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Neuorientierung der Friedensethik in der Evangelischen Landeskirche Baden?

03/2015, Hans Dieter Zepf, Pfarrer i. R.

Der Arbeitskreis Frieden im Evangelischen Kirchenbezirk Breisgau – Hochschwarzwald beantragte im Frühjahr 2011 in einer Eingabe an die Evangelische Bezirkssynode Breisgau – Hochschwarzwald eine Neuorientierung der evangelischen Friedensethik. Er hatte in seinem Schreiben vom 17.März 2011 an die Bezirkssynode mit der Bitte um Weiterleitung an die die Landessynode ausgehend von der Jahreslosung 2011 „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21) diesen Impuls zum Anlass genommen die „friedensethische Position der Evangelischen Kirche in Deutschland – „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen von 2007 in wesentlichen Teilen in Frage zu stellen“.

Unter der Überschrift „Anregungen für eine Neuorientierung evangelischer Friedensethik“ werden nach einleitenden Bemerkungen 10 Thesen formuliert. Die einleitenden Bemerkungen sowie die 10 Thesen sind im vollen Wortlaut wiedergegeben:

„Die bisherigen friedensethischen Äußerungen der EKD bestätigen im Grunde – bei kleineren, vorsichtigen Veränderungsvorschlägen – die vorherrschende
sicherheitspolitische Auffassung, dass man auf eine militärische Option (das heißt im Zweifelsfalle, zur Kriegsführung bereit zu sein) zur Friedenssicherung nicht verzichten könne und eine Beteiligung an einem Krieg, eine für Christen mögliche Handlungsoption sei. (54, 60, 61, 66 u.a.)

Dabei wird offenbar übersehen, dass Jesus in dem, bei jeder Taufe in Erinnerung gebrachten,„Missionsbefehl“ (Mt 28,20) auffordert, alles zu halten, was er befohlen hat. Eine der zentralsten und von ihm selbst praktizierten Aufforderungen sind die zu Gewaltverzicht und Feindesliebe (Mt 5,38 ff) bzw. die alle biblischen Gebote zusammenfassende Goldene Regel (Mt 7,12). Nach Jesus ist Gewaltverzicht und Feindesliebe Ausdruck unserer Gotteskindschaft (Mt 5,44-48) als auch ein Gebot der Klugheit (Mt 7,24ff.).

Eine Reihe von evangelischen Christen haben ihre Nachfolge an diesem Wesenskern christlichen Glaubens orientiert und werden deshalb nicht ganz zu Unrecht auch als „evangelische Heilige“ verehrt und in der kirchlichen Jugendarbeit und im Religionsunterricht zusammen mit weiteren, sich auf Jesus berufenden Menschen unseren Kindern und Jugendlichen als Vorbilder nahe gebracht. Beispielhaft möchten wir Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, den späten Carl Friedrich von Weizsäcker, Martin-Luther King, Desmond Tutu und die vielen Christen in den Friedensgruppen der ehemaligen DDR wie beispielsweise Christian Führer nennen, die konsequent und glaubwürdig die von Jesus Christus gelehrte Gewaltfreiheit im 20. Jahrhundert praktiziert und vertreten haben. Bedauerlichweise scheinen diese Glaubenszeugen, wenn es wie in der EKD-Denkschrift um eine friedensethische Positionsbestimmung geht, dann plötzlich nicht mehr zu existieren oder für die reale Welt nicht mehr beispielhaft zu sein.
Um Anhaltspunkte für die anstehenden Fragestellungen zu geben, seien nachfolgend einige Thesen formuliert:

1) Die im biblischen Schöpfungsglauben bezeugte Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet seine unantastbare Würde und verwehrt damit die bewusste Inkaufnahme seiner Verletzung oder gar Tötung, wie sie geplant und vorbereitet vor allem im Krieg geschieht. Als Kinder des himmlischen Vaters ist es uns
nicht möglich, Konflikte mit Kriegsandrohung verhindern oder mit Krieg lösen zu wollen, ohne die Substanz des Evangeliums aufzugeben.

2) Nach über 1600 Jahren „konstantinischem Zeitalter“, in dem staatliche Machtpolitik mehr oder weniger die Bibelauslegung bestimmt hat – mit im wahrsten Wortsinne verheerenden Folgen, ist es an der Zeit, sich auf die Ursprünge unseres Glaubens an den Gott des Friedens zu besinnen und daraus die notwendigen Veränderungen abzuleiten. Die Gewaltfreiheit Jesu wieder ins Bewusstsein zu rücken, ist dringlicher denn je und sowohl eine stetige innerkirchliche Bildungsaufgabe wie auch ein missionarischer Auftrag in dieser Welt.

3) Die historische Verantwortung, die wir heutige Christen in Deutschland nach zwei von deutschem Boden ausgegangenen schrecklichen Weltkriegen haben, lehrt uns, Krieg unter keinen Bedingungen als eine mögliche Handlungsoption zu akzeptieren. Wenn Krieg „Sünde wider Gott und eine Entwürdigung des Menschen“ ist (Ökumenische Vollversammlung in Amsterdam, 1948)7, dann ist es konsequent, für die vollständige militärische Abrüstung unseres Landes, das heißt, die ersatzlose Abschaffung der Bundeswehr einzutreten. Deutschland sollte aus seiner historischen Verantwortung heraus den Anfang der Entmilitarisierung machen.

4) Die Gewaltfreiheit als Ausdruck der christlichen Nächstenliebe ist eines der zentralen Wesensmerkmale des christlichen Glaubens, symbolisiert durch das Kreuz und die Auferweckung Christi. Das Vorbild des gnädigen und barmherzigen Gottes, der sich uns gerade im Leben Jesu in einzigartiger Weise geoffenbart
hat, ruft uns alle zu einem gewaltfreien Verhalten im persönlichen wie im politischen Bereich auf. Dabei geht es nicht um ein passives Hinnehmen des Bösen, sondern um ein Aktivwerden mit dem Ziel, das Böse durch Gutestun zu überwinden (Jahreslosung 2011). Hierfür gilt es, die vielen Erfahrungen mit
Gewaltfreier Aktion in der Vergangenheit und Gegenwart, so auch den in der EKD-Denkschrift erwähnten Zivile Friedensdienst (182), zum Vorbild zu nehmen und in kreativer Weise für neue Konfliktsituationen (z.B. als Soziale Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland) weiterzuentwickeln. Dazu sollten auf
EKD- oder landeskirchlicher Ebene Forschungsaufträge erteilt bzw. Arbeitsgruppen eingerichtet werden. Wir Christen würden dadurch unserem Auftrag nachkommen, Salz und Licht der Erde zu sein.

5) Dass auch ein entmilitarisiertes Land mit Risiken zu rechnen hat, ist uns bewusst. Diese sind jedoch im Vergleich mit den in Geschichte und Gegenwart bekannten Folgen militärischer Rüstung undKonfliktaustragung eher in Kauf zu nehmen. Hinzu kommen die Vorteile einer Entmilitarisierung: Sicherheitsgewinn durch Angstabbau bei möglichen Gegnern, Glaubwürdigkeits- und Ansehensgewinn, Kosten- und Ressourcenersparnis und vermehrtes Engagement für Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung sowie Vorbild- und Modellfunktion für andere Länder. (Ein Beispiel hierfür könnte die mit der Gründung der Bundesrepublik beschlossene beispiellose Abschaffung der Todesstrafe sein, die heute zum europäischen Standard geworden ist.)

6) Das Vertrauen auf militärische Gewalt und entsprechende Bündnispolitik wurden schon in der Geschichte Israels als ein Widerspruch zum Vertrauen auf den HERRN kritisiert (sehr eindrücklich in Esra 8,22 ff). Auch Jesus warnt vor der Unmöglichkeit, zwei Herren dienen zu können, in diesem Fall Gott oder Mars. Insbesondere sehen wir uns durch die Seligpreisungen Jesu für die Sanftmütigen und die Friedensstifter (Mt 5,5.9) auch geistlich ermutigt, diesen Weg einzuschlagen.

7) Die wesentliche Voraussetzung zu einem dauerhaften Frieden ist nach biblischem Zeugnis die Gerechtigkeit. Wenn Menschen im sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenleben fair miteinander umgehen, werden wesentliche Voraussetzungen zum Krieg abgebaut. Die Goldene Regel Jesu („Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das sollt auch ihr ihnen tun.“ Mt 7,12) kann in allen Lebensbereichen zu einem fairen Verhalten sensibilisieren und den Weg zu mehr Gerechtigkeit weisen. Wie in der EKD-Denkschrift zutreffend ausgeführt, erfordert ein Mehr an weltweiter Fairness, dass in den gegenwärtig reichen Ländern ressourcensparender gelebt wird. Persönliche und institutionelle CO2 –Bilanzen können ein hilfreicher Indikator für das individuelle und kollektive Verhalten sein und Veränderungen einleiten, wie auch die Sensibilisierung und Werbung für den Kauf von Fair-Trade-Produkten.

8) Die drei aus der prophetischen Tradition des Ersten Testamentes stammenden Kriterien zur einer friedlicheren Welt (Jes 2,1 ff/Mi 4,1 ff.) geben auch für die Gegenwart wichtige Impulse:

> Schaffung und Erhaltung gerechter Strukturen in und zwischen den Völkern sowie Anerkennung übergeordneter Schiedsinstanzen für Konfliktregelungen
(zwischen den Staaten- Zusatz zum besseren Verständnis v. H.D.Z.)

> Konversion der Kriege ermöglichenden und auch hervorrufenden Rüstungsproduktionen in zivile, lebensdienliche Produktionen

> Weigerung der BürgerInnen, sich für Militärdienste zur Verfügung zu stellen

9) Eine dem gedeihlichen Zusammenleben der Menschen verpflichtete rechtsstaatliche Polizei- und Justiz (nur dies lässt sich nach unserer Auffassung aus Rö 13 ableiten), die Gewalt ausschließlich nach den zivilen Notwehr- und Nothilferegeln anwenden darf, ist mit den christlichen Grundsätzen vereinbar. Diese kann zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Terror, internationalem Menschenhandel usw. unter denselben Bedingungen auch auf übergeordneten Ebenen wie EU oder UNO eingerichtet werden.

10) Das Nachdenken über eine christliche Stellungsnahme zur Friedensethik muss in erster Linie von der christlichen Friedenstheologie abgeleitet werden. Dabei gilt es, die verschiedenen Traditionen in unserer Kirche zu Wort und ins Gespräch kommen zu lassen. Da Gewaltfreiheit im Unterschied zu militärischer Gewalt nicht direktiv verordnet werden kann, sondern vom Engagement vieler Menschen lebt, ist eine breite Diskussion in den Gemeinden und Kirchenbezirken erforderlich“.

Diese Thesen sind bemerkenswert. Ihr Kernpunkt ist die Aufgabe des Ultima-Ratio-Denkens, dem die Friedendenkschrift von 2007 verhaftet bleibt.

Aufgrund der Eingabe des Kirchenbezirkes wurde eine Arbeitsgruppe im Aufttrag des Evangelischen Oberkirchenrates gebildet, die 2012 einen Entwurf für ein Positionspapier erarbeitete. Diese Arbeisgruppe bestand aus Mitgliedern der Landessynode, des Kollegiums des evangelischen Oberkirchenrates und Fachleuten.
Die Zusammensetzung der Arbeitgruppe signalisiert die Bedeutung der Eingabe des Kirchenbezirkes. Das Positionspapier wurde dann mit einer Stellungnahme der Militärseelsorge an die Bezirkssynoden mit der Bitte um Beratung und Stellungnahme weitergeleitet. Es wurde auch in den Kirchenbezirken, in Kirchengemeinden und Gruppen diskutiert.

Kern des Positionspapieres ist ebenso wie in der Eingabe des Kirchenbezirkes die Ablehnung der Ultima-Ratio. In der Zusammenfassung des Positionspapieres heißt es: „Der Krieg muss ein für allemal geächtet werden! Er darf für Christen nicht mehr zu den Handlungsoptionen gehören. In der Nachfolge Jesu und der Aufnahme der Weisungen der Bergpredigt sind gewaltfreie Methoden die für Christen gebotene und politisch vernünftige Handlungsoption zur Verteidigung von Menschenrechten und zur Überwindung von Unrecht und Unterdrückung“ (Hervorhebung H.D.Z.).

Der Diskussionsprozess ergab – wie zu erwarten war – Kritik und Änderungsvorschläge. (Einzelheiten siehe hierzu unter www.ekiba.de/friedensethik).

Änderungsvorschläge und Kritik wurden von der Arbeitsgruppe in einem zweiten Entwurf eingearbeitet, der den Titel trägt: „Richte unsere Füsse auf den Weg des Friedens (LK 1,79) Ein Diskussionsbeitrag aus der Evangelischen Landeskirche in Baden“ .“ Aus dem Positionspapier wurde ein Diskussionspapier“, das die Landessynode am 24. Oktober 2013 veabschiedete. In einem Hinweis zum Text des Diskussionsbeitrages heißt es : „Er soll dazu dienen, die Auseinandersetzung über friedensethische Fragen zu fördern“.

Im folgenden zitiere ich aus dem Diskussionspapier, da es für alle weiteren Diskussionen grundlegend ist. Das Papier hat zwei Punkt, wobei Punkt zwei sechs Unterpunkte hat.

1. Ausgangslage: die militärischen Interventionen in Jugoslawien, Irak, Afghansitan, und Libyen werden humanitär begründet. „Die Ergebnisse dieser Interventionen zeigen, dass sie die menschenrechtliche Problematik nicht zu lösen vermögen, sondern eher noch verschärfen. … Militärische Interventionen können die Machtverhältnisse verändern, nicht aber den Frieden bringen oder langfristieg zur Verbesserung der Menschenrechte beitragen“.

Beispiele gewaltfreier Bewegungen machen deutlich wie Veränderungen möglich sind. „Untersuchungen von US-amerikanischen Forscherinnen, die sämtliche Bürgerkriege und Aufstände zwischen 1900 und 2006 analysiert haben, belegen, dass gewaltfreie Revolutionen weit erfolgreicher ihre Ziele erreichen als bewaffnete Revolutionen und weniger Menschenleben und Traumatisierungen beklagt werden müssen“.

Weltweit kann das Ansteigen der Rüstungsausgaben beobachtet werden. Deutschland liegt mit seinen Waffenexporten an dritter Stelle. „Unsere Volkswirtschaft – und mit ihr die Kirchen profitieren von Gewalt und Krieg“.
Anmerkung: Inzwischen liegt Deutschland an vierter Stelle. Amerika, Russland und China liegen davor.

2. Biblische und theologische Einsichten

2. 1 Biblische Orientierung

„Eine gesamtbiblische Perspektive lässt keine theologische Rechtfertigung von Krieg zu. … Jenseits dieser gesamtbiblischen Perspektive werden immer wieder einzelne Bibelstellen herausgegriffen, um Gewalt oder Krieg mit ihnen zu rechfertigen“. … Aus der „Gottebenbildlichkeit bezieht der Mensch seine besondere Würde. Hierin ist auch die ´Weisung zum Schutz des menschlichen Lebens´das Gebot ,Du sollst nicht töten´ im Dekalog begründet (Exodus 20,13. (Die Einheitsübersetzung schreibt, dem hebräische Urtext angemessener: ,Du sollst nicht morden´ ;gemeint ist das unrechtmäßige Töten eines Menschen“ Hervorhebung H.D.Z. – Gibt es das rechtmäßige Töten von Menschen?? Im Positionspapier wird diese Unterscheidung nicht getroffen).

In der Bergpredigt fordert Jesus zur aktiven Gewaltfreiheit auf. „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin (Mt. 5,39). Dieses Verhalten nimmt die Gewalt weder passiv hin, noch wird mit Gegengewalt reagiert. Vielmehr gibt es dem Angegriffenen seine Würde zurück, lässst die Aggressivität ins Leere laufen und führt so aktiv aus der Gewaltspirale heraus“.

2.2 Ethos der Gewaltfreiheit in der Bergpredigt versus Lehre vom gerechten Krieg

Als das Christentum nach der konstantinischen Wende zur Staatreligion wurde, wurde die Bergpredigt „zur Sonderethik für besonders berufene Christen (z.B.Mönche oder Priester)“. … Die Lehre vom gerechten Krieg „entwickelte der Kirchenvater Augustin“ … Damit soll „die zerstörerische Kraft des Krieges“ eingedämmt werden.

2.3 Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden – Stationen auf dem Weg der Friedensethik

Anstelle der Lehre vom gerechten Krieg wurde das Konzept des gerechten Friedens entwickelt. „Die Abkehr vom Konzept des ,gerechten Kriegs´ begann unter dem Eindruck der Verheerungen des 2. Weltkrieges“.

„Der ,ökumenischen Aufruf zum gerechten Frieden´ von 2011 stellt im Blick auf die immer wieder aufbrechende Kontroverse um die Anwendung von militärische Gewalt fest: ,Jahrzehntelang haben die Kirchen mit ihrer Uneinigkeit in dieser Frage gekämpft; aber der Weg des gerechten Friedens zwingt uns jetzt, darüber hinaus zu gehen. Lediglich Krieg zu verurteilen reicht jedoch nicht aus; wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um Gerechtigkeit und friedliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern und Nationen zu fördern. Der Weg des gerechtenFriedens unterscheidet sich grundlegend vom Konzept des „gerechten Krieges`´ und umfasst viel mehr als den Schutz von Menchen vor ungerechtem Einsatz von Gewalt; außer Waffen zum Schweigen zu bringen, schließt er soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Sicherheit für alle Menschen ein`. Und: Als Christinnen und Christen fühlen wir uns verpflichtet, ,jede theologische oder andere Rechtfertigung des Einsatzes militärischer Gewalt in Frage zu stellen und die Berufung auf da Konzept eines „gerechten Krieges„ und dessen übliche Anwendung als obsolet zu erachten`“.

2.4 Ungeklärte Fragen der EKD-Denkschrift des ÖRK

Die EKD-Denkschrift von 2007 bekräftigt zwar die „vorrangige Option für die Gewaltfreiheit“, allerdings lässt sie „den Einsatz militärischer Gewalt zu, für den Fall, dass andere Mittel der Konfliktlösung versagen“. Die Frage der sogenannten „Schutzverantwortung“ ( responsibility to protect) wird in der Ökumene kontrovers diskutiert.

Die Idee des „just policing“ wird international diskutiert. „Dabei wird konsequent zwischen militärischer Gewalt und polizeilichem Zwang unterschieden. … An dieser Idee muss noch grundlegend weiter geforscht und gearbeitet werden“.

2.5 Friedensethische Wegweiser

1. „ ,Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens`: Das weite Verständnis vom gerechten Frieden und die Praxis der Gewaltfreiheit Jesu fordern uns zu einem Weg heraus, auf dem theologisches Nachdenken und kirchliche Praxis unbedingt zusammen gehören und einander beeinflusssen. Dieser Weg kann nicht verordnet werden, sondern hängt vom Engagement vieler ab. Er ist deshalb einladend und bemüht, auch kontroverse Fragen im Sinne der Friedesverheißung auszutragen.

2. Im Mittelpunkt dieses Weges steht die Praxis der aktiven Gewaltfreiheit. Diese zu lernen und zu lehren ist eine zentrale Aufgabe der Kirche. Sie entspricht damit ihrem Auftrag, Kirche des Friedens zu sein.

3. Gerechter Friede fordert uns heraus, vom Frieden her zu denken und die Konsequenzen unseres Handeln im Blick auf alle Dimensionen des gerechten Friedens zu betrachten. Im Zusammenhang mit der Friedenskonvokation in Kingston/Jamaica wurde der Friedensbegriff in vier Dimensionen entfaltet:

– Frieden in der Gemeinschaft: Hier kommen alle Themen des friedlichen Miteinanders im Nahbereich in den Blick

– Frieden mit der Erde: Hier werden alle Fragen des Umganges mit der Schöpfung und den in ihr vorhandenen Ressourcen thematisiert.

– Frieden in der Wirtschaft: Hier geht es um ein gerechtes Wirtschaften global wie regional, das dem Frieden dient.

– Frieden zwischen den Völkern: Hier kommen die friedensethischen Fragen im engeren Sinn sowie alternative zivile Schritte der Konfliktbearbeitung und – prävention inden Blick“.

2.6 Zusammenfassung
„Carl Friedrich von Weizsäcker hatte schon 1963 erklärt: ,Der Krieg als Institution muss in einer fortlaufenden Anstrengung abgeschafft werden` Angesichts der schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wurde sowohl von der Ökumene und von den Vereinten Nationen, als auch von der badischen Landeskirche wiederholt die Ächtung des Krieges ausgesprochen: ,Krieg scheidet als Mittel der Politik aus und darf nach Gottes Willen nicht sein!“ Daher muss der Tendenz gewehrt werden, den Krieg wieder als normales Mittel der Politik anzusehen und wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. In der Konsequenz bedeutet dies, auf militärische Einsätze zu verzichten.
In der Nachfolge Jesu Christi steht uns eine Fülle ziviler, gewaltfreier Mittel zur Verfügung, um uns national und international für gerechten Frieden einzusetzen. Als Christen sehen wir für diesen Weg alle Verheißungen. So kann wirkliche Versöhnung zwischen verfeindeten Parteien wachsen.
In Ergänzung zu gewaltfreien Mitteln der Konfliktbearbeitung sind allein rechtstaatlich kontrollierte polizeiliche Mittel ethisch legitim. In kriegsähnlichen Konfliktsituationen, die die nationalen Polizeikräfte überfordern, ist an internationale, durch das Völkerrecht legitimierte, z.B. den Vereinten Nationen unterstehende Polizeikräfte zu denken“.

Schlussbemerkungen

Im Positionspapier wird das Ultima-Ratio-Denken abgelehnt, im Diskussionspapier nicht wie ein Vergleich der jeweiligen Zusammenfassung unschwer erkennen läßt (vgl auch Zitat des Positionspapieres auf Seite 4).

Positiv ist zu bemerken, dass die Evangelische Landeskirche in Baden einen Diskussionsprozess ausgelöst hat, der hoffentlich von allen Landeskirchen und auf EKD-Ebene aufgenommen wird.

 

Tolerant – Eine christliche Tugend? von Prof. em. Hans-Jürgen Benedict

18.3.2014
Wir haben zwar genug Religion einander zu hassen, aber nicht genug Religion einander zu lieben, hat Jonathan Swift einmal treffend bemerkt. Wieso sind Religionen, die die Liebe und Barmherzigkeit predigen, so oft intolerant?
Tolerant – eine christliche Tugend? Ja, Fragezeichen in der Tat. Denn als Christ stecke ich in einer Falle. Denn einmal abgesehen von der Sorge um das ewige Heil der Menschen, die als Grund der Intoleranz der Kirche lange sogar aus der Liebe abgeleitet wurde (etwa bei Thomas von Aquin) – kann ich, wenn ich voll und ganz von der Wahrheit meines Glaubens überzeugt bin, tolerant gegenüber anderen Glaubenshaltungen sein, mehr noch: ihnen mit Respekt begegnen? Auch das Christentum hat Teil an einer menschlichen Eigenart nämlich der Neigung, nicht nur eigene Überzeugungen zu haben sondern sie dem anderen aufzuzwingen. Wir merken das in kontroversen Diskussionen, in jeder Talkshow, wo es fast allen Diskutanten schon schwerfällt, den anderen ausreden zu lassen. Hat das Christentum diese anthropologische Neigung zur Selbstbehauptung durchbrochen oder sie im Gegenteil verstärkt, weil es sie mit dem Konzept der Liebe verbunden hat… Zum Artikel.