Presbyter Klaus Vitt an die Schwestern und Brüder im Synodalvorstand: „Was braucht die Gemeinde in unseren Ortschaften denn wirklich? Was will und können die für Seelsorgedienst und Predigtamt Tätigen bei 3000 – 3500 Gemeindeglieder noch leisten…?

11.Januar 2016

Liebe Schwestern und Brüder des Synodalvorstandes,

Ob in unserer Kirche Geld auf die Jahre genug vorhanden ist, da habe ich keine Sorge. Wir haben jetzt mindestens seit 2004/5 ständig um die große Sorge Geld gesprochen. In all den Jahren hat es bis zum heutigen Tag – auch nach Worten des Vizepräsidenten Klaus Winterhoff – immer einen dankenswerten guten Erfolg der Finanzen durch die positive Kirchensteuerentwicklung gegeben.

Dennoch glaube ich, sind wir nicht auf einem guten Weg.

„Kirche der Freiheit“, ein Schriftstück von über 100 Seiten, wurde 2006 von der EKD als Reformprogramm eingeführt. Was bedeutet denn da Freiheit? Ich habe etliches darin gelesen. Diese Schrift handelt von einem tief greifenden Umbau. Und dieser Umbau ist mit dem christlichsten Vokabular bereichert. Man verspürt, dass für die Zukunft unserer evangelischen Kirche eine zunehmende Hierarchie, eine wachsende Zentralisierung, dadurch eine verstärkte Bürokratisierung und eine Ökonomie gewollt sind, die sich komplett den Wirtschaftsunternehmen anpasst.

Das kann nicht unsere Aufgabe, Kirche zu sein, bedeuten. Die Kernaufgabe geht verloren. Wie viel Zeit wurde schon und wird seit Einführung dieses Jahrhundertprojektes für Doppik/NKF (Neues kirchliches Finanzsystem), Fusionen auf allen Ebenen, Kompetenzverlagerungen und der Zentralisierung benötigt. Dafür werden zusätzlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebraucht, die das alles umsetzen müssen. Presbyterien und Synoden sind für dies Projekt stetig in Gesprächen. Gemeinden wissen nur wenig darüber und fühlen sich vernachlässigt. Sie fragen sich auch, was das alles soll. Ist da die Zukunft unserer Kirche zu finden? Was ist zu tun? Wer weiß denn bei allem Planen, wie es im Papier „Kirche der Freiheit“ prognostiziert wird, was wirklich eintritt. Zunächst wird viel Geld für die Umsetzung verbraucht und nicht gering einzuschätzen die Spannung bis hin zur Verärgerung in den Gemeinden.

Jakobus schreibt in seinem Brief diesen Hinweis, nachdem er die Pläne der Menschen für heute oder morgen schon in Zweifel gezogen hat: „So Gott will und wir leben, wollen wir dies oder das tun.“ Die Kirche kann aber schon auf zwanzig Jahre planen. Für mich sehr erstaunlich! Obwohl bis heute ihre Prognosen nicht eingetreten sind.

Was braucht die Gemeinde in unseren Ortschaften denn wirklich?
Was will und können die für Seelsorgedienst und Predigtamt Tätigen bei 3000 – 3500 Gemeindeglieder noch leisten. Was für einen Dienstplan kann man noch von ihnen abverlangen?

Das verstehe ich als Aufgabe der Kirche:
Die Gemeinde braucht Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Zeit und Kraft haben, ihren Gemeindegliedern die großartige Botschaft Jesus Christus zu bieten.
Von unten muss die Gemeindearbeit mit Seelsorgern/Innen so gestaltet werden, das Glaube und Gehorsam mit der Botschaft des Evangeliums den Gliedern unserer Gemeinde verkündigt und gelebt wird. Die Liebe Jesu, der sich zum Sünder neigt und seine begnadigende Botschaft bietet, das gilt es zu bezeugen.

Dazu gehört der Besuch der älteren Gemeindeglieder, die nicht mehr zum Gottesdienst kommen können.

Dazu gehört, dass in den Hauptkirchen jeden Sonntag Gottesdienste angeboten werden und dass in Sonderheit auch in den abseits liegenden Ortschaften die Gelegenheit zumindest einmal im Monat die Gemeinschaft unter Gottes Wort geboten wird.
Dazu gehört vor allem auch die Wertschätzung unserer Pfarrer. Und das muss spürbar werden, indem einer Überbeanspruchung nicht weiter Vorschub geleistet wird.
Wenn immer mehr Pfarrstellen – von der Landessynode beschlossen – in den Gemeinden abgebaut werden, also kein Ersatz nach der Pensionierung erfolgt, kann ich mir vorstellen, dass noch mehr Mitglieder in den Gemeinden sich von unserer Kirche trennen. Was soll man in einer Gemeinde, wo der Hirte keine Zeit mehr hat und nur mehr das Dringendste leisten kann. Wobei sich die Frage stellt, was denn nun das Dringendste ist?
Was ist das für ein Zustand, wenn in Kirchen nur noch alle 14 Tage ein Gottesdienst geboten wird. Damit sagt man Gliedern der Gemeinde, dass die gottesdienstliche Gemeinschaft unter dem Wort nicht unbedingt nötig sei, geschweige denn gefordert wird.

Sicher, man kann die Gemeinde ermuntern, die Gottesdienstangebote im Fernsehbereich zu nutzen. Das wird ja auch heute von vielen genutzt. Dann kann man Gebäude und Kirchen in den Ruhestand stellen oder zum Verkauf anbieten.
Aber das ist nicht die Lösung. Die Apostel hatten reiche Treffen mit ihrer Gemeinde und hatten so Gemeinschaft im Namen Jesu.
Ich freue mich über die Gemeinden, die noch eine Vision haben, ein Gemeindehaus zu erweitern oder einen neuen Gottesdienstraum zu bauen, weil die vorhandenen Gebäude nicht ausreichen.
Auf einem solchen Weg sind wir nicht mehr. Die Sorge um unseren Reichtum lähmt die geistliche und seelsorgerliche Arbeit in den Gemeinden.

Es hört und liest sich in den Medien erschreckend an, wenn Kirchen und Gemeindehäuser, die unter großer Opferbereitschaft und Eigenleistung erstellt wurden, heute für einen „ Apfel und Ei“ auf dem freien Markt feilgeboten werden.
Das fördert noch die in unserer Kirche schon weit verbreitete Neigung, dem Gottesdienst fernzubleiben, und bei den Verantwortlichen den verständlichen Trend, sich bei der Vorbereitung und Durchführung nur auf einige Unentwegte einzustellen, also den Gottesdienst als Mitte der christlichen Gemeinde nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Ganz zu schweigen davon, dass in unserer Kirche kaum noch zum eigenständigen Lesen und Verstehen der Heiligen Schrift angeleitet und anhand von Bibel und Bekenntnis gefragt wird, worauf es im christlichen Glauben und Leben doch ankommt. Der Heidelberger Katechismus weißt auf diese wertvolle Aufgabe in Fragen und Antworten 54 + 55 hin. Dies gehört jedoch zu den ureigensten Aufgaben der zur öffentlichen Verkündigung Berufenen und entsprechend ausgebildeten Pfarrerinnen und Pfarrer, was bei einem Schlüssel von 3500 pro Pfarrstelle aber kaum realisierbar ist. Es fehlt schlicht die Zeit.

Mir macht der jetzt eingeschlagene Weg unserer Landeskirche, der mit aller Gewalt „durchgepeitscht“ werden muss, mehr als große Bedenken und Sorgen. Darum erhebe ich meine Stimme mit diesem Schreiben, weil ich spüre, warnende andere Meinungen prallen in der Synode, als wenn man sie nicht gehört hätte, einfach so ab.
Werden wir uns bewusst, Gemeinde– und Synodalarbeit besteht nicht aus der Gehorsamsleistung gegenüber der Landeskirche, wie erhalte und vermehre ich mein Vermögen. Die Kernbotschaft, was unsere Kirche ausmacht und was ihre Aufgabe ist, muss wieder im Mittelpunkt stehen.

Und das wünsche ich mir und gehe davon aus, in diesem Wunsch haben wir Einigkeit.

Darum gilt es neu aufzuarbeiten, was ist wirklich nötig und was ist überzogen.

In brüderlicher Verbundenheit und Gottes Segen und Geleit für 2016

Ihr Klaus Vitt

Am Oberrain 11
57271 Hilchenbach

2 Gedanken zu „Presbyter Klaus Vitt an die Schwestern und Brüder im Synodalvorstand: „Was braucht die Gemeinde in unseren Ortschaften denn wirklich? Was will und können die für Seelsorgedienst und Predigtamt Tätigen bei 3000 – 3500 Gemeindeglieder noch leisten…?

  1. Pingback: kirchenbunt.de | Sorgen eines Presbyters

  2. Gerhard Niemeyer

    Vielen Dank an Kirchenbunt für den Verweis auf den Präsesblog. Das gibt mir Gelegenheit zu dem Hinweis, das weder beim Präsesblog noch auf Kirchenbunt bei „Kirchensteuerhoheit ade“ sich irgendjemand bemüßigt gefühlt hat (auch der Präses oder Herr Baucks nicht) irgendwie zu reagieren.

    Na dann ………….

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Gerhard Niemeyer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert