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Auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit? Studie und Berichte aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Groß­-Britannien, Österreich, Schweden, Schweiz, Ungarn und USA

3/2016

von L. EIGENMANN, Y. HOLL, E. KOVÁTS, J. MENGE,
K. NINK, A. ROSENPLÄNTER, A. SALLES, C. SCHILDMANN
März 2016
…  Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen gehört zu den Grundnormen
moderner Gesellschaften. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung ist
dabei traditionell ein zentrales Projekt progressiver politischer Kräfte.
„ Angesichts des demografischen Wandels, der in vielen Industrieländern zu beobachten
ist, hat Familien- und Geschlechterpolitik auch an wirtschafts- und bevölkerungspolitischer
Bedeutung gewonnen. Vor diesem Hintergrund sind in den vergangenen
Jahren – mitunter durch Bündnisse über politische Lager hinweg – erhebliche Fortschritte
erzielt worden.
„ Allerdings formieren sich sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern
(neue) konservative und rechtspopulistische Kräfte gegen eine fortschrittliche Geschlechter-
und Familienpolitik. Das sogar in Ländern, in denen die Errungenschaften
im Feld der Geschlechtergerechtigkeit längst gesellschaftlicher Konsens zu sein
schienen.
„ Diese Studie trägt Erfahrungen und aktuelle familien- und geschlechterpolitische Diskurse aus neun Ländern zusammen. Damit liegt hier nunmehr ein breiter Überblick
vor, der Ansätze und Debatten der jeweiligen Länder in Berichten konzise aufbereitet
und vergleichbar macht.

Zur Studie.

EKD Orientierungshilfe „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“

Die EKD hat ihre neue Orientierungshilfe „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ heraus gegeben. Tatsächlich ist es der Kirche damit gelungen eine Debatte über das Verständnis von Ehe und Familie anzustoßen.

Vor allem aus konservativen Kreisen kam massiv Kritik an einer Abwertung der Ehe. Zeitungen reden von einem Kurswechsel der evangelischen Kirche.

Nüchtern betrachtet ist das Dokument weit weniger brisant, als es die Berichterstattung glauben will. Die Grundposition der Kirche hat sich nicht verändert. Die Ehe ist kein Sakrament sondern Teil der weltlichen Ordnung. Sichtbar wird das am 4. Kapitel „Verfassungsrechtliche Vorgaben und Leitbilder von Ehe und Familie im Familienrecht heute“. Ein ganzes Kapitel über Rechtsauffassungen unserer Gesellschaft gibt normative Vorgaben für den Umgang der Kirche mit der Ehe und Familie. Vieles ist also eng genommen gar keine Kursänderung der Kirche sondern die Reaktion auf Änderungen der Gesellschaft und gerade im Bereich der Ehe und Familie gab es in den letzten zwanzig Jahren deutliche Neuerungen in den gesetzlichen Grundlagen. So wurde die gleichgeschlechtliche Partnerschaft der Ehe rechtlich immer weiter gleich gestellt; Väter in ihrem Fürsorgeauftrag für Kinder gestärkt und zur Verantwortung gezogen und Frauen verstärkt zur Erwerbsarbeit gedrängt. Wie gerne ich es als Anhänger der feministischen Theologie auch sähe, das die Kirche hier einen Kurswechsel vorgenommen hätte. Sie hat es nur in sofern, als sie vielleicht an der ein oder anderen Stelle gesellschaftliche Entwicklungen, die zu den neuen Rechtsauffassungen geführt haben unterstützt hat. In einem Interview mit Domradio fasst EKD Ratsvorsitzender Schneider es treffend zusammen: „Die Wirklichkeit familiären Lebens hat sich aber in den letzten Jahrzehnten in unserem Land erheblich gewandelt. Und auch die Rechtsprechung und die Rechtsetzung haben sich dabei erheblich verändert. Darauf reagieren wir, indem wir die gesellschaftliche Realität in Relation zum biblischen Zeugnis setzen und eine Diskussion über Konsequenzen führen.“

Dieses Vorgehen brachte den AutorInnen die Kritik ein, sie würden auf dem Zeitgeist setzten und damit Raum für Beliebigkeit öffnen. Das wäre sicherlich der Fall, würde sich die Orientierungshilfe einseitig an den rechtlichen Vorgaben als Abbild der Gesellschaft orientieren. Sie hat aber auch eigene Leitlinien eingezogen. Familie ist ein durch Liebe, Verlässlichkeit und Treue eröffneter Raum, der Platz dafür gibt, das Menschen füreinander Verantwortung und Fürsorge übernehmen. In der Tat schließt diese Vorstellung auch gleichgeschlechtliche Paare, Patchworkfmilien oder außereheliche Gemeinschaften ein. In diesem Fall, ist die Position der Orientierungshilfe wirklich vielen Modellen offen. Mir ist dieser Ansatz aber lieber, denn er geht von einer Qualität und nicht von der Form einer Beziehung aus. Viele formale Ehebeziehungen können an dem qualitativem Anspruch scheitern, weil sie sich vielleicht in Beziehungen von Unterdrückung und Gewalt geändert haben. Nicht immer sind auch Liebe, Verlässlichkeit und Treue die ausschließlichen Gründe für eine Eheschließung. Es können auch finanzielle Motive, gesellschaftlicher Druck oder die Staatsbürgerschaft mit spielen. Auch den Anhängern einer formalisierten Ehe lässt sich daher eine Beliebigkeit unterstellen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich nachvollziehbar. Die theologische Orientierung empfinde ich auch als den schwächsten Teil der Orientierungshilfe. Die Tradition liest sich mit einer bestimmten Berechtigung als Sündenbekenntnis. Die Kirche hat in dem sie die Herrschaftsbeziehungen in der Ehe lange in der Trauagende verwendet dazu beigetragen, das ein patriachales Modell als Naturrrecht verklärt wurde (42).

Zwar weist die Orientierungshilfe darauf hin, das die Ehe als lebenslange Beziehung mit der Möglichkeit des Scheiterns problematisch ist (39). Doch das Scheitern als heikler Punkt rückt nicht genauer in die Betrachtung. Die Liebe als Grundlage der Beziehung entzieht sich der menschlichen Macht. Das ausbleiben der Liebe und die Scheidung sollten als empirische Wirklichkeit auch Einzug in die Orientierungshilfe finden.

Die Referenzen auf die Bibel bleiben sehr im allgemeinem. Dabei behalten sie die Offenheit der Exegese bei. Der Ansatz ist statthaft. Ich hätte mir mehr Parteilichkeit und konkretere Arbeit an dem biblischem Zeugnis gewünscht.

Ein Lapsus in im Punkt 51 unterlaufen. Dort stellen die AutorInnen zu Recht fest: „Allerdings gibt es auch biblische Texte, die von zärtlichen Beziehungen zwischen Männern sprechen.„ Die Angabe der Stelle muss Schneider dann in einem Interview mit der FAZ als 2. Samuel1,26: „Deine Liebe war mir köstlicher als Frauenliebe“ nachreichen.

 

Besonders interessant wird es dann bei den Problemen und Handlungsfeldern. Denn hier traut sich das Papier in einigen Punkten offensiv berechtigte Kritik anzubringen.

Viele Paare und Familien erleben Zeit heute aber als knappes Gut“ (57) weist auf eines der dringenden Probleme der Gegenwart hin. Daher ist zu fragen, „welche schulischen und beruflichen Rahmenbedingungen nötig sind, damit Eltern und Kinder, aber auch Paare gemeinsam etwas unternehmen können.„(58). Vor allem der Sonntag und die Feiertage sind hier von Bedeutung.

Auch bei der Aufteilung von Erwerbsarbeit und Sorgetätigkeit in der Familie gibt es kritische Anmerkungen. Frauenerwerbsarbeit ist der männlichen Erwerbsarbeit noch nicht gleich gestellt. Viele Frauen arbeiten für weniger Lohn oder sogar in prekären Arbeitsverhältnissen (62). Die Arbeit wird weiterhin meist nicht gerecht geteilt. (65) „Eine gleichberechtigte Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit wird bislang zu wenig vorgelebt, sie ist zudem in Gesellschaft, Öffentlichkeit und Erwerbsleben weder akzeptiert noch institutionalisiert.

Der Punkt 70 fordert mit Recht die Gleichstellung mehrerer Formen von Arbeit. Leider kommt es hier wieder zu einem blinden Fleck. Was man als Kirche zu Recht von der Gesellschaft fordert, wird erfahrungsgemäß selber nicht immer so umgesetzt. Die Wertschätzung verschiedener Arbeiten ist meist in den Gemeinden auch eine andere. Ebenso ließe sich sicherlich kritisch die geschlechtliche Aufteilung bestimmter Aufgaben bei vielen Anlässen beobachten.

Familien sind nach wie vor einem größerem Armutsrisiko ausgesetzt. „Die Daten zur höheren Armutsgefährdung von Alleinerziehenden, aber auch zu Familien mit drei und mehr Kindern zeigen, dass ein scharfer Riss durch die Gesellschaft geht – und zwar zwischen denen, die mit Kindern leben, für sie und andere sorgen, und denen, die keine Kinder haben und damit dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung stehen.“ Zu recht fordern die Leitlinien daher die Solidarität innerhalb der Gesellschaft zu überprüfen. Denn „der internationale Vergleich zeigt außerdem, dass die Höhe der staatlichen Sozialausgaben nicht allein über das Ausmaß der Armut entscheidet, vielmehr ist ausschlaggebend, wie zielgerichtet sie Familien und Kindern zugute kommen.“(108)

 

Nichts kommt so heiß auf den Tisch, wie es die Presse bespricht. Die Ad Hoc Kommision hat eine solide Orientierungshilfe vorgelegt. Die fundierten Beobachtungen zu Problemfeldern eignen sich sogar wirklich für eine Debatte um die Familienpolitik.

Kardinal Meißner spricht Klartext

Kardinal Meißner gilt schon lange als ein Katholik mit steilen Thesen. In der Stuttgarter Zeitung hat er ein Interview gegeben, das auch von vielen anderen Medien zitiert wurde. Aufhänger waren seine Thesen zur Familienpolitik. Doch das Interview zeigt auch an vielen anderen Stellen, warum Ökumene momentan so schwer zu realisieren ist. Ein Grund die Äußerungen von Herrn Meißner genauer zu betrachten.

 

Seinen Eucharistischen Kongress will Kardinal Meißner nicht als „Gegenkatholikentag“ verstanden wissen. Grund soll seine Bestürzung über die Missbrauchsskandale gewesen sein. Gegenüber der StZ gibt Meißner dann auch zu, das zum Eucharistischen Kongress jedoch die Opfer nicht explizit eingeladen wurden. Der Frage, ob sich eine der mehr als 800 Veranstaltungen der Missbrauchsproblematik widmet geht der Kölner Kardinal aus dem Weg. Wahrscheinlich mit gutem Grund. Auf der Website des Eucharistischen Kongress habe ich das Wort Missbrauch nicht ein einziges mal entdeckt. „Opfer“ taucht auch nur im Zusammenhang mit der Messe und Edith Stein auf. Falls Sie doch noch einen Hinweis auf Missbrauchsopfer sehen, dann schreiben Sie mir.

Lange kann die Bestürzung also nicht angedauert haben. Eine Veranstaltung zu einem Thema, das weder behandelt wird, noch Betroffene einlädt. Vielleicht sollte Meißner seinen Kongress gleich auch als vorgezogenen Karneval und die Jahreshauptversammlung der Deutschen Bank deklarieren? Das hat auch nicht weniger mit dem geplanten geschehen zu tun.

 

Meißners Äußerungen zur Familienpolitik haben die größten Wellen geschlagen. Kritisiert wird von Meißner der massive Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten. Gleichzeitig macht sich der Kölner Kardinal noch sorgen, denn Frauen werden nicht „öffentlich ermutigt, zu Hause zu bleiben und drei, vier Kinder auf die Welt zu bringen“. Einmal wieder zeigt sich das konservative Bild, das ein Entweder oder zeichnet. Frauen sollen sich zwischen Familie oder Karriere entscheiden. Beides zu gleich scheint nicht vorgesehen zu sein. Hindernis ist der egoistische Drang zur Selbstverwirklichung der Frauen und nicht die Kinderfeindlichkeit der Gesellschaft.

Eine scheinbare Verknüpfung für sein Argument führt Meißner mit der Zuwanderung von Qualifizierten Arbeitskräften ein. Meißner hat Recht, das Braindrain aus Deutschland ist ein Problem. Schon aktuell kauft Deutschland mit wenigen anderen reichen Staaten faktisch komplette Jahrgänge junger ÄrztInnen auf. Mit katastrophalen Folgen für die Länder, die ihre Ausbildung bezahlt haben. Jedoch ist es äußerst fraglich, ob mehr Geburten die Lösung dieses Problems sind. Noch heute gibt es nicht genügend Ausbildungsplätze um den Bedarf an ausgebildeten Arbeitskräften zu decken. Während Geburtenstarken Jahrgängen gab die Industrie auch zu, nicht jeden Jugendlichen ausbilden zu wollen. Auch die Ausweitung der Medizinstudienplätze ist kaum zu spüren. Genügend BewerberInnen muss es nach den Zulassungsbeschränkungen ja geben.

 

Die Basisbewegungen der katholischen Kirche kann Kardinal Meißner nicht anerkennen. Für ihn kann es nur eine „Kirche von oben her“ geben. Das ist eine effektive Methode um sich nicht mit abweichenden Meinungen befassen zu müssen. Gleichzeitig erschwert es aber ungemein den Dialog mit so fast jedem, der nicht der Papst ist.

 

Das die katholische Kirche nun eine Pille danach in Krankenhäusern ihrer Trägerschaft zulässt begründet Meißner mit neuen Erkenntnissen. Bis zum Januar wussten die Bischöfe nicht, das es eine solche Pille gibt. Das ganze klingt nach einer Nische oder einen ganz neuem Medikament. Weit gefehlt, nach der Pharmazeutischen Zeitung1 trifft das auf beide in Deutschland gebräuchlichen Präparate zu. Der Wirkmechanismus ist im Detail zwar umstritten. Untersuchungen Veröffentlichungen die eine Abtreibende Wirkung ausschließen gibt es aber schon seit Jahren.2 Wie gut, das diese Altherrenrunde sonst kaum etwas wichtiges zu entscheiden hat.

 

Die Hoffnung auf Kirchenreformen bremst Kardinal Meißner gewaltig: „In Fragen der Lehre passt zwischen Benedikt und Franziskus kein Blatt.“ Immerhin in diesem Punkt kann ich Kardinal Meißner nicht widersprechen.

1http://www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=45436

2http://www.bprcem.com/article/S1521-690X%2812%2900099-1/fulltext#sec3.1