Schlagwort-Archive: Downsizing/ Schrumpfung

Wo bleibt die Kirchensteuer? Obwohl die Einnahmen sprudeln, kommt in den Gemeinden erstaunlich wenig davon an. Von Reinhard Bingener, FAZ.

27.03.2017, von REINHARD BINGENER

Obwohl die Einnahmen sprudeln, kommt in den Gemeinden erstaunlich wenig davon an. In der evangelischen Kirche begehren die ersten Pfarrer auf. Sie beklagen Verschwendung.


Wie groß ist der Anteil an den 750.000 Euro, der wieder in die Gemeinde zurückfließt? Der Pfarrer setzt für die beiden Pfarrstellen jeweils 100.000 Euro an, die seinem Arbeitgeber inklusive der erforderlichen Pensionsrückstellungen ungefähr entstehen. Von der Landeskirche erhalte die Kirchengemeinde zudem eine Zuweisung in Höhe von etwa 75.000 Euro. Damit solle das gesamte Gemeindeleben finanziert werden, erklärt Wackerbarth. Macht zusammen 275.000 Euro…  Mehr dazu.

10 Jahre Rekordeinnahmen bei Kirchensteuern. Downsizing-Konzept der Kirchen unglaubwürdig – und Zeichen einer Kirche ohne Kurs.

07/2016, Kirchenbunt

„Jugendhäuser schließen ihre Pforten“, heißt es in einem Artikel der Neuen Ruhr-Zeitung im Lokalteil Oberhausen. Begründung: „die Erträge aus der Kirchensteuer sind rückläufig“. Solche Argumente hört man öfter, wenn man sich auf der Ebene bewegt, die den Menschen am nächsten ist: der Basis in den Kirchengemeinden und Werken. Pfarrstellen werden nicht wiederbesetzt, obwohl es der Stellenschlüssel hergibt. Begründung: Wir müssen sparen! Einrichtungen werden geschlossen, obwohl der Bedarf an offenen Häusern vorhanden ist. Begründung: Wir müssen sparen. Gemeinden werden zur Fusion gedrängt und im Zuge der Zusammenlegung Stellen gekürzt. Begründung: Wir müssen sparen… Mehr dazu.

Zur Erinnerung: ab 2007 überstiegen die Kirchensteuereinnahmen der EKD (Landeskirchen) in jedem Jahr bis 2013 die Marke von 4 Mrd. bis < 5 Mrd. €. Die Latte von 5 Mrd. wurde erstmals im Jahr 2014 mit 5,077 Mrd. genommen.  Im Jahr 2015 wurde die bisherige Spitze von 5,37 Mrd. € erreicht.

Die angebliche kirchliche Finanzkrise wird erneut umetikettiert. Ultimative Volte in der Finanzkrisenargumentation der EKD.

Erinnern wir uns: bei der kirchlichen Rede von der Finanzkrise stand am Anfang die „einfache Formel“ (Finanzkrisenvariante I). Als diese Erklärung von der Empirie falsifiziert war, wurde die Finanzkrise durch sinkende reale Kirchensteuerverluste erklärt. Danach seien die Kirchensteuereinnahmen zwar tatsächlich gestiegen, aber (leider) nur nominal. Also „nur“ mit dem gestiegenen Wert, der tatsächlich im Rechnungswesen erscheint (!). Der reale Wert, der die Inflation und deren Kaufkraftverlust berücksichtigt, der sei aber in Bezug auf den Ausgangszeitpunkt der Berechnung gesunken. Das Sinken des Realwertes – das belege Krise. Das war also die zweite Stufe der Finanzkrisenargumentation. Dass das Ergebnis einer solchen Berechnung eine im Kontext der kirchlichen Sparpolitik stark zu relativierende Information liefert, haben wir an anderer Stelle ausgeführt (vgl. den Artikel, insbes. S. 6, 7). 

In einem Artikel in Horizont E, Oldenburgische Landeskirche, wird nun unter der Hand eine interessante neue, dritte Stufe, ein Superlativ der Kriseninterpretation geliefert. Und die geht so: „Nach absoluten Zahlen geht es uns in der Tat sehr gut“, räumt Begrich zu Beginn des Gesprächs ein nicht ohne einschränkend hinzuzusetzen, dass unter Berücksichtigung der echten Geldwerte nicht mehr Geld zur Verfügung stehe als Mitte der 1990er Jahre.“ (S. 4, fett und kursiv F.S.) Krise ist hier nicht mehr, dass heute real weniger Mittel zur Verfügung stehen als zu den Glanzzeiten Mitte der 90iger Jahre (Krisenargument Stufe II). Als Krise wird deklariert, wenn die Finanzlage real „nur“ unverändert ist. (Wohlgemerkt: bei nominal gestiegenen Einnahmen der Kirchensteuer von 3,6 Mio. € im Jahr 2005 auf über 5 Mrd. € im Jahr 2014.). 

Es ist interessant, dass bei der verblüffenden superlativen Finanzkrisenargumentation III, fast die gleichen Vokabeln verwendet werden wie bei der Finanzkrisenargumentation II. Dabei unterscheidet sich der Inhalt deutlich. Denn wenn die verfügbaren Mittel selbst real gleich blieben, wo ist dann, bitteschön, noch die Krise? Da ist nichts mehr mit Kausalkette. Krise ist keine Schlussfolgerung bei nominal stark gestiegenen und selbst real gleich bleibenden Kirchensteuern. Die Argumentation zeigt sich als das, was sie eigentlich schon immer war: ein Narrativ mit oft geringem Unterhaltungswert. Die nunmehr fehlende Logik fällt aber gar nicht auf, hat man sich doch in der Kirche seit 20 Jahren an die Beschwörung der Finanzkrise gewöhnt. Ich räume ein, auch mir ist der Unterschied tatsächlich erst jetzt, beim zweiten Lesen aus gegebenem Anlass (s.u.) aufgefallen.

Die Rede von der Finanzkrise und darauf aufbauende Reformen hat die Kirche stark beschädigt. Wie groß der Flurschaden ist, zeigt die bemerkenswerte Reaktion des Pfarrvereins der EKiR. Sie fordert ein Moratorium der Reformmaßnahmen (s.u.). Die Pfarrerschaft nimmt damit spät ein Korrektiv wahr, zu dem die eigentlich andere berufenen Organe der Kirche in der Kirche (hier der EKiR) offensichtlich nicht mehr in der Lage sind. Wichtig wäre, die unselige und unsinnige Finanzargumentation als Basis einer Kirchenstrategie endlich zu verabschieden. Diesen Weg beschreitet in der EKM Bischöfin Ilse Junkermann. Siehe dazu den entsprechenden Beitrag in dieser Ausgabe.

Wie sagte ein mittelständischer, ehrenamtlich in der Kirche engagierter Unternehmer: es brauche eine neue Ernsthaftigkeit in der Finanzpolitik der Kirche. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Friedhelm Schneider

P.S.: Auch in anderen Landeskirchen wird der Fakt eingeräumt, dass die Kirchensteuer real seit 2 Jahrzehnten auf gleichem Niveau liegt. Aber es wird nicht offen erklärt, sondern verschämt verschleiert. So wird z.B in der EKHN im Finanzbericht von Dezernent Thomas Striegler der jüngsten Synode eine Grafik verwendet, in der die Kurve der realen Kirchensteuerentwicklung kommentiert wird durch die Bemerkung: „Kurve bewegt sich seitwärts“.

Entwicklung der Kirchensteuer

Ursache für Demotivation nicht bei PfarrerInnen, sondern in der Haltung der Konsistorien und Oberkirchenräte – Dr. Dieter Becker

Die Demotivation der Berufsgruppen in den Kirchen ist das eigentliche Thema der Zukunft der Kirchen! Niemand kann auf Dauer gegen die seit 20 Jahren demotivierenden Verschlankungskurse bestehen. Was schon ab 2001 bei den Pfarrbefragungen sichtbar wurde, dass die Pfarrpersonen gegenüber der Zentralverwaltung, den Konsistorien, den obersten Vorgesetzten innerlich gekündigt hatten und in deren Folge ein Abschließungsprozess gegenüber der Landeskirche entstand (durch Konzentration auf
die eigenen lokalen Aufgaben), setzte sich dramatisch bis heute fort. Und deren Ursache
liegt letztlich nicht bei den Pfarrpersonen selbst, sondern vielfach in der Haltung der
Konsistorien und OKRs. Statt Mut und Zuversicht zuzusprechen, etablieren Kirchenverwal-
tung und Administrationsebenen der Kirchen Krisengeschrei, Reduktion, Verwaltungspro-
zesse, steigende Aufgabenanforderungen; und Schmerz, weil man ja mit Herzblut seinen Pfarrjob tut.

Auf Dauer hält das keine Organisationsstruktur aus, wenn die Menschen in ihr (top
down) als die eigentlichen Feinde betrachtet werden. Die verleumderischen Aussagen von
Kirche-der-Freiheit haben diese Niedertracht hoffähig gemacht. Heute erlauben sich Kir-
chenmitglieder Urteile über die pastorale Arbeit, deren theologischer Horizont häufig
selbstverliebt oder ökonomistischen Kriterien gewichen ist. Dass es Luschen im Pfarramt
gibt, ist so sicher wie deren Vorhandensein auf EKD- oder landeskirchlicher Ebene. Aber deshalb den Stab pauschal über eine ganze Berufsgruppe zu brechen, ist dumm. Wegen 1-
3% Versetzungsfällen nun über ein zentralistisches Pfarrdienstgesetz alle gesetzlich knech-
ten zu wollen, zeigt nur die Unfähigkeit von (einigen) Vorgesetzen frühzeitig mit Problem-
fällen umzugehen. Häufig sind Krisen von Organisationen ursächlich bedingt Krisen ihrer
Führungskräfte. Die Kirchen sind auf dem Weg, ihre eigene pastorale Berufsgruppe als
Symbol und als Träger zu „verlieren“. Nicht die (Landes-)Kirche wird mehr von der Pfarrperson repräsentiert, sondern allein die lokale „Gemeinschaft“. Der Krieg mit denen da oben in Kassel, Darmstadt, Hannover, Karlsruhe oder München ist in vollem Gange. Waffen sind von oben Vergesetzlichungen, Verkürzungen und Gängelungen sowie von unten Ungehorsam an der Grenze zur kirchlichen Illegalität. Haushaltsplanrecht versus lokales Stiftungswesen, Zielvereinbarungskontrollen vs. Leistungsfakes, digitale Kontrolle vs. Systemabstürze.
Der Weg der Kirche in die Zukunft ist ein kriegerischer – gegen die eigenen Mitarbeiter.
Bedenke: So kann kein via positiva evangelii entstehen.

zum Artikel von Dieter Becker (gehe auf: Archiv, Ausgabe 1/2013 Posterioritätenausschuss)

Ganz ähnlich auf katholischer Seite der Frankfurter Stadtdekan von Eltz: „Die jetzige Krise ist keine Krise des Glaubens und der Gläubigen, sondern vor allem eine Krise der Hierarchie.“ (vgl. hier in den Wort-Meldungen)

 

Prognosen – und was daraus geworden ist

Am 18.6.2002 stellt das Bistum Mainz zusammen mit der Unternehmensberatung McKinsey & Company den Bericht zum Abschluss einer Untersuchung des Bistums vor. Wie war die Prognose? Und wie hat sich die Lage in der Realität entwickelt?

Wenn wir im Bistum unsere bisherigen Aufgaben unverändert fortführen, dann könnten wir in den kommenden Jahren eine Finanzierungslücke erhalten, die zwischen 15 und 20 % des gegenwärtigen Etats liegen könnte… Ohne Veränderung auf unserer Seite ist die erwähnte Finanzierungslücke unausweichlich. Dies ist keine Schwarzmalerei, sondern Ergebnis einer sehr nüchternen Analyse… Lesen Sie den Artikel.

Bis heute, 11 Jahre später, hat sich die „sehr nüchterne Analyse“, die eigentlich nichts weiter als eine Prognose darstellt, nicht bewahrheitet. Die Kirchensteuereinnahmen sind in dem zurückliegenden Zeitraum um ca. 15-20% gestiegen. Da die Berichte des Bistums Mainz nicht für den gesamten Zeitraum verfügbar sind, hier etwa die die in der Regel parallel verlaufenden Zahlen der EKHN für 2001 = 371 Mio. € Kirchensteuer (netto!) und für 2011 = 425 Mio. € (netto).  Das ist also nicht ein Minus, sondern ein Plus von über 15% auf der Einnahmenseite! Die Zahlen für 2012 sind nochmals gestiegen. Gleichzeitig wurden etwa in der EKHN die Ausgaben in vielen Bereichen gesenkt (vgl. Kirche_ohne_(pastorale)_Zukunft (vgl. etwa S.11). Man nehme nur Stellenkürzungen und Gehaltsreduktionen, etwa beim Weihnachtsgeld u.v.a. . So ergibt sich eigentlich ein signifikanter Finanzüberschuss! Auch das dürfte beim Bistum Mainz nicht anders sein. Wie man sich mit Prognosen doch täuschen kann! Lerne und merke: (Finanz-) Prognosen sind keine Basis für strategische Planungen! Oder – um einen großen Geist zu zitieren: Vorhersagen sind schwierig – besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

Friedhelm Schneider