12 Flyer“ kann ausgedruckt und weitergegeben werden.

Ab sofort können Flyer und Plakate über initiative-kirchengemeinde@gmx.de angefordert werden.
Unterstützt werden wir von den Landräten Dr. Joachim Streit, Eifelkreis Bitburg-Prüm und Udo Recktenwald, Landkreis St. Wendel. Die Briefe an unseren Bischof sind nebenstehend einzusehen.

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Hannover: Kirche kaputtreformiert ?

06/2018, korrespondenzblatt Bayern

Aktenstück 98 – ein Papier verändert die Landeskirche Hannovers

von P. Andreas Dreyer, Vorsitzender des
Hannoverschen Pfarrvereins

Hannover: Rechte aus einer Stelleninhaberschaft
und einer Bestallungsurkunde
weitgehend aufgegeben

Ein Bestandsschutz
für Pfarrstelleninhaber*innen,
stets leitendes Prinzip bei früheren
Reformvorhaben, wurde nun
nicht mehr gewährt. Damit waren
aus pastoraler Sicht die zentralen
Rechte aus einer Stelleninhaberschaft
und einer Bestallungsurkunde
weitgehend aufgegeben…

In einigen besonders betroffenen
Kirchenkreisen wurde der Pfarrstellenbestand
auch über die zunächst
anvisierten 25% hinaus reduziert,
regional bis zu 50%. …

: statt eines kirchlichen
Aufbruches und einer von lebendigen
Regionen getragenen Landeskirche
„im Aufbruch“ waren nahezu
überall spürbare Rückgänge
kirchlicher Aktivität zu verzeichnen
– und zwar stärker als in anderen
Landeskirchen! …

Einzelne Kirchenkreise
hatten für einen Zeitraum von 1995
2015 bis zu 40% (!)der Kirchenmitglieder
eingebüßt, während andere
ihre Mitgliederzahl ungefähr stabil
halten konnten, …

mehr dazu, vgl. S. 133-136

 

Zu den Wirkungen des neoliberalistischen Gesellschaftskonstrukts auf die evangelische Kirche Kirche im Zeitalter des Neoliberalismus. Von: Frank Weyen, Dt. Pfarrerblatt

05/2018, Dt. Pfarrerblatt, – PD Dr. theol. Frank Weyen, Jahrgang 1965, Privatdozent an der Universität Zürich und Gemeindepfarrer in Wanne-Eickel (Ruhrgebiet).

Das neoliberalistische Wirtschaftsmodell hat seinen Siegeszug durch die westlichen Gesell­schaften ungebremst vollzogen. Die Kirchen blieben davon nicht verschont. Frank Weyen stellt in seinem Beitrag zunächst die Grundlagen neoliberalistischen Denkens dar. In einem zweiten Schritt arbeitet er heraus, wie neoliberalistische Denk- und Gestaltungsformen in kirchlichen Debatten und Verlautbarungen Einzug hielten, um daran anschließend zu skizzieren, zu welchen absehbaren Konsequenzen diese Strategien in der Kirche führen werden.

 

Mehr dazu.

 

Anm. F.S.: Lange hat es gedauert. Nun konstatiert man auch in der Universitätstheologie die Einbettung der kirchlichen Reformprozesse im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ in die neoliberalen, globalen Veränderungsprozesse.  Dass hier weiterer Forschungsbedarf besteht ist offensichtlich. Freunde oder Förderer werden sich vermutlich wenige finden. Dass der Protestantismus in alte, überwunden geglaubte Denkmuster, etwa im Verhältnis Kirche -Staat, zurückfällt ist nicht nur bedauerlich, sondern gefährlich. Man vergleiche dazu nur die merkwürdige, gestrige Haltung des Bischofs Bedford-Strohm gegenüber dem „Kreuzzug“ Söders.

 

ELK Sachsen: Initiative „Zurück auf Los“ fordert Korrekturen an der Strukturreform der Landeskirche.

04/2018, Beitrag vom 5. April 2018 von kirchenbunt

Initiative von Pfarrern, Kirchenvorstehern und engagierten Gemeindegliedern veröffentlicht, Eingabe an die Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens

Die Initiative „Zurück auf Los“ bittet die Synode ihrer Landeskirche, die Gesetzesvorlagen zur Strukturreform zu ändern. Dabei soll u.a. auch die angestrebte Regionalisierung nicht – wie vorgesehen – in die Kirchenordnung aufgenommen werden. Weitere Forderungen sind u.a.: „ein Höchstmaß an finanzieller Eigenverantwortung in Ausgaben und Einnahmen“ der Kirchengemeinden, Rückverselbständigung von Kirchengemeinden die sich zum Kirchspiel oder zur Fusion drängen ließen, „um die Chance auf die Besetzung der Pfarrstelle zu erhöhen“ und die Möglichkeit, „alternativ zu landeskirchlichen Finanzierungen eigenständige Lösungen aus Stiftungsmitteln, Spenden, Pachten, etc. zu finden“…

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EKiR: Januarsynode: „Leichtes Gepäck“, Rundschreiben 36

01/2018, LS 2018  Drucksache 32: „AG Leichtes Gepäck“

„Leichtes Gepäck“ für wen?
Die Kirchenkreisverwaltung als Zentrum der Kirche

Von Pfr. i.R. Manfred Alberti

Wer wissen will, wie es um die Rheinische Kirche steht und wie es weitergeht, der braucht nicht auf den Präsesbericht zur Landessynode zu warten, sondern lese aufmerksam die Vorlage 32 in den Synodendokumenten zu dem Großprojekt „Leichtes Gepäck“. Sie offenbart zwischen den Zeilen sehr deutlich, wohin die Reise der EKiR geht.
Kaum jemand hat sich vor fünf Jahren vorstellen können, dass die Presbyterien und Gemeinden als die bislang tragende Grundlage der Rheinischen Kirche innerhalb von fünf Jahren ihrer Kraft und ihres Einflusses beraubt werden könnten. Sie sind unwichtig geworden, so unwichtig, dass bei dem derzeitigen Großprojekt „Leichtes Gepäck“ kein einziger Vertreter aus der Gemeindebene, kein Presbyteriums-vorsitzender, kein Kirchmeister, kein Gemeindepfarrer mit am Tisch sitzt und Aspekte aus Gemeindesicht „von unten“ einbringen könnte. Die Gemeinden sind so unwichtig geworden, dass der Vorsitzende des Ausschusses seine Gespräche mit den Superintendenten und Verwaltungsleitern der Kirchenkreise als Gespräche mit der „Basis“ bezeichnen kann. Auch wenn dieser Arbeitskreis das Bewußtsein dafür schärfen möchte, dass die „Evangelische Kirche im Rheinland eine Gemeinde auf drei Ebenen“ ist (S. 20, unterstrichen im Original, Frage: Druckfehler oder theologischer Versuchsballon, um den Ebenen Kirchenkreis und Landeskirche die gleichen juristischen Rechte zuzuschieben, die eigentlich alleine den Gemeinden als „öffentlich – rechtliche Körperschaften“ zukommen?), kommt die Gemeindeebene nur ganz nebensächlich am Rande vor, wenn sie überhaupt irgendwo erwähnt wird.
Die Schwerpunkte in der Kirche haben sich verschoben: Die mittlere Ebene hat fast alle Kompetenzen der Gemeindebene an sich gezogen.
Und nun möchte sie, vor allem die Verwaltungsleitung, auch die (fast) alleinige Aufsichtsebene über die Gemeinden werden.
Da ist das Programm „Leichtes Gepäck“ eine gute Gelegenheit, die Aufsicht des Landeskirchenamtes über die Gemeinden weitgehend loszuwerden und auf die Kirchenkreise zu übertragen.
Mit dem Wunsch nach Bürokratieabbau kann man überall offene Türen einrennen. Und der Abbau überholter und überflüssiger Gesetze war und ist ein sicher gut gemeinter und wichtiger Wunsch der Kirchenleitung und der Landessynode an dieses Programm: Oft überholtes, schweres Gepäck zu erleichtern.
Doch was ist wirklich überflüssig? In den ersten Semestern des Theologiestudiums lernt man, dass Gebote und Gesetze im Kern oft das Ziel haben, die unbegrenzte Macht der Mächtigen zum Schutz der Schwächeren zu begrenzen: Das Gebot, den Feiertag zu heiligen, ist ein Schutzgebot mit dem Recht auf einen freien Tag in der Woche zur Erholung: nicht nur für Gottesdienstbesucher, sondern auch für das Vieh, das keinen Gottesdienst braucht.
Was ist dann die Konsequenz, wenn (kirchliche) Gesetze weitgehend durch Vorschlagsregelungen ersetzt werden soll und wenn die Kirchenordnung und das Lebensordnungsgesetz reduziert werden auf wenige Leitlinien? Gut ist sicher die Vielfalt der Möglichkeiten, die dann offenstehen. Aber Schutzgesetze für die im kirchlichen Leben inzwischen wenig Mächtigen, wie die Presbyterien, Gemeinden, Mitarbeiter und Pfarrer oder auch Schutzregelungen für Minderheiten, stehen in Gefahr, als überflüssiger Ballast verworfen zu werden.
Die kirchliche Mittelebene, die Kirchenkreisverwaltung, entscheidet dann anhand von Leitlinien oder Vorschlägen, was richtig ist. Diese Beschlussempfehlungen sollte das „Leitungsorgan“, also der Kreissynodalvorstand oder die Presbyterien, ohne Veränderungen wortwörtlich übernehmen. Ein solcher Beschluss gilt als genehmigt und braucht keine besondere kirchenamtliche Genehmigung durch Superintendenten oder die Landeskirche mehr (Leitlinie 1, S. 6).
Dieses Verfahren eines von der Verwaltung erarbeiteten Beschlussvorschlages, der mit einem Häkchen des Leitungsgremiums offiziell beschlossen wird, soll der Standard kirchlicher Verwaltung auf der Kirchenkreisebene werden. Über die offenbar kindliche Freude an dem Ausdruck „Von Anfang an Haken dran“ kann man sich beim Lesen köstlich amüsieren. Aber: Wie weit da Superintendent, Presbyter oder Pfarrer in den jeweiligen Vorbereitungsprozess eines Beschlusses einbezogen werden, das entscheidet die Verwaltungsleitung.
Bei vielen normalen Alltagsentscheidungen mag das ein gangbarer Weg sein. Aber viele Entscheidungen kirchlicher Gremien sind nicht Probleme, bei denen nur der richtige Paragraph herauszusuchen und anzuwenden wäre, sondern sind konfliktträchtige Entscheidungen, bei denen theologische Hintergründe, Gemeindeerfahrungen und Presbyteriumsziele eine zentrale Rolle spielen: Und diese Vorentscheidungen liegen dann in der Hand der kirchenkreislichen Verwaltungsleitung. Nicht mehr der Beschluss des Presbyteriums oder des KSV wird verwaltungsmässig umgesetzt, sondern das Presbyterium hakt den Beschlussvorschlag der Verwaltung ab. So ist die Rheinische Kirche auf dem Wege zur Verwaltungskirche. Presbyteriale und synodale Entscheidungen sind nur noch nach Vorgabe der Verwaltung möglich.
Solche Verwaltungsherrschaft sollte man beim Lesen der Vorlage 32 immer im Hinterkopf haben: Bei dem „leichten Gepäck“, dem Aussetzen von Gesetzen geht es auch darum, vielleicht sogar für einige vorrangig, die Aufsicht des Landeskirchenamtes über die Kirchenkreisverwaltungen zu reduzieren bis auf einen notwendigen Rest, den man großzügig dem Landeskirchenamt überlässt: „Es gilt Felder auszumachen, die weiterhin einer besonderen Genehmigung der aufsichtsführenden Ebene, auch der Landeskirche, bedürfen.“ (S. 13)
Übersetzt bedeutet das: Nachdem die Gemeinden und Presbyterien ihre Macht weitgehend an die Kirchenkreisverwaltung verloren haben, soll nun auch der Einfluss von oben, die Aufsicht über die Gemeinden durch das Landeskirchenamt weitgehend reduziert werden. Der Verwaltungsleiter im Kirchenkreis wird übermächtig: Weder das Landeskirchenamt oben noch die Gemeinden und Presbyterien unten haben Macht über ihn. In einer presbyterial-synodalen geprägten Kirche eine erstaunliche Machtverschiebung.
Aber da ist ja noch der Superintendent oder die Superintendentin, auch wenn er schlechter bezahlt wird als mancher Verwaltungsleiter: Haben die vielleicht…. Solchen Träumen schiebt die Vorlage 32 konsequent einen Riegel vor (S. 13): Da die Superintendentur nach dem Verwaltungsstrukturgesetz Teil der Kirchenkreisverwaltung sei, müssten „die gleichen Abteilungen, die den Leitungsgremien zuarbeiten, ebenso der Aufsicht zuarbeiten“. Doppelarbeit könne man sich selbstverständlich sparen, denn bei der Aufsicht durch die gleichen Mitarbeiter kann nichts anderes herauskommen als beim Beschlussvorschlag. Herrlich: Die Verwaltung ist ihre eigene Aufsicht!
Aber stimmt dieser Grundgedanke überhaupt? Viele Entscheidungen sind subjektiv geprägt, aus Kirchenkreissicht oder Gemeindesicht! Müsste nicht die Aufsichtsfunktion des Superintendenten gerade die Funktion haben, kritisch auch die Verwaltungssicht zu beurteilen? Verwaltungssicht ist oft nicht Gemeindesicht!
Auf gut Deutsch: Dadurch dass er keine eigenen, ihm alleine unterstellten und ihm zuarbeitenden sachkundigen Mitarbeiter mehr hat, kann der Superintendent seiner Aufsichtsfunktion nur schwer noch nachkommen: Sie ist damit in den Augen der AG „Leichtes Gepäck“ weitgehend überflüssig geworden, wenn die Kirchenkreisverwaltung mit den gleichen Mitarbeitern gleichzeitig Entwurf und Aufsicht erarbeitet.
Wie ein mit vier Superintendenten besetzter Arbeitskreis eine solche faktische Entmündigung des Superintendentenamtes durch die Verwaltung mit tragen kann, ist mir schlicht unerklärlich. Wird der Superintendent bald nur noch repräsentative Aufgaben haben und der Verwaltungsleiter hat die gestaltende Macht? Die Aufsichtsfunktion des Superintendenten in der Dienst- und Fachaufsicht über die Verwaltungsleitung muss gerade dann gestärkt werden, wenn die Aufsichtsfunktion des LKA über die Gemeinden gestrichen wird und alleine an die Kirchenkreisverwaltungen übergehen soll (Punkt 5.1.1. S. 12).
Sieht so die Kirche der Zukunft aus? Die Aufsichtsfunktion des LKA oben ist weitgehend abgeschafft, die Gemeinden unten haben eh keine Rechte mehr und wo sie noch Rechte haben, wie beim Haushalt, wird die Haushaltserstellung so schwierig und kompliziert gemacht, dass sie kaum noch ein Presbyter oder Pfarrer verstehen kann.
Selbständiges, eigenverantwortliches Arbeiten ohne Kontrolle! Wer freut sich nicht über einen solchen Arbeitsplatz? Das ist wirklich für die Kirchenkreisverwaltung ein Arbeiten mit „Leichtem Gepäck“. Dass die Umstellung für die Gemeinden erst einmal wieder mit Mehrkosten verbunden ist, verschweigt die Vorlage nicht (Punkt 6, S. 20)

Aber Ist der Abbau von Aufsichts- und Kontrollfunktionen wirklich der richtige Weg? Die Rheinische Kirche kann doch nun ein leidvolles Lied singen, wohin fehlende Aufsicht und Kontrolle führen kann. Sind die 20 Mio. verlorenen Euro für das BBZ schon vergessen?
Und der Wuppertaler Vorgängerkirchenkreis Elberfeld hatte z.B. vor Jahren gegen laute Warnungen auf der Kreissynode für ein Werk des Kirchenkreises eine Satzung beschlossen, die keine Aufsicht und Kontrolle für den Geschäftsführer beinhaltete. „Vertrauen“ sollte das massgebliche kirchliche Stichwort sein. Zwei Jahre später war das Vertrauen plötzlich weg, denn der Geschäftsführer wurde von der Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdachtes festgesetzt.
Gerade wenn es bei Bau- und Reparaturmassnahmen um tausende oder Millionen € geht, sollte man durch eine effizientes Kontroll- und Aufsichtssystem jeden Mitarbeiter davor schützen, in einen Korruptionsskandal verwickelt zu werden. Aufsicht hat auch eine Schutzfunktion. Weitgehender Verzicht auf Kontrolle und Aufsicht und Reduzierungen bei der Rechnungsprüfung sind die völlig falschen Signale, auch in der Kirche.
Gerade eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Alltag erfordert eine davon unabhängige strukturierte und verlässliche Aufsicht. Kontrolle darf nicht gleichzeitig als Bruch vertrauensvoller Zusammenarbeit verstanden werden.
„Leichtes Gepäck“ ohne veraltete und heute überflüssige Regelungen ist eine tolle Idee, „leichtes Gepäck“ mit Aushebeln von Kontroll- und Aufsichtsfunktionen kann leicht zur Katastrophe werden. Gemeinden, Mitarbeiter, Presbyter und Pfarrer dürfen nicht den kirchlichen Gestaltungsvorstellungen eines mächtigen Kirchenkreisverwaltungsleiters ausgeliefert sein.
Die tendenzielle Schräglage dieser Vorlage 32 wird unfreiwillig offenbart in dem drittletzten Satz des Papiers im Abschnitt „7. Mentalitätswandel“ (S. 20). Dort wird mehr „Zutrauen in die Fähigkeit handelnder Personen“ gefordert:
im Blick des Landeskirchenamtes auf die Kirchenkreise und Gemeinden, und
im Blick der Gemeinden auf das Landeskirchenamt und den Kirchenkreis.
Merkwürdig: Der eigentlich logische dritte Satz fehlt, dass von den Kirchenkreisen mehr Zutrauen in die Fähigkeit handelnder Personen in den Gemeinden und im Landeskirchenamt gefordert wird. Zufall oder Absicht? Ist bei den Kirchenkreisen kein Mentalitätswandel gerade in Bezug auf Kompetenzen der Gemeinden, der Presbyterien, der Gemeindepfarrer und Gemeindepfarrerinnen angebracht? Es ist leicht, aber auch verräterisch, nur auf die Splitter in den Augen der anderen zu verweisen (Mt. 7,3).
Die Absicht des Projektes „Mit leichtem Gepäck“, überholte Regelungen, Vorschriften, Ordnungen und Gesetze zu streichen, ist sicher notwendig und unterstützenswert. Aber diese offensichtlich sehr egoistisch aus der Sicht der Kirchenkreisinteressen erarbeitete Vorlage 32 braucht dringend eine professionelle Überarbeitung aus Sicht der Gemeinden: Sonst werden nur alte Schwächen ersetzt durch neue Schwächen.

Meines Erachtens sind mindestens folgende Korrekturen notwendig:
1. Das Vorhaben „Leichtes Gepäck“ darf nicht unter der Hand zu einer Machtausweitung der mittleren Ebene der EKiR gegenüber der oberen Ebene führen, nachdem die untere Gemeinde- und Presbyteriumsebene in den vergangenen fünf Jahren schon nahezu jegliche Macht an die mittlere Ebene abgeben musste. Auf der Ebene der Landeskirche ist deshalb eine effektive Aufsicht über den Kirchenkreis als eine Schutzfunktion für Gemeindeinteressen (auch Mitarbeiter- und Pfarrerinteressen) notwendig.
2. Starke Kontrollmechanismen sind unaufgebbar: Die EKiR wie auch einzelne Kirchenkreise haben sehr bittere und teure Erfahrungen gemacht mit zu viel unkontrolliertem Vertrauen in Mitarbeiter.
3. Mitarbeiter oder Leiter einer Kirchenkreisverwaltung sind durch die Vergaben von Aufträgen mit zum Teil erheblichem finanziellem Aufwand in besonderem Maße gefährdet, durch Korruption Schaden für den Kirchenkreis oder einzelne Gemeinden entstehen zu lassen. Es wäre unverantwortlich, hier auf effektive Kontrollmechanismen zu verzichten.
4. Angesichts der deutlichen Verringerung der Aufsicht müssen für alle Gemeindeglieder auf allen Ebenen niedrigschwellige Interventions-möglichkeiten geschaffen werden, um die vielschichtigen Interessen auf der wichtigsten Ebene der Kirche, der Gemeindebene, wahren zu können.
5. Verwaltung im Kirchenkreis ist nicht nur an Gesetze gebundene Verwaltungsarbeit. Ein Gespür für den immer vorhandenen theologischen Hintergrund zu haben, zählt nicht unbedingt zu den praktikablen Einstellungsvoraussetzungen für Mitarbeiter und Leiter. Auch in diesem Sinne ist eine besondere Aufmerksamkeit auf Aufsicht und Kontrolle angebracht.
6. Angesichts der drastischen Abwertung der Gemeindeebene in diesem Papier muss die Autorenschaft dringend erweitert werden um in der Gemeindeebene verwurzelte Gemeindepfarrer, Kirchmeister und Presbyteriumsvorsitzende. Die mittlere Ebene der Superintendenten darf nicht für sich in Anspruch nehmen, alleine die Gemeindebene mit zu vertreten: Ihre Interessen können deutlich andere sein als die Interessen der Gemeinden. (Beispiel: Ausweitung der Verwaltungsebene auf Kosten der Gemeindearbeit)
7. In diesem Papier fehlt die Reflexion, dass die mittlere und obere Ebene unserer Kirche eine dienende Funktion für die Gemeinden und die Gemeindeglieder haben muss. Diese tragen die Kirche mit ihren Kirchensteuern und Spenden, sie tragen die Kirche mit ehrenamtlicher Arbeit, sie tragen die Kirche mit ihren Gottesdiensten, Andachten, Gebeten, sie tragen die Kirche mit ihren Gesprächen und mit ihren missionarischen Aktivitäten. Die mittlere und die obere Ebene haben vor allem die Aufgabe, diese Arbeit zu ermöglichen und so gut wie möglich zu unterstützen. Eine Kirche mit bester Verwaltung könnte nicht existieren, wenn es keine Gemeindeglieder mehr gibt: Das Wohl der Gemeindeglieder, das Wohl der haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Gemeindearbeit, das Wohl der Verkündigung des Evangeliums muss das Hauptziel aller Mitarbeitenden in der mittleren und oberen Ebene der Kirche im Rheinland sein. In diesem Sinne sind in diesem Papier deutliche Korrekturen angebracht.
In dem 2017 in zweiter Auflage erschienenen Buch von Gisela Kittel und Eberhard Mechels „Kirche der Reformation? Erfahrungen mit dem Reformprozess und die Notwendigkeit der Umkehr, Göttingen 2017² “ beschäftigen sich mehrere Aufsätze u.a. mit Entwicklungen in der Rheinischen Kirche und der Synodenarbeit.

Pfarrverein Rheinland: EKiR: Kritik an einer allenfalls bedingt lernfähigen Reformpolitik.

EKiR: Bericht des Vorsitzenden des Ev. Pfarrvereins im Rheinland Friedhelm Maurer
auf der Mitgliederversammlung am
6.11.2017 in Bonn

…Ich nenne nur zwei Stichworte: NKF
und Verwaltungsstrukturreform. Hier
wird Verwaltung, deren einziger Sinn es
doch ist, den Dienst in Verkündigung
und Seelsorge zu unterstützen, zu einer
eigenen Macht, die neue Wirklichkeit
setzt und das Wesen von Kirche so ver-
ändert, das am Ende eine Behördenkirche
herauskommt, die auf jeden Fall
noch genug Geld hat, ihre Funktionäre
zu bezahlen, aber nicht mehr die Kraft,
missionarisch in die Welt zu wirken.
Damit der Verwaltungsaufwand nicht
noch weiter wachsen muss, soll die Anzahl
der Kirchengemeinden weiter reduziert
werden. Die Katholische Kirche
macht uns solche Strukturreform in gro-
ßem Ausmaß vor, auch dazu gibt es genug
Kritik von der Basis, die aber ob
der hierarchischen Struktur dieser Kirche
noch weniger Gehör findet…

Mehr dazu, vgl. S. 2ff

„Von Enttäuschung zu Enttäuschung“. Zu den Kirchenreformen. Im Interview von Hansjörg Schulz mit Prof. em Hermann Häring

02.01.2018

Hansjörg Schultz: …sie haben sich dabei auch immer sehr intensiv mit Fragen von Kirchenreform beschäftig. Wie ist es denn in dieser Frage mit Ihrer Zukunftsvision in Bezug auf Ihre Kirche?

Häring: Ich falle von Enttäuschung zu Enttäuschung. Dies bringt auch das Alter mit sich, weil man dann doch denkt: Ja, vielleicht kann ich doch noch einige Erneuerungen erleben, auf die wir seit über 50 Jahre warten. Doch das sieht wirklich nicht gut aus. Ich verkenne nicht das ganz große Verdienst von Papst Franziskus mit seinen vielfältigen Inspirationen; das ist unbestritten. Aber…

Mehr dazu.

Eine empirische Studie zu drei evangelischen Landeskirchen. Studie von Stefanie Brauer-Noss. Ein Buchhinweis.

12/2017

Die evangelischen Landeskirchen sind unter Druck geraten. Sinkende Mitgliedszahlen, finanzielle Unsicherheiten und Traditionsabbrüche sind nur die offensichtlichsten Faktoren, die seit einigen Jahrzehnten auf die Landeskirchen wirken und diese zu Veränderungen zwingen. Die Arbeit untersucht die Reformprozesse der Landeskirchen von Mitteldeutschland, Nordelbien und Württemberg seit Beginn der 1990er Jahre und bezieht dabei vor allem die Perspektive der Verantwortlichen der Reformprozesse in die Analyse mit ein…

Mehr dazu.