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Das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ und seine Weichenstellungen. Ein Zwischenruf aus dem Jahr 2010. Von Prof. Eberhard Mechels.

05/2017

Das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ und seine Weichenstellungen.
Ein Zwischenruf aus dem Jahr 2010

Eberhard L.J. Mechels

1. Eine positive Bilanz?

Die Bilanz „Reformprozess“ der EKD seit der Veröffentlichung des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ vom Juli 20062 ist nicht so positiv, wie einige sie gern sehen wollen. Denn erstens sind Bilanzen von der Art „Aufbruch mit Rückenwind“3 wenig überzeugend, wenn dort Reformen als durch „Kirche der Freiheit“ „angestoßen“ oder „beflügelt“ aufgelistet werden, die zum großen Teil vor 2006 bereits abgeschlossen waren (so in der EKHN, 2000) bzw. vor und unabhängig von „Kirche der Freiheit“ begonnen wurden und liefen (so in der Badischen Landeskirche, in der Evangelischen Kirche im Rheinland, in der Nordkirche.) Und zweitens ist der Tenor dort so überaus positiv, auch von Insidern des EKD-Kirchenamtes, dass Zweifel aufkommen: „´Kirche der Freiheit´ hat als Katalysator gewirkt und überall die Reformkräfte gestärkt, bestätigt Oberkirchenrat Thorsten Latzel, Leiter des ´Projektbüros Reformprozess im Kirchenamt…“4 „So viel Aufbruch gab es selten.“5 Demgegenüber fällt auf, dass auf kritische Stimmen wie z.B die von Michael Welker, Matthias Rein, Christian Möller, Christoph Demke, Rolf Adler, Rolf Festerra, Klaus Douglass, Klaus Hoffmann, Friedrich Weber, Wilfried Härle, Isolde Karle, Heino Falcke, Klaus Weber, Christof Dinkel, Günter Thomas, Hans Martin Dober6, um einige der fundiert argumentierenden Kritiker zu nennen, inhaltlich kaum Bezug genommen wird, sondern allenfalls durch diskreditierend – abschätzige Charakterisierungen. Dazu nur ein Beispiel: “Der Impuls der EKD ´Kirche der Freiheit´ wurde in der inner- und außerkirchlichen Öffentlichkeit überwiegend positiv aufgenommen… Aus dem Funktionärsmilieu und von Hochschullehrern kam dagegen harsche Kritik.“7 Mit keinem Satz wird hier auf die Argumente und Anfragen eingegangen, sondern es wird schlicht konstatiert: „Im Rückblick auf diese Debatte können sich die Autoren des Impulspapiers nur bestätigt fühlen.“8

Mechels Aufsatz 2010

Ein Schiff auf Sand. Anmerkungen zum Zustand der Ev. Kirche im Rheinland im Jahr des Reformationsjubiläums. Von Hans-Jürgen Volk.

01/2017

Martin Luther war wahrhaftig kein Heiliger. Prägend für den Protestantismus ist jedoch sein Auftritt auf dem Wormser Reichstag 1521. Das Schicksal von Jan Hus noch im Gedächtnis, der trotz Sicherheitszusagen im Rahmen des Konstanzer Konzils als Ketzer verbrannt worden war, widersetzt sich Luther dem autoritären Ansinnen auf Widerruf seiner Positionen, wie er sie insbesondere in den 1520 erschienen Schriften „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ und „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ zum Ausdruck gebracht hatte. Luther sagte damals: „… wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“

Trotz des Netzwerks an Unterstützern, zu dem eine Reihe von einflussreichen Landesfürsten gehörte, offenbart diese Haltung Mut. Ein einzelner Theologe stellt sich der sich selbst sakralisierenden Großorganisation „Kirche“ entgegen, die in der damaligen Zeit keinerlei Skrupel hat, vermeintliche oder tatsächliche Widersacher auf demütigende und schmerzhafte Weise ins Jenseits zu befördern.

Offene Debatten nicht gewünscht!
Blickt man auf die Landessynoden der Ev. Kirche im Rheinland (EKiR) der vergangenen Jahre, so wird man von diesem mutigen, widerständigen und organisationskritischen Geist Luthers bestenfalls Spurenelemente ausmachen können. Es ist zu befürchten, dass sich dies auch bei der Landessynode im Jahr des Reformationsjubiläums kaum anders darstellen wird.
Diese fehlende Debattenkultur hat für die EKiR schädliche Nebenwirkungen. Falsche Weichenstellungen werden so verstetigt. Neue Fakten, die diese falschen Weichenstellungen in Frage stellen, werden nicht genügend wahrgenommen oder gänzlich ignoriert. Offenkundige Baumängel werden nicht behoben, sondern hinter Putz verbaler Euphemismen verborgen. Dies gefährdet zunehmend die Statik des gesamten Kirchengebäudes.
Es wird immer deutlicher, dass die grundsätzlichen Bedenken im Blick auf zentrale Umbauprojekte wie der Verwaltungsstrukturreform, der Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF) oder zum Thema „Personalplanung“ mehr als berechtigt waren. Empfohlen sei eine durchaus kritischer Blick die „Zwischenrufe“ und hier vor allem auf die Beiträge aus dem Jahr 2011 unter den Rubriken EKiR, „Kirche und Geld“ und „Landessynode“. Leider ist aus heutiger Sicht festzustellen, dass die damaligen Befürchtungen vielfach durch die Realität negativ überboten worden sind.
In etlichen Kirchenkreisen haben sich die Vollzeitstellen in der Finanzverwaltung vervielfacht. Begründet wird dies in der Regel mit dem erhöhten Aufwand durch das NKF. Aber auch in anderen Arbeitsfeldern kommt es, beflügelt durch die von der Kirchenleitung empfohlenen Vorgaben zur Personalbemessung, zu einem Stellenaufwuchs bei den zentralen Verwaltungen.
Die Kosten für den erhöhten Finanzbedarf tragen überwiegend die Kirchengemeinden, deren Finanzlage in einigen Regionen der Landeskirche immer prekärer wird.
Der Personalplanung der Kirchenkreise wird hierdurch die finanzielle Basis entzogen. Stellen im Küsterdienst, in der Jugendarbeit oder der Kirchenmusik sind gefährdeter denn je. Gemeindefusionen werden vorangetrieben und kirchliche Häuser aufgebeben, auch um die gestiegenen Verwaltungskosten zu stemmen. Nahezu überall werden Stellen reduziert, in jedem Fall gilt dies immer noch für den Pfarrdienst. Gegen den Trend wächst in der EKiR zur Zeit alleine die Verwaltung.
Von dem an sich guten Gedanken des „Personalmix“ kann angesichts einer derartigen Entwicklung keine Rede mehr sehr. In einigen Kirchenkreisen ist absehbar, dass in wenigen Jahren bei ungebremster (Fehl-)entwicklung die Anzahl der Vollzeitstellen in der zentralen Verwaltung mindestens doppelt so hoch sein werden, wie z.B. im Pfarrdienst. Die bittere Wahrheit ist, dass, um die steigenden Verwaltungskosten zu schultern, Stellen in anderen Arbeitsfeldern reduziert oder ganz gestrichen werden und Einrichtungen wie Jugendzentren, Büchereien oder Kindertagesstätten bedroht sind.
Es wäre die Aufgabe der Landessynode, eine gründliche Evaluation dieser Umbauprozesse zu fordern. Die Pflicht insbesondere der Superintendenten aus strukturschwachen Regionen wäre, die prekäre Situation in ihren Kirchenkreisen offensiv zu thematisieren. Man darf gespannt sein!

Die Fiktion von einer „Kirche mit leichtem Gepäck“
Das Kirchenschiff der EKiR hat kräftig Schlagseite und hängt fest auf der Sandbank aufreibender Selbstbeschäftigung, mit der man es nunmehr vor allem in den Kirchenkreisen zu tun hat. Trotz des enormen Aufwands zeigen wichtige „Kennzahlen“ wie die Mitgliederentwicklung oder die Teilnahme an unseren Gottesdiensten tendenziell nach unten. Es geht nicht voran, jedenfalls nicht in die richtige Richtung.
Im Rahmen der Sondersynode von Hilden entwickelte Manfred Rekowski das Bild von einer „Kirche mit leichtem Gepäck“. Ein enormer Finanzalarmismus veranlasste die Synode dazu, ein drastisches Sparprogramm zu beschließen.
Basis der den Beschlüssen zu Grunde liegenden Berechnungen war ein Netto-Kirchensteueraufkommen von 575,4 Mio. € sowie ein strukturelles Defizit im landeskirchlichen Haushalt von ca. 8. Mio. €. Ausgelöst wurde der schon damals nicht plausible Finanzalarmismus durch die nach den EKD-Vorgaben des sog. „erweiterten Solidarpakts“ zu geringe Ausfinanzierung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche.
Die Sondersynode in Hilden folgte der Kirchenleitung und beschloss im November 2013, ein Sparpaket („Aufgabenkritik“) in Höhe von 8 Mio. € bereits bis 2015 und weitere Kürzungen in Höhe von 12 Mio. € bis 2018 auf den Weg zu bringen. Insgesamt sollte der Haushalt der Landeskirche um drastische 35% reduziert werden.
Mittlerweile hat sich die Einnahmesituation der EKiR derart verbessert, dass den damaligen Beschlüssen jegliche sachliche Grundlage entzogen ist. Seit 2005 erleben wir eine Phase stetig steigender Kirchensteuereinnahmen, die lediglich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 etwas gedämpft wurde. 2005 gab es ein Nettokirchensteueraufkommen von 492 Mio. €. Für 2017 können wir mit einem Betrag von 710 Mio. € planen. Dies entspricht einer Steigerung von 218 Mio. € (30,70 %). Im Vergleich zu 2013 ergibt sich eine beachtliche Steigerung von 134,6 Mio. €. (18,87%), was deutlich macht, dass sich die positive Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen verstärkt hat.
Da ist es verblüffend offen, wenn in der Drucksache 1.2 „Bericht über den Stand der Umsetzungen aus der Aufgabenkritik und zur Weiterarbeit an der Umsetzung der Haushaltskonsolidierung“ folgender Satz zu lesen ist: „Unabhängig von Veränderungen gegenüber der Ausgangssituation im Jahr 2013 hält die Kirchenleitung an den Zielen der Aufgabenkritik und der Haushaltskonsolidierung fest. Die angestrebten Veränderungen sind notwendig, um auch in Zukunft handlungsfähig zu bleiben.“
Sparen als purer Selbstzweck? – Wohl eher nicht. Es geht tatsächlich um eine Umschichtung von Mitteln. Organisation und Verwaltung werden gestärkt. Mindestens 25% des Netto-Kirchensteueraufkommens dienen zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche. Überall dort, wo Menschen in direktem Kontakt mit Menschen arbeiten, werden Mittel abgezogen, Einrichtungen geschlossen und Stellen abgebaut.
Das schwere Gepäck explodierender Verwaltungskosten sowie in astronomische Höhen steigender Finanzabflüsse, die zur Kapitalbildung dienen, bringt das Kirchenschiff in Schräglage. Wäre einem an einer positiven Entwicklung kirchlicher Arbeit gelegen, so würde man angesichts der positiven Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen durch eine moderate Senkung der Versorgungsicherungsumlage um 2-4 Punkte etwas Luft geben. So aber pumpt man alles, was man hat in Richtung Versorgungskasse und offenbart damit ein geradezu naives Zutrauen in die zukünftige Integrität der Finanzmärkte.

„Ohne Druck geht es nicht“
Auf S. 5 und 6 der Vorlage werden u.a. die sozialen Folgen des Sparkurses angesprochen. Zu loben ist auch hier wieder die Offenheit in der Analyse, aus der hervorgeht, dass gering Qualifizierte und hier wiederum vor allem Frauen am stärksten betroffen sind. Deutlich wird, dass hier rote Linien überschritten werden. Obwohl theoretisch genügend Finanzmittel vorhanden wären, verlieren vor allem die „Kleinen“ durch Stellenstreichungen und Outsourcing gesicherte Arbeitsplätze.
Warum hält man derart ideologisch am einmal eingeschlagenen Kurs fest, obwohl sich die Finanzlage deutlich verbessert hat?
Es gibt starke Indizien dafür, das hinter all dem das simple, jedoch zutiefst autoritäre und elitäre Ressentiment steht, ohne Finanzdruck käme man nicht zu den gewünschten strukturellen Veränderungen. Ich möchte dies am Beispiel des „Hauses der Stille“ verdeutlichen.
Es ist eine politische Entscheidung, ob man eine derartige Einrichtung vorhalten möchte oder nicht. Ich persönlich gehöre zu denen, die einen derartigen Ort gerade in unseren hektischen Zeiten für unentbehrlich halten. Dann allerdings sollten man denen, die dort die fachliche Arbeit leisten, auch den Rücken freihalten. Das Gegenteil geschieht. Auf S. 19 der Vorlage wird festgehalten, dass von den angestrebten 333.430 € an Einsparvolumen bereits 263.430 € erreicht worden sind. Es bleibt ein Restbetrag von 70.000 €. Dennoch lassen die Beschlussvorschläge die Zukunft dieser Einrichtung weiter offen, was zwangsläufig die dort Beschäftigten unter Druck setzen muss. Noch einmal, es geht um 70.000 €, mehr nicht. Kirchenkreise stocken im Augenblick in erheblich größerem Umfang Stellen insbesondere in der Finanzbuchhaltung auf. 70.000 € sind in etwa die Kosten für einen qualifizierten Finanzbuchhalter. Eine Kirche, die derart schräg ihre Prioritäten setzt, ist auf dem falschen Weg.
Ceterum censeo: In strategischer Hinsicht betreibt die EKiR Selbstdemontage. Sie entwickelt sich zu einer Behördenkirche mit gut ausgebauter Investmentabteilung, der die Basis mehr und mehr wegbricht. Eine Umkehr, wie das „Wormser Wort“ sie fordert, ist dringlicher denn je.

Vertagt, vergessen oder verwirklicht? Zehn Jahre Reformprogramm „Kirche der Freiheit“ Von Reinhard Bingener, NDR Kultur

3. Juli 2016

Gegen „Kirche der Freiheit“ wurden im Wesentlichen drei Einwände vorgebracht. Die
bis heute gängigste Kritik lautete im Kern, Wolfgang Huber wolle mit seiner Reform in
der Kirche nachmachen, was Gerhard Schröder ihm mit der Hartz-IV-Reform im Staat
vorgemacht habe. .. der EKD Ratsvorsitzende wolle die Methoden von McKinsey auf die Kirche übertragen….

Heute, zehn Jahre nach der Veröffentlichung von „Kirche der Freiheit“, kann man
feststellen, dass die angestrebte Kirchenreform nur zu einem kleinen Teil in die Tat
umgesetzt worden ist…. So haben sich die Rahmenbedingungen kirchlichen Handelns ganz anders entwickelt, als es die Autoren des Reformpapiers erwartet hatten…

Besonders deutlich zeigte die Untersuchung, dass gerade die Gemeindepfarrer für die
Bindung der Mitglieder an die Kirche einen weit höheren Stellenwert haben, als ihnen
von den Kirchenleitungen lange zugestanden wurde. Die Ergebnisse legen nahe, dass
die Kirchenleitungen sich bei einem neuen Reformanlauf stärker darum bemühen
sollten, die Pfarrerschaft für ihr Vorhaben zu gewinnen und auch selbst mehr
Bereitschaft zeigen müssten, ihre eigene Arbeit zu hinterfragen…

Das jahrzehntelange Aufblähen der kirchlichen Apparate blieb in der Gesamtschau des
Papiers „Kirche der Freiheit“ jedoch merkwürdig unterbelichtet. An den Beharrungskräften
dieser Strukturen dürfte die von Wolfgang Huber für nötig befundene „zweite
Reformation“ bisher vor allem gescheitert sein. Die fatale Machtkonzentration in den
Verwaltungen und Synoden, in denen die Mitgliederschaft der Kirche nur scheinbarrepräsentiert wird, wurde nicht offensiv genug benannt. …

Mehr dazu.

Strukturreformen überdenken: Kardinal Marx, München, will Modelle entwickeln lassen, um den Priestermangel aufzufangen.

31. Mai 2016, Von Jakob Wetzel

Die katholische Kirche ruft ihre Gläubigen zum Experimentieren auf – und lockert dafür umstrittene Vorgaben ihrer Strukturreform…..vorbehalten sein soll, gehört zu den zentralen Kritikpunkten an der 2010 verabschiedeten Strukturreform in der Erzdiözese; denn weil die Zahl der Priester langfristig sinkt…

Die Kirche hat auf die Probleme mittlerweile reagiert: Bereits Ende 2014 kündigte sie an, sie wolle die Strukturreform überdenken, nicht nur wegen des Mangels an Priestern, sondern auch, damit sich haupt- und ehrenamtliche Laien besser einbringen könnten, wie es damals hieß. Weitere Zusammenlegungen von Pfarreien zu Verbänden solle es nicht mehr geben. Wenig später stellte das Erzbistum Verwaltungsleiter ein, um die Pfarrer von Management-Aufgaben zu entlasten und ihnen mehr Zeit für die Seelsorge zu verschaffen. Und erst im März kündigte die Kirche an, Forscher der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn sollten in einer groß angelegten Umfrage die bisherigen Ergebnisse der Strukturreform im Erzbistum auf den Prüfstand stellen. Mehr dazu.

Auch Mitglied der Pfarrvertretung der EKKW fordert Bilanzierung der Reformen und Moratorium des Reformprozesses.

 Die EKKW und ihre Zukunftsdebatte, von Pfr. Konrad Schullerus, Pfarrvertretung der EKKW (Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck).

Nach einer Analyse der zurückliegenden Kirchenreformen in der EKKW und des weiteren Reformkonzets des Zukunftsaussschusses zieht der Autor folgendes Fazit:

„Was tun, sprach Zeus?

Was die Prioritäten kirchlichen Handelns betrifft, ist die EKKW weiter als 1992, dank der Arbeit des Strukturausschusses II. Bei der Umsetzung der von diesem erarbeiteten Prioritäten allerdings ist sie nicht wirklich voran gekommen. Die von Vizepräsident Bielitz schon 1992 angemahnte Zielperspektive kirchlichen Handelns – man könnte auch von strategischer Ausrichtung sprechen oder von der Form, in der die Kommunikation des Evangeliums sinnvoll Gestalt gewinnen soll – fehlt nach wie vor. Es gibt vor allem Sparbeschlüsse, die aufgrund einer fragwürdigen Prognose getroffen worden sind und den genannten Prioritäten mehr oder minder zuwiderlaufen, ohne dass Zielkonflikte als solche benannt werden.

M.E. wäre dringend ein Moratorium angesagt, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Ich rege folgende Fragestellungen und Vorgehensweise an, wobei einige der Überlegungen des Zukunftsausschusses durchaus aufgegriffen werden können:

1.Was haben die bisherigen Reformen – Kirchenkreisfusionen, Pfarrstellenabbau, neue Finanzverfassung, Einführung der Doppik – gebracht, und was haben sie gekostet? Es erscheint mir wenig sinnvoll, neue Reformprojekte loszutreten, ohne die Folgen der bisherigen Projekte angeschaut und daraus gelernt zu haben. Für alle zukünftigen Projekte ist vorher eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen.

2….

3. Keine Planung kommt ohne Prognosen aus, das ist klar. Prognosen aber werden nun mal mit steigendem Prognosehorizont zunehmend unsicher. Wo werden Überprüfungszeiträume eingebaut? Wie müssen Beschlüsse aussehen, die nicht von vornherein auf irreversible Fakten hinauslaufen, sondern modifizierbar, anpassbar bleiben, je nach tatsächlicher Entwicklung der Lage?…“

Lesen Sie die weiteren Vorschläge und den gesamten Artikel auf den Seiten 11ff.

Präses der EKD-Synode Irmgard Schwaetzer contra Peter Barrenstein (McKinsey, AEU,FAKD): »Pfarrer brauchen Ermutigung statt Druck«

Bezahlung nach »Likes«?» – Die EKD-Synodenpräses Irmgard Schwaetzer ist dagegen, Pfarrer nach Erfolg zu bezahlen.  Die Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, widerspricht Vorschlägen, Pfarrer nach Erfolg zu bezahlen.

Geistliche brauchten keinen Druck, sondern Ermutigung, um sich neuen Aufgaben zu stellen, schreibt sie in einem Beitrag für die »Zeit«-Beilage »Christ & Welt«. Damit widerspricht Schwaetzer dem langjährigen Unternehmensberater Peter Barrenstein. Erfolgreiche Pfarrer sollten mehr Gehalt bekommen »oder eine reizvolle Aufgabe«, hatte der Vorsitzende des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer argumentiert. Zur Quelle.

EKiR: Die Zustimmung der SuperintendentInnen zu den „Reformen“ in der EKiR bröckelt: Ein Querschnitt durch die Berichte auf den Herbstsynoden der Kirchenkreise der EKiR.

NKF, Verwaltung, Sparkurs: das sagen die SuperintendentInnen
Ein Querschnitt durch Berichte von Superintendentinnen und Superintendenten der EKiR.

Beitrag vom 17. November 2014 von Andreas Reinhold

Der November ist traditionell der Monat der Herbstsynoden in den Kirchenkreisen der EKiR. Und zu den festen Riten der Kreissynoden gehören die Berichte der Superintendenten bzw. der Superintendentinnen. Die fallen in Ausführlichkeit und Stil natürlich sehr unterschiedlich aus. Inhaltlich kommt man aber in diesem Jahr an bestimmten Themen nicht vorbei. Dazu gehören u.a. auch das Neue Kirchliche Finanzwesen (NKF), die Verwaltungsstrukturreform und die aktuellen Sparvorschläge der Landeskirche.

Zum Überblick bei Andreas Reinhold, KirchenBunt.

Kommentar F.S.: Erstaunlich, dass selbst SuperintendentInnen angesichts der Resultate der der EKiR verordneten Schock-Strategie mittlerweile ihre Zweifel nicht mehr verhehlen.

Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen ?!

oder: was Kirche von der Wirtschaft hätte lernen können.

von Friedhelm Schneider, Pfr., Immobilienfachwirt

Überarbeitete Version eines Vortrags beim Tag des Pfarrvereins der EKM in Neudietendorf, 18. Juni 2014.

Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren,

ein Schelm, wer bei einem solchen Thema Böses denkt: „Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen.“ Sie in Thüringen stellen sofort die Analogie her zu einem Wort, das in früheren Zeiten lange Jahre zur Propaganda der DDR- Führung gehörte. Das lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es galt so lange, bis Gorbatschow Mitte der 80iger Jahre die Peristroika propagierte. Ab diesem Zeitpunkt geriet das Wort in der DDR-Regierung in Misskredit und wurde zur subversiven Parole ‚bösartiger‘ Regimekritiker.

Erwarten Sie also Parallelen zur kirchlichen Lage heute, wenn sie den Titel so analog formulieren? In der Tat haben Kräfte dominiert, die der Betriebswirtschaft Kräfte für Wachstum gegen den Trend und Erstarkung der Kirche zuschrieben. Betriebswirtschaft hatte in der Kirche spätestens ab der Jahrtausendwende die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst. Gewähr für die Ablösung bot (und bietet) auch das biedermannmäßig aus der Wirtschaft anklopfende und arglos eingelassene Berater-Personal: Unternehmensberater wie Peter Barrenstein von McKinsey oder die Direktorin Marlehn Thieme der Deutschen Bank. Letztere aus einem Unternehmen, das zu Zeiten als Marlen Thieme in Führungspositionen der Kirche kam mit 25% Rendite prahlte, sich dann aber vor 2 Jahren kleinlaut aus triftigem Grund selbst einen Kulturwandel verordnen musste. Seither sitzt das Personal der Wirtschaft in den Führungsetagen der Kirche, im Rat der EKD und der Steuerungsgruppe zum Kirchenreformprozess1. Man wird eingedenk schon dieser wenigen Fakten der EKD nicht zu nahe treten, wenn man ihr das Wort „Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ als ihre Parole in den Mund legt. Auch wenn es so nie ausgesprochen wurde, prägt es doch das Denken in den kirchlichen Führungsetagen. Es mag sich um eine ‚passagere‘ Position der EKD handeln, die den Zenit schon überschritten hat, sind doch die Erfahrungen mit diesem Ansatz der Leitwissenschaft Betriebswirtschaft mittlerweile so umfangreich wie ernüchternd. Und man kann wohl behaupten, dass die Phase, in der dieser Ansatz die Köpfe in der EKD beherrschte, schon der jüngsten Kirchengeschichte angehören. Wie sagte Thies Gundlach, der Cheftheologe der EKD, jüngst in einem Vortrag? Er möchte nicht der letzte Mohikaner sein, der zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ steht2

Die Analogie zum DDR- Slogan, liegt für Kritiker also durchaus nahe. Es stellt sich nun die Frage: was aber heißt dies Wort in unserem Munde? Im Munde derer, die den sog. Reformprozess, der im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ von der EKD über die Landeskirchen gezogen wurde falsifizieren und kritisieren? Der eigentlich kein Reformprozess darstellt, sondern der ein veritabler Umbauprozess ist. Was heißt es, wenn wir diesen Satz heute aufgreifen – und ihn positiv gegen seine früheren geheimen Befürworter wenden? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen, und den Blick aufs Ganze richten, bevor wir den Ausschnitt analysieren:

Wir leben heute in einer Zeit in der die früher in Zeiten sozialer Marktwirtschaft propagierte funktionale Trennung der Systembereiche der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion etc.) an ihr Ende gekommen ist. Denn die „Wirtschaft“ beschränkt sich nicht mehr auf ihren Sektor der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Das hat einen praktischen Grund: Im Finanzkapitalismus ist Kapital im Überfluss an Banken und Börsen vorhanden und sucht Anlagechancen und Höchstrendite. Dazu müssen die Grenzen der Ökonomie zu den anderen Funktionsbereichen überschritten werden. Zu diesem Zweck werden solche anderen Bereiche, wie z.B. die der Daseinsvorsorge, usurpiert. Privatisierung war das Zauberwort und totaler Service das Zuckerstückchen, mit dem der Bevölkerung dies schmackhaft gemacht wurde. Nach Post, Bahn und Telecom in den 90iger Jahren, kamen ab 2000 die engeren Bereiche der Daseinsvorsorge: Schule, Universität, Gesundheitswesen (mittelfristig Rückkehr zum DDR-System der Poliklinik) und Justiz an die Reihe (Privatisierung von Vollzugsanstalten in Hessen durch Roland Koch). Übereinstimmend wurde in allen Bereichen das ehemals organisatorisch starke Fachpersonal entmachtet: durch Entzug von Beteiligungsrechten (Universität/Schule), durch Wandel des Bildungssystems von Humoldt’scher Bildung zu Kompetenzvermittlung und damit Infragestellung der klassischen Lehrerkompetenzen, durch die Deklassierung des Ärztestandes zu einer Art Scheinselbständigkeit, durch die Überlastung des Personals mit einem kaum zu bewältigenden Arbeitspensum (Justiz) unter der die Qualität der Arbeit, die Rechtssicherheit, wie auch die Gesundheit der Personen leidet.

Diese Ökonomisierung schlich sich ein mit allerlei quasi-eschatologischen Versprechungen, z.B. der Steigerung der Servicequalität, der Illusion einer „totalen“ Qualität (TQM), etc. Wie weit Versprechen (Ideologie) und Wirklichkeit auseinanderklaffen, möge ein kleines, aber sprechendes Beispiel demonstrieren. Günther Wallraff studierte in bekannter Manier in einem Incognito-Selbstversuch die Praxis eines Alten- und Pflegeheims in München, dem kathol. Josephstift am Luise-Kisselbachplatz. Die Zustände waren nach der entsprechenden TV- Sendung ziemlich verheerend. Und dabei prangt ein Qualitätssiegel des TQM an einer Wand der Einrichtung. Darin wird die Note 1, sehr gute Qualität also, bescheinigt. Was hier an einem Beispiel dargelegt ist, können Sie getrost auf das gesamte Gesundheitswesen übertragen. Das System des TQM ist essentieller Bestandteil neoliberaler Transformationprozesse. Deren harter Kern aber in nichts anderem als Personalabbau bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Restpersonalbestandes, Ausbeutung der Gesundheit des Personals, Reduktion der Angebote/Dienstleistungen auf (billigen) Standardprodukten (Kernleistungen), Steigerung der Profite der Investoren. Das steht konträr zur Sozialen Marktwirtschaft und produziert Widerspruch in entwickelten europäischen Gesellschaften. Um diesen Widerspruch zu unterdrücken, wird ein völlig neues Weltbild, ein ökonomisches Denken, geprägt, das allen anderen Funktionsbereichen aufgedrückt wird. Alle müssen sich an der neuen Nomenklatur orientieren. Alle lassen sich an den neu gesetzten Kriterien messen und bewerten. Diese neuen Kriterien kommen daher als hohle „Plastikwörter“, Anglizismen gaukeln eine besondere Aura vor, Euphemismen vernebeln die eigentlichen Aussagen. Und so sind Fehlinformation, Vernebelung und Geheimhaltung wesentlicher Bestandteil des Akzeptanzmanagements des schönen neuen neoliberalen Weltkonzeptes.

Ein neues Denken, das auch in der Kirche Fuß fassen konnte. Mit dem Reformprozess genannten Umbauprozess. Prof. em. Jürgen Moltmann beklagte in einem Vortrag jüngst den „Einzug ökonomischen Denkens in die Kirche“. Er zieht folgerichtig die Verbindung zu Barmen I: …Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen? Er fragt und antwortet: „Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, so z.B. auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen.“ 3

Man kann eine solche Position wie die von Jürgen Moltmann also politisch durchaus verstehen. Dennoch: diese Form der Pauschalkritik erscheint uns zu undifferenziert, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit und ist damit in gewisser Weise selbst angreifbar. Gerade, wenn es wie hier nicht um die politisch-volkswirtschaftliche Ebene, sondern um die Frage der Organisationsreform der Kirche geht. Und sie enthält nicht die Chuzpe, die vermeintlichen Ökonomen mit den Waffen der Ökonomie selbst zu schlagen. Das haben Sie nun aber mir mit dem Vortragstitel, wenn ich das recht verstehe, aufgetragen. Und daran will ich mich gerne versuchen. Denn nur so können wir zur tieferen Erkenntnis kommen, dass ökonomische Argumente wie am Beispiel einleitend gezeigt bei den sog. Reformprozessen vielleicht nur vorgeschoben sein könnten, es in Wirklichkeit und im Hintergrund aber um etwas anderes, Tiefgreifenderes geht. Dass es mit dem Prozess „Kirche der Freiheit“ nicht nur um einen Reformprozess, sondern um einen veritable Umbauprozess geht. Lassen Sie uns also etwas genauer hinschauen und differenzieren, um am Ende dann doch wieder einen Ansatz zu finden, die vorhandenen positiven, hilfreichen Aspekte der Ökonomie für die Organisationsführung trotz aller negativen Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Ökonomisierungsprozessen oder der sog. „Reformprozesse“ wieder schätzen zu lernen. Und der dem Titel des Vortrages inhärente Dialektik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dies geschieht nicht in erster Linie um der intellektuellen Herausforderung des Titels willen. Wir müssen dies tun, weil die empirische Kirche ihren Schatz in irdenen Gefäßen bewahrt. Weil die Kirche als Organisation auch mit professionellen, profanen Instrumenten geleitet und dem Evangelium gemäß gestaltet sein will. Dabei darf ihre Gestalt dem Inhalt nicht widersprechen (Barmen III + IV). Als Organisation muss sie also damit auch auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die gute Organisationsgestaltung bereit hält und ermöglicht. Und dazu sagt man in der Regel „Management“. Gutes, richtiges Management, das wäre es, was die Kirche wieder bräuchte. Sie bräuchte es ebenso wie Bereiche der „Wirtschaft“ selbst. Die deren Verlust etwa durch das Eingeständnis von Kulturproblemen teilweise auch selbst thematisiert, wie z.B. die Deutsche Bank.

Vom Reformbedarf des klassischen Kirchenmodells nach Barmen…

Betrachten wir die Geschichte des Reformprozesses in den ev. Kirchen: es ging in den 90igern zunächst um einen Reformprozess nach außen, mit dem die Kirche die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft nachvollziehen wollte (vgl. „Person und Institution“, EKHN). Kirche musste aber zum anderen auch innerorganisatorisch einen Reformprozess anstrengen. Die Administration war strukturell (hierarchisch), instrumentell (IT) und personell veraltet. Schon die einfache Datenverarbeitung war mit einer hohen Fehlerquote behaftet (notorisch: einfache Datenreihen wie Meldelisten), die Informationsbasis für Entscheidungen mangelhaft. Wissensmanagement war in den Verwaltungen ein Fremdwort. Wissen bspw. war personell gebunden und nicht für die gesamte Organisation verfügbar. Und Wissen war veraltet. Betriebswirtschaftliches Know-How? Fehlanzeige. Worauf wäre es angekommen? Auf die gezielte, eklektische Übernahme von Instrumenten und Strategien aus dem Wissensgebiet des Managements.

1. Finanzmanagement hätte primär organisiert werden müssen als Management der Kosten und nicht – wie in der Doppik vorherrschend – des Vermögens. Es wäre um die gezielte, richtige Investition gegangen und nicht um das Sparen der in kirchlichen Kreisen zur Galionsfigur aller kirchlichen Finanzpolitik erhobenen schwäbischen Hausfrau. Fehlende Investitionen verbunden mit Personalabbau (Desinvestition) etwa im Bereich der Jugendarbeit kommen denn auch in der jüngsten, 5. KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) schmerzlich im Traditionsabbruch zum Ausdruck! Und es mag dem einen oder anderen Finanzdezernenten vielleicht mittlerweile dämmern, dass die zukünftigen Verluste infolge Kirchenaustritten etwa infolge des Traditionsabbruchs deutlich höher sein könnten, als die Verzinsung der in den zurückliegenden Jahren durch ‚Einsparungen‘ beim Personal gebildeten Rücklagen.

2. Es wäre im Personalmanagement um Führendes Dienen gegangen und nicht um die Rückkehr zum Kadavergehorsam. Es wäre um den Schutz des Schatzes der früher üblichen intrinsischen Motivation gegangen und nicht Überlastung und überzogenem Personalabbau. Kommt es, wie die 5. KMU belegt, auf die Pfarrerin und den Pfarrer an, dann muss die/der auch in Reichweite verfügbar sein.

3. Es wäre im Immobilienmanagement um ein Management der Ressourcen und Kosten gegangen und nicht des völlig undifferenzierten Verscherbelns von oft nur vermeintlichen „Lasten“. Mehr dazu inhatlich etwa auf diesem Portal.

Fehler und Defizite des Managements sind also offensichtlich. Es fehlte an der analytischen Kraft, die Fragen der eigenen, individuellen Organisation zu klären und daraus ein individuelles Handlungskonzept für die Kirche zu entwickeln. Stattdessen segelte man im Windschatten der neoliberalen Umbauprozesse anderer Institutionen der Daseinsvorsorge (s.o.). Ohne einige gravierende Unterschiede zu beachten. Wie z.B. den, dass die anderen Institutionen der Daseinsvorsorge als Zwangsmitgliedschaft gestaltet sind. Entkommen nicht möglich. Wo dieser Mitgliedschaftszwang nicht bestand, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, musste er von der Politik hergestellt werden. In dieser von der Mitgliedermeinung unabhängigen Lage der anderen Institutionen ist aber die Kirche gerade nicht. Allerdings wird das Verhallten der Kirche offensichtlich vielfach genau so erlebt. Vielen Mitgliedern wurde daher die ehemals fremde Heimat zur nichtssagenden und -bietenden Fremde. Wo wir stehen wird anschaulich, wenn auch eine nur geringfügige Irritation, wie etwa in diesem Jahr das Missverständnis um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bereits zu heftigen Erschütterungen in Form einer Austrittswelle führt (und nebenbei auch zu einer unbekannnt-promten Reaktion des EKD- Finanzdezernenten Begrich in Form einer eigens flugs zur Sache erstellten Broschüre).

Der labile Zustand der Kirche in der Phase neoliberaler Umbauprozesse ist also nicht allein externen gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, sondern in erster Linie eigenem falschen Management. Was richtiges Management in der Kirche ist, zeigt sich dann, wenn die Frage nach der Mitte, der Mitte des Denkansatzes, geklärt ist. Wir müssen in der Kirche wissen, woher wir kommen und was unsere Aufgabe ist. Ist die Mitte theologisch ausgefüllt, dann können die passenden und aktuellen, den Stand der Technik abbildenden ökonomischen Instrumente – wie schon immer in der Kirchengeschichte – problemlos angewandt werden. Die Theologie ist dabei Standbein, die Instrumente des Managements sind Spielbein. Ich selbst formulierte dies in meinem Buch „Kirchliches Immobilienmanagement“ im Jahr 2004: „Setzt die Kirche diese Erkenntnis in Managementhandeln um, werden in der freien Wirtschaft übliche… Managementstrategien relativiert, teilweise transformiert. Dies Anderssein der Kirche oder der entsprechenden Managementstrategien, dieses „sich-der-Welt-nicht-gleich-machen“ heißt aber nicht, dass das Handeln deswegen nicht erfolgreich sein könnte. Ganz im Gegenteil“4. Bildet die Theologie die Mitte, dann sind dieser Mitte alle Funktionen der Organisation zuzurechnen, die diese Mitte in und mit ihrer Arbeit oder auch symbolisch repräsentieren (s. Grafik).

Der Leitung und Verwaltung kommt in diesem Modell eine strikt dienende, eine Servicefunktion zu. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitte richtig und ausreichend gefüllt wird: dass Arbeit in möglichst großem Umfang mit ausreichend ausgebildetem und motiviertem (!) dass ausreichend Personal vorhanden ist und unterstützt und gefördert wird. Dieses Managementmodell korrespondiert mit Barmen III (und IV). Dabei ist aus Managementsicht – und übrigens auch aus finanzieller Sicht (s.u.) – unerheblich, ob die Arbeit an der Basis in der Gemeinde oder aber in Diensten (Funktionspfarrstellen etc.) erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was dort passiert, beim Adressaten ankommt und – auf welche Weise auch immer – wirkt.5

klassisches Kirchenmodell nach Barmen

Das also wäre das Modell gewesen, nach dem die Kirche nach innen hin hätte reformiert werden müssen. Und zwar auch aus theologischer Sicht wie auch aus Sicht richtigen und guten Managements. Vielversprechende Ansätze dazu waren ab der Jahrtausendwende vorhanden.

… zum Kirchenmodell des EKD-Umbauprozesses „Kirche der Freiheit“

Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre ist die Entwicklung der frühen Reformansätze der Kirche gekippt: wie zuvor schon in anderen Institutionen (Bildung, Gesundheitswesen) sollte später auch die Kirche nicht nur eklektisch von der Wirtschaft, vom Management, lernen, sondern vielmehr nach der Struktur von Wirtschaftsunternehmen umgebaut werden. Dieser Prozess war weder theologisch oder gesellschaftlich-soziologisch motiviert, noch war er von einem systemisch-kybernetischen Managementansatz geprägt, der gezielte Schwachstellen und Stärken identifiziert hätte und dazu passgenaue Lösungen entwickelt hätte. Wie sollten das die organisationsunkundigen Berater von außen auch leisten können? Sie hätten es nicht gekonnt, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging nicht um die Optimierung der reformbedürftigen Organisation Kirche. Es ging den „Reformern“ vielmehr darum, alle Institutionen der Daseinsvorsorge dieses Landes mit einem Einheitskonzept umzubauen, sie „marktkonform“ zu machen. Wie später dann sogar die Demokratie selbst „marktkonform“ gemacht werden sollte/ wird. Im Zuge dieses vereinheitlichenden Ökonomisierungskonzepts wurden den ehemals demokratisch bottom-up aufgebauten Institutionen mit Top-down-Strukturen übergestülpt; die mittlere Ebene wurde zur zentralen Leitungsebene der Region mit vielen bzw. allen Kompetenzen, die früher die Gemeinden hatten. In der Kirche ging es also nicht mehr um inhaltlich theologisch motivierte verbessernde Reformen eines in der Nachkriegszeit über 50 Jahre bewährten Systems. Sondern es ging um einen Umbau der Kirche nach Mustern der Wirtschaft unter Anleitung von neoliberalen Beraterteams. Das Agenda-Setting wurde mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ besorgt. Was dabei herauskam? Ein hierarchisches Modell, bei dem EKD- Gremien als Spitze Entscheidungen treffen, die die Landeskirchen umzusetzen haben. Das konnte jüngst auch anhand des „Erweiterten Solidarpakts“ der EKD- Kirchenkonferenz nachgewiesen werden. Ein Modell bei dem Leitung ihre Dominanz über den personellen Ausbau der Administration stärkt. Ein Modell, bei dem die Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit vor Ort in Verkündigung, Seelsorge, Pädagogik, Musik, etc. leisten, abgebaut und an den Rand gedrängt werden. Sie müssen mit und von dem leben, was in der Mitte der Organisation, also bei Leitung und Administration, an finanziellen und sonstigen Ressourcen übrig bleibt. Der Verwaltungswasserkopf hingegen wird immer stärker aufgebläht. Was bleibt ist ein „Haus der Kirche“, das belegt ist von Regionalverwaltung im EG, der Dekanatsverwaltung im OG und 2 Fachstellen im Souterrrain.

Grafisch kann man das so fassen:

Reformmodell

Hier hat die Kirche ihre Mitte verloren. Sie weiß nicht mehr, was sie eigentlich zusammenhält. Ein fremdes institutionelles Umbaukonzept bildet das neue Zentrum der Kirche. Wie weit weg ist Barmen III, nach dem die Kirche auch „die Gestalt ihrer […] Ordnung“ nicht „ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ darf.

Fazit: Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Der mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ initiierte Umbauprozess der Kirche propagiert Betriebswirtschaft als Lösung für die Reformprobleme der Kirche. Was sich allerdings hinter diesem Konzept verbarg, war ein marktkonformes Umbaukonzept der Institutionen des Staates. Dies wurde – wie in allen Fällen modifiziert – auch in der Kirche angewandt. Betrachtet man das bis heute sichtbare Ergebnis nach ökonomischen Kriterien, fällt es ausgesprochen schlecht aus. Der finanzielle Aufwand dafür war und ist und bleibt hoch, dabei ist die Wirkung entsprechend der empirischen Studie der 5. KMU negativ. Gemäß dem Rationalprinzip der Ökonomie müssen Resultate aber bei gleichem Mitteleinsatz besser/ höher werden, wenn sie wirtschaftlich genannt werden sollen. Insofern war der Umbauprozess also der Sache nach nicht zu viel, sondern zu wenig ‚ökonomisch‘. Vor allem aber fehlte es am Ansatz guten und richtigen Managements: Reformen der Kirche, die dem Rationalprinzip der Ökonomie standhalten sollen, müssen immer systemisch-kybernetisch angelegt sein. So gilt heute: nach dem Umbauprozess ist vor der Reform. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

 

 

Anmerkungen und Erläuterungen:

Diese beiden o.g. Grafiken sind sehr plakativ und für den einen oder anderen provokativ. Und wie das so ist bei Grafiken und Bildern: sie können die Wirklichkeit natürlich nicht vollständig fassen. Daher hier noch einige ergänzende Charts, die die oben aufgestellten Thesen belegen.

Zur Alternative Gemeindepfarrstellen oder Funktionspfarrstellen aufgrund von Finanzmangel.

Oft wurden Gemeinde- und Funktionspfarrstellen von kirchenleitdender Seite aufgrund angeblicher Finanzknappheit gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei ist die Behauptung fehlender Mittel falsch. Und die im kirchlichen Dienst am Menschen arbeitenden sollten sich nicht in eine falsche Frontstellung gegeneinander begeben. Dies lehrt ein Blick in die Jahresrechnung der EKHN, hier am Bsp. des Jahres 2008. Bei einem Haushaltsvolumen von 520 Mio. entfallen auf den Gemeindepfarrdienst ganze 58 Mio. €. Selbst wenn man die Versorgungsleistungen addiert kommt noch nicht einmal auf 15% des Haushaltsvolumens. Quelle: Jahresbericht der EKHN 2008.

Nimmt man Gemeinde- und Funktionspfarrstellen zusammen und rechnet die Kosten, die kirchensteuerfinanziert sind (staatlich finanzierte Stellen werden also nicht berücksichtigt), dann macht ihr Anteil gerade mal ca. 20% vom Haushaltsvolumen aus. Pfarrstellen im Verwaltungsbereich oder Leitung (wie ganze Dekanestellen sind dabei aus Gründen betriebswirtschaftlich klarer Differenzierung nicht berücksichtigt).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Alternative: Gemeinde- oder Funktionspfarrstellen ziemlich obsolet ist. Die Frage ist berechtigt: was sind denn die anderen 80 Prozent? Zu dieser Frage vgl. die Jahresberichte der EKHN.

Das alles heißt nicht, dass man nun diesen Anteil zementieren müsste, dass nicht auch dort, bei Gemeinde und Funktion Veränderungen nötig wären. Es sind generell Veränderungen erforderlich, die auf eine höhere Wirkung zielen. Nicht nur in Leitung und Administration, sondern auch bei Gemeinde und Funktion. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, das

s Gemeinde und Funktion schon heute innerhalb aller Leistungen der Kirche relative zu anderen, etwa der Administration, die höchsten Wirkungen erzielt. Insofern trifft diese Forderung auch Gemeinde und Funktion, aber die anderen Bereiche in deutlich stärkerem Maße. Und man muss ergänzen: man kann höhere Wirkung bei dieser Art von Arbeit nicht per ordre de mufti verordnen oder per Impulspapier erzeugen. Da könnte das Konzept des Führenden Dienens schon deutlich weiter helfen. Wir werden später davon im Vortrag von Dr. Hartmann hören. Ich bin gespannt.

Dies Diagramm zeigt die Entwicklung des Anteils der Gemeindepfarrdienst in der EKHN in einer Statistik von 2000 bis 2012. Als Quelle dienen die Jahresberichte der EKHN. Der Anteil von ca. 15% ist also kein Einzelfall, sondern ab 2004 das Durchschnittsmaß.

Eine Langfristbetrachtung dieser Kennziffer „Anteil Pfarrgehälter am HH-Volumen“ anhand weniger Einzelfälle zeigt am Bsp. Der EKHN eine klare Abwärtstendenz ab Anfang der 80iger Jahre mit damals ca. 33%, im Jahr 2000 bei ca. 23% und heute bei ca. 15%. Wobei es sich dabei nur um die direkten Kosten, also Gehälter und Versorgungsleistungen, handelt. Hintergrund ist, dass die Kirchensteuereinnahmen, gestiegen sind, die Gehälter aber – wie in allen Branchen in Deutschland – ab 2000 mehr oder weniger eingefroren wurden. Das Weihnachtsgeld wurde gestrichen oder durch deutlich geringere andere Zahlungen ersetzt, die Durchstufungen zu höheren Gehaltsstufen wurden gestrichen, teilweise auch die Gehaltsendstufe A 14 auf A 13 abgesenkt (z.B. Hannover). Man beachte, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Leistungen, die haushaltstechnisch an anderen Stellen als bei den Gehältern verbucht werden, bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt sind. So z.B. die Schönheitsreparaturen, Heizkostenzuschüsse, Weiterbildung etc.). Auch dort gab es bisweilen drastische Einschnitte zu Lasten der Pfarrer. Die PfarrerInnen sind in der Entwicklung seit den 80iger Jahren also auch finanziell vom Zentrum in die Peripherie katapultiert worden.

1Eberhard Cherdron, Martin Schuck, Evangelische Existenz heute; in Dt. Pfarrerblatt 10/2012

4Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004, S.36

5 Achtung: hier darf das Kundenmuster nicht einfach auf die kirchlichen Leistungen übertragen werden