Vortrag auf der Leipziger Buchmesse am 18. März 2010
In: Sprache im technischen Zeitalter, Heft 194, Juni 2010. SH-Verlag, Köln
hier: kurze Auszüge
2. Nur um mich zu schonen und nicht weiter die Ohren zu reizen, entschied ich, nicht über die Krise zu schreiben und zu reden, die mich derzeit am meisten beschäftigt, die Europa-Krise. Nein, nicht die griechische Schulden-Schlamperei. Sondern Italien, wo man beobachten kann, wie die Demokratie die Demokratie abschafft, Monat für Monat ein Stück mehr…
3. Im Jahr 1998 verfasste der Autor, der hier spricht, ein kurzes “Selbstporträt mit Schimpansen”, das unter anderem folgenden Gedanken enthielt: Er sei einer “aus der Generation, die es so gut hatte wie keine vor ihr und so gut, wie es keine nach ihr haben wird”. Nein, das war keine Beschwörung kommender Krisen…
4. Denn: Krise ist immer. Und das Reden über Krisen ist kaum weniger banal ist als die Krisen selbst. An Krisen mangelte es nie, wird es nicht mangeln. Krisen sind der Normalzustand. Also kein Grund, hysterisch zu werden…
5. Jeder halbwegs informierte Mensch weiß: die Finanzkrise ist nicht vorbei, sie fängt erst an. Die Krisen werden sich eher potenzieren als minimieren. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die wichtigsten Probleme in absehbarer Zeit nicht gelöst werden: die Regulierung der Finanzmärkte, die Regulierung der Klimaveränderungen, der Hochrenditen-Wahn der Wirtschaft, die heikle einseitige Abhängigkeit der US-Wirtschaft von China…
6. …Die Suche nach Orientierung, wegweisender Vernunft und minimalen Sicherheiten, ist verständlich…..
7. Eins allerdings hat die bisherige Krisendeutungskunst übersehen: Wird von Krise geredet, schwindet der Humor. Denn das erste Opfer der Krise ist nicht, wie eine leichtfertige Plattitüde es vom Krieg behauptet, die Wahrheit, sondern der Humor. Niemand scheint die Komik zu bemerken oder zu bedenken, die darin liegt, dass die Finanzkrise eine Folge des Überflusses ist, des Überflusses an Geld, an Kapital. Die Labilität des Wirtschaftssystems kommt nicht daher, dass in den Gesellschaften zu wenig Geld vorhanden wäre, also aus Not, sondern daher, dass zu viel da ist. Und dies Geld ist auch noch viel zu billig zu haben, für ein Prozent, mehr oder weniger…
8. Und da ist noch ein zweiter komischer Aspekt: Was früher die Marxisten wollten, die Verhältnisse zum Tanzen bringen, erledigen heute die Betriebswirte. Fachidioten, die nicht unterscheiden können zwischen Kostensenkung als einem wirtschaftlich sinnvollen Ziel – und Kostensenkungswahn. Die nicht unterscheiden zwischen Größe als einem wirtschaftlich sinnvollen Ziel – und Größenwahn…
9. Wer die Krisen ernsthaft bekämpfen will, dem würde ich in aller Heiterkeit als erstes ein einfaches Rezept empfehlen, das zwar nicht alle Probleme lösen dürfte, aber doch ein konstruktiver Anfang wäre: Berufsverbot für Betriebswirte!…Und dann ruf ich schnell noch, ehe man mich an den Pranger stellt: Ludwig Erhard hat schon gesagt, die Wirtschaft bestehe zur Hälfte aus Psychologie. Heute, meinen sogar Manager, sei man bei 99 Prozent angelangt. Also müsste sowieso mehr Menschenkenntnis gelehrt und gelernt werden als Finanzmathematik. …
10. Meine Damen und Herren, Sie wissen, es steht nicht in meiner Macht und es gehört nicht zu meinen Vergnügungen, Verbote auszusprechen. Ich möchte nur daran erinnern, dass man in der Bundesrepublik vor rund vierzig bis dreißig Jahren schon einmal ein Berufsverbot praktiziert hat. Für den öffentlichen Dienst, z.B. als Lehrer, wurde nicht zugelassen, wer angeblich oder tatsächlich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stand, was vor allem für junge Leute galt, die von Marx mehr hielten als von Schumpeter…
11. Kurz nachdem dies skizziert war, stand in einem Kommentar des Tagesspiegel die Formulierung “staatszersetzender Koalitionspartner”, darunter die Sätze: “Noch stehen die meisten Bürger zu diesem Staat. Aber wenn es nicht gelingt, die Zinslast wieder zu verringern, dann wird diese breite Zustimmung früher oder später verschwinden und mit ihr die Stabilität des ganzen Landes.” (12.1.10)…
12. Wenn die Geldmenschen schon nichts lernen aus der Krise, dann ist den Wortmenschen das Lernen ja nicht verboten. “Man darf sich von der Macht der anderen nicht dumm machen lassen,” so zitiert Alexander Kluge Adorno, “und man darf sich durch die eigene Ohnmacht nicht dumm machen lassen.”
Überall da, wo mit der Dummheit gehandelt wird, wo mit Derivaten, Zertifikaten, Blasen, Quotengier, Bestsellergier, kurz, wo mit Leere, mit leeren Versprechungen, gerade auch in der Politik, mit Hohlräumen, mit Nullen oder Null-Informationen oder Nullgeschwätz, wo mit Illusionen und Lügen gehandelt wird, wo Quantität mehr zählt als Qualität, Bildungs-Leistungspunkte mehr zählen als Bildung und Leistung, war Krise oder ist Krise oder wird Krise sein. Und das ist, um es flapsig zu sagen, auch gut so…