Archiv für den Monat: Januar 2014

Prof. Michael Krätke: Neoklassik als Weltreligion?

Autor: Michael Krätke

Die heute herrschende Lehre der neoklassischen Ökonomie ist eine formidable geistige Macht. Sie beherrscht das politische Denken in allen kapitalistischen Demokratien (und in den nicht weniger kapitalistischen Autokratien der vormals Dritten Welt nicht minder). Jahr für Jahr werden weltweit Millionen angehender Intellektueller und zukünftiger »Führungskräfte« im Einheitsdenkstil der herrschenden ökonomischen Lehre unterwiesen. Wie einstmals die Beherrschung des Lateinischen oder später des Französischen ist heute die Beherrschung der »Sprache der Ökonomie« eine der wesentlichen Bedingungen, um Zutritt zu den internationalen Eliten in Politik und Wirtschaft zu erhalten. Diese Einheitssprache hat die politische Sprache gründlich erobert: Politiker, die als »seriös« gelten wollen, haben gefälligst in der Sprache der neoklassischen Ökonomie zu argumentieren. Kleinere terminologische Verwirrungen werden ihnen leicht vergeben; auf die Geste, die bereitwillige Unterwerfung unter die vermeintlich universelle Logik der ökonomischen Sachzwänge signalisiert, kommt es an. Die neoklassische Ökonomie hat längst den Status einer »Zivil-« oder »Alltagsreligion« erreicht. Sie liefert die Glaubenssätze, die Deutungsmuster und die Normen, an denen sich politisches wie soziales Handeln überhaupt zu orientieren haben und woran sie sich messen lassen müssen. Sie tritt auf als einzig legitime Vertreterin der »ökonomischen Vernunft« auf Erden. Zum Grundsatzartikel.

Prognosen und was daraus geworden ist. Zur Geschichte der ‚einfachen Formel‘ und der Problematik von Prognosen

1. Der Prozess ‚Kirche der Freiheit‘ 2006 setzte ein mit ‚Krisenalarmismus’1. „Auslöser für die als erforderlich angesehenen Reformen…(stellen) eindeutig die finanziellen Engpässe dar“2.  Die Argumentation ist notorisch: „Auf eine einfache Formel gebracht lautet die Zukunftsperspektive: Die evangelische Kirche wird im Jahr 2030 ein Drittel weniger Mitglieder als 2002 haben und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.“3 Dieses Schema taufte man in der EkiR von offizieller Seite sehr erhellend und treffend „einfache Formel“. Ein terminus technicus, den wir gerne aufgreifen und zur allgemeinen Verwendung empfehlen4.
2. Die Genese der „einfachen Formel“ reicht jedoch weiter zurück. Sie stammt aus der Zeit Mitte der 80er Jahre (immerhin: des 20. Jh.). Dort wird die Grundlage in einer Studie der EKD gelegt. Die Studie selbst ist uns nicht bekannt. Sie wird aber zitiert im Standwerk zu Kirchenfinanzen  von Wolfgang Lienemann (Die Finanzen der Kirche, 1989): „Eine neuere Studie der EKD scheint dabei von einem noch etwas stärkeren Rückgang auszugehen: Dort rechnet man bis zum Jahr 2030 faktisch mit einer Halbierung der Mitgliederzahlen der Evangelischen Kirchen und – aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung – mit einem Rückgang des Finanzaufkommens auf 40-46% des Volumens von 1980“. Auffällig ist die Langfristigkeit dieser Prognose von letztlich 45 Jahren!
3. „Prognosen sind schwierig. Insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.“ Ein Bonmot das unterschiedlichen großen Geistern zugeschrieben wird. Und das sich empirisch jederzeit verifizieren lässt. Auch hier. Nehmen wir als Beispiel nur die Bevölkerungsentwicklung (als Basis der Mitgliedschaftsentwicklung der Kirchen). Damals, 1989, hieß es: „Modellrechnungen des Statist. Bundesamtes weisen für das Jahr 2030 einen Rückgang der Wohnbevölkerung auf 42,59 Mio. Menschen (derzeit 56,6 Mio.) aus. Interessanterweise weist die Bevölkerungsprognose des Statist. Bundesamtes, die ein Jahr zuvor veröffentlicht wurde, für das Jahr 2030 eine Einwohnerzahl von 40,97 Mio. aus; damit wurde der erwartete Wert innerhalb nur eines Jahres immerhin um 1,6 Mio. Menschen (das sind etwa 4% der ersten Prognose!) korrigiert. Zwischenstand heute, 2014: 82 Mio. Einwohner. Gegenüber den bis heute zu erwartenden minus 9% ist ein Plus von ca. 30 % zu verzeichnen. Also insgesamt eine Differenz von fast 40 Prozentpunkten. Selbst wenn man die Wiedervereinigungsgewinne an ca. 16 Mio. DDR-Bürgern abrechnet, stünde immer noch ein empirisches Plus von ca. 18% dem prognostizierten Minus von 9% entgegen. Das wären dann 27% in ca. 25 Jahren – oder pro Jahr im Durchschnitt etwas mehr als 1 %. Was die Prognosen der Finanzentwicklung betrifft, ist diese Differenz nicht minder groß. Im Gegenteil. Die Prognosen weichen von den empirischen Werten bis heute um 100 Prozentpunkten ab (vgl. dazu: Friedhelm Schneider, Erkenntnisgewinne, Rätsel, Aufklärung, in Dt. Pfarrerblatt 1/2014).
4. Obwohl mittlerweile hinreichend empirisch falsifiziert sind, freut sie sich bis heute unter den Führungskräften großer Beliebtheit: So erst jüngst Bischof Hein, EKKW: „…gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (dazu gehört der Rückgang der Gemeindeglieder und damit der finanziellen Ressourcen)..“ Und man fragt sich: glauben diejenigen, die die einfache Formel verwenden, denn selbst wirklich noch dran?

vgl. zur Prognose der Kirchenmitgliedschaftsentwicklung auch hier.

Friedhelm Schneider

Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft im landeskirchlichen Vergleich

EKKW: „Das Ergebnis des Zensus 2011 bestätigt für unsere überwiegend ländlich strukturierte Kirche die negative Mitgliederentwicklung. Von rund 5,977 Mio. Einwohnern Hessens gehören… 40,2% der evangelischen Kirche an. Stellt man dies den Vergleichswerten der Volkszählung aus dem Jahr 1987 gegenüber, ergibt sich…ein Rückgang bei der evangelischen Kirche von 11,5 %.“

Der Rückgang beträgt demnach in der EKKW also  (nur) 0,48% p.a. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es Datenkonsolidierungen gab und dass Nordhessen eine Abwanderungsregion geworden ist. Dass also dieser Wert eigentlich besser, niedriger ausfiehle.

Die Werte der EKKW liegen bei 0,48% p.a.,

für die Bayerische Landeskirche liegen bei 0,6% p.a.,

für die EKHN bei 0,8 bis 0,9% p.a.,

und für die EKBO bei 1,6% p.a..

Die EKD geht dagegen von durchschnittlich 1,0% Rückgang aus.

Unternehmerlobby will die die Hochschulen steuern – Zum offenen Brief der Vorsitzenden der Hochschulräte an die NRW-Landesregierung

9. Januar 2014, Wolfgang Lieb.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Vorsitzenden der Hochschulräte in NRW mehrheitlich die Hochschulen als durch den Wettbewerb um die Einwerbung von Drittmitteln gesteuerte „Unternehmen“, ja noch mehr als die verlängerten Werkbänke der Wirtschaft betrachten, dann liefert diesen Beleg ihr offener Brief an die Landesregierung [PDF – 78.5 KB].
Allein dieses Schreiben an die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und an die Wissenschaftsministerin Svenja Schulze müsste eigentlich alle, für die die Freiheit von Forschung und Lehre noch den im Grundgesetz verbürgten hohen Wert besitzt, von der Notwendigkeit der Novellierung des bisherigen sog. „Hochschul-„Freiheits“-Gesetz des früheren FDP-Innovationsministers Pinkwart überzeugen. Zu den Beiträgen.

Wem gehört die Zeit?

Stress und Zeitdruck nehmen immer weiter zu. Immer mehr Menschen fühlen sich von den Zwängen beherrscht und können sich nicht ohne fremde Hilfe daraus befreien. Die Diagnose Burnout nimmt zu.

Auf der anderen Seite können wir so viel Zeit sparen, wie noch nie. Kommunikation, Verkehr und Freizeit sind technologisch so effizient, wie noch nicht gestaltet. Doch die gesparte Zeit ist schon längst verplant.

Der Theologe und Journalist Christoph Fleischmann versucht in seinem Artikel „Wem gehört die Zeit?“ zu erklären, wie beides zusammen hängt. Fleischmann blickt daher auf die Anfänge des Kapitalismus und einen Wandel der Mentalität. War die Zeit in der vorwiegend agrarischen Gesellschaft ein göttliches Gut, jenseits der eigenen Verfügungsgewalt, wurde es mit dem Beginn des Kapitalismus zu persönlichem Besitz. Mit der Folge, das dieser Besitz auch Teil der Wertschöpfung wird.

Unternehmerlobby will die die Hochschulen steuern

9. Januar 2014, Wolfgang Lieb.

Unternehmerlobby will die die Hochschulen steuern – Zum offenen Brief der Vorsitzenden der Hochschulräte an die NRW-Landesregierung

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Vorsitzenden der Hochschulräte in NRW mehrheitlich die Hochschulen als durch den Wettbewerb um die Einwerbung von Drittmitteln gesteuerte „Unternehmen“, ja noch mehr als die verlängerten Werkbänke der Wirtschaft betrachten, dann liefert diesen Beleg ihr offener Brief an die Landesregierung [PDF – 78.5 KB].
Allein dieses Schreiben an die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und an die Wissenschaftsministerin Svenja Schulze müsste eigentlich alle, für die die Freiheit von Forschung und Lehre noch den im Grundgesetz verbürgten hohen Wert besitzt, von der Notwendigkeit der Novellierung des bisherigen sog. „Hochschul-„Freiheits“-Gesetz des früheren FDP-Innovationsministers Pinkwart überzeugen. Zum Hintergrundsbeitrag.

 

Muslime in Deutschland

Von Sonja Haug (Universität Regensburg) und Anja Stichs (Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge, Nürnberg)

Über Muslime in Deutschland ist wenig bekannt. In der amtlichen Statistik ist erfasst, dass die katholische und evangelische Kirche jeweils etwa 25 Millionen Mitglieder haben, die jüdischen Gemeinden etwa 104.000.(i ) Da muslimische Gemeinden über keine zentrale Organisation und Registrierung verfügen, ist die Zahl ihrer Mitglieder unbekannt. Mehr dazu.

Friedrich Voßkühler: Etwas fehlt! Bildung zwischen persönlicher Sinnsuche und […] (Rezension)

Das vorliegende Buch befasst sich mit dem Bildungsbegriff. Diesem Bildungsbegriff mangelt es an etwas, und das, woran es ihm mangelt, ist nichts Geringeres als der Sinn. Wenn in diesen Tagen von notwendigen Bildungsreformen die Rede ist, handelt es sich um die Reform einer sinnlosen bzw. sinnentleerten Bildung. Eine solche Reform füllt die Leere nicht aus, und der Grund, warum das nicht der Fall ist, liegt schlicht und ergreifend darin, dass die Leere nicht in den Blick gerät. Das aber ändert nichts daran, das etwas fehlt. Der Autor von „Etwas fehlt! Bildung zwischen persönlicher Sinnsuche und sozialer Emanzipation“ nimmt sich dieser Leere im Bildungsbegriff an, er durchdenkt sie und beleuchtet sie aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die rund 190 Seiten stellen dabei nicht nur eine Kritik der Bildung, sondern auch eine radikale Gesellschaftskritik dar, in der eine solche sinnentleerte Bildung stattfinden kann. zur Quelle.
zum Autor: Friedrich Voßkühler war über dreißig Jahre lang Gymnasiallehrer in den Fächern Deutsch, Biologie, Ethik und Philosophie. Er ist nach wie vor als außerplanmäßiger Professor für Philosophie an der TU Darmstadt tätig.

51 kw „…so dass die finanziellen Auswirkungen nicht bezifferbar sind.“

„…so dass die finanziellen Auswirkungen nicht bezifferbar sind.“

So endet die wahrscheinlich letzte Vorlage (Drucksache Nr.17/14) des etwas vorzeitig aus seinem Amt scheidenden Personaldezernenten und stellvertretenden Leiters der Kirchenverwaltung Dr. Walter Bechinger/EKHN. Kein Scherz, ehrlich: „…so dass die finanziellen Auswirkungen nicht bezifferbar sind.“
Demgegenüber waren frühere Abschätzungen der Kostenwirkungen aus seiner Feder nachgerade präzise. Etwa die der Neuplanung der Pfarrstellenplanung, der sog. „Pfarrstellenbemessung 2025“. Dort hieß es – wie gesagt vergleichsweise präzise – : „Mit Einsparungen ist vor 2020 nicht zu rechnen“. Gewiss: die Ansprüche des Normenkontrollrates des Bundes (NKR), wären auch damit wohl kaum zu erfüllen gewesen. Denn dieser soll die Auswirkungen und Folgewirkungen von gesetzlichen Maßnahmen auf die Verwaltung, die Wirtschaft und den Bürger vor den Verfahren berechnen. Dies ist nun kein Plädoyer für einen kirchlichen Normenkontrollrat. Aber angesichts einer von Finanzskandalen aufgeschreckter Öffentlichkeit sollten doch gewisse übliche Planungsregeln eingehalten werden wie eben: Vor den Verfahren“ und „berechnen.

Aber hier: „…so dass die finanziellen Auswirkungen nicht bezifferbar sind.“

In aller Kürze zum Hintergrund. Im Konkreten Fall werden die Ausgaben der Landeskirche durch die Vorlage des OKR in Zukunft ganz offensichtlich steigen. Dafür gibt es drei Gründe:
1. die Anpassung der Urlaubesregelung der Kirchenbeamten an eine EKD-Regelung. Sie führt zu einer Erhöhung des Urlaubsanspruchs
namentlich für jüngere Kirchenbeamte.
2. den rückwirkenden Vollzug der Regelung ab 2011, der bis 2016 zu zusätzulich erhöhtem Urlaubsanspruch führt.
3. die Einfürung der Sabbatjahrregelung auch für Kirchenbeamte (!) analog der Regelungen für Pfarrerinnen und Pfarrern.
Die Kosten dafür werden nun wiefolgt bestimmt:

Dazu wird in der Drucksache festgestellt: „Finanzielle Auswirkungen: Die Zahl der jüngeren Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten, die durch die Neuregelung einen erhöhten Urlaubsanspruch erhalten, ist überschaubar. Außerdem wird durch die Übergangsregelung versucht, ihre urlaubsbedingte Abwesenheit zu entzerren. Daher werden aller Voraussicht nach keine Vertretungskräfte eingestellt, so dass die finanziellen Auswirkungen nicht bezifferbar sind.“

Logik? Sollten tatsächlich keine Vertretungskräfte eingestellt werden, was in der Vorlage praxisfern unterstellt wird, dann wären die finanziellen Auswirkungen
(hinsichtlich der Ausgaben) gleich Null. Hier wird aber konstatiert, sie wären nicht bezifferbar. Richtig jedenfalls ist, und da ist diese Vorlage leider nur allzu typisch: die tatsächlichen finanziellen Auswirkungen werden hier im Vorfeld auch weitreichender Beschlüsse nicht ermittelt (s.o.- Pfarrstellenbemessung). Obwohl das selbstverständlich – wie etwa hier unter Zuhilfenahme der Grundrechenarten – durchaus darstellbar wäre. Nehmen wir nur Beispiel 3, die Sabbatregelung für Kirchenbeamten.
Sie haben demnach in Zukunft alle 10 Jahre Anspruch auf 3 Monate (= 90 Tage) „Sabbatjahr“, oder pro Jahr 9 Tage. Der Einfachheit gerechnet auf 270 Arbeitstage sind das 3% ihrer Arbeitszeit. Die Kosten steigen also für den Punkt 3, Sabbatjahr, um 3%. Man könnte dies nun auch in absoluten Zahlen beziffern. Die EKHN hat x Kirchenbeamte, sie verdienen im Schnitt… etc. pp. Hier jedoch gilt:  „…so dass die finanziellen Auswirkungen nicht bezifferbar sind.“

Friedhelm Schneider

Die Kirche spart sich kaputt (Thema des Monats)

(zusätzlich ein Negativbeispiel zum Thema des Monats: „Management“, F.S.)

von Christoph Fleischmann

»Es ist für mich unerträglich, dass für meine Pension Menschen entlassen werden«, klagt ein Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ob er mit dieser Meinung allein steht, wird sich zeigen: Noch bis in diese Woche hinein tagt die Synode seiner Landeskirche. Ihr liegt der erste Teil eines umfangreichen Sparpaketes der Kirchenleitung vor. Bis zum Jahr 2018 sollen im Haushalt der gesamtkirchlichen Aufgaben zwanzig Millionen Euro gestrichen werden. Die rheinische Kirche ist kein Einzelfall…
Im Effekt werden durch den Sparkurs Haushaltsposten umgeschichtet: Wenn man sagt: Wir müssen sparen, um Defizite abzubauen, kann man drastische Einschnitte rechtfertigen. Wenn dann doch – überraschend – mehr Geld reinkommt, kann man es für Anderes ausgeben. Wenn man aber sagen würde: Wir entlassen Leute, um den Vorgaben der anderen EKD-Kirchen zu entsprechen oder (ebenfalls ein Thema im Rheinland) das neue Finanzmanagement einzuführen, würde das mehr Wind in der Synode verursachen.