Angst als Instrument politischer Nichtdebatten

Der politische Diskurs ist vergiftet. Anders als viele beschwere ich mich nicht nur über einige Filterblasen im Internet. Sie sind der Ausdruck eines grundlegenden Problems, das ihr Nährboden ist. Statt starke Argumente zu liefern wird Angst vor einer abweichenden Entscheidung gesät. Es geht immer um den Verlust unserer Kultur, der EU, der Wettbewerbsfähigkeit, dem Sozialstaat … .

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Noch schlechter wird diese konstruierte Angst, wenn informierte BürgerInnen sie durchschauen. Der politische Diskurs verliert dann seine gesamte Substanz und viele haben das Gefühl statt zu wählen auch eine Münze werfen zu können.

Die Volksabstimmung zum Brexit war ein Paradebeispiel dieses neuen Diskurses. Nach den Verlautbarungen beider Kampagnen gab es die Wahl zwischen einen Zusammenbruch durch Überbürokratisierung und unkontrollierter Massenzuwanderung oder einem Wirtschaftsschock durch einen Austritt. Niemand traute den zur Abstimmung gerufenen BürgerInnen zu eine informierte Entscheidung auf Grundlage von Plänen und Fakten zu treffen. Lieber machte man Stimmung mit Luftschlössern und Landesuntergangsphantasien. Das Desaster wird die Briten noch Jahre beschäftigen.

Die Amerikanische Präsidentschaftswahl ist ein zweites Beispiel. Statt über politische Ideen und Vorhaben abzustimmen verlegte man sich auf Schmierkampagnen um die BürgerInnen vor die Wahl zwischen der korruptesten Kandidatin aller Zeiten und einem Frauen verachtenden Vollidioten zu stellen.

Uns holt die neue Art der BürgerInnenbevormundung auch regelmäßig ein. „Scheitert Griechenland scheitert der Euro.“ Der Mindestlohn zerstört unsere Wirtschaft. „Wir schaffen das!“ oder Unser Abendland geht unter.

Hegel muss in seinem Grab rotieren. In der Schule habe ich gelernt Demokratie besteht im Austausch von Ideen und Argumenten. Erst der Austausch sorgt für das bestmögliche Ergebnis.

Wer den Diskurs auf Gefühle und Ängste verlagert, sorgt dafür, dass es keinen gemeinsamen objektiven Nenner mehr gibt. Fakten sind vergleichbar, plausibel oder nicht. Über sie lässt sich streiten. Ängste entziehen sich dem Diskurs. Sie stehen unvereinbar nebeneinander. Wir können sie bestenfalls nachvollziehen oder nicht. Alle verlieren.

In der emotionalen Debatte um Kinderehen werden nun die Kinder, um deren Schutz es angeblich geht zum Opfer der Angst, die eine Debatte erstickt.

Evangelisch.de stellt das äußerst schwache Argument auf, wenn Deutschland Kinderehen generell annulliert, könnten sich andere Staaten dadurch wehren, dass sie eingetragene Partnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare deutscher Staatsbürger auf ihrem Gebiet auch annullieren. Das Argument ist aus zwei Gründen sofort abwegig.

  • Staaten, die Homosexualität ablehnen und Kinderehen genehmigen werden auch jetzt schon das deutsche Zivilrecht nicht in dem Punkt anerkennen.
  • Zwischen beiden Rechtsgütern muss es keine Beziehung geben. Stellt sie ein anderer Staat her ist das ein Erpressungsversuch. Dem muss man auf Grund des erstem Gegenargument auch nicht nachgeben. Weil sich damit auch nichts verändert.

Roland Tichy findet das schwache Argument in einem ansonsten nicht mal schlechtem Artikel und hat etwas zum Zerpflücken: „Kinderehen in Deutschland dulden, um Homoehen im Ausland nicht zu gefährden?“

Doch auch Tichy verfällt in das Angst machen vor staatlich geduldeten Kindesmissbrauch. Auch wenn er alle richtigen Argumente irgendwo im Text verarbeitet.

Ein guter Umgang mit dem Thema konnte ich nur in zwei Artikeln finden.

Ein kurzer Kommentar der FAZ bezieht sich auf die ordre public. Im Ausland abgeschlossene Ehen können hier nur anerkannt werden, wenn sie unseren grundlegenden Rechts und Wertevorstellungen entsprechen. Hier sind vor allem das Grundgesetz und die darüber hinausgehende Konvention zum Recht der Kinder zu nennen. Damit ist klar, evangelisch.de hat in dem Fall kein Argument, da das Wohl eines Kindes immer Grundlage allen Staatlichen Handelns sein muss. Homosexuelle lassen sich daher nicht gegen Kinder ausspielen. Tichys Angst sollte auch unbegründet sein, da das was er sich vorstellt unserer ordre public entgegen läuft.

Der Deutschlandfunk legt dann erfolgreich den Finger in die Wunde der Debatte. Statt sich Horrorszenarien anhand von Worten in einem geplantem Gesetz auszudenken, sollte man an die eigentlichen Probleme gehen. Die Jugendämter sind überlastet. Was bringt das Gesetz, wenn die Kinder sich selber überlassen sind?

Endlich ein ruhiger Text, der Argumente abwägt. Wir können mehr vertragen, denn sicherlich gibt es noch viele nicht gehörte Argumente.

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