Religion und Bildung. Schlaglichter auf eine komplexe Beziehung
Von Marcel Helbig und Thorsten Schneider, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
…Religionszugehörigkeit hat eine lange Tradition in der sozialwissenschaftlichen Forschung als Einflussfaktor für Bildungserfolg. Für Deutschland existieren bisher aber keine Analysen auf Basis großer Datensätze, die sich auf die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von der Religionszugehörigkeit ihrer Familie beziehen. In einer gerade erschienenen Studie widmen wir uns dem Thema religionsbedingter Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern im Vergleich zur Situation der 1960er Jahre. Ferner nimmt unsere Studie auch religionsbedingte Bildungsunterschiede in 19 europäischen Ländern in den Blick. Insgesamt greifen wir bei unseren Analysen auf Daten von fast 400.000 Kindern und Jugendlichen aus fünf Datensätzen zurück (siehe Kasten letzte Seite).
daraus:
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Gottesdienstbesuch und Bildungserfolg
Wir können zeigen, dass der Besuch von Gottesdiensten positiv mit den Bildungsergebnissen im Zusammenhang steht. Für Deutschland zeigt sich eine höhere Gymnasialquote, für die untersuchten europäischen Länder ein besseres Abschneiden in standardisierten Schulleistungstests. Allerdings ist der Einfluss des Gottesdienstbesuchs auf den Bildungserfolg nicht linear. Die Analysen weisen lediglich darauf hin, dass Kinder und Jugendliche einen niedrigeren Bildungserfolg haben, wenn sie gar nicht zur Kirche gehen bzw. an religiösen Veranstaltungen teilnehmen. Zwischen jenen, die nur zu „Weihnachten und Ostern“ in die Kirche gehen, und jenen, die mindestens einmal im Monat in die Kirche gehen, zeigen sich hingegen keine Unterschiede. Auch in der amerikanischen Forschung zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche, die an Gottesdiensten teilnehmen, einen höheren Bildungserfolg haben als jene, die dies nicht tun. Hierbei wird angenommen, dass Kinder, aber auch Eltern, die häufig einen Gottesdienst besuchen, Sozialkapital akkumulieren und darüber höhere Bildungserfolge erzielen. Die Wirkweise sozialen Kapitals wird in der Theorie unterschiedlich beschrieben. Durch den häufigen Kirchenbesuch könnten Netzwerke aufgebaut werden, durch die nützliche Informationen bereitgestellt werden. Für die Kinder könnten sich förderliche Kontakte entwickeln (zum Beispiel zu Mentoren), die sie ohne den Kirchenbesuch nicht hätten. Schließlich könnten soziale Normen zur Pflichterfüllung und Vermeidung abweichenden Verhaltens etabliert werden, deren Verletzung durch die Mitglieder der Kirchengemeinde sanktioniert werden. Auf der Basis dieser Annahmen wäre zu erwarten, dass der Bildungserfolg umso höher ist, je stärker das Engagement in der Gemeinde ist. Unsere Ergebnisse für Deutschland bestätigen diesen Sozialkapitalansatz allerdings nicht, da auch seltene Gottesdienstbesuche mit höherem Bildungserfolg einhergehen. Eine gesicherte Erklärung für die Wirkung seltener Kirchgänge haben wir nicht anzubieten. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Besuch eines Gottesdienstes an hohen Festtagen ein Maß für die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung sein könnte.