Wormser Wort: Nein zum bisherigen Umbauprozess der Kirche durch die EKD

1. Der Reformprozess ist ein Um- und Abbauprozess.

Kirche der Freiheit“ wurde 2006 von der EKD als Reformprogramm eingeführt. Tatsächlich handelt es um einen tiefgreifenden Umbau: die evangelischen Kirchen werden hierarchisiert, zentralisiert, bürokratisiert, ökonomisiert. Sie verlieren ihren Kern. Die Flut der seitdem gleichzeitig in Gang gesetzten „Jahrhundertprojekte“ Doppik/NKF, Fusionen auf allen Ebenen, Kompetenzverlagerungen von der Basis auf die Mittlere Ebene und der Zentralisierung führte zu einer bis dahin unbekannten Selbstbeschäftigung. Viel zu wenig Ressourcen, viel zu wenig Zeit bleibt für den eigentlichen Auftrag: die Kommunikation des Evangeliums.

2. Scheitern ist vorprogrammiert.

Auch aus Managementsicht sind die Umbauprozesse höchst fragwürdig. Sie basieren auf einer fragwürdigen Strategie des Gesundschrumpfens (Downsizing). Die wiederum auf einer aus den 90er Jahre stammenden, simplifizierenden Annahme beruht: die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpfe um 30 Prozent, die Finanzen würden sich im selben Zeitraum gar halbieren. Die Fakten sprechen dagegen: Es gibt keine direkte Korrelation zwischen Mitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen. Die Kirchensteuereinnahmen sind langfristig gesehen bisher konstant oder sogar steigend. Aufgrund der von Langzeitprognosen abgeleiteten falschen Strategie musste der Umbauprozesss zwangsläufig in die Irre laufen. Selbst die Versprechen ökonomischer Effizienz können nicht eingehalten werden: die Ausgaben für die genannten Maßnahmen sind immens, die Wirkungen äußerst bescheiden. Die Kosten-Nutzen-Relation des Umbauprozesses ist negativ.

3. Die Mitarbeitenden werden demotiviert.

Motiviertes Personal war ein entscheidendes Potential der Kirche. Der Umbauprozess von „Kirche der Freiheit“ leitet den Personalabbau ein, der namentlich im Bereich von Gemeindepädagogen und PfarrerInnen schon heute, vor der Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge, seine Wirkungen zeigt. Die Personalführung ist bedenklich: übliche Grundsätze, wie der, wonach Arbeitsaufträge so zu gestalten sind, dass sie den Mitarbeitenden erfolgreiches Arbeiten ermöglichen, werden sträflich verletzt. Die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden wurde beschnitten, die Selbstregulierungskräfte gelähmt. Demotivation und Frust waren vorprogrammiert. Qualität und Wirksamkeit kirchlicher Arbeit haben darunter gelitten. Das schwächt die Kirchen enorm.

4. Der Mensch gerät aus dem Blick.

In den letzten drei Jahrzehnten erleben wir eine zunehmende Beherrschung aller Lebensbereiche durch die Ökonomie und ihrer Gesetze. Mit den Umbauprozessen drangen sie auch in die Kirchen ein. Durch die Unterwerfung unter die Normen des „freien“ Marktes gerät aber die Arbeit der Kirche in Gefahr. Denn wo nur die Normen des heutigen „freien“, nicht aber sozialen Marktes regieren, gerät der Mensch ins Abseits. Die Verkürzung des Menschen auf seine ökonomischen Funktionen widerspricht dem christlichen Selbstverständnis. Wo bleibt der Glaube, der Lebenssinn? Wo sind die protestantische Kirchen mit ihrer „großen Erzählung“, die Denkfreiheit ermöglicht ? Der Reichtum der Kirche beruht nicht in erster Linie auf Kapital, sondern auf Gemeinsinn, Köpfen und Konzepten.

5. Die Kirche verliert ihr Fundament.

Die Kirche gründet im Wort Gottes. Dieses Fundament ist in Gefahr. Die Kirche lebt nicht mehr aus der Freiheit des Wortes, sondern unterwirft sich dem Gesetz und der fremden Logik des Marktdenkens und wird so zu einem Religionskonzern. Im kirchlichen Umbauprozess wird die Strategie kirchlichen Handelns nicht aus einer theologischen Argumentation abgeleitet, sondern aus Algorithmen und Finanzprognosen.

6. Die Kirche verliert ihre Glaubwürdigkeit.

Die Reformen wurden mit hochtrabenden Versprechungen beworben. Diese haben sich in der Praxis als unhaltbar erwiesen. Mit schönen Worten wird verschleiert, mit Zahlen und mathematischen Formeln wird getrickst. So wird zwar Transparenz beschworen, aber wie im Falle des sog. „Erweiterten Solidarpakts“ Geheimhaltung praktiziert. Dadurch fühlen sich Menschen getäuscht, sowohl Mitarbeitende als auch Kirchenmitglieder.

7. Umkehr ist nötig.

Die Lage ist ernst. Die Mitarbeiterschaft ist enttäuscht, frustriert, demotiviert. Gut ist hingegen die wirtschaftliche Lage der Kirchen: sieben fette Jahre liegen hinter uns. Leider wurde diese gute finanzielle Lage nicht sinnvoll genutzt: weder wurde in die Kommunikation des Evangeliums investiert, noch die Verwaltung im Sinne einer dienenden Serviceeinrichtung modernisiert.

Heute müssen wir zehn Jahre Umbauprozesse beklagen, die die Kirchen geschwächt haben. Verlorenes Vertrauen muss wieder gewonnen werden. Wir brauchen ein Moratorium, um den aktuellen Status schonungslos offen zu legen und zur Besinnung zu kommen. Umkehr ist nötig.

Unterzeichenen Sie hier die Petition.

18.1.2015 Sprachliche verbesserungen eingeführt und Link zur Petition  gesetzt (Alexander John)

10 Gedanken zu „Wormser Wort: Nein zum bisherigen Umbauprozess der Kirche durch die EKD

  1. Lothar Grigat

    Ich kann der Erklärung weitestgehend zustimmen und werde versuchen, sie auch weiter zu verbreiten.
    Lothar Grigat Dekan i.R. , 34225 Baunatal

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  2. Frank-D. Leich

    Auch ich stimme dem „Wormer Wort“ uneingeschränkt zu.
    Lasst uns dafür werben, dass Gemeindeglieder und Mitarbeitende (dazu zählen auch die PfarrerInnen!!) diese Erkärung unterschreiben und dass Presbyterien diese Erklärung mittragen.
    Frank-D. Leich
    Pfarrer

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  3. Dr. sc. theol. Katharina Dang

    Ich konnte leider nicht in Worms dabei sein und bin nun sehr froh, dass es dort möglich war, so klar auszusprechen, worum es heute in den evangelischen Landeskirchen geht und was alles auf dem Spiel steht bzw. schon verspielt wurde. Es ist höchste Zeit radikal umzukehren und statt den Gesetzen des Marktes und den höchst zweifelhaften Sicherheiten von Kapitalanlagen wieder Gott und den Menschen das Entscheidende zuzutrauen. Dr. sc. theol. Katharina Dang (Berlin)

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  4. Stephan Sticherling

    Wichtig ist, dass wir nicht nur sagen, welche Kirche wir nicht wollen, sondern welche wir wollen. Wenn sie evangelische Kirche im ur-eigenen Sinn willen, dann braucht sie
    1. autonome und für sich selbst verantwortliche Gemeinden, in denen
    2. mündige und selbstbewusste Christinnen und Christen initiativ werden können, unterstützt durch
    3. ein freies und an Weisungen nicht gebundenes Pfarramt.
    Allerdings muss jedem klar sein, dass Gemeinden, die wieder für selber sorgen können dann auch für sich selber sorgen müssen und die wiedergewonnenen Verantwortung für sich selbst nicht nur Befreiung, sondern auch Last bedeuten kann. Aber unsere Gemeinden sind intelligenter und flexibler als man sich das in den Büros der Kirchenämter vorzustellen wagt.

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  5. wolfgang nordmann

    Im rückblick auf das Kaiserreich und auf das Dritte reich – da wird die Anpassung der evangelischen Kirchen an die jeweils herrschende Ideologie, den Zeitgeist und die dominanten gesellschaftlichen Kräfte konstatiert und das mitläufertum kritisiert. aber was haben unsere Kirchen aus dieser geschichte gelernt? wohl nicht viel, wenn wir die derzeitige Mitläufer- und anpassungswelle betrachten, wo betriebswirtschaftliches denken immer öfter vor der Theologie rangiert. die Barmer Erklärung scheint in der ablage verschwunden zu sein. eigentlich steht ein berliner Schuldbekenntnis an…

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  6. Theilacker-Dürr Christine

    Stimme dem Wormser Wort auch zu. Bin Pfarrerin der letzten kleinen und selbstständigen Kirchengemeinde in Bayern (435 Gemeindeglieder). Seit Jahren kämpfen wir um das Überleben der Gemeinde mit ihrer ortsnahen und persönlichen Arbeit.
    An uns sieht man: Verkündigung und gemeinsam gelebter Glaube vor Ort sind auch heute noch möglich. Doch wenn uns nicht bald Menschen auch außerhalb der Gemeinde unterstützen und so der Kirchenpolitik ein Zeichen setzen, wird es uns bald nicht mehr geben. Die zentral gesteuerten Einheiten in der Kirche werden noch größer werden und wir verlieren noch mehr verbundene Kirchenmitglieder.
    Helfen Sie uns, bevor es zu spät ist. Wir freuen uns auch über Zuspruch (E-Mail: pfarramt.geilsheim@t-online.de) zu unserem zukunftsweisenden Projekt der fremdfinanzierten Pfarrstelle.
    Schauen Sie einfach mal rein unter http://www.geilsheim.de
    Christine Theilacker-Dürr

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  7. Dr. Bettina Noak und Rainer Noak

    Vielen Dank für diese kritische Äußerung zur aktuellen Kirchenpolitik und auch für die Beiträge in den Antworten, besonders von Frau Dang. Insbesondere stimmen wir dem 5. Punkt des Wormser Wortes zu: ‚Die Kirche gründet im Wort Gottes. Dieses Fundament ist in Gefahr. Die Kirche lebt nicht mehr aus der Freiheit des Wortes, sondern unterwirft sich dem Gesetz und der fremden Logik des Marktdenkens und wird so zu einem Konzern. Im kirchlichen Umbauprozess wird die Strategie kirchlichen Handelns nicht aus einer theologischen Argumentation abgeleitet, sondern aus Algorithmen und Finanzprognosen.‘ In einigen Verlautbarungen (z.B. ‚Welche Kirche morgen?‘ 2013, EKBO) wurde das ‚Angebot‘ der Kirche daher im Sinne eines marktwirtschaftlichen ‚Produktes‘ beworben. Dem liegt u.a. ein fragwürdiger, unreflektierter Wachstumsbegriff zugrunde. Dieses Konzept aus dem Bereich der Wirtschaft ist allgemein eher negativ belegt (mehr Absatz, mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Profit). Selbst in Wirtschaftskreisen beginnt man hier umzudenken und wird ein neuer Wachstumsbegriff eingefordert, da bei knapper werdenden Ressourcen das Ziel des rein zahlenmäßigen Wachstums auf dem Prüfstand steht. Obwohl an einer Stelle des Papiers davon gesprochen wurde, dass ‚im Bereich des geistlichen Lebens nicht von messbaren Erfolgen die Rede sein‘ kann (S. 18), steht an anderer Stelle der Begriff ‚Steigerung‘ im Sinne höherer Kennziffern jedoch im Vordergrund (S. 51) Wir glauben, dass die Kirche einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten könnte, wenn sie selbst sich auch von diesem alten Wachstumsbegriff verabschieden und ein neues Konzept des Wachsens durch Nachhaltigkeit und evangelischer Wertevermittlung entwickeln würde.
    Auch der oft gehörte Aufruf, sich für ‚Fundraising‘ und ‚Sponsoring‘ einzusetzen. ist höchst problematisch. Diese Forderungen, sich hier um den hart umkämpften Markt zu bemühen, steht u.a. im klaren Widerspruch zur Barmer Theologischen Erklärung, denn durch diese Geldquellen würde sich die EKD abhängig von Wirtschaft und Politik machen. Auch hier sollte nicht vorschnell dem Beispiel anderer Institutionen, etwa der Wissenschaft, gefolgt werden. Besondere Vorsicht sollte daher auch bei der häufiger gehörten Forderung geboten sein, evangelisch geprägte Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft in einer missionarischen Weise für die Kirche einzusetzen, da es so zu einer nicht erwünschten Nähe von Kirche, kapitalistischer Wirtschaft und gegenwärtiger Politik kommen kann.

    Dr. Bettina Noak und Rainer Noak, Berlin-Oberschöneweide

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