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Kirchenmitglieder

Das Wort Gottes und der Zahlenteufel. Zum Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung

Dr. Matthias Burchardt, Uni Köln

Spätestens seit Michel Foucaults Analysen zum Panoptismus ist der Zusammenhang von Sichtbarkeit und Macht offenkundig. Unter dem Zauberwort des ›Monitorings‹ expandiert das Regime des Ökonomismus in alle Lebensbereiche, etabliert Rechenschaftspflichten und Berichtswesen, verkürzt qualitative Phänomene auf quantitative Darstellungen in Zahlen und etabliert das Kriterium der Effizienz und Steuerungsmodelle via Kennziffern, so geschehen in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen im Namen von New Public Management. Dass diese inzwischen ubiquitäre Form des Wirtschaftens im ›neoliberalen‹ Geiste von Milton Friedmann und Gary S. Becker noch nicht einmal die Kriterien sinnvoller Ökonomie erfüllt, ist inzwischen offenkundig, da der Ökonomismus keine Güter oder Lebensfelder (OIKOS) bewahrt oder hervorbringt, sondern diese im Umschlag der kreativen Zerstörung liquidiert. Zum Artikel.

Debatte um Umbenennung des Martinsumzug beruht auf einer Ente

Leidenschaftlich wurde über die Zukunft des Martinsumzug mit Laternen diskutiert. Weil die eigene kulturelle Identität schrittweise ausgehöhlt wurde und aus vielen Festen nur noch austauschbare Konsumzwänge werden, klanges nun plausibel das dem Fest auch der letzte Teil seiner alten Bedeutung genommen wird. Die Berichterstattung führte zu hefiten Diskussionen als ob die Zukunft des Abendlandes an dem Festnahmen eines Kindergartens in der Provinz abhinge.
Nur die Aufregung hat einen Nachteil. Niemand hat den Martinsumzug seinen Namen gerbaut. Lesen sie in der Sueddeutschen Zeitung die Hintergründe und Folgen für die KiTa.

Wie belastbar sind die kirchlichen Mitgliedschaftsstatistiken?

Argumentiert wird von offizieller Seite immer mit einem langjährigen, Jahrzehnte währenden Rückgang der Kirchenmitglieder um 1% p.a. Daran werden verschiedentlich Zweifel geäußert. Die offiziellen Zahlen belegen zwar die These. Allerdings berücksichtigen sie u.a. nicht, dass die Mitgliederzahlen in den 90iger Jahren ‚bereinigt‘ werden mussten. So wurden z.B. in der EKKW bis Mitte der 90iger Jahre Mitglieder auch am Zweiwohnsitz gezählt. Dies erfährt man in einer kleinen Anmerkung der entsprechenden Statistik der ekkw_2013.  Dort steht die Anmerkung: “ (1) Zählung ab 1995 ohne 2. Wohnsitze“. Die Gemeindeglieder mit doppeltem Wohnsitz waren also bis dahin (1995) zwei mal in der Statistik. Mit der Datenkonsolidierung sank selbstverständlich die Zahl der Kirchenmitglieder überproportional. Dies war in anderen Landeskirchen auch so. Und es ist nur ein Argument für das genau zu betrachtende und zu hinterfragende Argument der sinkenden Kirchenmitglieder.

Mehr dazu erfahren Sie im Artikel „Sinkende Kirchenmitglieder?“ von Pfrin Katharina Dang in einem Artikel der wort-meldungen.

Zum ersten Mal: Eine Folge kritischer Fragen und Stimmen zum Reformprozess im EKBO-Wochenblatt „die Kirche“

In der evangelischen Wochenzeitung „die Kirche“ erschien in der Nr. 26 vom 30. Juni 2013, S. 3 das erste Interview einer mehrteiligen Folge zum Reformprozess der EKD. „Auf den Geist Gottes Vertrauen“ ist der ganzseitige Artikel überschrieben. In der Überschrift wird Isolde Karle’s Meinung hervorgehoben: „Der aktuelle Umbau in den evangelischen Kirchen orientiere sich zu sehr an Profit-Unternehmen.“ Zum Weiterlesen wird ihr Buch empfohlen: Kirche im Reformstress, Gütersloh 2010. Isolde Karle ist Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität in Bochum und lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.

Eine Woche später, in der 27. Ausgabe vom 7. Juli 2013, S. 9 kam Heinzpeter Hempelmann zu Wort, Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg und „Referent für die EKD-Denkfabrik ‚Mission in der Region‘ in Stuttgart“. Er wurde von Martin Rothe nach den Ergebnissen des Heidelberger Sinus-Instituts befragt und plädiert für „Pfarrer als Teamplayer auf regionaler Ebene. Gemeinsam sollen sie zuständig sein, möglichst viele Milieus in ihrer Region zu erreichen. Dies befördere nicht die Segregation, denn die gebe es jetzt schon. Das Bild vom Leib Christi überträgt er auf die verschiedenen Milieukirchen, die sich von Zeit zu Zeit zum Feiern und Bekennen des gemeinsamen Gottes treffen sollten.

In der 28. Ausgabe vom 14. Juli 2013 wird auf S. 6 in einem längeren Leserbrief von Gudrun Thiem aus der Matthias-Claudius- Gemeinde Berlin-Heiligensee große Dankbarkeit über die Meinungen von Isolde Karl geäußert und der fehlende Realitätsbezug des Reformpapiers „Kirche der Freiheit“ betont. Frau Thiem schreibt: „Oft habe ich den Eindruck, dass die Basis schon viel weiter ist, als alle mit viel Aufwand hergestellten Papiere, deren Durcharbeitung den mit drängenden Problemen beschäftigten GKRs zusätzlich zugemutet wird. Ärgerliches Beispiel: das Arbeiten mit Zielen. Als ob solches nicht schon von jeher die Voraussetzung dafür wäre, dass lebendige Gemeinden entstehen, und zwar durch das Engagement vieler, in verschiedenen Bereichen kompetenter haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter.“

Auf S.9 folgt das dritte Interview von Martin Rothe zum Reformprozess, dieses Mal mit Jan Roß, dem Zeit-Redakteur und Autor des Buches „Zur Verteidigung des Menschen. Warum der Mensch Gott braucht“, Rowohlt-Berlin Verlag 2012. „Europa braucht ein Christentum, das nicht labert, sondern Güte und Liebe ausstrahlt.“ ist seine These. Er fragt: „Wie soll eine evangelische Kirche überleben, die nicht zu sagen weiß, was sie glaubt, und die kaum noch Gläubige hat.“ Die evangelikalen Kirchen würden die der Zukunft sein, während der „Mainstream-Protestantismus“ von heute verschwinden werde. Die Gesellschaften seien schon jetzt religiös fast völlig erkaltet.

Doch die Redaktion überschrieb den Artikel mit großen Buchstaben: „Heilig und auf der Höhe der Zeit.“ Lassen wir uns überraschen von den nächsten Folgen der Serie!

Dr. Katharina Dang

Wahl und Kirchenmitgliedschaft

Union verdankt Erfolg den christlichen Wählern

Zum Erfolg der Unionsparteien bei der Bundestagswahl am 22. September haben wesentlich Katholiken im Westen Deutschlands und Protestanten im Osten beigetragen. Das ermittelte das Forschungsinstitut infratest dimap im Auftrag der ARD.  

http://kultur-und-medien-online.blogspot.de/search/label/Christentum%20und%20Politik

Wahl und Kirchenmitgliedschaft

Zum Erfolg der Unionsparteien bei der Bundestagswahl am 22. September haben wesentlich Katholiken im Westen Deutschlands und Protestanten im Osten beigetragen. Das ermittelte das Forschungsinstitut infratest dimap (Berlin) im Auftrag der ARD.

 

http://de.paperblog.com/bundestagswahl-union-verdankt-erfolg-kirchenmitgliedern-655284/

Ehrenamtliches Engagement in Kirchengemeinden – Repräsentative Befragung (2012)

Die vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (SI) im Jahr 2012 durchgeführte und 2013 ausgewertete Erhebung liefert erstmals ein umfassen des Bild zu ehrenamtlichen Tätigkeiten in evangelischen Kirchengemeinden.

Aus den Ergebnissen der Studie:

Die ehrenamtliche Mitarbeit in Kirchengemeinden ist in hohem Maße von einem Mehrfachengagement geprägt. Durchschnittlich übernimmt ein / eine Ehrenamtliche(r) in einer Gemeinde vier verschiedene Aufgaben. 26 Prozent haben sogar fünf bis sieben Aufgaben übernommen und wiederum jeder Siebte leistet seinen Dienst in acht oder mehr Bereichen (14 %). Diejenigen mit nur einer Aufgabe gehören deutlich zur Minderheit (14 %)…

Geht man pragmatisch von dem Mittelwert beider Erhebungen aus und rechnet dies auf der Grundlage einer durchschnittlichen ehrenamtlichen Tätigkeit von 14 Stunden/Monat hoch, ergibt dies ein Gesamtvolumen von 216 Millionen geleisteter Stunden pro Jahr…

Das Feld ehrenamtlicher Arbeit auf der Kirchenkreisebene ist ebenso vielfältig wie auf der Gemeindeebene. Quantitativ gesehen ist es allerdings ein recht kleiner Engagementbereich. In den vier vom SI exemplarisch untersuchten Kirchenkreisen liegt der Anteil der Ehrenamtlichen gemessen an der Gesamtzahl der Kirchenmitglieder im Kirchenkreis bei circa einem halben Prozent…

Die Zusammenfassung der Studie.

 

Gütekraft – von Charismatikern der Gewaltfreiheit lernen

Buchvorstellung:

Vorzustellen ist das weitgespannte Forschungswerk des Essener Pfarrers und Friedensforschers Martin Arnold über „Gütekraft“.

Von Paul-Gerhard Schoenborn

Das Wort „Gütekraft“ noch recht ungebräuchlich im deutschen Sprachraum. Es handelt sich um die Übertragung dessen, was Mohandas K. Gandhi mit einem von ihm geschaffenen speziellen Begriff „Satyagraha“ bezeichnete, die besondere, von ihm entwickelte, auf grundlegende Veränderung schlechter gesellschaftlicher Zustände abzielende Methodik, die im weitesten Sinn auf Anwendung von Gewalt bewusst verzichtet. In der englischsprachigen Literatur, die sich darauf bezieht, spricht man von „Nonviolence“.

Im Deutschen hat man in der Regel Nonviolence“ mit „Gewaltfreiheit“ bezeichnet oder von „Gewaltfreier Aktion“ gesprochen. Diese Übertragungen, sowohl die englische wie die deutsche, treffen aber, so Martin Arnold, nicht die positive Fülle dessen, was Gandhis Satyagraha“ ausmacht und was man bei der Inanspruchnahme dieser Streitkultur erfährt, in der es um gesellschaftliche Veränderung geht. Darum plädiert er seit langem- wie auch andere Friedensforscher – nun auch in seinem großen Werk für die Verwendung des Wortes „Gütekraft“.

Der neue Begriff steht für ein starkes allgemein-menschliches Potenzial, das in unserer Gesellschaft bisher wenig beachtet wurde. Dieses Potential, so wird in dem gesamten Werk Arnolds ausgeführt, ist in jedem Menschen. Es ermöglicht, auf kluge Weise Missstände abzubauen und Konflikte zu lösen. Es widerspricht dem weitverbreiteten gesellschaftspolitischem Zynismus und auch einem christlichen anthropologischem Pessimismus, die beide in lähmende Resignation führen. Denn es basiert darauf, dass jeder Mensch wohlwollend und gerecht behandelt werden möchte und im Grunde auch so handeln möchte. Es beschreibt ein tätiges Wohlwollen, durch das eine positive Interaktionsdynamik entstehen kann. Als Methode der Konfliktbearbeitung ist Gütekraft geeignet, davon ist Martin Arnold überzeugt, bei Einzelnen, in Gesellschaft und Politik bis zur globalen Ebene Missstände nachhaltig abzubauen.

Martin Arnolds Werk ist interessanterweise in zwei verschiedenen Verlagen erschienen: Der Band aus dem Nomos-Verlag, Baden-Baden

Martin Arnold: „Gütekraft – ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt“, mit einem Geleitwort von Johan Galtung, Nomos Verlag, Baden-Baden 2011, 283 Seiten, 19,00 Euro. ISBN 978-3-8329-6975-2

bildet den wissenschaftlich-abstrakten Rahmen des Werks. Die Seiten 1 – 80 bilden den Teilband 1 und leiten in das ganze Projekt ein. Die Seiten 81 -283 ziehen als Teilband 5 theorie-praktische Folgerungen aus den Teilergebnissen der drei anderen Bände, die im Verlag Bücken & Sulzer, Overath erschienen sind:

Martin Arnold: „Gütekraft – Hildegard Goss-Mayrs christliche Gewaltfreiheit“, Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2011, 149 Seiten. 12,50 Euro. ISBN 978-3-936405-65-1

Martin Arnold: „Gütekraft – Gandhis Satyagraha“, Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2011, 411 Seiten, 24,80 Euro. ISBN 978-3-936405-66-8

Martin Arnold: „Gütekraft – Bart de Ligts humanistische Geestelijke Weerbaarhe“, Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2011, 321 Seiten, 17,90 Euro.
ISBN 978-3936405-67-5

In diesen drei Büchern werden drei prominente Friedensaktivisten vorgestellt. Es sind Hildegard Goss-Mayr, eine katholische Österreicherin, Mohandas K. Gandhi, ein Hindu, und der Niederländer Bart de Ligt, der als Calvinist begann, aber zu einem entschiedenen atheistischen Humanisten wurde. Diese Menschen, um deren Lebenswerk es geht, sind in total verschiedenen geistig-spirituellen Kontexten zu ihren auf Vermehrung von Frieden abzielenden Reflexionen und Aktionen gekommen. Es geht Martin Arnold um deren grundsätzlichen Äußerungen, um Freilegung der Triebkräfte hinter ihren Friedensaktivitäten. und ihre erfolgreichen gesellschaftspolitische Emanzipationskampagnen. Er möchte herausbekommen, ob es jenseits ihrer ideologischen Kontexte etwas Gemeinsames, etwas Verbindendes, etwas in ganz andere Situationen Übertragbares gibt.

Ich wende mich zunächst diesen drei Teilbänden zu. Martin Arnolds Vorgehensweise ist in jedem Band gleich. Er informiert über die entscheidenden Knotenpunkte im Leben dieser drei Charismatiker der Gewaltfreiheit. Er analysiert zentrale authentische Dokumente, Selbstzeugnisse und Publikationen. Er wertet zudem Darstellungen oder Bewertungen durch andere Forscher aus. Sein Bestreben zielt darauf hin, festzustellen, wie und in welchen Teilschritten sich Gütekraft in Friedensaktionen bei diesen engagierten Menschen zur Geltung kam und auf die ausgestrahlt hat, die von ihnen inspiriert und aktiviert wurden.

Hildegard Goss-Mayr

Hildegard Goss-Mayr (geboren 1930), Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes, ist tief verwurzelt im christlichen Glauben katholischer Prägung. Gemeinsam mit ihrem Mann Jean Goss, den mystische Erfahrungen in deutscher Gefangenschaft zur aktiven, in der Erfahrung der Liebe Gottes gründenden Feindesliebe antrieben, arbeitete sie sich immer tiefer in Theorie und Praxis gewaltfreier Friedensaktionen ein. Sie inspirierte mit nachhaltigem Erfolg die gewaltfrei-gütekräftigen Bewegungen zur Beendigung der Marcos-Diktatur auf den Philippinen (1986) und der Ratsiraka-Diktatur auf Madagaskar (2001). Sie begleitete über zwei Jahrzehnte Hungerstreiks und andere Aktionen der gewaltfreien lateinamerikanischen Bewegung „Justicia y Paz“, eines wichtigen Seitenzweigs der Theologie der Befreiung, in engem Kontakt mit dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel.

In mehreren Büchern, die zu Handbüchern gewaltfreier Aktionen wurden, reflektierten Hildegard Goss-Mayer und Jean Goss ihre Erfahrungen. Zwei dieser Werke sind leicht greifbar in der von Thomas Nauerth herausgegebenen digitalen „Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie“ (DbSOB67, Berlin 2004), nämlich: Hildegard Goss-Mayr: „Der Mensch vor dem Unrecht – Spiritualität und Praxis gewaltloser Befreiung“ und: Hildegard Goss-Mayr, Jean Goss: „Evangelium und Ringen um den Frieden – Einüben in die Gewaltfreiheit des Evangeliums und die Methoden zum Engagement“.

Martin Arnold stellt minutiös dar, wie die in Wien lebende „Grand Old Lady“ der gewaltfrei-gütekräftigen Konfliktlösung das Funktionieren ihres wirkungsvollen Engagements für Gerechtigkeit und Frieden vor und nach großen Aktionen reflektiert und in Schulungen und Handbüchern weitergegeben hat. Er arbeitet heraus, dass die Begründung ihres gütekräftigen Handelns transzendente, damit unverfügbare Komponenten hat, nämlich die Gewissheit, dass ihre Liebe zu den Menschen, auch den Konfliktgegnern, für Hildegard Goss-Mayr von dem herrührt, was Gottes Liebe in ihrem Herzen entzündet hat. Über diese religiöse, genauer: christliche Dimension sagt sie einmal: „Wir wussten, dass in dieser Pioniersituation letztlich nicht wir es sind, die wirksam werden, sondern Gottes Kraft durch uns.“ (Teil 2 der Gesamtstudie, S. 66). Martin Arnold ist es aber wichtig festzustellen, dass Hildegard Goss-Mayr zugleich davon überzeugt ist, dass , dass „Gütekraft eine in jeden Menschen grundgelegte Urkraft ist“, nämlich dass in jedem potentiell „die Kraft zu lieben, gerecht zu sein und in der Wahrheit zu stehen“ angelegt ist. (S.65). Am Schluss dieses Teilbandes konzentriert Martin Arnold die in der Praxis der christlichen Friedensaktivistin bewährten und pädagogisch durchreflektierten Handlungsschritte in graphischen Zusammenfassungen, die mich an (etwas komplizierte) Tafelbilder in früheren Schulklassen erinnern.

Mohandas K. Gandhi

Mohandas K. Gandhi (1869 – 1948) wurde weltweit bekannt als politischer und geistiger Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, die durch gewaltfreien Widerstand („ziviler Ungehorsam“) und spektakulären Fastenaktionen („Fasten bis zum Tode“) schließlich im Jahre 1947 das Ende der britischen Kolonialherrschaft herbeiführte. Zuvor hatte der indische Rechtsanwalt in Südafrika gegen die rassistische Diskriminierung seiner dort lebenden Landsleute gekämpft und für die Gleichberechtigung aller Landesbewohner eingesetzt. Man legte ihm den Ehrennamen „Mahatma“ = „Große Seele“ bei. In Folge seiner gewaltfreien politischen Aktionen verbrachte er acht Jahre in Gefängnissen. Im Jahre 1948 erlag er einem Attentat.

Mahatma Gandhis Grundhaltung Satyagraha, das beharrliche Festhalten an der Wahrheit und Vertrauen auf Güte, umfasst neben Ahimsa, der Gewaltlosigkeit, noch weitere ethische Forderungen wie etwa Swaraj, was sowohl individuelle als auch politische Selbstkontrolle und Selbstbestimmung bedeutet. Gandhi sprach Gefühle und Gewissen seiner Gegner an, um sie umzustimmen und als Freunde bzw. Verbündete zu gewinnen.

Wir wollen uns nach der leisen Stimme des Herzens in unserem Inneren richten und uns nicht davon abhängig machen, ob andere dasselb tun. Dann strahlen wir Güte auf alle aus und sie strahlen sie zurück.“ (Teilband 4, S. 21) Wie stellt sich der Hindu die Wirkungsweise seines persönlich-gesellschaftlich-politischen Gütekraft-Konzepts vor? Dazu hat Martin Arnold die einhundert (!) Bände (!) von Gandhis ‘Collected Works’ mithilfe der seit wenigen Jahren vorliegenden Digital Edition ausgewertet. So ist – sehr detailliert und kleinschrittig – dieses umfangreichste Buch seines Werkes entstanden. Wer sich in Zukunft nicht nur schnell und oberflächlich, sondern gründlich mit Gandhi beschäftigen will, sollte zu diesem Buch greifen, denn hier wird er umfassend informiert. Ausgehend von Gandhis Begriff der Seele entwickelt Martin Arnold einen neuen, einfachen Ansatz zum Verstehen der Großen Seele (= Mahatma) für westlich geprägte Menschen. Gandhi habe nicht nur geredet, sondern habe „gewaltfreie Waffen“ entwickelt, mit denen er durchaus experimentierte und deren Grenzen er erfuhr. Sein ganzes Leben, sagt Martin Arnold, sei reflektiertes Experiment gewesen. Und er war damit politisch erfolgreich.

Auch dieser Band weist am Ende eine graphische Zusammenfassung auf: „Satyagraha – Das Ideal und der Vorgang seiner Verwirklichung: Alle Menschen wissen unbewusst oder bewusst: Im Wertvollsten des Menschen sind alle miteinander verbunden. Daher neigen allezu Wohlwollen und Gerechtigkeit allen gegenüber. Das Wertvollste ist die Potenz zur Selbstlosigkeit, die in vollkommener Selbstlosigkeit gipfelt. Selbstlosigkeit schließt Satyagraha für eigene Interessen aus.“ Das ist ein unerreichbares Ideal, aber durch Übung, durch Selbstdisziplin möglich. (Teilband 4, S. 372)

Bart de Ligt

Bart de Ligt (1883-1938) wurde von Freunden und Mitstreitern „Gandhi des Westens“ genannt. Mir war er bislang nicht bekannt. Dass es in den friedensbewegten achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine engagierte, teilweise liebenswert chaotische Friedensbewegung in den Niederlanden gab, habe ich in seinerzeit in persönlichen Begegnungen wahrgenommen. Nichts aber wusste ich davon, dass seit der Zeit des Ersten Weltkriegs bis zur Okkupation Hollands durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg dort eine europaweit wirksame humanistisch-pazifistische Bewegung gab, die aber nach 1940 völlig verschwand. So nehme ich an, dass dieser Teilband 4 über Bart de Ligt, einem der wichtigsten Vordenker und Vorkämpfer dieser untergegangenen niederländischen Friedensbewegung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht nur für mich eine wichtige Wahrnehmungserweiterung darstellt, sondern auch für andere an der Geschichte der Friedensbewegung Interessierte.

Bart de Ligt nennt sein erfolgreich angewandtes gewaltfreies Kampfkonzept für Gerechtigkeit und Frieden „Geestelijke Weerbaarheid“ (wörtlich: geistig-sittliche Wehrhaftigkeit). Darüber dachte er lebenslang nach, sie ist die Basis seines Friedens-Wirkens. Sein Denk- und Handlungsaxiom lautet: „Die Wahrheit und die Menschlichkeit – dies sind Kräfte, mit denen im Leben auch gerechnet werden muss.“ (Teil 4 der Gesamtstudie, S. 19) Und zwar in mir, bei meinen Freunden, aber auch bei meinen Gegnern.

Der Sohn eines calvinistischen Pfarrers studierte Theologie und wurde selbst auch im Jahre 1910 Pfarrer in der kleinen Dorfgemeinde Nuenen. Einer seiner Vorgänger war der Vater Vicent van Goghs! Er trat in diesem Jahr dem „Bond van Christen-Socialisten“ bei und wwurde ihr geistiger Führer. Während des Ersten Weltkriegs engagierte sich energisch für Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Er geriet deswegen in verschiedene Konflikte, wurde vor Gericht gezogen und ging für einen kurzen Zeitraum ins Gefängnis, weil er eine Geldstrafe nicht akzeptierte. Seine konservative Kirche und er entfremdeten sich zunehmend. Statt mit biblisch-theologischer Literatur befasste er sich mit anarchistischen Autoren. Im Jahr 1918 gab er sein Pfarramt auf und trat konsequenterweise aus der Kirche aus. Er lebte hinfort als engagierter Redner und freier Schriftsteller. Bedeutende Wegmarken seines Erfolges sind: 1921 Gründung der War Resisters‘ International, 1923 Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, 1938 Gründung der ersten Friedensakademie.

Martin Arnold erarbeitet in diesem Teilband 4 nicht nur die Biographie. Er stellt vor allem das Konzept des entschiedenen Freidenkers und Sozial-Anarchisten dar und analysiertseine Vorstellungen unter Wirkungsaspekten. Eine Besonderheit der Arbeit liegt in der Liste von fünfundsechzig „Direkten Aktionen“ für den Frieden bzw. gegen den Krieg seit der Antike, die er aus Bart de Ligts umfassenden Forschungen zur Menschheitsgeschichte unter Friedensgesichtspunkten zusammengestellt hat. (S. 122 – 142). Auch hier fasst er am Ende des Teilbandes die geistigen Prozesse und die dem entsprechenden praktischen Schritte in mehreren graphischen Übersichten zusammen.

Martin Arnolds Auswertung

Ich komme zum Schluss nun wieder auf den wissenschaftlich-abstrakten Rahmen des Werkes: Gütekraft – ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit …“ aus dem Nomos Verlag zurück und zwar auf den Teilband 5, die Seiten 81 -283.

Martin Arnold hatte bei den drei prominenten Friedenskämpfern durch abstrahierenden Reflexion jeweils eine idealtypische Struktur erarbeitet und eine Abfolge methodischer Schritte graphisch dargestellt. Er vergleicht nun die Komponenten in den Grundanschauungen und entwickelt entsprechende Tabellen (Teilband 5, S. 97ff). So gelingt es ihm, das Gemeinsame in den drei verschiedenen Plausibilitätsstrukturen sichtbar zu machen und es auf generelle Übertragbarkeit beziehungsweise Anwendbarkeit zu befragen.

Die Synthese, in mehreren Kapiteln erläutert, ist verblüffend:. Das Vertrauen auf Gütekraft ist nicht an weltanschauliche – christliche, hinduistische, atheistisch-humanistische gebunden. Ganz gleich, welchen ideologischen Background ein Mensch oder Aktionsgruppen haben, es lohnt sich, bei Konflikten und Konfliktlösungen Aktionen durchzuführen, die sich auf Gütekraft verlassen und diese zum Zug kommen zu lassen.

Der Aufweis der einzelnen Schritte von Gütekraft-Prozessen durch Martin Arnold hat einen spürbaren Aufforderungscharakter. Leser seines Werkes sollen bei sich erwägen, ob sie bei passender Gelegenheit nicht selbst – auf diese oder in abgewandelter Weise – es nicht auch mit Gütekraft versuchen wollen.

Der große norwegische Friedensforscher Johan Galtung stellt in seinem Geleitwort dem Werk Martin Arnolds ein hohes Lob aus: „Martin Arnold hat den Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Friedensforschung im Besonderen mit der Meisterleistung der Abfassung dieses Buches über die Kraft, die darin liegt, gut zu sein und Gutes zu tun, einen riesigen Dienst erwiesen. Es ist sicher die umfassendste Arbeit über Theorie und Politik der Nonviolence. … Glückwünsche und Dank an Martin Arnold!“ (Teilband 1/5, S. 9)

Paul Gerhard Schoenborn, Dellbusch 298, 42279 Wuppertal, p-g-s@gmx.de

Gnadenlose Postmoderne – theolgische Beurteilung einer Epoche

 

Gnadenlose Postmoderne

Postmoderne, so zitiert der Autor Prof. Chr. Schwöbel, Tübingen, den französischen Soziologen Lyotard „bedeutet, daß man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt“

Spirituelle Folge, so der Autor, ist der Verlust der Gnade, d.h. die Erfahrung eines Angenommenseins und -werdens durch
Gott, das vor und jenseits aller eigenen Leistung und Rechtfertigung liegt… Zum Vortrag von Prof. Schwöbel, Uni Tübingen.

 

Luhmann vs. Habermas revisited. Zwei Funktionale Religionstheorien in ihrer Bedeutung für Bildung in säkularen Gesellschaften

In den Ansätzen von Luhmann und Habermas spiegeln sich damit zwei unter-schiedliche Deutungen der formativen Funktion von Religion wider. Habermas betont die normative Dimension der formativen Funktion von Religion. Damit wird betont, dass „alle formativen Funktionen (…) zurückgebunden an die Wertebasis von Personen“ (Huber 2001, 40) sind. Formative Funktionen umfassen dann die Herausbildung von Werten, (normative) Persönlichkeitsbildung oder das Engagement in sozialen Bewegungen. Demgegenüber steht ein zweites Verständnis der (formativen) Funktion der Religion, das sich bei Luhmann zeigt. Denn bei ihm ist die formative Funktion nicht an die normative Dimension gebunden, sondern von dieser sogar klar geschieden. Religion will vielmehr die blinden Flecken der ausdifferenzierten Gesellschaft thematisieren.“ Den vollständigen Artikel von Michael Reder lesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Kinder Abrahams und der neue Kampf um alte Tabus – Religion und Sexualität

Judentum, Christentum und Islam haben in ihrer Geschichte ein Verhältnis zu Körperlichkeit und Sexualität gezeigt, das oft von Schweigen und Strafen geprägt war. In allen drei Religionen wurde die Sexualität der Frauen problematisiert und Homosexualität verfolgt und unterdrückt. Die Regulierung des Begehrens ist noch immer eine große Quelle der Macht über die Gläubigen. Eine Diskussion mit Michael Goldberger (Rabbiner und Rektor), Thomas Römer (Professor für das Alte Testament), Hilal Sezgin (Schriftstellerin, Publizistin und Journalistin), moderiert von Carolin Emcke.

Zum Video der Diskussion.