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Ökumene evangelisch-katholisch

Wir brauchen keinen ökumenischen Versöhnungsschleim. Ein anderer Kirchentag 2017. Interview mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb

03/2017, Religionsphilosophischer Salon

Die Fragen stellte Christian Modehn

…Man ergeht sich in innerkirchlicher Selbstbeweihräucherung, indem man die Überwindung theologischer Gegensätze feiert, die schon längst niemand mehr versteht, geschweige denn interessiert. Die kirchlichen Würdenträger auf evangelischer wie katholischer Seite zelebrieren ökumenische Verbundenheit in dem irrigen Glauben, gemeinsam könnten sie im Kampf gegen die säkulare Welt besser bestehen. Die Evangelischen sind dabei so sehr von der Angst ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung getrieben, dass sie sogar vor Unterwerfungsgesten der nach wie vor machtvoll auftretenden Katholischen Kirche nicht zurückschrecken. Sie fahren nach Rom, nachdem der Papst sich geweigert hatte, nach Wittenberg zu kommen. Wie soll angesichts so viel theologischer Selbstverleugnung der evangelischen Kirchenführer das protestantische Prinzip noch zur Geltung kommen können? Es wird auch auf dem Kirchentag dem innerkirchlich motivierten ökumenischen Einheitswahn zum Opfer fallen….

Es ist schon so: das protestantische Prinzip verbindet sich eng mit der reformatorischen Einsicht in die Rechtfertigung allein aus Glauben, damit, dass diese in letzter Instanz Gottes und nicht des Menschen Sache ist. Aber es greift über das Kirchliche ins Politische und Gesellschaftliche hinein. Es beschreibt, was es heißt, in Politik und Gesellschaft aus der „Freiheit eines Christenmenschen“ zu leben. Aus der theologischen Lehre vom Priestertum aller Gläubigen folgen dann der demokratische Grundgedanke der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und ihr Recht auf Mitbestimmung in allen das Gemeinwesen bestimmenden Angelegenheiten.

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Die Reformation hinaustherapieren? Zur Kritik am gemeinsamen Dokument von EKD und DBK „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“. Von Martin Schuck

12/2016

Vor zehn Jahren wurde der Münchner Kirchenhistoriker Friedrich Wilhelm Graf im Interview mit der „Zeit“ gefragt, welcher Feiertag ihm lieber sei: Weihnachten oder der Reformationstag? Graf antwortete, der Philosoph Hegel habe seinen besten Rotwein nicht an Weihnachten, sondern am Reformationstag aufgemacht, und er könne das gut nachvollziehen. Immerhin sei das der Tag, an dem daran erinnert werde, dass „die eine autoritäre Kirche entmachtet wurde“. Negativ gesagt, so Graf, sei das der Beginn der Kirchenspaltung, positiv formuliert beginne hier jedoch die Pluralisierung des Christentums, „aus der viele Freiheiten der Moderne erwachsen“. Außerdem werde daran erinnert, dass sich ein einzelner Geistlicher gegen die fast allmächtige Institution der Papstkirche gestellt habe und religiöse Autonomie einklagte.
Es ist schade, dass nach einem Jahrzehnt intensiver Vorarbeit auf das Reformationsjubiläum am Ende nichts anderes steht als der Versuch, die vor einem halben Jahrtausend aufgebrochenen und in den Transformationsprozessen der Neuzeit sich weiterentwickelnden Differenzerfahrungen des Christentums aus dem individuellen und kollektiven Bewusstsein hinaustherapieren zu wollen. Aber ein ganzes Jahrzehnt lang die Reformation als Gründungsimpuls für die evangelischen Kirchen zu feiern, konnte schließlich nicht gut gehen. Von dem Zeitpunkt an, als die katholische Kirche auf Beteiligung drängte, wäre eine grundlegende Besinnung notwendig gewesen: Will man sich auf die katholische Logik einlassen, wonach eine einseitig positive Würdigung der Reformation unmöglich sei, weil die „Kirchenspaltung“ schließlich kein Grund zum Feiern ist? Folgt man dieser Logik, liegt es tatsächlich nahe, die Reformation als Schuldgeschichte zu betrachten.
Aber es wäre eben auch anders gegangen: Jenseits der üblichen konsensökumenischen Gewohnheiten hätte auch eine Einladung an die katholische Kirche stehen können, ihrerseits mit den Protestanten zusammen darüber nachzudenken, welche Vorteile auch die katholische Kirche aus den durch die Reformation ausgelösten Modernisierungsprozessen ziehen konnte. Oder sehnt sich tatsächlich noch irgendein Katholik zurück nach der (katholischen) Einheitswelt des Mittelalters?
So aber müssen sich die Protestanten bei aller Vorfreude auf die großen Events eingestehen, dass sich in den theologischen Beiträgen und liturgischen Feiern die katholische Sicht durchgesetzt hat. Überdeutlich wird das auf Weltebene an jenem Ereignis, das durch das lutherisch-katholische Dialogdokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ (2013) ausgelöst wurde: nämlich der Besuch des Papstes in Lund am 31. Oktober 2016 zur Feier der Eröffnung des Reformationsjahres am Ort der Gründung des Lutherischen Weltbundes vor 70 Jahren. Die Begegnung mit Papst Franziskus sei auf lutherischer Seite „zentrales Element“ der „Gedenkveranstaltungen“, so bislang unwidersprochen der leitende Direktor des katholischen Johann-Adam-Möhler-Instituts in der evangelischen Zeitschrift „Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim“.
Kein Wunder also, dass sich auch in den nationalen Debatten die katholische Sicht vom „Gedenken“ an die Stationen einer „Schuldgeschichte“ durchgesetzt hat. Diese Haltung zu fördern, ist die Absicht des gemeinsamen Wortes des Rats der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz „Erinnerungen heilen – Jesus Christus bezeugen“. Als politisches Projekt zur Versöhnung der Menschen in Südafrika unmittelbar nach dem Ende der Apartheid und auch zur Beendigung des Bürgerkriegs in Nordirland war „Heeling of Memories“ ein sinnvolles Konzept. Auch die kirchliche Erprobung in Rumänien, wo verschiedene konfessionell geprägte Volksgruppen nach dem Ende des Kommunismus sich gegenseitig die Schuld für Verfehlungen in der Zeit der Diktatur vorwarfen, führte zu einer sinnvollen Aufarbeitung der Schuld von Menschen, die danach versöhnt miteinander weiterleben konnten.
Diesen Ansatz auf lange zurückliegende geschichtliche Ereignisse übertragen zu wollen, ist aber fragwürdig, weil vorausgesetzt wird, dass die heute Lebenden Handlungen von vor 500 Jahren als schuldhaft bewerten, obwohl diese im Bewusstsein der damaligen Akteure völlig legal waren und den damals geltenden Normen entsprechend durchgeführt wurden. So etwas könnte man als Arroganz der Nachgeborenen bezeichnen.
Völlig unerträglich wird es dann, wenn die Autoren die vor 500 Jahren sehr intensiv geführten theologischen Debatten um die Wahrheit des Evangeliums banalisieren, indem sie diese nur von ihren späteren Folgen her bewerten. Wenn gesagt wird, der Papst und die Bischöfe hätten damals nicht die Kraft gehabt, die Vorgänge in Deutschland und der Schweiz „angemessen einzuschätzen und konstruktiv zu reagieren“, und auf der anderen Seite sei „der Eigensinn der reformatorischen Bewegung stärker ausgeprägt als der Wille zur Einheit“, dann erscheint die Reformation als Folge von Trägheit, Eitelkeit und anderen moralischen Defiziten. Die Schuldgeschichte beginnt dann nicht bei den Religionskriegen, sondern bei der menschlichen Haltung der Reformatoren, die für ihre Vorstellung von Wahrheit die Einheit der Kirche verantwortungslos aufs Spiel gesetzt hätten. An anderer Stelle erscheinen die Reformatoren als theologisch ungebildet, weil sie nicht erkennen konnten, dass es bei dem als „Werkgerechtigkeit“ bewerteten Traditionsgut, „dass der Glaube durch die Liebe geformt werden müsse“, eigentlich „um eine umfassende gnadentheologische Anthropologie der Freiheit“ gehe. Die reformatorischen Theologen gingen „bei ihrer Kritik von ihrem eigenen Glaubensbegriff aus, ohne die spezifische Begrifflichkeit der Scholastik und des Konzils konstruktiv zu würdigen“.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Wären die Theologen vor 500 Jahren so empathisch, klug und sensibel gewesen wie heutige Ökumeniker, dann hätte es keine Reformation, keine Kirchenspaltung und auch keine evangelischen Kirchen geben müssen, und die Einheit der abendländischen Christenheit unter dem Papst wäre erhalten geblieben. Das muss man als Protestant aber nicht unbedingt wollen.

Papst Franziskus und die Lutheraner. Gilt die Reformation immer noch als Kirchenspaltung? von Prof. Jan-Heiner Tück, NZZ

02.11.16, NZZ
In der Erklärung des Papstes und des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes ist von «geistlichen und theologischen Gaben» die Rede, welche die Reformation gebracht habe. Das lässt aufhorchen.

Allerdings hat Papst Franziskus, der in einem Interview bemerkt hat, die Ökumene auch jenseits der akademischen Theologie voranbringen zu wollen, eine solche Anerkennung nicht ausgesprochen, ja er hat in Lund das Wort «Kirche» auffällig vermieden und durchgängig vom «Lutherischen Weltbund» gesprochen.

Im Blick auf überzogene Erwartungen ist daher festzuhalten: Die gemeinsame Erklärung spricht von der «Sehnsucht» nach Abendmahlsgemeinschaft und betont die Dringlichkeit, die Frage theologisch entschiedener anzugehen. Das ist die klare Markierung eines Desiderats, aber noch keine Lizenz!…  Zum Artikel.

Die Welt brennt – die Kirchen verzetteln sich im Klein-Klein. Wittenberger Appell.

Erklärung der Versammlung christlicher Reformgruppen vom 21. – 23. Oktober 2016 in Lutherstadt Wittenberg
Die Welt brennt – die Kirchen verzetteln sich im Klein-Klein
Geschwisterlich Kirche sein in gemeinsamer Verantwortung für die Welt
Reformationsjubiläum Jubiläen bringen es mit sich, auf die Anfänge zurückzublicken und darauf, wie prächtig sich doch alles entwickelt hat. Sind 500 Jahre Reformation in diesem Sinne ein Jubiläum wert? Kirchenspaltungen und Religionskriege, gegenseitige Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Ausgrenzungen bis in die letzten Jahrzehnte, ja bis heute, sind kein Ruhmesblatt für die Kirchen. Nach langem, redlichem Bemühen in der ökumenischen Bewegung scheinen die Gräben zwischen den Konfessionen eher wieder tiefer zu werden. … Mehr dazu.

»Skandalöser Zustand«. Prominente Christen fordern gemeinsames Abendmahl – auch gegen den Widerstand der Kirchenoberen

08.10.2016, Bayerisches Sonntagsblatt

Mit Blick auf das 500. Reformationsjubiläum im nächsten Jahr dringen prominente Christen auf das Ende der Kirchenspaltung. In Berlin riefen prominente Vertreter aus katholischer und evangelischer Kirche Christen beider Konfessionen zum gemeinsamen Abendmahl auf, auch gegen den Widerstand der Kirchenoberen…  Mehr dazu.

500 Jahre Reformation: Die evangelische und die katholische Kirche haben sich auf einen Text verständigt. taz

09/2016, taz

Die Reformation gemeinsam betrachten: Die evangelische und die katholische Kirche haben sich auf einen Text verständigt….

Während sich die EKD schon seit etwa zehn Jahren auf aufwändige Reformationsfeierlichkeiten einstellt und dafür auch viel staatliche Hilfe erhalten hat, wusste die katholische Kirche Deutschlands lange Zeit nicht recht, wie man sich der großen Feierei der evangelischen Schwestern und Brüder stellen sollte. Insofern ist das gemeinsame Wort zum Reformationsjubiläum schon ein recht eindrucksvoller Schritt in der Ökumene – ebenso wie das Bekenntnis der beiden höchsten Repräsentanten der beiden Volkskirchen, Bedford-Strohm und Marx: „2017 werden wir erstmals in der Geschichte der getrennten Kirchen die Erinnerung an den 500. Jahrestag der Reformation auch in ökumenischer Gemeinschaft feiern.“…

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Langweilige Theologie. Von Martin Schuck.

08/2016

Theologie treiben beinhaltete schon zu allen Zeiten die Aufgabe, das Gott-Welt-Verhältnis der Zeitgenossen zu ergründen, zu reflektieren und mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu konfrontieren. Dabei orientierte sich die Form der Theologie meist sehr genau am Zustand ebendieser gesellschaftlichen Verhältnisse.
Brachte das frühe Mittelalter eine lange Periode statischer Verhältnisse, so war die Scholastik legitimer Ausdruck dieser Verhältnisse. In genau dem Augenblick, als diese Statik, verursacht durch die Entwicklung des Städtewesens, durch erste naturwissenschaftliche Forschungen und durch humanistische Bildungsinitiativen, aufzubrechen begann, ging dieser Riss auch durch die scholastische Theologie und Philosophie und es entstand die Scheidung in Nominalismus und Realismus. Die weitere Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Verhältnisse mündete kirchenpolitisch in die Reformation mit ihrer sehr dynamischen Theologieentwicklung, je nach den vorherrschenden gesellschaftlichen Formationen in eine lutherische (ländlich-feudale) und eine reformierte (städtisch-frühbürgerliche) Variante. Der zumindest in Mitteleuropa misslungene Versuch der physischen Vernichtung der Reformation führte auf der aktiven (katholischen) Seite zur ebenfalls recht produktiven Theologieentwicklung des Trienter Konzils, das als Geburtsort der modernen römisch-katholischen Kirche gelten kann; auf der passiven (reformatorischen) Seite bildeten sich dagegen Strategien zur Sicherung des Erreichten aus, die sich als konfessionell-theologische Systembildungen der lutherischen und reformierten Orthodoxie darstellten.
Die nach der Reformation für die europäische Geistesgeschichte wohl produktivste Periode war die Zeit der Aufklärung; die in ihr sich vollziehenden Transformationsprozesse des Denkens übertrugen sich vollständig auf die Theologie und führten zur Neuformulierung der klassischen Inhalte reformatorischer Theologie unter den Bedingungen neuzeitlicher Subjektivität. Aber erst die Phase der Restauration nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon und dem Wiener Kongress führte die Theologie mit Daniel Friedrich Ernst Schleiermacher zu jener Systembildung, die in der Philosophie bereits nach der Französischen Revolution mit den vernunftkritischen Werken von Immanuel Kant abgeschlossen war.
So wie sich die Werke der Philosophen in der Nachfolge Kants, namentlich bei Fichte und Hegel, als Bemühung zur Konsolidierung der Aufklärungsphilosophie durch die Phase des deutschen Idealismus hindurch zu statischen Entwürfen der Restauration lesen lassen, so leitet in der Theologie Schleiermacher diese Konsolidierungsbemühung direkt ein – unter Auslassung des idealistischen Umweges. Das restliche 19. Jahrhundert ist geprägt durch allerlei Ungleichzeitigkeiten, die sowohl in der Philosophie als auch in der Theologie ihren Ausdruck gefunden haben; in der Philosophie etwa in der doppelten Nachwirkung Hegels sowohl im Marxismus als auch in der preußischen Staatstheorie Friedrich Julius Stahls und in der Theologie in der Abarbeitung des Schleiermacher’schen Systems durch die liberale Theologie ohne direkte Verbindung zur parallel verlaufenden Entwicklung des konfessionellen Luthertums.
Zu einer weiteren Transformation innerhalb der Theologie führte die Abkehr vom landesherrlichen Kirchenregiment nach 1918, und jetzt waren es die in die Selbständigkeit entlassenen Kirchen selbst, die immer mehr zum Gegenstand theologischen Nachdenkens wurden. Eine der letzten Äußerungen, die nicht die Kirchen-, sondern die Zeitbezogenheit der Theologie fordert, stammt von Ernst Troeltsch aus dem Jahr 1913: „Die heutige Dogmatik soll der heutigen Zeit dienen, die keine Zeit der Kirchengründung, sondern der religiösen Unruhe und Krisis, der intellektuellen und ethischen Umwälzungen ist. Da müssen die Kirchen, gerade um dem Leben zu genügen, individuelle Freiheit gewähren und kann gerade eine solche Dogmatik vielen Gläubigen entsprechen, während anderen Gruppen andere dogmatische Leitfäden entsprechen werden. Wenn die Kirchen diese Weitherzigkeit nicht mitmachen wollen oder können, so werden sie in den Hintergrund gedrängt werden. […] Die heutige Krise wird nicht durch kirchliche Neugründungen, sondern durch Ausweitung und Beweglichmachung der Kirchen überwunden.“
Spätestens mit dem Siegeszug des Barthianismus als wirkmächtiger Kirchentheorie Nachkriegsdeutschlands wurde die von den Barthianern gerne im Mund geführte Zeitbezogenheit der Theologie immer mehr zum reinen Postulat, denn es ist jetzt die Kirche, die selbst sowohl zum Produzenten als auch zum Adressaten der Theologie mutiert. Exemplarisch für diese neue Kirchentheorie stehen Sätze aus Barths Vortrag „Offenbarung Kirche Theologie“, der 1957 im dritten Band der „Gesammelten Vorträge“ abgedruckt wurde: „Theologie ist wie alle anderen Funktionen der Kirche ausgerichtet auf das Faktum, daß Gott gesprochen hat und daß der Mensch hören darf. Theologie ist ein besonderer Akt der Demut, die dem Menschen durch dieses Faktum geboten ist. Darin besteht dieser besondere Akt der Demut: in der Theologie versucht die Kirche, sich immer wieder kritisch darüber Rechenschaft zu geben, was es heißt und heißen muß vor Gott und vor den Menschen: Kirche zu sein. Existiert doch die Kirche als eine Versammlung von Menschen, und zwar von fehlbaren, irrenden, sündigen Menschen. Nichts ist weniger selbstverständlich als dies, daß sie immer wieder aufs neue Kirche wird und ist. Sie existiert unter dem Gericht Gottes. Eben darum kann es nicht anders sein, als daß sie sich auch selbst richten muß, nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nach dem Maßstab, der identisch ist mit dem Existenzgrund, also nach Gottes Offenbarung und also konkret nach der Heiligen Schrift. Und eben dies: die immer wieder notwendige und gebotene Selbstprüfung der Kirche am Maßstab des göttlichen Wortes ist die besondere Funktion der Theologie in der Kirche.“
Kurz vorher reflektierte Barth im gleichen Vortrag über die Wissenschaftlichkeit der Theologie und führte dabei eine Kategorie ein, die verblüffen lässt, nämlich die Kategorie der Langweiligkeit: „Gibt es eine Wissenschaft, die so ungeheuerlich und so langweilig werden könnte wie die Theologie? Der wäre kein Theologe, der nicht von ihren Abgründen noch nie erschrocken wäre oder der vor ihnen zu erschrecken aufgehört hätte.“
Barth zeichnet eine Korrelation von Wissenschaft, menschlicher Wirklichkeit und Wahrheit, deren Pointe darin besteht, dass ästhetische und psychologische Wahrnehmungen darüber entscheiden, ob Theologie ihre Bestimmung erreicht oder eben verfehlt, und nichts anderes als das Verfehlen ihrer Bestimmung lässt das Prädikat langweilig als angemessene Beschreibung erscheinen: „Unter allen Wissenschaften ist die Theologie die schönste, die den Kopf und das Herz am reichsten bewegende, am nächsten kommend der menschlichen Wirklichkeit und den klarsten Ausdruck gebend auf die Wahrheit, nach der alle Wissenschaft fragt, am nächsten kommend dem, was der ehrwürdige und tiefsinnige Name einer ‚Fakultät’ besagen will, eine Landschaft mit fernsten und immer noch hellen Perspektiven wie die von Umbrien oder Toskana und ein Kunstwerk, so wohl überlegt und so bizarr wie der Dom von Köln oder Mailand. Arme Theologen und arme Zeiten in der Theologie, die das etwa noch nicht gemerkt haben sollten. Aber unter allen Wissenschaften ist die Theologie auch die schwierigste und gefährlichste, diejenige, bei der man am ehesten in der Verzweiflung oder, was fast noch schlimmer ist: im Übermut endigen, diejenige, die zerflatternd und verkalkend, am schlimmsten von allen zu ihrer eigenen Karikatur werden kann.“
Da genau an diese Passage die Frage nach der Möglichkeit von Langeweile anschließt und aufgrund der nur rhetorisch gestellten Frage die Antwort gleich mitgesetzt ist – ja, Theologie kann langweilig sein –, entsteht eine inhaltliche Unklarheit, wie genau Theologie beschaffen sein muss, um Langeweile zu vermitteln; das Zitat bietet als Möglichkeiten an: schwierig, gefährlich, in die Verzweiflung treibend, im Übermut endend, zerflatternd, verkalkend sowie zur eigenen Karikatur werdend.
Was also ist langweilige Theologie? Ich wage die Behauptung, dass Theologie genau dann langweilig ist, wenn sie weder in zeitdiagnostischer noch in wirklichkeitserschließender Absicht betrieben wird. Langweilige Theologie wird also vor allem dort getrieben, wo Theologie nachgefragt wird entweder zur institutionellen Selbstrechtfertigung der Kirche oder wo ein scholastischer Umgang mit Bekenntnistexten gepflegt wird, der die Glaubenspraxis der Zeitgenossen ebenso ignoriert wie die Transformationsprozesse der Neuzeit. Der erste Fall ist beispielhaft zu beobachten an der kürzlich vorgenommenen Selbsterklärung der EKD zur Kirche, der zweite geschieht auf geradezu klassische Weise in den ökumenischen Dialogen zwischen evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche.
Zum ersten Fall: In der Debatte um die „Kirchwerdung“ der EKD werden eigentlich keine echten theologischen Argumente gebraucht, sondern ein einziger theologischer Satz wird zum Zwecke der institutionellen Selbstrechtfertigung so ausgelegt, dass sich aus ihm Konsequenzen kirchenpolitischer Art ziehen lassen. Der Satz: Die EKD „ist als Gemeinschaft ihrer Gliedkirchen Kirche“ ist als theologischer Satz dann richtig, wenn er die ebenso grundlegende wie banale Wahrheit ausdrückt, dass die EKD als Bund rechtlich selbständiger Kirchen Teil der einen weltumspannenden Kirche Jesu Christi ist. Dieser Satz bedarf keiner weiteren theologischen Diskussion. Die Diskussion, die sich diesem Satz anschloss, wurde jedoch nicht in theologischer, sondern in kirchenpolitischer Absicht geführt. Das Ziel bestand nicht darin, eine dogmatische Wahrheit auszudrücken, sondern darin, eine kirchenrechtliche Setzung auf den Weg zu bringen, die bei Bedarf ausbaufähig ist und eine Zentralisierung der kirchlichen Verwaltung im Kirchenamt der EKD ermöglicht. Eine solche Absicht muss jedoch offen kommuniziert und ehrlich diskutiert werden. Mit Theologie hat das alles sehr wenig zu tun, und dementsprechend wenige Theologen ließen sich auf diese Debatte ein. Machttaktische Absichten einer kirchlichen Institution in theologische Argumente zu transformieren, mag für die mit dieser Aufgabe befassten Theologen interessant und sogar lehrreich sein. Auf die Rezipienten wirkt diese Art von Theologie einfach nur – langweilig.
Zum zweiten Fall: Seit die römisch-katholische Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen hat, sich mit einem eigenen Ökumenismusprogramm an der ökumenischen Bewegung zu beteiligen, führen vom Vatikan eingesetzte Dialoggruppen Lehrgespräche mit Vertretern der evangelischen Konfessionskirchen mit dem Ziel, Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirche zu gehen. Obwohl die sichtbare Einheit die Zielperspektive einzig der römisch-katholischen Kirche ist, wird dieses Programm wie selbstverständlich als Leitperspektive für sämtliche Dialogteilnehmer unterstellt. Die Zielperspektive der evangelischen Kirchen, Kirchengemeinschaft in der versöhnten Verschiedenheit nebeneinander existierender Konfessionskirchen zu praktizieren, findet in den veröffentlichten Texten keinerlei Beachtung.
Die theologische Gratwanderung der evangelischen Teilnehmer in den Dialoggruppen besteht nun darin, Verständigung mit den römisch-katholischen Teilnehmern einzig über einen Bestand an Lehrformulierungen, der in den konfessionellen Bekenntnisschriften aus dem 16. Jahrhundert niedergelegt ist, erreichen zu sollen. Diese Vorgabe ignoriert jedoch die Realität fast aller evangelischer Kirchen, da diese Bekenntnisse zwar einen auch heute noch gültigen Grundkonsens über das Verständnis des Glaubens aussagen, aber ihre Rolle als disziplinierende Instanz im Verhältnis zwischen den Gläubigen und der kirchlichen Obrigkeit seit dem Ende der lutherischen und reformierten Orthodoxie verloren haben. In der römisch-katholischen Kirche wird jedoch gerade diese disziplinierende Wirkung vorausgesetzt, wie die restriktive Zulassung auch der katholischen Christen zur Eucharistie deutlich macht.
Aufgrund der Rolle, die die Lehre innerhalb der katholischen Kirche spielt, kann dort die Einheit der Kirche nur als Gemeinschaft mit einer einheitlichen Lehre, für deren Vollständigkeit und Wahrheit der Papst steht, gedacht werden. Die evangelische Vorstellung von Einheit verwirklicht sich dagegen in einer Gemeinschaft, die sich zwar über die Wahrheit des Evangeliums verständigen kann, aber gerade deshalb eine Pluralität von kirchlichen Bekenntnissen akzeptieren und diese sogar als sichtbares Ergebnis der Freiheit des Evangeliums positiv würdigen kann.
Diese beiden Konzepte sind Ausdruck unterschiedlicher Auffassungen vom Kirchesein, und gerade deshalb ist es für evangelische Theologen eine überaus unbefriedigende Aufgabe, sich in Dialogkommissionen Gedanken darüber zu machen, wie man auf bekenntnispositivistische Weise Formulierungen auf gemeinsame Aussageinhalte hin untersucht, die nur als „differenzierter Konsens“ zur Darstellung gelangen können und keinerlei praktische Konsequenzen haben, weil die ökumenischen Kernfragen wie Kirchen- und Amtsverständnis aufgrund eines nicht kompatiblen Offenbarungsverständnisses unlösbar sind.
Wieder gilt: Die Teilnehmer der ökumenischen Kommissionen mögen ihren Spaß und sogar persönliche Befriedigung an dieser Art des Theologietreibens finden. Beim Lesen der veröffentlichten (und in aller Regel nur einseitig oder gar nicht ratifizierten) Dokumente stellt sich dagegen schnell Langeweile ein.
Vielleicht kann in Zeiten, wo die Kirche sich selbst zum Gegenstand der Theologie macht, Theologie, die sich darauf einlässt, gar nichts anderes sein als langweilig. Das muss aber nicht so bleiben. Ändern wird es sich genau dann, wenn die Vertreter der wissenschaftlichen Theologie selbst merken, dass sie es sind, die für die Themen der Theologie zuständig sind – und nicht die Kirchenämter.

Mensch, wo bleibst Du? Katholikentag plus von Publik-Forum und Wir sind Kirche.

05/2016, von Wolfgang Kessler, Publik-Forum

Der 100. Katholikentag 2016 unter dem Motto »Seht, da ist der
Mensch« findet unter besonderen Vorzeichen statt: Mutig präsentieren
die Verantwortlichen Kirche und Glaube in einem weitgehend
nichtkirchlichen Umfeld – wohl wissend, dass dies die Herausforderung
der Zukunft sein wird.
Zum anderen ist das Christsein derzeit besonders herausgefordert.
Viele Menschen identifizieren Religion mit Gewalt. Angesichts
der Flüchtlinge schüren rechtsextreme Bewegungen Hass
und Angst. Die entfesselte Weltwirtschaft bedroht Mensch und
Natur. Die Unsicherheit ist mit Händen zu greifen.
»Mensch, wo bleibst du« in diesen Krisen? Diese Frage steht im
Mittelpunkt des Katholikentag-Plus-Programms, das die Kirchenvolksbewegung
Wir sind Kirche und Publik-Forum gestalten. Hier
kommen Persönlichkeiten wie Eugen Drewermann zu Wort, die
auf Katholikentagen noch immer unerwünscht sind. Hier wird
Ökumene gelebt. Und hier wird keine heikle Frage ausgelassen,
weil die Veranstalter unabhängig sind.
Unser Wegweiser führt Sie durch dieses Programm – und gibt
Tipps für andere Veranstaltungen während des Katholikentages. Wir
würden uns freuen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Mehr dazu.

Die Einheit von Lehre und Seelsorge geht verloren

Zeit 8.4.2016

Papst Franziskus hat sich nun in einem Lehrschreiben zur Sexualmoral und der Familie geäußert. Auch wenn sich in dem Dokument wenig konkretes befindet, birgt es dennoch Sprengstoff. Eine einheitliche Auslegung der Lehrmeinung ist nicht mehr zwingend. Statt dessen folgt der Papst weiter der „heilsamen Dezentralisierung“. Für die katholische Kirche ist das ein großer Umbruch, der gefestigt wird. War bisher die Einheit von Lehre und Seelsorge doch ein wichtiges Merkmal der katholischen Kirche.

Lesen Sie hier den Artikel.

Papst bittet um Vergebung für Kirchenspaltung

02/2016,  Rom (epd)

Papst Franziskus hat zum Abschluss der Gebetswoche für die Einheit der Christen die Zersplitterung der christlichen Konfessionen als „offene Wunde“ bezeichnet. „Wir bitten um Vergebung für die Sünde unserer Spaltungen“, sagte er bei einem ökumenischen Gottesdienst in der römischen Basilika St. Paul vor den Mauern. Er bitte überdies um Vergebung für nichtchristliches Verhalten von Katholiken „gegenüber Christen anderer Kirchen“… Mehr dazu.