Schlagwort-Archive: Kirchenreformen

Wolfgang Nethöfel, Holger Böckel, Steffen Merle (Hgg.): Vielfältige Vernetzung. Eine Buchbesprec hung von Dr. Friederike Erichsen-Wendt

02/2017

Die Rezeption ist allerdings dadurch erschwert, dass sich die überwiegende Zahl der Beiträge auf vorausgehende umfassende Publikationen der jeweiligen Verfasser bezieht, die mehr oder minder vorausgesetzt werden und deren Kenntnis für das Verständnis der Beiträge mindestens hilfreich ist. Deshalb ist zu fragen, wer als Zielgruppe des Bandes eigentlich im Blick ist. Die systemtheoretischen (Nethöfel) und weitergeführt semiotischen (Merle) Erörterungen zeigen Wichtiges auf, setzen aber beim Leser eine hohe Sachkenntnis in beiden Bereichen voraus. Hier wäre eine grundlegende Einführung, mindestens ein Glossar, als Lesehilfe wünschenswert gewesen. Daran hätte deutlich sein können, worin für alle AutorInnen des Bandes begrifflich Übereinstimmung besteht. Gleichermaßen hätte ein Schlusskapitel, das Querschnittsthemen der Beiträge noch einmal aufzeigt und bündelt, neue Einsichten bringen und hilfreich für die Weiterarbeit sein können (etwa zu den Stichworten Qualität,Parochie u.a.)…


Wolfgang Nethöfel benennt eine Reihe von ekklesiologischen Fehlschlüssen und Selbstmissverständnissen von Kirche, um deutlich zu machen, inwiefern Organisationshybride für die Lösung drängender Fragestellungen (insbesondere milieudifferenzierte Zielgruppenansprache, alternatives Finanzierungssystem) besonders leistungsfähig sind, indem sie Gleichgewichtszustände systematisch produktiv irritieren. …

mehr dazu, vgl. S. 15ff

Anm. F.S. die Welt der Begriffe und der Modelle zu entwickeln und eloquent zu beschreiben ist das eine. Das andere ist, ob und wieweit sie in der Lage sind, die Wirklichkeit tatsächlich adäquat abzubilden. Mit diesem Problem ringt die Rezensentin ganz offensichtlich.

„Frisch gesägt, ist halb gewonnen“. Das Impulspapier des Moderamens der ev.-reformierten Kirche denkt in falsifizierten Managementmustern.

07/2016, Impulspapier von 02/2016

III. Die Konsequenzen daraus.
Die Gelegenheit für unseren Aufbruch ist günstig. Es liegen noch einige Jahre vor uns, in denen es uns möglich sein wird, Veränderungen selbst zu gestalten. …
– wir werden auf Dauer weniger Mitarbeitende haben sowie weniger Infrastruktur und weniger inhaltliche Arbeit anbieten können.
Gleichzeitig fordert uns der Bedeutungsverlust der Kirchen heraus, Neues anzugehen…

b. Pfarrer
Bereits 2005 hat die Gesamtsynode beschlossen, die (zuvor 150, Anm. F.S.) Pfarrstellen auf 100 zu reduzieren. …In einigen Jahren werden wir wahrscheinlich selbst die 100 Pfarrstellen aufgrund weiterer Ruhestände und mangelnden Nachwuchses nicht besetzen können….

Zum Impulspapier

EKHN-Synode 1/2016. Herborner Theologieprofessor Peter Scherle: Kirchensynode hat keine Kontrollfunktion gegenüber Exekutive und Synodale haben sind keine Interessensvertreter (ihrer Dekanate/ Gemeinden)

06/2016, EKHN
„…Zuvor hatte Scherle auf die besondere Bedeutung des Zusammenspiels der verschiedenen Leitungsorgane in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hingewiesen. Obwohl die Synode vergleichbar mit einem demokratischen Parlament eine Gesetzgebungs- und eine Wahlfunktion sowie das Budgetrecht habe, übe sie keine „Kontrollfunktion gegenüber einer Exekutive“ aus. Es gehe aus evangelischer Sicht vielmehr um das „Zusammenwirken der Leitungsorgane“ wie der Kirchensynode, Kirchenleitung und der Kirchenverwaltung. Es gehe aus evangelischer Sicht vielmehr um das „Zusammenwirken der Leitungsorgane“ wie der Kirchensynode, Kirchenleitung und der Kirchenverwaltung. Im ursprünglichen Sinne bedeute das Wort Synode zudem eine „gottesdienstliche Versammlung derer, die miteinander auf dem Weg des Glaubens sind.“ Demnach sind die Synodalen nach Scherle auch keine Interessensvertreter. Vielmehr seien sie „allein Christus verpflichtet, nicht aber bestimmten Interessen, wie zum Beispiel denen einer Region oder bestimmter Handlungsfelder“. Als Synodale repräsentierten sie „die ganze Kirche, die sich wiederum als Zeugin Jesu Christi versteht“, so Scherle… Zum EKHN-Bericht.

Kommentar von Friedhelm Schneider:

Die Amtsperiode der neuen EKHN-Synode beginnt, Wahlen standen auf der aktuellen Tagung im Juni 2016 im Vordergrund. Aber doch mit pikanter Beilage: die Synodalen mussten offensichtlich nicht nur gewählt, sondern auch justiert werden. Von Prof. Peter Scherle wurden sie zu Beginn der Arbeit über das Wesen des Systems EKHN, die Aufgaben und Funktion der Synode belehrt. Nach manchen – im Falle schwacher Kirchenleitungsvorlagen – korrigierenden Entscheidungen früherer Synoden wurde eine solche Belehrung offensichtlich als notwendig erachtet. Schwache Kirchenleitungsvolagen?… wie etwa zu Pfarrstellenbemessung (2011, Wiedervorlage 2019) oder auch gravierenden Umsetzungsproblemen mit prinzipiell umstrittenen Entscheidungen, etwa bei der Doppik. Im letzeren Fall musste jüngst die Kirchenleitung den (Achtung Consultingdeutsch:) „roll out“ erneut um ein Jahr auf 2018 verschieben. Flopps sind also – leider – keine Einzelfälle. Und so erscheint zur Gewährleistung eines reibungslosen Durchgangs zukünftiger Vorlagen eine solche Belehrung, eine Justierung des Organs der Synode mittlerweile offensichtlich als notwendig.

Doch: sind Synoden, sind die Synodalen denn per se widerspenstig? Die Erfahrung lehrt das Gegenteil: die Synodalen erscheinen in der Regel als sehr auf Harmonie bedachte Geschöpfe aufzutreten. Was ist also los? Hat sich die nach Harmonie strebende Synode gewisse Funktionen wie die der Kontrolle etwa am Ende gar nicht selbst ausgesucht? Vielleicht wurde sie ihr geradezu aufgezwungen – aus der Verantwortung nicht nur für die entsendende Region, sondern für das große Ganze der Kirche (Scherle: Christus). Und sie folgt gerade im Widerspruch – gut protestantisch – ihrem Gewissen. Und damit – so viel lässt sich ja empirisch schon nachweisen – dem Besten der Kirche. Denn mittlerweile wurden solche Positionen des Widerspruchs der Synode(n) nur zu oft durch die nachfolgende Realität mehr als bestätigt: Pfarrerschelte und massiver Pfarrstellenabbau – wer von den Führungskräften wagte es, dafür heute noch einzustehen? Strukturreformen? wer schämte sich nicht, diese als eine zentrale Problemlösungsmittel für die Kirche propagiert zu haben? Last not least: Kirche der Freiheit, das Impulspapier der Kirchenreform? Völlig demontiert durch die 5. KMU, die letzte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Alles Irrwege in einer Phase neoliberalen institutionellen Wandels auch der Kirchen, die vielleicht früher hätten gestoppt werden können, wenn in der Kirche eine Kultur des offenen Diskurses, ja des Widerspruchs bei wenig überzeugenden Vorlagen bestanden hätte. Wenn die Synode aktiv mit der Kontrollfunktion betraut worden wäre, für die die Rechnungsämter aufgrund von Amtsabhängigkeiten in Zeiten starken Veränderungsdrucks ganz offensichtlich vielfach überfordert waren. Und nun Professor Scherle, die Synode habe keine Kontrollfunktion! Um solche Aussagen zu treffen, muss man jegliche empirische Forschung konsequent ausblenden und tief in die Klamottenkiste eines platten Begriffsplatonismus greifen, wie Scherle es tut: „im ursprünglichen Sinn bedeutet das Wort Synode…“. Sorry, Herr Professor. Da war theologische und kirchliche Wissenschaft schon einmal weiter, viel weiter… Auf diesem Weg – so viel ist klar – werden die (teilweise selbstgeschaffenen und so zu benennenden) Probleme der EKHN (und der anderen Landeskirchen) nicht zu lösen sein.

 

Der Fehler der Unfehlbarkeit. Eines der größten Dogmen der katholischen Kirche hemmt jegliche ernsthafte Reform. Von Prof. em. Hans Küng in der SZ.

8. März 2016


Inständig bitte ich Papst Franziskus, der mir stets brüderlich geantwortet hat: „Empfangen Sie diese umfangreiche Dokumentation und lassen Sie in unserer Kirche eine freie, unvoreingenommene und ergebnisoffene Diskussion all der unbewältigten und verdrängten Fragen zu, die mit dem Unfehlbarkeitsdogma zusammenhängen.
… Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass diese meine Bitte Ihnen, der Sie, wie dies ein guter Kenner des Vatikans beschreibt, ,unter Wölfen‘ leben, möglicherweise nicht gelegen kommt. Aber mutig haben Sie, im vergangenen Jahr konfrontiert mit kurialen Krankheiten und sogar Skandalen, in Ihrer Weihnachtsansprache vom 21. Dezember 2015 an die römische Kurie Ihren Reformwillen bestätigt: ,Ich halte es für meine Pflicht zu bekräftigen, dass dies ein Anlass zu aufrichtigen Überlegungen und entscheidenden Maßnahmen war und weiter sein wird. Die Reform wird mit Entschlossenheit, klarem Verstand und Tatkraft fortgeführt werden, denn Ecclesia semper reformanda“‚… Zum Beitrag von Hans Küng in der SZ.

Presbyter Klaus Vitt an die Schwestern und Brüder im Synodalvorstand: „Was braucht die Gemeinde in unseren Ortschaften denn wirklich? Was will und können die für Seelsorgedienst und Predigtamt Tätigen bei 3000 – 3500 Gemeindeglieder noch leisten…?

11.Januar 2016

Liebe Schwestern und Brüder des Synodalvorstandes,

Ob in unserer Kirche Geld auf die Jahre genug vorhanden ist, da habe ich keine Sorge. Wir haben jetzt mindestens seit 2004/5 ständig um die große Sorge Geld gesprochen. In all den Jahren hat es bis zum heutigen Tag – auch nach Worten des Vizepräsidenten Klaus Winterhoff – immer einen dankenswerten guten Erfolg der Finanzen durch die positive Kirchensteuerentwicklung gegeben.

Dennoch glaube ich, sind wir nicht auf einem guten Weg.

„Kirche der Freiheit“, ein Schriftstück von über 100 Seiten, wurde 2006 von der EKD als Reformprogramm eingeführt. Was bedeutet denn da Freiheit? Ich habe etliches darin gelesen. Diese Schrift handelt von einem tief greifenden Umbau. Und dieser Umbau ist mit dem christlichsten Vokabular bereichert. Man verspürt, dass für die Zukunft unserer evangelischen Kirche eine zunehmende Hierarchie, eine wachsende Zentralisierung, dadurch eine verstärkte Bürokratisierung und eine Ökonomie gewollt sind, die sich komplett den Wirtschaftsunternehmen anpasst.

Das kann nicht unsere Aufgabe, Kirche zu sein, bedeuten. Die Kernaufgabe geht verloren. Wie viel Zeit wurde schon und wird seit Einführung dieses Jahrhundertprojektes für Doppik/NKF (Neues kirchliches Finanzsystem), Fusionen auf allen Ebenen, Kompetenzverlagerungen und der Zentralisierung benötigt. Dafür werden zusätzlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebraucht, die das alles umsetzen müssen. Presbyterien und Synoden sind für dies Projekt stetig in Gesprächen. Gemeinden wissen nur wenig darüber und fühlen sich vernachlässigt. Sie fragen sich auch, was das alles soll. Ist da die Zukunft unserer Kirche zu finden? Was ist zu tun? Wer weiß denn bei allem Planen, wie es im Papier „Kirche der Freiheit“ prognostiziert wird, was wirklich eintritt. Zunächst wird viel Geld für die Umsetzung verbraucht und nicht gering einzuschätzen die Spannung bis hin zur Verärgerung in den Gemeinden.

Jakobus schreibt in seinem Brief diesen Hinweis, nachdem er die Pläne der Menschen für heute oder morgen schon in Zweifel gezogen hat: „So Gott will und wir leben, wollen wir dies oder das tun.“ Die Kirche kann aber schon auf zwanzig Jahre planen. Für mich sehr erstaunlich! Obwohl bis heute ihre Prognosen nicht eingetreten sind.

Was braucht die Gemeinde in unseren Ortschaften denn wirklich?
Was will und können die für Seelsorgedienst und Predigtamt Tätigen bei 3000 – 3500 Gemeindeglieder noch leisten. Was für einen Dienstplan kann man noch von ihnen abverlangen?

Das verstehe ich als Aufgabe der Kirche:
Die Gemeinde braucht Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Zeit und Kraft haben, ihren Gemeindegliedern die großartige Botschaft Jesus Christus zu bieten.
Von unten muss die Gemeindearbeit mit Seelsorgern/Innen so gestaltet werden, das Glaube und Gehorsam mit der Botschaft des Evangeliums den Gliedern unserer Gemeinde verkündigt und gelebt wird. Die Liebe Jesu, der sich zum Sünder neigt und seine begnadigende Botschaft bietet, das gilt es zu bezeugen.

Dazu gehört der Besuch der älteren Gemeindeglieder, die nicht mehr zum Gottesdienst kommen können.

Dazu gehört, dass in den Hauptkirchen jeden Sonntag Gottesdienste angeboten werden und dass in Sonderheit auch in den abseits liegenden Ortschaften die Gelegenheit zumindest einmal im Monat die Gemeinschaft unter Gottes Wort geboten wird.
Dazu gehört vor allem auch die Wertschätzung unserer Pfarrer. Und das muss spürbar werden, indem einer Überbeanspruchung nicht weiter Vorschub geleistet wird.
Wenn immer mehr Pfarrstellen – von der Landessynode beschlossen – in den Gemeinden abgebaut werden, also kein Ersatz nach der Pensionierung erfolgt, kann ich mir vorstellen, dass noch mehr Mitglieder in den Gemeinden sich von unserer Kirche trennen. Was soll man in einer Gemeinde, wo der Hirte keine Zeit mehr hat und nur mehr das Dringendste leisten kann. Wobei sich die Frage stellt, was denn nun das Dringendste ist?
Was ist das für ein Zustand, wenn in Kirchen nur noch alle 14 Tage ein Gottesdienst geboten wird. Damit sagt man Gliedern der Gemeinde, dass die gottesdienstliche Gemeinschaft unter dem Wort nicht unbedingt nötig sei, geschweige denn gefordert wird.

Sicher, man kann die Gemeinde ermuntern, die Gottesdienstangebote im Fernsehbereich zu nutzen. Das wird ja auch heute von vielen genutzt. Dann kann man Gebäude und Kirchen in den Ruhestand stellen oder zum Verkauf anbieten.
Aber das ist nicht die Lösung. Die Apostel hatten reiche Treffen mit ihrer Gemeinde und hatten so Gemeinschaft im Namen Jesu.
Ich freue mich über die Gemeinden, die noch eine Vision haben, ein Gemeindehaus zu erweitern oder einen neuen Gottesdienstraum zu bauen, weil die vorhandenen Gebäude nicht ausreichen.
Auf einem solchen Weg sind wir nicht mehr. Die Sorge um unseren Reichtum lähmt die geistliche und seelsorgerliche Arbeit in den Gemeinden.

Es hört und liest sich in den Medien erschreckend an, wenn Kirchen und Gemeindehäuser, die unter großer Opferbereitschaft und Eigenleistung erstellt wurden, heute für einen „ Apfel und Ei“ auf dem freien Markt feilgeboten werden.
Das fördert noch die in unserer Kirche schon weit verbreitete Neigung, dem Gottesdienst fernzubleiben, und bei den Verantwortlichen den verständlichen Trend, sich bei der Vorbereitung und Durchführung nur auf einige Unentwegte einzustellen, also den Gottesdienst als Mitte der christlichen Gemeinde nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Ganz zu schweigen davon, dass in unserer Kirche kaum noch zum eigenständigen Lesen und Verstehen der Heiligen Schrift angeleitet und anhand von Bibel und Bekenntnis gefragt wird, worauf es im christlichen Glauben und Leben doch ankommt. Der Heidelberger Katechismus weißt auf diese wertvolle Aufgabe in Fragen und Antworten 54 + 55 hin. Dies gehört jedoch zu den ureigensten Aufgaben der zur öffentlichen Verkündigung Berufenen und entsprechend ausgebildeten Pfarrerinnen und Pfarrer, was bei einem Schlüssel von 3500 pro Pfarrstelle aber kaum realisierbar ist. Es fehlt schlicht die Zeit.

Mir macht der jetzt eingeschlagene Weg unserer Landeskirche, der mit aller Gewalt „durchgepeitscht“ werden muss, mehr als große Bedenken und Sorgen. Darum erhebe ich meine Stimme mit diesem Schreiben, weil ich spüre, warnende andere Meinungen prallen in der Synode, als wenn man sie nicht gehört hätte, einfach so ab.
Werden wir uns bewusst, Gemeinde– und Synodalarbeit besteht nicht aus der Gehorsamsleistung gegenüber der Landeskirche, wie erhalte und vermehre ich mein Vermögen. Die Kernbotschaft, was unsere Kirche ausmacht und was ihre Aufgabe ist, muss wieder im Mittelpunkt stehen.

Und das wünsche ich mir und gehe davon aus, in diesem Wunsch haben wir Einigkeit.

Darum gilt es neu aufzuarbeiten, was ist wirklich nötig und was ist überzogen.

In brüderlicher Verbundenheit und Gottes Segen und Geleit für 2016

Ihr Klaus Vitt

Am Oberrain 11
57271 Hilchenbach

Synoden-Entscheidungen über die künftige Entwicklung der evangelischen Kirchen – halten sie einer Prüfung auf Urteilsheuristik stand? von Pfarrerin Dr. Katharina Dang, Berlin.

01/2016

Daniel Kahnemann,  gilt als einer der wichtigsten Psychologen unserer Zeit und das
Erscheinen seines Buches „Schnelles Denken, Langsames Denken“ 2011 in New York
und 2012 auf Deutsch sei ein Großereignis, so ein Zitat von Steven Pinker auf dem
Umschlag des im Pantheon Verlag 2014 erschienenen Buches. Kahnemann fasst darin
als fast Achtzigjähriger die Forschungsergebnisse und Erfahrungen seines Berufslebens
allgemeinverständlich zusammen. Auf Religion geht er nur in einem Absatz ein. Er sieht
wie so viele seiner Kollegen bestimmte Prägungen menschlichen Denkens in der
Evolution aus dem Tierreich begründet und ist kein Christ, sondern wenn schon, dann
Jude. Die Probanden für seine Forschungen waren, wie an Universitäten üblich, in der
Regel Studenten. Beschäftigt haben ihn Entscheidungsfindung in der Wirtschaft, im
Finanzwesen und von Ärzten sowie Alltagsentscheidungen von Bürgern. Warum
funktionieren Lotterien? Warum wird was versichert?
Trotzdem hat mich vieles in seinem Buch an unsere evangelische Kirche in Deutschland
und den seit der Programmschrift „Kirche der Freiheit“ 2006 forcierten „Reformprozess“
erinnert.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wie es nicht anders sein kann, wenn sich
Kirchenleitende an der Wirtschaft orientieren, müssen sie auch die Fehler machen, die in
der Wirtschaft gemacht werden…. Zum download: Daniel Kahnemann Kirche-1

Schritt halten mit der Moderne: Ungleichzeitigkeit als Problem religiöser Konflikte, Verkündigung (Jugendarbeit, KU, etc. ) fördern und ausbauen, statt nach Leuchttürmen suchen. Von Ulrich Finckh, Dt. Pfarrerblatt

01/2016

Paris und Brüssel im Ausnahmezustand. Die Angriffe und Bedrohungen islamistischer Terroristen zielen ins Herz moderner Gesellschaften und ihrer Werte. Dass es sich dabei immer auch um einen Konflikt zwischen Religion und Moderne handele, hält Ulrich Finckh für vordergründig. Das Problem sind eher die auftretenden Ungleichzeitigkeiten in einer globalen Welt.


Was in Anlehnung an Huntingtons These von der Konfrontation der Kulturen allmählich als allgemeine Meinung zu gelten scheint, ist zumindest in Deutschland irreführend. Wichtiger scheint mir derzeit die Ungleichzeitigkeit gegenüber weiten Teilen der islamischen Welt. Viel, was uns an Muslimen auffällt, war vor 150 Jahren auch bei uns normal. Hier nur einige Beispiele: Die Frauen, vor allem die auf dem Land, trugen Kopftücher im Sommer wegen der manchmal staubigen Arbeit, im Winter wegen Kälte, Regen und Schnee. Dass über die Ehen, vor allem die der Töchter, die Eltern entschieden, war selbstverständlich. In der Gesellschaft, ganz besonders in Ehe und Familie, hatten die Männer das Sagen. Arbeit von Frauen war Arbeit im Haushalt oder Mitarbeit im Familienbetrieb. Die Großfamilie hatte erheblichen Einfluss auf das individuelle Denken und Tun….

Nüchtern betrachtet muss man feststellen, dass nicht religiöse Gegensätze sondern ganz andere Gründe maßgebend sind. Was hat denn dazu geführt, dass die säkulare Gegenwart so anders gegenüber früheren Zeiten geworden sind, dass es viele Menschen verunsichert oder gar empört und sie Zuflucht bei alten Texten und Traditionen suchen lässt? Soweit ich das beurteilen kann, ist es die veränderte Wirtschafts- und Berufswelt. Die Familienbetriebe, die früher die Gesellschaft vom Fürstenhaus bis zum kleinsten Bauern und Handwerker prägten, sind in Nordamerika und Europa, Japan und Australien sowie den meisten Großstädten weltweit bis auf Restbestände durch Großbetriebe abgelöst worden. Die Änderung beeinflusst das Verhalten und ist ein wichtiger Grund für die Ablehnung der Moderne, insbesondere der westlichen Bildung und Lebensführung von Seiten der Traditionalisten. …

Ein Beispiel für die Schwierigkeiten des Umdenkens: Da die katholische Kirche in der Welt der Familienbetriebe die Ehe als Sakrament verstanden hatte, hat sie nun große Schwierigkeiten, sich mit der veränderten Situation zu arrangieren und sich darauf einzustellen, dass die rein privat gewordene Ehe, die nur auf der unsicheren Basis der Liebe beruht, zerbrechlich ist und aufgelöst werden kann und muss, wenn aus Liebe Verdruss und Gleichgültigkeit wird oder die Liebe gar in Hass umschlägt. Wie schwierig das Umdenken ist, zeigt sich an der merkwürdigen Bewertung, dass ein Seitensprung gebeichtet werden kann und dann keine weiteren Probleme macht, aber eine ordentliche Scheidung und neue Ehe Katholiken von den Sakramenten ausschließt. …

Wo an einer vergangenen Gesellschaftsstruktur hängende Werte bewusst religiös begründet werden, weil das inzwischen die einzige funktionierende Begründung ist, erhält diese eine besondere Bedeutung. Es entsteht ein Fundamentalismus, der die jahrtausendealten Lehren nicht nur wörtlich nimmt, sondern nun bewusst als Glaubensartikel propagiert. Das geschieht, da Glaubensfragen Menschen über das Rationale hinaus bewegen, oft mit unglaublicher Härte und kann bis zu blindwütigem Fanatismus gehen….

Vergiftet werden die Streitereien, wenn sie mit Machtfragen verquickt werden. In vielen Staaten setzen Regierungen Religion als Mittel der eigenen Legitimation ein. Dabei gibt es nicht wenig Heuchelei, wenn etwa Staatspräsidenten nach Paris kommen, um sich an dem Trauerzug nach den Morden an den Karikaturisten von »Charlie Hebdo« zu beteiligen, während sie im eigenen Land jede Kritik blutig verfolgen. Auf der anderen Seite muss man allerdings sagen, dass der »Westen«, der für die Moderne steht, die Auseinandersetzung seit 9/11 auch nicht fair führt. Die Diffamierung der Andersdenkenden in der westlichen Welt ist höchst unerfreulich….

Als Christen brauchen wir eine unserer Zeit entsprechende Darstellung, warum die Botschaft Jesu von mitfühlender Liebe, Frieden, Offenheit, Verständnis und Vergebungsbereitschaft auch für die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse unserer modernen Welt wichtig ist, und vor allem, was sie für unser Leben und Handeln bedeutet. Mit Paulus gefragt, was das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene in unserer Zeit ist. Die dafür notwendige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Fundamentalismus muss den verschiedenen Konfessionen überlassen, aber energisch von ihnen eingefordert werden. Für die evangelischen Kirchen bedeutet das, dass man die Verkündigung, also die Jugendarbeit, den Konfirmandenunterricht, die Predigten und Bibelseminare der Gemeindepfarrer fördern und ausbauen muss, statt nach Leuchttürmen zu suchen und Organisationsfragen im Großen zur Aufgabe zu machen. Nur Gemeinden, die mit der Bibel verständig umgehen können, sind vor Abgleiten in Fundamentalismus und überhebliche Rechthaberei gefeit. Und wo die Religion zum Machterhalt missbraucht wird, muss deutlich gemacht werden, dass nicht die Religion sondern der Machtmissbrauch der Herrschenden das Übel ist.  Zum Aufsatz.

Lutherischer Konvent in der EKiR stimmt Wormser Wort zu.

Der Lutherische Konvent im Rheinland ist eine Gemeinschaft evangelisch-lutherischer Christen im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland. Der Konvent wurde während des Kirchenkampfes am 29. Dezember 1936 gegründet. Er ist Mitglied in der Lutherischen Arbeitsgemeinschaft in Deutschland.

Wie Idea (Idea Spektrum 05.03.2015, S. 40) berichtet, stimmt der Konvent dem Wormser Wort zu. Dort heißt es: „Der Lutherische Konvent im Rheinland hat sich auf seiner Frühjahrstagung in BOnn dem kirchenkritischen Wormser Wort angeschlossen. Wie ihr Vorsitzender Pfr. Winfried Krause sagte, hält der Konvent die Abbau- und Umbauprozesse in der EKD und in der rheinischen Kirche für bedenklich…“

Nach Publik Forum berichtete damit auch Idea über die Erklärung. Anzumerken ist, dass bei der Berichterstattung bei Idea der Satz „Kommunikation des Evangeliums“ der 1. These des Wormser Wortes (vgl. dazu etwa Prof. Christian Grethlein „Praktische Theologie“) ersetzt wird durch „Verkündigung des Evangeliums“. Das ist ein deutlicher Unterschied, der bei einer professionellen Berichterstattung nicht passieren sollte. F.S.

„Auf die Möglichkeit wenigstens dieses Protestes habe ich seit Jahren gewartet.“ – Neue Kommentare zur Petition ‚Wormser Wort‘.

Seit 29.12.14 steht das Wormser Wort als Online-Petition im Netz. An dieser Stelle veröffentlichen wir schon zuvor dort angebrachte Kommentare.  Wir setzen die Veröffentlichung heute fort: 

Jürgen M.
Auf die Möglichkeit wenigstens dieses Protestes habe ich seit Jahren gewartet.

Joachim W.
Ich habe unterzeichnet, weil ich erlebe wie belastend die vielen Sitzungen für Haupt-und Ehrenamtliche sind. Immer weniger Verkündigung, immer mehr Strukturdiskussion macht keinen Spaß.

Margit v.
Ich wünsche mir, dass unsere Kirche zukunftsfähig wird!

Siegfried H.
Neoliberaler Umbau der Kirche unter scheinheiligen Vorwänden. Die BWLer haben auch in der Kirche die Macht übernommen und machen sie kaputt.

Friedrich M.
weil ich eine marktkonforme Kirche ablehne

Thomas d.
Die Kirche ist für die Menschen da und nicht umgekehrt. Nur aus den Gemeinden schöpfen wir Kraft.

Helge B.
Zusammenhalt und Erhalt leisten die Kirchenmitglieder, an ihnen kann nicht „gespart“ werden!

Bodo K.
Wir brauchen echte Konzentrationsprozesse, die auch neue Arbeitsformen ermöglichen, keine Reduktionsprozesse, die den erwarteten Stand von 2030 einfach vorwegnehmen.

Bernhard L.
Wenn die Kirche es nicht mehr als ihre Aufgabe sieht die Menschen aufzufangen, sondern sogar die Türen vor ihnen schließt, ist das nicht im Sinne des christlichen Gedankens.

Günter Z.
Es fehlt der persönliche Bezug. Übergemeindliche Angebote machen nur Sinn, wenn auch eine Basis da ist.

Melchior H.
Im Vertrauen auf Jesus mutige Schritte der Nachfolge zu wagen und die frohe Botschaft mit Begeisterung zu verkünden: Das sind nicht mehr Dinge, die man mit der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung bringt. Es ist Zeit für eine Kurskorrektur und ein überzeugtes Bekenntnis „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“! Die finanziellen Entscheidungen in unserer Kirche müssen dem Reich Gottes untergeordnet werden, nicht andersherum.

 

Protest der Protestanten. Von Christoph Fleischmann.

24.01.2015, von Christoph Fleischmann, Publik Forum

Ein Gespenst geht um in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Bis 2030 könnte sie ein Drittel ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Finanzkraft verlieren, so die Befürchtung. Formuliert wurde diese Prognose des Niedergangs ironischerweise in einer Schrift, die zum Aufbruch blasen wollte: In dem Impulspapier »Kirche der Freiheit« aus dem Jahr 2006. Es sollte zum »Wachsen gegen den Trend« aufrufen, aber die düsteren Prognosen waren wirkmächtiger. Und der zeitgleich und völlig geräuschlos verabschiedete »Erweiterte Solidarpakt« der Landeskirchen lehrte ebenfalls: Wenns ums Geld geht, vertrauen die Kirchenleitungen nicht auf das »Wachsen gegen den Trend«, sondern lieber auf das Schrumpfen mit dem Trend. Sie verpflichteten sich zu einer extrem sicherheitsorientierten Rücklagenpolitik: »Wir müssen viel Geld zurücklegen, besonders für die Pfarrpensionen, denn die schwachen Jahre liegen noch vor uns«, hieß es. Petition kann im Internet unterzeichnet werden Dem widersprechen nun engagierte Protestanten in einem Text, der in Worms verfasst wurde, wo Protestantisch-Trotziges ja zur Lokaltradition gehört. Das »Wormser Wort« steht als Online-Petition im Internet, jeder kann es seit dem Jahreswechsel unterzeichnen. Fast 500 Unterstützer hat es bislang gefunden. Es wendet sich gegen den durch die befürchtete Finanzknappheit initiierten Umbauprozess der evangelischen Kirchen. Die Autoren des Wormser Wortes wollen die Gemeinden stärken. Was zunächst konservativ klingt, kann durchaus vorwärtsweisend sein.

Zum Artikel.

Und im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe 1/2015:

Wormser Wort: »Nein zum bisherigen Umbauprozess der Kirche durch die EKD«

Während des 73. Deutschen Pfarrertags in Worms im September 2014 traf sich der Verein »Wort-Meldungen« und verfasste nachstehende Resolution zum Reformprozess der EKD.