Das Verschwinden des Wissens. Von Konrad Paul Liessmann, Philosoph. Der Artikel ist ein leicht gekürztes Kapitel aus seinem neuen Buch «Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung», gerade erschienen im Paul-Zsolnay-Verlag, Wien
15.9.2014, NZZ
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Das Ziel von Bildungsprozessen ist nicht mehr eine wie auch immer definierte Bildung, sondern der umfassend kompetent gewordene Mensch, der mit Fähigkeiten ausgestattet ist, die es ihm angeblich erlauben, in jeder Situation die angemessenen Entscheidungen zu treffen…
Das Kompetenzkonzept ist ein Kind der Ökonomie
Historisch gesehen wurzelt das Kompetenzkonzept nicht in der Pädagogik oder Bildungstheorie, sondern in der Ökonomie. Die ersten Kompetenzmessungsmodelle wurden mit dem Ziel entwickelt, Prüfungsverfahren für die unterschiedlichsten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale von Menschen zu gewinnen, um deren Einsatz für Unternehmen zu optimieren.
Durchaus in diesem Geist wurde dieses Konzept dann in die Pädagogik übertragen und machte dort Karriere…
Zukünftige Bildungsforscher werden in der Umstellung auf die Kompetenzorientierung vielleicht den didaktischen Sündenfall unserer Epoche sehen, die Praxis der Unbildung schlechthin, und womöglich zur Einsicht kommen, dass Kompetenz genau das bedeutet, was der Philosoph Odo Marquard einst manchen «kompetenten» Vertretern seiner eigenen Zunft unterstellt hatte: Sie seien für nichts zuständig, zu manchem fähig und zu allem bereit. Aber vielleicht ist es genau das, was intendiert ist. In der Kompetenzorientierung zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer hypertrophen Gestalt.
Vgl. dazu ähnliche Beiträge in den Wortmeldungen, wie z.B. den Artikel von Ekkehard von Kuenheim (BMW): Wider die Ökonomisierung der BIldung.