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Der Mindestlohn hat alles andere als jene dramatischen Folgen am Arbeitsmarkt gebracht, vor denen so viele gewarnt hatten.

21. Januar 2016, Zeit für neue Glaubenssätze, von Thomas Fricke, SZ

Wenn das Standing unserer führenden Ökonomen börsentäglich notiert würde – die ohnehin wackeligen Kurse dürften irgendwann in den vergangenen Wochen noch einmal abgesackt sein.


In Wahrheit hat sich das Jobwachstum nach Einsetzen des Mindestlohns stark beschleunigt. Außerdem gab es 2015 am Ende fast 800 000 Beschäftigte mehr im Land. Eine irre Fehlprognose…  Mehr dazu.

 

EKHN: Finanzanalyse und -prognose des Finanzdezernenten. Vergleich 2005 und 2015. Kirchenstrategie oder Prognosestratgie.

11/2015

Finanzanalysen und -pognosen kann man auch unter literarkritischen Gesichtspunkten
als Texte analysieren. Dann fallen über ein Jahrzehnt hin deutliche Struktur-Parallelen
auf: in einem ersten Abschnitt wird die zurückliegende, tatsächlich positive Entwicklung
erwähnt. In einem zweiten Abschnitt wird dann dargelegt, dass diese zurückliegenden
Ergebnisse untauglich sind für die Grundlage einer Zukunftsprognose.

EKHN Jahresbericht 2005/2006,S. 7:
„Die Analyse zeigt ein ähnliches Bild wie 2005: Deutliche
Mehreinnahmen bei der Kircheneinkommensteuer, die
von Unternehmen in der Rechtsform einer Personen-
gesellschaft gezahlt wird, überkompensieren die
weiterhin rückläufigen Kirchenlohnsteuerzahlungen, die
auch die demografische Entwicklung bei den Mitgliedern
widerspiegeln.

Das wird sich aller Voraussicht nach in Zukunft
ändern. Die vorhandenen Prognosen sahen bei einem
mittleren Szenario hinsichtlich Wirtschaftswachstum,
Arbeitsmarktkenndaten und Inflationsrate voraus,
dass die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahr-
zehnte nicht mehr geeignet sein wird, die strukturellen
Probleme bei der Mitgliederentwicklung zu kompensieren.
Geht man für das Gebiet der EKHN von einem Mitglieder-
rückgang bis 2025 von insgesamt 16 Prozent oder
0,9 Prozent pro Jahr aus, wird dies vor dem Hintergrund
eines mittleren wirtschaftlichen Szenarios zu einem
durchschnittlichen Rückgang der Kirchensteuer-
einnahmen um zirka 3,5 Mio. Euro pro Jahr führen.“

Jahresbericht 2014/2015, S.6
„Wir können in der EKHN also nicht mehr von einem
negativen Langfristtrend sprechen. Die durch den Mit­
glieder­rückgang ausgelösten Effekte wurden in den letzten
Jahrzehnten durch Wirtschafts- und Steuerwachstum
überkompensiert.

Es ist allerdings absehbar, dass diese
Kompensationseffekte künftig in diesem Umfang nicht
mehr eintreten können, denn die Altersstruktur unserer
verschiebt sich, und das werden wir auch
finanziell zu spüren bekommen – spätestens in den
20er-Jahren, wenn die geburten­starken Jahrgänge in den
Ruhestand treten.“

Immer wieder neu gilt: „Die Zukunft hält allerdings erhebliche Herausforderungen bereit.“

Kommentar F.S.:

Bei einem Vergleich ist inhaltlich interessant:
a. die Prognose von 2006 mit einem Rückgang der Kirchensteuereinnahmen nominell um 3,5 Mio € hat die tatsächliche Entwicklung grandios verfehlt. 2005 lagen die Kirchensteuereinnahmen bei 360 Mio. €. Sie dürften dann 10 Jahre später noch bei ca. 325. Mio. € liegen. Tatsächlich lag sie aber bei 490 Mio. €. Das könnte sich für alle Beteiligten in der Praxis sehr angenehm anfühlen, wenn, ja wenn die Haushaltspolitik sich dieser tatsächlichen positiven Entwicklung angepasst hätte. Hat sie aber nicht. Und daran zeigt sich – besser: das ist ein starkes Indiz dafür – dass der Zweck der Prognose nicht darin liegt, zukünftige Entwicklungen tasächlich abzubilden. Denn das können sie sowieso nicht. Der Zweck liegt in der Umsetzung eines Downsizing-Konzeptes, wie es nicht nur in der Kirche, sondern in dieser Zeit auch in anderen Institutionen, den Kommunen, dem Staat, üblich war – und noch immer üblich ist. Hier wird ebenfalls gekürzt und abgebaut – in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen.
b. Dieses Downsizing-Konzept hat sich nicht geändert. Das zeigt sich auch an der anhaltenden Prognosestrategie. Daher wird man auch bei aktuellen Prognosen  unterstellen, dass sie nicht ernsthaft daran interessiert sind, die zukünftige Entwicklung abzubilden. Der Finanzdezernent ist allerdings heute nicht mehr so naiv konkrete Entwicklungszahlen langfristig  anzugeben wie vor 10 Jahren – s.o. ca. 3,5 Mio. p.a.
c. Spannend ist aber doch, dass die Begründung für den prognostizierten Rückgang in Zukunft ebenfalls  anders erfolgt als 2006. Heute wird nicht mehr abgestellt auf den Mitgliederrückgang. Eine Behauptung, die ja zuvor schon von der Wissenschaft widerlegt war. Heute wird abgestellt auf den Übergang der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Diese Entwicklung ist sicher nicht zu widerlegen. Aber  sie ist ja wieder nur eine unter mindestens 4 anderen Komponenten, die Einfluss auf die tatsächliche Entwicklung ausüben.

Kirchenstrategie oder Prognosestrategie.
Das eigentliche Problem besteht darin, dass Prognosen keine theologisch-soziologisch begründete Leitungsstrategie der Kirche ersetzen können. Genau das aber wird fortgesetzt betrieben. Und genau das ist das eigentliche Problem!

Das wurde von mir schon einmal in einem Artikel im Deutschen Pfarrerblatt ausgeführt:

„Dazu ein paar wenige Blitzlichter. Strategie: »Eine gute Strategie ist unabhängig von der Möglichkeit, Prognosen zu machen … Das ist eine der wichtigsten Prinzipien der Architektur einer Strategie – dies deshalb, weil die Zukunft nicht prognostizierbar ist – sie war es nie34. Und sie wird es nie sein.« Man vergleiche nur die erheblichen Unschärfen von Prognosen schon im Nahbereich als Anschauungsmaterial. …  Dabei ist der Begriff nicht umgangssprachlich zu verwenden, sondern im Sinne einer langfristigen Orientierungsgröße. Das gilt dann selbstredend auch für eine gute kirchliche Strategie. Kirchliche Mitarbeiter bestätigen dies immer wieder.“

Man würde den Tag herbeisehen, an dem der Finanzdezernent und Leiter der Kirchenverwaltung eine theologisch-soziologische Theorie als Basis der Finanzpolitik macht. Und falls er das nicht kann, müssten das die Theologen  der Kirchenleitung für ihn übernehmen. Und dann wäre einiges in der Leitungsfunktion der Kirche zurechtgerückt, was in den zurückliegenden Jahren zur Fehlentwicklung wesentlich beigetragen hat. Dass nämlich versucht wurde, allein oder in der Hauptsache mit Finanzgrößen zu steuern. Dies Experiment ging schief. Und daraus sind Konsequenzen zu ziehen. Dann, und nur dann, würde Aussicht auf Erfolg eines echten Kirchenmanagements bestehen.