Prof. Gerd Bosbach verhandelt im folgenden Beitrag einen Sachverhalt, der analog auch auf die Finanzplanung der Kirchen zutrifft. Denn auch dort wird der Faktor Demografie überbewertet. Sie kennen die notorische Behauptung, rückläufige Kirchenmitgliedschaftszahlen korrelierten mit schrumpfenden Kirchensteuereinnahmen. Die Statistiken der zurückliegenden 9 Jahre entrücken solche Behauptung ins Reich der Märchen. Was passiert ist: die Mitgliedschaftszahlen sanken um ca. 1%, die Kirchensteuereinnahmen stiegen aber kräftig, teilweise im zweistelligen Bereich. Die Begründungen sind damit in der vorliegenden Form falsifiziert. Die Analyse von Prof. Bosbach (Produktivität der Wirtschaft) bietet hingegen eine logische Erklärung auch der kirchlichen Statistiken (Anm. F.S.)
Zum Autor: Gerd Bosbach (geboren 1953) ist Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung am Standort Remagen der Hochschule Koblenz. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes und anschließend in der Statistikabteilung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung tätig. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, am bekanntesten ist sein Buch „Lügen mit Zahlen“.)
Zum Interview:
HLZ: Kommen wir noch mal zur Frage der Altersstruktur…
Bosbach: Ja, wir kennen das aus den Schulbüchern. Die Altersstruktur einer Gesellschaft gilt dann als „gesund“, wenn sie die Form einer Pyramide oder eines Tannenbaums hat. Nur wieso eigentlich? Weil in jedem Lebensalter viele Menschen sterben, unter anderm durch eine schlechte Gesundheitsversorgung? Wenn es danach geht, wären die Bedingungen für eine gute Altersversorgung in Nigeria viel besser. Dort gibt es heute noch die Tannenbaum-Struktur. Und wenn eine gute Altersversorgung von der Zahl der Kinder und jungen Menschen abhängt, dann wäre Deutschland vor 120 Jahren das Traumland für die Alten gewesen. Das ist nicht Schwachsinn, sondern böswillig. Im 20. Jahrhundert ist die Lebens-erwartung in Deutschland um 30 Jahre gestiegen, der Anteil der unter 20-Jährigen hat sich von 44 Prozent auf 21 Prozent halbiert, der Anteil der Rentner mehr als verdreifacht. In derselben Zeit stieg der Wohlstand, der Sozialstaat wurde ausgebaut und die Arbeitszeit sank von 60 auf 40 Stunden. Die Erklärung ist einfach und gilt bis heute: Produktivität schlägt Demografie. Zwischen 1991 und 2012 ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland trotz Wiedervereinigung, Finanzkrise und Depression und sinkender Arbeits-
stunden um 31,8 Prozent gestiegem.