Archiv für den Monat: Januar 2015

Thdeologische Religionskritik. Der vollständige Text der Einleitung des Sammelbandes von Prof. Marco Hofheinz.

Theologische Religionskritik. Tagungsband eines 3 tätigen Symposions 2013 in Hannover. 

mit Beiträgen u.a. der ProfessorInnen Michael Weinrich, Alexandra Grund, Georg Plasger, Ralf Wüstenberg, Raphaela Maeyer zu Hörste- Bührer, Friedrich Johannsen, Wolfgang Schobert, Marin Hailer, Margit Ernst-Habib, Matthias Zeindler und Marco Hofheinz.

daraus hier: Thesen zur religionskritischen Aufgabe der Theologie
aus der Einleitung von Prof. Marco Hofheinz. Zum vollständigen Text.

1. Im Streit um Wirklichkeit ist theologische Religionskritik (tR) ureigenste Funktion der christlichen Theologie. TR versteigt sich nicht zu Absolutheitsansprüchen, sondern ist primär Selbst- und Kirchenkritik.
2. TR nimmt die der Bibel bzw. den biblischen Traditionen eigene Religionskritik auf…
3. TR steht der sog. “natürlichen Theologie” kritisch gegenüber.
4. TR vermag im Unterschied zur Religionsapologetik atheistische Religionskritik zu integrieren.
5. Hinsichtlich des Verhältnisses zw. Religion und Gesellschaft entzieht sich tR den beiderseitigen Instrumentaliserunsgbedürfnissen:
Zum einen der Instrumentalisierung der Gesellschaft zugunsten der Religion (theokratische Versuchung) sowie der Instrumenatlisierung der Religion zugunsten der Gesellschaft (zivilreligiöse Versuchung).
6. TR und politische Verantwortung gehören aufs Engste zusammen. Die Wahrnehmung politischer Verantwortung ist ein Implikat theolgischer Religionskritik.
7. Hinsichtlich des interreligösen Dialogs eröffnet tR neue Gesprächsmöglichkeiten…
8. TR geht mit Bescheidenheit einher…

Zum amerikanischen Fundamentalismus. Von Prof. Peter Tepe, Düsseldorf und Prof. Noam Choamsky, MIT

Peter Tepe ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist u.a.  spezialisiert auf Fundamentalismusforschung. Wir übernehmen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung des Autors.

1.1 Zum amerikanischen Fundamentalismus

Grundsätzlich gilt: Alle Ideen, die mit der jeweiligen ‘absoluten’ Wahrheit in Konflikt geraten, werden vom Fundamentalisten als ‘großer Irrtum’ verworfen. Dieses Verwerfen ist unabhängig davon, ob z.B. eine Theorie nach wissenschaftlichen Kriterien gut bestätigt und kognitiv leistungsfähig ist. Die entscheidende Grundlage für die Ablehnung ist immer der Konflikt mit einer ‘absoluten’ Wahrheit, über die man zu verfügen glaubt. Wenn z.B. der „Glauben an den allmächtigen Schöpfergott“ den Status einer unumstößlichen Wahrheit hat, so müssen alle Lehren, die damit im Widerspruch stehen, abgelehnt werden – unabhängig von den Argumenten, die für diese Lehren ins Feld geführt werden. Zur ‘großen’ Glaubensgewißheit gehört also die apriorische Ablehnung aller damit in Konflikt stehenden Auffassungen.

Dieses Schema, das für RF 1 konstitutiv ist, lässt sich auf die unterschiedlichsten ‘Inhalte’ anwenden. Ein weiteres Beispiel, das für den amerikanischen Fundamentalismus relevant ist: Gilt etwa die „Irrtumslosigkeit der Bibel“ als unumstößliche Wahrheit, so muss die „Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die Bibel“ mit großer Sorge betrachtet werden. Denn die Interpretation der Bibel „mit denselben Methoden wie andere historische Dokumente auch“ hat zweifellos die Tendenz, den behaupteten religiösen Sonderstatus der Bibel zu unterminieren (15). Die historische Relativierung ist mit der Annahme, die biblischen Texte seien von Gott offenbart worden und enthielten die ‘absolute’ und vollständige Wahrheit, letztlich nicht vereinbar…
Eine solche Gestalt des zumindest ansatzweise politisierten Fundamentalismus (RF 2) finden wir in Nordamerika in den 20er Jahren. Den Anhängern ging es „nach dem Krieg v.a. um Aktionen gegen die von den ‘Modernisten’ vertretene ‘Irrlehre’“, sie „setzten ihre Hebel v.a. in der Schulausbildung an und machten in den folgenden Jahren das Thema ‘Evolution’ zu ihrer Sache. Ihre Anti-Evolution Crusade wurde ungeheuer populär und erreichte ihren Höhepunkt im Jahre 1925.“ (37)

Diese Version des RF 2 konnte sich jedoch nicht durchsetzen, überhaupt führte der Fundamentalismus (RF 1 und RF 2) „für mehrere Jahrzehnte ein Schattendasein in der amerikanischen Gesellschaft“ (38). Danach bahnte sich jedoch ein neuer Aufschwung an: Die „militanteren Fundamentalisten organisierten sich dann Ende der 70er Jahre in einer Form, die bis dahin im amerikanischen Fundamentalismus unbekannt war: sie taten sich mit der politischen Neuen Rechten zusammen und schufen so die New Religious Right […]. Damit tritt ein weiteres Novum hervor: zum erstenmal in der Geschichte der Vereinigten Staaten gibt es eine Koalition zwischen militanten Protestanten und Katholiken, geeinigt durch dieselben moralischen und religiösen Themen und durch dieselben Feindbilder.“ (39).
Diese Gestalt des politisierten Fundamentalismus (RF 2) zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie sich massiv neuer kommunikationstechnischer und werbestrategischer Mittel bedient. Einige Stichworte: „Direct Mail-Verfahren“ (39), Rekrutierung neuer Anhänger mehr durch „emotionsbesetzte Themen als durch komplexe politische Fragen“ (39), Kooperation mit „bekannten Fernsehpredigern“ (40), Gründung neuer „politisch-religiöser Gruppierungen“ mit dem Ziel, „rechte Christen für politische Aktionen zu mobilisieren“ (40).

Bekämpft wird der „säkulare Humanismus“. „Unter dem Oberbegriff ‘säkularer Humanismus’ fassen die Fundamentalisten alle ‘Lehren’, die die Menschen darin bestärken, zur Lösung individueller wie gesellschaftlicher Probleme allein ihren eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu vertrauen. Nach Meinung der Fundamentalisten habe der Einsatz dieser satanischen Waffen – liberale Erzieher, modernistische Kirchen und die Gerichte fungieren als ‘Instrumente’ Satans – zur Vergiftung des Denkens der Kinder und Jugendlichen, zur Infiltrierung der Kirchen und zur Verfälschung des Evangeliums geführt.“ (41f.)
Diese Grundauffassung führt zu diversen Kampagnen, z.B. gegen das „Recht zur Abtreibung auf Verlangen“, an denen sich auch „Fernsehprediger“ mit „geschicktem Einsatz moderner Kommunikationstechnologie“ beteiligen. Diese Version des RF 2 „verfolgt das langfristige Ziel, die eigenen ‘moralischen Prinzipien’ der gesamten Gesellschaft aufzuzwingen“ (48). Und das wiederum ist ein Merkmal, das auf alle Ausdifferenzierungen des RF 2 zutrifft.
Mit „Agitations-Propaganda wird das Gefühl von Bedrohung geschürt, das wiederum die Adressaten für politische Appelle empfänglicher macht, die darauf abzielen, die sog. social ills (die ‘Übel der Gesellschaft’) konkret zu bekämpfen. Die Adressaten werden dazu aufgefordert, ihren eigenen, individuellen Beitrag – etwa gegen Homosexualität – zu leisten, indem sie direkt auf ihre politischen Repräsentanten Einfluß nehmen.“ (43)

Dem „Zugriff auf die staatlichen Schulen“ wird besondere Bedeutung zugemessen, etwa im Sinn der Forderung der „gleichberechtigten Behandlung der ‘Lehre vom Kreationismus’ neben der Evolutionstheorie“ (43). Angestrebt wird darüber hinaus der „’Schutz’ vor der Konfrontation mit […] ‘unchristlichen’ Inhalten“ (43f.)…
Eine wichtige Aufgabe der verstehenden Denkformanalyse besteht darin, den Verbindungen des RF 1 und RF 2 mit einem Weltuntergangsdenken, vor allem aber mit einem apokalyptischen Denken nachzugehen. „Die Vorstellung, daß ‘Armageddon’ nahe sei, wurde durch wiederholte Äußerungen nicht nur fundamentalistischer Fernsehprediger, sondern auch Präsident Reagans genährt.“ (45)

Mehr dazu: gehen Sie auf das Feld „Fundamentalismus als Denkform“, dort Teil1: Religiöser Fundamentalismus.

 

Noam Chomsky interviewt von Amina Chaudary © Islamica Magazin , Ausgabe 19, April und Mai 2007

Choamsky stellt in aller Kürze die Entstehung und Entwicklung des christlichen Fundamentalismus in den USA im 20. Jh. dar. Dabei steht die signifikante Veränderung der Gestalt ab 1982, dem Beginn der Regierung Ronald Reagans, im Zentrum. Die USA ist demnach heute „eines der fundamentalistischsten Länder der Welt“.  „Das passierte in den vergangenen 25 Jahren und Religion ist jetzt eine enorme Kraft – fundamentalistische Religion, auf keinen Fall alle Religionen.“

hieraus kurzer Auszug:

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Noam Chomsky: Nun, die wesentlichen Probleme der Welt sind fast definitionsgemäß diejenigen, die in den mächtigsten Staaten auftreten, denn was auch immer diese Staaten betrifft, betrifft jeden. Und der mächtigste Staat der Welt sind die USA, und sie sind zufällig auch eins der fundamentalistischsten Länder der Welt. Extremistische fundamentalistische Religion könnte in den USA einen größeren Einfluss auf die Öffentlichkeit haben als im Iran, obwohl ich noch nie eine Umfrage aus dem Iran gesehen habe. Aber ich bezweifle, dass 50 Prozent der Bevölkerung dort glauben, die Welt sei vor 6000 Jahren geschaffen worden, und zwar genau in der Form, wie sie jetzt ist.

Das ist eigentlich seltsam, denn lange zurück in der amerikanischen Geschichte bis zur Zeit der Kolonisten gab es immer wieder Epochen religiöser Erweckungsbewegungen. Zuletzt sahen wir das in den 1950er Jahren, die eine große Periode religiöser Erweckungsbewegungen waren. Dadurch kommen wir zu Sätzen wie „In God We Trust“ (Wir vertrauen auf Gott) und „One Nation under God“ (Eine Nation unter Gott). Religiöse Erweckungsbewegungen sind in den letzten Jahren wieder stärker geworden. Bis vor wenigen Jahren waren sie keine wichtige Kraft in politischen Angelegenheiten. Das passierte in den vergangenen 25 Jahren und Religion ist jetzt eine enorme Kraft – fundamentalistische Religion, auf keinen Fall alle Religionen. Beispielsweise waren die USA oft stark gegen das Christentum eingestellt…

Das vollständige Interview.

„Mein Bruder“. Offener Brief des Regisseurs Luc Besson an seinen muslimischen Bruder, der in Frankreich unzählige Leser erreichte und immer weiter geteilt wird.

13.01.2015

Mein Bruder,

mein Bruder, wenn Du wüsstest, wie schlecht ich mich heute fühle für Dich, Dich und Deine schöne Religion, die so beschmutzt, gedemütigt, beschuldigt wurde. Vergessen sind Deine Kraft, Deine Energie, Deine Menschlichkeit, Deine Brüderlichkeit. Das ist ungerecht, und gemeinsam werden wir sie beseitigen, diese Ungerechtigkeit. Millionen lieben Dich, und wir alle werden Dir helfen. Fangen wir am Anfang an. Wie sieht die Gesellschaft aus, die wir Dir anbieten?…  Zum vollständigen Text.

Der große Unterschied zwischen den geschätzten und realen Muslimen

Ausgerechnet dort, wo es kaum Muslime in Deutschland gibt erreicht die PEGIDA mit ihren geschürten Ängsten die größten Erfolge. Europaweit wird die Anzahl der Muslime jedoch von der Bevölkerung viel höher eingeschätzt als sie es tatsächlich sind. Spitzenreiter ist Frankreich. Einen Bevölkerungsanteil von 8% schätzen die meisten auf 31%. In Deutschland ist der Unterschied weniger groß. Hier vermuten die Bürger 19% Muslime statt der realen 6%.

In fast jedem Land wird hingegen der Anteil der Christen kleiner als die Realität geschätzt. (Quelle FAZ)

Bestätigen die eigenen Verfallstheorien der Kirchen auch die DemonstrantInnen von PEGIDA?

Atheismus im Mittleren Osten. Eine postislamistische Generation?

17.12.2014,, Mona Sarkis, NZZ 

Die arabischen Aufstände scheinen gescheitert – und die radikalen Islamisten die Gewinner. Tatsächlich aber haben die Revolten von 2011 eine Bewegung freigesetzt, die vielfach unbemerkt blieb: die Hinwendung zum Atheismus. Dessen Anhänger sind dem «Islamischen Staat» zahlenmässig sogar weit überlegen.
2014 befragte die Al-Azhar-Universität, Ägyptens wichtigste religiöse Institution, 6000 Bürger und kam zum Ergebnis: 12,3 Prozent von ihnen sind Atheisten. 2012 befragte das renommierte Marktforschungsinstitut Win/Gallup International 502 Saudiaraber und kam zum Ergebnis: 19 Prozent von ihnen sind «nicht religiös», weitere fünf Prozent gar überzeugte Atheisten. Vorausgesetzt, dass diese Zahlen repräsentativ sind, hiesse das: Fast ein Viertel der rund 29 Millionen Saudis ist latent oder akut religionsmüde. Und das ausgerechnet in dem Land, das die heiligsten Stätten des Islam hütet und dessen Herrscherhaus seit 1744 seine gesamte Raison d’être auf einem fundamentalistischen Religionsverständnis aufbaut…

Artikuliert werden solche Fragen und Ideen vor allem in den sozialen Netzwerken. Über 70 arabisch- und englischsprachige Facebook-Seiten mit atheistischen Inhalten verzeichnet der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker von der Universität Wien 2013 in einem Überblick…

Dazu sehr klug in den Nachdenkseiten:

Anmerkung Orlando Pascheit: Wenn die junge Ägypterin fragt: “Es ist also aus religiöser Sicht gut, eine Frau wegen Ehebruchs zu steinigen – aber einen 70-Jährigen, der eine 10-Jährige heiratet, soll man beglückwünschen?!”, da fühlt sich der liberale wie auch der konservative Westler bestätigt und möchte am liebsten wie weiland Professor Higgins mehr sich selbst bejubelnd singen: I think she’s got it/ Ich glaub jetzt hat sie’s. Schwieriger wird es dann für unsere Fundis inklusive kirchlichen Spitzenpersonals, wenn Aynur fragt: “Gott gab den Homosexuellen Instinkte – verbietet ihnen aber, diese auszuleben. Wozu gab er sie ihnen dann? Um sie zu quälen?” Und schwierig wird es nicht nur für der politischen Islam, sondern auch geistliche Vertreter des ganz normalen Islam um die Ecke, wenn die junge Frau fragt: “Wenn Gott und Mensch zwei voneinander getrennte Entitäten sind, muss Gott doch räumlich begrenzt sein? Sonst könnte er ja in den Menschen einfliessen – womit Gott und Mensch eins wären” Da tut sich natürlich auch unser Geistlicher vor Ort schwer.
Es tut sich mehr im Nahen Osten als der so intensiv wahrgenommene Feldzug des IS. Mona Sarkis stellt in ihrem lesenswerten Artikel das Versagen des politischen Islam als Auslöser einer Bewegung in das Zentrum, von der der Soziologe Asef Bayat einen “Postislamismus” erhofft, als einem System, in dem radikale religiöse Lesarten schrittweise zugunsten einer Fusion mit zivilen Freiheiten aufgegeben werden. – Natürlich ist es interessant und erfreulich, wenn der saudische Scharia-Gelehrte und ehemalige Salafist Abdullah al-Maliki 2011 den Schlachtruf ‘Der Islam ist die Lösung’ in ‘Die Souveränität der Umma ist die Lösung’ abwandelte und damit laut Sarkis die Herrschaft der Individuen, Sippen oder Einzelparteien ablehnt und das Volk Referenzpunkt der Legislative ansieht. Sein Buch sei damit ein Plädoyer für ein demokratisches Modell. – Bemerkenswerter fand ich persönlich die Aussage des bekennenden Atheisten Syrers Fadi, es sei fatal, die Religion aus lauter Frustration über ihren Missbrauch durch Machtmenschen über Bord zu werfen. Ihn jetzt unreflektiert abschütteln zu wollen, hieße, ein Vakuum zu schaffen, das nicht die Souveränität der Völker, sondern den nächsten Absturz bringe. Das ist kritische Klugheit, die sich nicht mehr in einem einfachen “Dagegen” erschöpft.

vgl. Pos. 10, Anm. Orlando Paschelt

…eine immer lebendige Quelle< - Erich Fromm als jüdischer Denker. Dr. Domagoj Akrap.

in: Fromm Forum (Deutsche Ausgabe – ISBN 1437-0956) 17 / 2013, Tübingen

Der Titel meines Vortrags mag vertraut und befremdend zugleich klingen. Auf der einen Seite wurden in allen nennenswerten biographischen Darstellungen zu Erich Fromm der orthodoxe familiäre Hintergrund und die traditionelle jüdische Erziehung hervorgehoben, auch die Bedeutung dieser Sozialisation für seinen weiteren Werdegang wurde regelmäßig betont. Andererseits wurde noch nie der Versuch unternommen, Fromm explizit als „jüdischen Denker“ zu verstehen, sein Werk und ihn in das Kontinuum jüdischen Denkens zu integrieren, das insbesondere im 20. Jahrhundert außerordentlich reich und vielgestaltig in Erscheinung trat.
Bevor nun über Fromm gesprochen werden kann, muss noch geklärt werden, was denn unter dem Begriff „jüdisches Denken“ zu verstehen sei. Dieser Frage soll der erste Teil der Ausführungen gewidmet sein. Im zweiten Teil soll in einem kurzen Exkurs die kürzlich aufgestellte These von Philip Wexler – Sozialpsychologie sei eine säkulare Version religiöser Theorie – aufgegriffen werden. Im dritten Teil sollen die drei wichtigsten Quellen Fromm‘schen Denkens analysiert werden, um am Ende den Versuch zu unternehmen, die schwierige Frage – „Ist Fromm ein jüdischer Denker?“– zu beantworten. Zum vollständigen Artikel.

Christlicher Glaube zwischen Toleranz und Abgrenzung. Von Pfr. Dr. Rainer Oechslen, dem Islambeauftragter der Bayerischen Landeskirche.

1. Wir beginnen mit einem Gedicht des großen Orientalisten und Übersetzers Friedrich Rückert (1788-1866), der auch in unserem jetzigen Gesangbuch seine Spuren hinterlassen hat („Dein König kommt in niedern Hüllen …“, EG 14). Er schreibt um 1835:

„Ein jeder Glaube hält sich für den einzig wahren,
Und seine Kraft kann er auch so nur offenbaren.

Der einzig wahre nur ist er an seinem Ort,
Nicht minder wahr sind andere hier und dort.

Was hat denn nun ein Mensch vom Glaubenswort zu halten?
Das seinige für wahr an seinem Ort zu halten.

Sohn, halt an deinem Ort an deinem Glaubenswort,
Und lass am ihrigen die andern halten dort.“

2. Die Frage drängt sich auf, ob die Wahrheit hier „regionalisiert“ wird, ob es also an verschiedenen Orten verschiedene Wahrheiten gibt. Im religiösen Sinn besteht Wahrheit nicht aus einer Reihe von Sätzen, die universale Geltung beanspruchen. Derlei gibt es am ehesten in der Mathematik. Im religiösen Sinn ist Wahrheit etwas, worauf wir uns verlassen, eine Einsicht, die uns trägt im Leben und im Sterben. So sprechen wir z.B. von einem „wahren Freund“. Tatsächlich haben andere Menschen andere Freunde und auch die anderen können hoffentlich sagen: „Es sind wahre Freunde.“

3. Sind dann alle Religionen gleichermaßen gültig und wahr? Eine solche Aussage würde unsere Erkenntnismöglichkeiten überschreiten. Wir haben als Christen unseren Weg zu Gott – das muss uns genügen. „Der Raum jenseits unserer Erkenntnis Gottes und seines Wirkens ist der Raum der anderen Religionen und Weltanschauungen. Wie Gott in ihnen handelt oder nicht handelt, wie dort die Wege zu Gott oder die Wege Gottes zur Welt aussehen, das sind Fragen, die jenseits der uns gegebenen Einsicht in Gott und seinen Willen liegen.“ (Entwurf der „Interreligiösen Konzeption der ELKB“)

4. Die Frage, ob alle Menschen an „denselben Gott“ glauben, beantwortet sich in monotheistischen Religionen von selbst: Es gibt keinen anderen Gott als den Einen. Möglich ist allerdings, diesen einen Gott in falscher Weise zu verehren. Ein Beispiel: Wer sich zum einen Gott bekennt und dann verkündigt, dieser Gott verlange Menschenopfer, der verehrt nach christlicher, jüdischer und muslimischer Überzeugung den einen Gott auf falsche Weise. Wie steht es dann aber mit der religiösen Begründung der Todesstrafe? Es gibt diese Begründung nach wie vor innerhalb der Christenheit, nicht nur in den USA. Soll man sagen: „Die Befürworter der Todesstrafe haben einen anderen Gott“? Oder muss man nicht sagen: „Die christlichen Befürworter der Todesstrafe haben die Botschaft von der Liebe Gottes und der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade allein nach unserer Überzeugung nicht recht verstanden“? Die Frage nach „demselben“ Gott ist, wenn sie denn gestellt wird, zuerst einmal eine Frage innerhalb der Christenheit.

5. Die römisch-katholische Kirche ist – zumindest in offiziellen Stellungnahmen – der Auffassung, dass Frauen nicht geeignet sind, priesterliche Leitungsaufgaben zu übernehmen. Hier liegt eine echte Meinungsverschiedenheit vor, die wir wohl kaum dadurch auflösen werden, dass wir behaupten, die Katholiken hätten einen „anderen Gott“. Dennoch protestiere ich gegen die katholische Auffassung, weil es hier um die Menschenrechte geht. Warum sollte ich bei Meinungsverschiedenheiten mit Muslimen oder Juden mich anders verhalten als bei Differenzen mit Katholiken? Das bedeutet nicht, dass Muslime und Juden irgendwie in das Christentum mit seinen inneren Spannungen integriert werden sollen. Wir sollten aber wissen, dass es bei Juden und Muslimen Einzelne und Gruppen gibt, die in der Frauenfrage den gleichen menschenrechtlichen Standpunkt einnehmen wie wir Protestanten.

6. Es gibt Situationen, in denen die Kirche sich von bestimmten Lehren öffentlich distanzieren muss – sogar auf die Gefahr einer Kirchenspaltung hin. Man mag an den Propheten Elia und seinen Kampf gegen den Baalskult denken (1.Kön 18). Näher liegt die Erinnerung an die „Deutschen Christen“ mit ihrem Rassismus und ihrer Verachtung des Alten Testaments. Es handelt sich hier aber um Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft. Die Lehre der „Deutschen Christen“, die man in Barmen „die Kirche verwüstende Irrtümer“ nannte, war dem deutschen Protestantismus gerade nicht fremd, sondern seit langer Zeit vertraut.

7. Weil die Wahrheit des Glaubens existentiell ist, der Glaube eine innere Überzeugung oder „Gewissensüberzeugung“ ist, deshalb verträgt er sich nicht mit Zwang. Das war reformatorische Einsicht, die ähnlich auch im Judentum und im Islam formuliert wurde. So heißt es etwa in Sure 2:256 des Korans: „Es gibt keinen Zwang in der Religion.“ Daraus folgt: Niemand darf gezwungen werden, gegen seine Überzeugung eine Religion – oder auch den Atheismus – anzunehmen. Und weiter: Christliche oder muslimische Mehrheiten – jüdische Mehrheiten gibt es seit dem Jahr 70 nach Christus erst wieder im Staat Israel – sind verpflichtet, religiöse Minderheiten mindestens zu dulden. Beim Zusammenleben in einem gemeinsamen Staat ist deshalb die Gleichberechtigung aller Bürger anzustreben.

8. Diese Verpflichtungen haben alle drei monotheistischen Religionen in – vorsichtig formuliert – sehr unterschiedlicher Weise erfüllt. Gerade das Christentum war in langen Epochen seiner Geschichte alles andere als tolerant. Was lutherische Christen besonders berührt, ist der Antijudaismus Martin Luthers, besonders in seinen letzten Lebensjahren. In dieser Phase wurde Luther auch seinen eigenen Einsichten in die „Zwanglosigkeit“ des Glaubens untreu, indem er die Staaten zu Zwangsmaßnahmen gegen die Juden anstiftete: Enteignung, Ausweisung, Zwangsarbeit, Lehrverbot, Bücherverbrennung.

9. Die Aufgabe der christlichen Gemeinden ist heute, für echte religiöse Freiheit einzutreten. Darüber hinaus aber ist der religiöse Pluralismus der Gegenwart eine religiöse Gelegenheit:
„Das Gespräch über die Wahrheit der Religion erfordert Klarheit. Immer wieder kommen Christen im Verlauf des Gesprächs an Punkte, an denen sie – vielleicht mit Erschrecken – merken, wie unklar der eigene Glaube ist. Der interreligiöse Dialog nötigt uns, den eigenen Glauben neu zu bedenken … Manchmal begegnen uns in anderen Religionen Haltungen und Sichtweisen, die bei uns wenig entwickelt, vielleicht vernachlässigt, ja vergessen sind.“ (Entwurf der „Interreligiösen Konzeption“)

Rainer Oechslen

Luthers Juden. Von Prof. Thomas Kaufmann. Ein Buchhinweis.

KLAPPENTEXT
Die grundlegende Untersuchung zu Luthers Antisemitismus, zur Judenfeindlichkeit in seinen Schriften, in seinem Weltbild, in seinen alltäglichen Meinungen und Ansichten ist das Ergebnis der jahrelangen Forschungen des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann. In diesem Buch zieht er die Summe aus seiner Arbeit an Luthers Werken und ihrer Rezeption über 5 Jahrhunderte hin. Kaufmann warnt davor, heute und in Zukunft von Luthers Popularität profitieren zu wollen und naiv mit ihm umzugehen. Genau darin weiß er sich schließlich durch den großen Reformator selbst bestärkt, der als mächtiger Polemiker mit Worten vernichten, aber auch sich selbst relativieren konnte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.12.2014
Es ist schwere Kost, die Rezensent Dirk Pilz hier verkraften muss. Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann beschäftigt sich mit Martin Luthers Antisemitismus auf eine derart gründliche Art, dass für schlichte Kategorien, aber auch für Beschönigungen kein Raum bleibe.

Diese und andere Rezensionen.

Papst Franziskus hat seine Kritik am Kapitalismus in einem Interview in der Zeitung La Stampa verteidigt.

Papst in „La Stampa“- Interview: Kein unbeschränktes Recht darauf, mehr zu besitzen als für den eigenen Bedarf notwendig, solange anderen das Nötigste zum Leben fehlt.

Rom, 11.01.2015 (KAP) Papst Franziskus hat seine Kritik am Kapitalismus verteidigt. Der Appell gegen ein Wirtschaftssystem, das die weltweite Armut verfestige, sei keine linke Ideologie, sondern stamme aus dem Evangelium, sagte er in einem am Sonntag in der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ vorab veröffentlichten Interview. „Würde ich einige Stellen aus den Predigten der frühen Kirchenväter aus dem zweiten und dritten Jahrhundert über den Umgang mit den Armen wiederholen, würde mancher mir vorwerfen, meine Predigt sei marxistisch“, so Franziskus. „Heute zählen die Märkte mehr als der Mensch: Es ist eine kranke Wirtschaft.“

Zum Bericht.

Bistum Regensburg: Doku „Sünden an den Sängerknaben“. Wien: Mühlsteinenthüllung gegen kirchliche Missbrauchsverbrechen

Regensburg:

Vom Umgang des Bistums Regensburg mit den missbrauchten Domspatzen: Am 7. Januar, 23.30 Uhr, zeigt die ARD dazu die Dokumentation „Sünden an den Sängerknaben“. Die Filmemacherin Mona Botros hat drei Betroffene bei ihrem Kampf um Gehör und Gerechtigkeit begleitet. Erstmals gibt in dieser Doku auch Geedo Papprotta ein Interview, der „Opferanwalt“, der im Auftrag der Diözese Regensburg die Anträge auf Entschädigung prüft und der einem Betroffenen erklärte, warum der an ihm begangene sexuelle Missbrauch kein sexueller Missbrauch sei…  Zur Sendung.

Wien, 28.12.14:

TAG DER UNSCHULDIGEN KINDER: HEUTE WIRD MEGA-MÜHLSTEIN AM WIENER STEPHANSPLATZ AUS PROTEST GEGEN KIRCHLICHE MISSBRAUCHSVERBRECHEN ENTHÜLLT

PLATTFORM BETROFFENER KIRCHLICHER GEWALT VERLANGEN MAHNMAL DIREKT AM STEPHANSDOM
EMPÖRUNG, WEIL LH PRÖLL AN GOLDENEM EHRENZEICHEN FÜR PÄDOKRIMINELLEN GROER FESTHÄLT

Einen 300 kg schweren Mühlstein deponiert die Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt am 28. Dezember am Stephansplatz. Der 28.12 ist der “Tag der unschuldigen Kinder“ – Gedenktag der ermordeten Kinder von Bethlehem nach Herodes´ Geheiß. Mit der Hinterlegung des Mühlsteins vor dem Stephansdom erinnert die Plattform an die Vertuschung und Verleugnung sexueller, körperlicher und seelischer Gewalt an unschuldigen Kindern durch Kirchenrepräsentanten… Zum Artikel.