Schlagwort-Archive: ‚einfache Formel‘

Die angebliche kirchliche Finanzkrise wird erneut umetikettiert. Ultimative Volte in der Finanzkrisenargumentation der EKD.

Erinnern wir uns: bei der kirchlichen Rede von der Finanzkrise stand am Anfang die „einfache Formel“ (Finanzkrisenvariante I). Als diese Erklärung von der Empirie falsifiziert war, wurde die Finanzkrise durch sinkende reale Kirchensteuerverluste erklärt. Danach seien die Kirchensteuereinnahmen zwar tatsächlich gestiegen, aber (leider) nur nominal. Also „nur“ mit dem gestiegenen Wert, der tatsächlich im Rechnungswesen erscheint (!). Der reale Wert, der die Inflation und deren Kaufkraftverlust berücksichtigt, der sei aber in Bezug auf den Ausgangszeitpunkt der Berechnung gesunken. Das Sinken des Realwertes – das belege Krise. Das war also die zweite Stufe der Finanzkrisenargumentation. Dass das Ergebnis einer solchen Berechnung eine im Kontext der kirchlichen Sparpolitik stark zu relativierende Information liefert, haben wir an anderer Stelle ausgeführt (vgl. den Artikel, insbes. S. 6, 7). 

In einem Artikel in Horizont E, Oldenburgische Landeskirche, wird nun unter der Hand eine interessante neue, dritte Stufe, ein Superlativ der Kriseninterpretation geliefert. Und die geht so: „Nach absoluten Zahlen geht es uns in der Tat sehr gut“, räumt Begrich zu Beginn des Gesprächs ein nicht ohne einschränkend hinzuzusetzen, dass unter Berücksichtigung der echten Geldwerte nicht mehr Geld zur Verfügung stehe als Mitte der 1990er Jahre.“ (S. 4, fett und kursiv F.S.) Krise ist hier nicht mehr, dass heute real weniger Mittel zur Verfügung stehen als zu den Glanzzeiten Mitte der 90iger Jahre (Krisenargument Stufe II). Als Krise wird deklariert, wenn die Finanzlage real „nur“ unverändert ist. (Wohlgemerkt: bei nominal gestiegenen Einnahmen der Kirchensteuer von 3,6 Mio. € im Jahr 2005 auf über 5 Mrd. € im Jahr 2014.). 

Es ist interessant, dass bei der verblüffenden superlativen Finanzkrisenargumentation III, fast die gleichen Vokabeln verwendet werden wie bei der Finanzkrisenargumentation II. Dabei unterscheidet sich der Inhalt deutlich. Denn wenn die verfügbaren Mittel selbst real gleich blieben, wo ist dann, bitteschön, noch die Krise? Da ist nichts mehr mit Kausalkette. Krise ist keine Schlussfolgerung bei nominal stark gestiegenen und selbst real gleich bleibenden Kirchensteuern. Die Argumentation zeigt sich als das, was sie eigentlich schon immer war: ein Narrativ mit oft geringem Unterhaltungswert. Die nunmehr fehlende Logik fällt aber gar nicht auf, hat man sich doch in der Kirche seit 20 Jahren an die Beschwörung der Finanzkrise gewöhnt. Ich räume ein, auch mir ist der Unterschied tatsächlich erst jetzt, beim zweiten Lesen aus gegebenem Anlass (s.u.) aufgefallen.

Die Rede von der Finanzkrise und darauf aufbauende Reformen hat die Kirche stark beschädigt. Wie groß der Flurschaden ist, zeigt die bemerkenswerte Reaktion des Pfarrvereins der EKiR. Sie fordert ein Moratorium der Reformmaßnahmen (s.u.). Die Pfarrerschaft nimmt damit spät ein Korrektiv wahr, zu dem die eigentlich andere berufenen Organe der Kirche in der Kirche (hier der EKiR) offensichtlich nicht mehr in der Lage sind. Wichtig wäre, die unselige und unsinnige Finanzargumentation als Basis einer Kirchenstrategie endlich zu verabschieden. Diesen Weg beschreitet in der EKM Bischöfin Ilse Junkermann. Siehe dazu den entsprechenden Beitrag in dieser Ausgabe.

Wie sagte ein mittelständischer, ehrenamtlich in der Kirche engagierter Unternehmer: es brauche eine neue Ernsthaftigkeit in der Finanzpolitik der Kirche. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Friedhelm Schneider

P.S.: Auch in anderen Landeskirchen wird der Fakt eingeräumt, dass die Kirchensteuer real seit 2 Jahrzehnten auf gleichem Niveau liegt. Aber es wird nicht offen erklärt, sondern verschämt verschleiert. So wird z.B in der EKHN im Finanzbericht von Dezernent Thomas Striegler der jüngsten Synode eine Grafik verwendet, in der die Kurve der realen Kirchensteuerentwicklung kommentiert wird durch die Bemerkung: „Kurve bewegt sich seitwärts“.

Entwicklung der Kirchensteuer

Prof. Michael Welker zu Aussagekraft und Logik langfristiger Prognosen

aus einem Vortrag von Prof. Möller:
„Ich weiß noch gut, wie schon im Jahr 1986 diese Hochrechnungsstrategie der EKD veröffentlicht wurde, im Jahr 2030 gebe es ein Drittel weniger evangelische Kirchenmitglieder. Mein Kollege Michael Welker[1] rechnete nach derselben Logik weiter und fand heraus, das dann in 100 Jahren alle evangelischen Christen verschwunden sind und in 150 Jahren alle Deutschen. „Würde man den Zeitraum (sc. der Hochrechnung) deutlich verkürzen, unterbliebe die Sensation der Hochrechnung. Würde man den Berechnungszeitraum aber verlängern, so verlöre sich die Plausibilität, und die Hochrechnung der EKD würde als reine Spekulation offensichtlich“. Stattdessen schlug Welker vor, die Kirche solle sich doch lieber auf die Fragen und Enttäuschungen der Menschen heute konzentrieren und die Menschen aufsuchen, die heute die Kirche verlassen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Viele von ihnen sind ja ausgetreten, weil niemand sie jemals aufgesucht hat.“

Zum Vortrag von Prof. Möller, Abschnitt: Geistlicher Widerstand 3.

Anmerkung F.S.: Interessant ist auch der Ursprung der „einfachen Formel“, der EKD Langzeitprognosetechnik Mitte der 80iger Jahre! Dass sich die Wirklichkeit von diesen damaligen Prognosen völlig abweichend entwickelt hat, belegen mittlerweile empirische Studien, etwa „Rätsel – Erkenntnisgewinne – Aufklärung“, insbes. Kap. 3. Solche Langzeitprognosen entpuppen sich damit als pure Astrologie.

 

 

 

Prognosen und was daraus geworden ist. Zur Geschichte der ‚einfachen Formel‘ und der Problematik von Prognosen

1. Der Prozess ‚Kirche der Freiheit‘ 2006 setzte ein mit ‚Krisenalarmismus’1. „Auslöser für die als erforderlich angesehenen Reformen…(stellen) eindeutig die finanziellen Engpässe dar“2.  Die Argumentation ist notorisch: „Auf eine einfache Formel gebracht lautet die Zukunftsperspektive: Die evangelische Kirche wird im Jahr 2030 ein Drittel weniger Mitglieder als 2002 haben und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.“3 Dieses Schema taufte man in der EkiR von offizieller Seite sehr erhellend und treffend „einfache Formel“. Ein terminus technicus, den wir gerne aufgreifen und zur allgemeinen Verwendung empfehlen4.
2. Die Genese der „einfachen Formel“ reicht jedoch weiter zurück. Sie stammt aus der Zeit Mitte der 80er Jahre (immerhin: des 20. Jh.). Dort wird die Grundlage in einer Studie der EKD gelegt. Die Studie selbst ist uns nicht bekannt. Sie wird aber zitiert im Standwerk zu Kirchenfinanzen  von Wolfgang Lienemann (Die Finanzen der Kirche, 1989): „Eine neuere Studie der EKD scheint dabei von einem noch etwas stärkeren Rückgang auszugehen: Dort rechnet man bis zum Jahr 2030 faktisch mit einer Halbierung der Mitgliederzahlen der Evangelischen Kirchen und – aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung – mit einem Rückgang des Finanzaufkommens auf 40-46% des Volumens von 1980“. Auffällig ist die Langfristigkeit dieser Prognose von letztlich 45 Jahren!
3. „Prognosen sind schwierig. Insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.“ Ein Bonmot das unterschiedlichen großen Geistern zugeschrieben wird. Und das sich empirisch jederzeit verifizieren lässt. Auch hier. Nehmen wir als Beispiel nur die Bevölkerungsentwicklung (als Basis der Mitgliedschaftsentwicklung der Kirchen). Damals, 1989, hieß es: „Modellrechnungen des Statist. Bundesamtes weisen für das Jahr 2030 einen Rückgang der Wohnbevölkerung auf 42,59 Mio. Menschen (derzeit 56,6 Mio.) aus. Interessanterweise weist die Bevölkerungsprognose des Statist. Bundesamtes, die ein Jahr zuvor veröffentlicht wurde, für das Jahr 2030 eine Einwohnerzahl von 40,97 Mio. aus; damit wurde der erwartete Wert innerhalb nur eines Jahres immerhin um 1,6 Mio. Menschen (das sind etwa 4% der ersten Prognose!) korrigiert. Zwischenstand heute, 2014: 82 Mio. Einwohner. Gegenüber den bis heute zu erwartenden minus 9% ist ein Plus von ca. 30 % zu verzeichnen. Also insgesamt eine Differenz von fast 40 Prozentpunkten. Selbst wenn man die Wiedervereinigungsgewinne an ca. 16 Mio. DDR-Bürgern abrechnet, stünde immer noch ein empirisches Plus von ca. 18% dem prognostizierten Minus von 9% entgegen. Das wären dann 27% in ca. 25 Jahren – oder pro Jahr im Durchschnitt etwas mehr als 1 %. Was die Prognosen der Finanzentwicklung betrifft, ist diese Differenz nicht minder groß. Im Gegenteil. Die Prognosen weichen von den empirischen Werten bis heute um 100 Prozentpunkten ab (vgl. dazu: Friedhelm Schneider, Erkenntnisgewinne, Rätsel, Aufklärung, in Dt. Pfarrerblatt 1/2014).
4. Obwohl mittlerweile hinreichend empirisch falsifiziert sind, freut sie sich bis heute unter den Führungskräften großer Beliebtheit: So erst jüngst Bischof Hein, EKKW: „…gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (dazu gehört der Rückgang der Gemeindeglieder und damit der finanziellen Ressourcen)..“ Und man fragt sich: glauben diejenigen, die die einfache Formel verwenden, denn selbst wirklich noch dran?

vgl. zur Prognose der Kirchenmitgliedschaftsentwicklung auch hier.

Friedhelm Schneider

EKHN Jahresbericht 2012/2013 IV: Die Realwertstatistiken der Kirchensteuereinnahmen

von Friedhelm Schneider. Die Kirchensteuereinnahmen steigen nominal. Das passt nicht zur „großen Erzählung“ der Finanzdezernate sinkender Steuern. Immer und immer wieder wird daher auf die Entwicklung der (inflationsbereinigten, daher niedrigeren) Realwerte rekurriert, um die genannten Thesen zu stützen. Durch die Betonung des Realwertes – wie es auch wieder im Jahresbericht der EKHN 2012/2013 (vgl. S. 6) geschieht – wird suggeriert, der EKHN ginge es finanziell schlecht. Das ist natürlich grober Unfug und eine Irreführung der LeserInnen. Bei einer traumhaften Steigerung der Kirchensteuern um 9% von 2011 auf 2012 (real: 7%), kann davon keine Rede sein. Im Vergleich lagen die Steigerungsraten etwa in den 80iger Jahren bei durchschnittlich 3,5% (EKD- Statistik; vgl. Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 868) und in den Nuller Jahren bei durchschnittlich 1,5% (EKHN Statistik in: Kirche_ohne_(pastorale)_Zukunft, (vgl. Artikel „Pfarrstellenbemessung 2025“, S.5). Das passt kaum zur „großen Erzählung“ der Finanzabteilungen. Und da die Fakten diese Erzählung nicht stützen, bemüht man also den Realwert der Steuerentwicklung. Aber auch da gibt die EKHN- Statistik eine vielleicht erstaunliche Auskunft: selbst an der Realwertentwicklung ist erkennbar, dass der Wert von 2012 real genau so hoch ausfällt wie die Werte Anfang der 90iger Jahre! Und damals fielen die Steuereinnahmen  die konjunktur- und wiedervereinigungsbedingt besonders hoch aus. Und dass die Kirchen im Jahr 2000 ein Angebot des Staates auf Kompensation der Kirchensteuerausfälle infolge der Einkommensteuerreform verzichtet haben, wäre auch noch zu berücksichtigen. vgl. den Artikel von Prof. Lührs in den zeitzeichen.
Kurz: der Realwert von 1992 und der von 2012 sind identisch. Eine Aussage, die nicht ins Konzept der großen Erzählung passen will. Man muss nachhelfen. Das geschieht mit einer auf wie gesagt hohem Realwertniveau beginnenden und tatsächlich leicht nach unten zeigenden Trendlinie.  Ist die Trendlinie nur ganz leicht schräg, so die dahinter stehende Aussageabsicht aber stark schräg. Denn eine arme EKHN gibt es nicht. Dazu mehr in den nächsten Ausgaben.

 

Wie sozial ist die Kirche?

Der Umgang der Ev. Kirche mit ihrem Geld, ihren Beschäftigten und dem Leitbild der „Dienstgemeinschaft“ – von Hans-Jürgen Volk

War die Kirche lange Zeit in struktureller Hinsicht dem öffentlichen Sektor zuzuordnen, so haben sich seit etlichen Jahren die Gewichte verschoben. Sie gleicht im Verbund mit ihren diakonischen Einrichtungen immer mehr marktorientierten Unternehmen, für die der eigene unternehmerische Erfolg an erster Stelle steht und eine Gemeinwohlorientierung nur insoweit Beachtung findet, als sie diesen nicht in Frage stellt. Unternehmen sind von Natur aus „egoistisch“. Die ideologische Unterweisung der neoklassischen Ökonomie stellt unbeirrbar fest, dass genau dieser Egoismus dem Gemeinwohl am effektivsten dient, mag die Wirklichkeit auf noch so bedrängende Weise das Gegenteil belegen. Die Ev. Kirche hat sich einem „Reformprozess“ unterzogen, der sich im Kern an einer betriebswirtschaftlich orientierten Neugestaltung ihrer Organisation ausrichtet. Sie mutiert so zu einem Dienstleistungskonzern mit religiösen und diakonischen Angeboten. Zunehmend prägt dies den Umgang mit ihrer Mitarbeiterschaft ebenso wie den Umgang mit ihrem Geld.

Prognosen – und was daraus geworden ist

Am 18.6.2002 stellt das Bistum Mainz zusammen mit der Unternehmensberatung McKinsey & Company den Bericht zum Abschluss einer Untersuchung des Bistums vor. Wie war die Prognose? Und wie hat sich die Lage in der Realität entwickelt?

Wenn wir im Bistum unsere bisherigen Aufgaben unverändert fortführen, dann könnten wir in den kommenden Jahren eine Finanzierungslücke erhalten, die zwischen 15 und 20 % des gegenwärtigen Etats liegen könnte… Ohne Veränderung auf unserer Seite ist die erwähnte Finanzierungslücke unausweichlich. Dies ist keine Schwarzmalerei, sondern Ergebnis einer sehr nüchternen Analyse… Lesen Sie den Artikel.

Bis heute, 11 Jahre später, hat sich die „sehr nüchterne Analyse“, die eigentlich nichts weiter als eine Prognose darstellt, nicht bewahrheitet. Die Kirchensteuereinnahmen sind in dem zurückliegenden Zeitraum um ca. 15-20% gestiegen. Da die Berichte des Bistums Mainz nicht für den gesamten Zeitraum verfügbar sind, hier etwa die die in der Regel parallel verlaufenden Zahlen der EKHN für 2001 = 371 Mio. € Kirchensteuer (netto!) und für 2011 = 425 Mio. € (netto).  Das ist also nicht ein Minus, sondern ein Plus von über 15% auf der Einnahmenseite! Die Zahlen für 2012 sind nochmals gestiegen. Gleichzeitig wurden etwa in der EKHN die Ausgaben in vielen Bereichen gesenkt (vgl. Kirche_ohne_(pastorale)_Zukunft (vgl. etwa S.11). Man nehme nur Stellenkürzungen und Gehaltsreduktionen, etwa beim Weihnachtsgeld u.v.a. . So ergibt sich eigentlich ein signifikanter Finanzüberschuss! Auch das dürfte beim Bistum Mainz nicht anders sein. Wie man sich mit Prognosen doch täuschen kann! Lerne und merke: (Finanz-) Prognosen sind keine Basis für strategische Planungen! Oder – um einen großen Geist zu zitieren: Vorhersagen sind schwierig – besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

Friedhelm Schneider

„Kirchenreformen im Vergleich“ – Eine Besprechung von Heft 2 -2013 „Evangelische Theologie“

Von Hans-Jürgen Volk (vgl. auch www.zwischenrufe-diskussion.de)

1. Ein Forschungsprojekt – Motive und Ziele der Reformen. Zur Besprechnung.

2. „Kirche unter Druck“ – Blick auf die evangelischen Landeskirchen und die EKD. Zur Besprechnung.

3. Blick nach Außen – Die ev.-methodistische Kirche, der Bund Freier evangelischer Gemeinden und die Katholische Kirche. Zur Besprechnung.

4. Resümee und kritische Anfragen. Zur Besprechnung.

Hier die Besprechnung des Beitrages von Christoph Meyns: „Kirche unter Druck“

Der mitunter peinlichen „Aufbruch“-Rhetorik exponierter Kirchenfunktionäre stellt Christoph Meyns nüchtern die Realität kirchlicher Rückbauprozesse mit all ihren Konflikten und schmerzhaften Verlusten gegenüber, wobei er sich vor allem auf Erfahrungen aus der Nordelbischen Kirche stützt. Auf Grund der gegenwärtigen ökonomischen Perspektiven hält er einen weiteren Verlust an Finanzkraft und die daraus folgende Notwendigkeit einer Fortsetzung der Rückbauprozesse für wahrscheinlich.

Meyns stellt in diesem Zusammenhang zwei Forderungen auf:

  • Konsequenter Abschied „von ökonomischen Denk- und Sprachmustern“. „Mikroökonomisch orientierte Analysen, die religiöse Gemeinschaften als Unternehmen auf dem Markt der Sinnangebote interpretieren, und darauf aufbauende betriebswirtschaftliche Handlungsempfehlungen sind nicht in der Lage, die für die Vitalität und Stabilität religiöser Überzeugungen, Praktiken und Zugehörigkeiten wichtigen Faktoren zu erfassen.“
  • Die evangelische Kirche muss sich „davon lösen, den Erfolg ihrer Arbeit an sichtbaren Maßstäben zu messen“. Im Blick auf die „seit Jahrzehnten parallel zueinander laufende Zahl der Austritte aus der evangelischen und der katholischen Kirche“ stellt Meyns fest: „Die Kirchen können das Verhalten ihrer Mitglieder im Rahmen der geltenden staatskirchenrechtlichen Regelungen so gut wie nicht beeinflussen.“

Bemerkenswert sind die Anmerkungen von Meyns zum Finanzdiskurs. Völlig korrekt sieht er in der schlechten Beschäftigungslage der 90-er Jahre und vor allem in der staatlichen Steuerpolitik die Ursache für den Verlust an Finanzkraft der Kirchen an. „Die Ursachen für die gegenwärtigen Schwierigkeiten der evangelischen Kirche liegen also nicht im angeblichen Konkurrenzdruck durch andere Sinnanbieter auf einem Markt religiöser und weltanschaulicher Angebote …, sondern in der starken Abhängigkeit ihrer institutionellen Stabilität und ihres wirtschaftlichen Wohlergehens von der staatlichen Religions- und Steuerpolitik.“

Bedeutsam ist der Hinweis von Meyns auf Forschungen zur Steuermoral, nach denen „dass lokal vorhandene Wissen um die Höhe der Steuereinnahmen und ihre Verwendung zusammen mit der Möglichkeit, darüber mitzuentscheiden, das Vertrauen der Steuerzahler und ihre Bereitschaft zur Zahlung von Steuern stärkt.“ Und umgekehrt gilt: „Je weiter weg die steuererhebende Körperschaft und je anonymer der Einzug, desto schwächer fällt dagegen die Zahlungsbereitschaft aus.“ Nun haben die Landeskirchen nicht nur bei der Kirchensteuer ihrem Drang zur Zentralisierung nachgegeben – in der rheinischen Kirche steht z.B. das formal noch existierende Ortskirchensteuerprinzip in Frage – und damit „wahrscheinlich ungewollt der Anonymisierung des Mitgliedschaftsverhältnisses und der Distanzierung von der Kirche Vorschub geleistet“.

Die Ursachen für die „gegenwärtigen Schwierigkeiten der ev. Kirche“ sah Meyns in der zu großen Staatsnähe bzw. in der ausgeprägten Abhängigkeit von politischen Entscheidungen. Erstaunlich und ein wenig widersprüchlich ist, dass er dennoch eine Verstärkung der „Lobby-Arbeit bei Parteien, Parlamenten und Regierungen“ fordert und am bisherigen Kirchensteuereinzugsverfahren offenbar trotz allem festhalten will. Dass es sich hierbei womöglich nur um einen pragmatischen Zwischenschritt handelt, legt sein Hinweis auf die Arbeiten der Ökonomin Elinor Ostrom zu gemeinwirtschaftlichen Ansätzen nahe.