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Grundrechte nur für Deutsche? Wie Flüchtlinge systematisch von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden. Von Prof. Dr. Wolf-Dieter Just

… Wenn in Libyen Menschen gegen Gaddafi aufstehen, steigt an der Tankstelle um die Ecke der Spritpreis rasant an! Wir alle wissen: Zentrale Probleme der Menschheit wie Armut und Ernährung, Klimaschutz und Friedenssicherung, können nur noch auf globaler Ebene gelöst werden, durch gemeinsame Initiativen aller Staaten, durch Zusammenarbeit im „Geiste der Brüderlichkeit“. Zu diesen globalen Herausforderungen gehört aber auch das Weltflüchtlingsproblem. Wie kleinlich wirkt da das gegenwärtige Geschachere in der EU um Flüchtlinge aus Tunesien, Ägypten und bald Libyen – wie ein Land dem anderen vorrechnet, wie viele Flüchtlinge man schon aufgenommen hat, im Gegensatz zum Nachbarn. In Lampedusa sind 6.000 Flüchtlinge angekommen. Ägypten und Tunesien haben derzeit 180000 Flüchtlinge aus Libyen zu verkraften! Wer spricht darüber? – Derzeit liegt Deutschland im Europäischen Vergleich an 18. Stelle bei den Asylbewerberzugängen (0,3 % Antragsteller pro 1.000 Einwohner) – weit hinter den süd- und nordeuropäischen Ländern, aber auch hinter Frankreich und GB. Anstatt zu jubeln, dass in der arabischen Welt heute unsere Werte von Demokratie und Menschenrechten zu historischen Umwälzungen führen, ist man nur besorgt: Was bedeuten diese Veränderungen für unsere Versorgung mit Öl? Wer wird uns künftig die Flüchtlinge vom Hals halten,wenn Gaddafi weg ist? Ungenierter als bisher ertönt der Ruf nach mehr Frontex, mehr militärischer Abwehr von Flüchtlingen und mehr „Festung Europa“. Offenbar geht es uns weniger um unsere Werte von Demokratie und Menschenrechten, sondern nur um die Wohlstandssicherung um fast jeden Preis.
2. Die „Festung Europa“ (Folie
Was ist eigentlich mit der Rede von der „Festung Europa“ gemeint? Dahinter stecken drei unterschiedliche Strategien der Flüchtlingsabwehr.
1.
Zum einen wird die illegale Zuwanderung an den Außengrenzen der EU bekämpft – u.z. mit bewaffneten Grenzschützern der Nationalstaaten und mit „Frontex“, der europäischen Agentur zum Schutz der Außengrenzen, ausgerüstet mit Hubschraubern, Flugzeugen, Kriegsschiffen, Satelliten gestützter Luftaufklärung, modernster Wärmebild-Technik etc. Besonders bedenklich: Die Operationen von Frontext unterliegen keiner parlamentarischen Kontrolle, die Verantwortlichkeiten – gerade auch im Blick auf Menschenrechte – liegen in einer Grauzone.
2.
Wirksamer noch als Grenzzäune und Frontex sind allerdings die Zäune aus Paragraphen, mit denen illegale Einwanderung abgewehrt wird. Das Asylrecht wurde in den letzten Jahren EU-weit immer stärker eingeschränkt – einmal durch eine enge Definition des Begriffs der „politischen Verfolgung“; zum anderen durch Blockaden des Zugangs zu einem Asylverfahren: dazu gehören insbesondere Drittstaatenregelungen, das Konzept sogenannter „sicherer Herkunftsländer“, die Dublin II –Regelung (s.u.) und der Visumzwang. Die Einschränkungen des Asylrechts in Deutschland durch den sog. Asylkompromiss von 93 wurden weithin „europäisiert“. Auch in der EU wird nun formal am Asylrecht festgehalten, seine Inanspruchnahme aber nahezu unmöglich gemacht. Nach der Dublin II-Verordnung ist jeweils nur ein Staat für das Asylverfahren eines Flüchtlings zuständig – in der Regel der Staat, über den der Flüchtling zuerst in die EU eingereist ist – was zu einer Überforderung der Staaten an den südlichen und östlichen Außengrenzen führt und diese veranlasst, immer rigoroser gegen Flüchtlinge vorzugehen. Katastrophal ist die Lage derzeit in Griechenland, so dass entgegen der Dublin II-Verordnung der Bundesinnenminister sich gezwungen sah, einen einjähriger Abschiebestopp zu erlassen.
3. Eine dritte Strategie der Flüchtlingsabwehr besteht in abschreckenden Lebensbedingungen für die Flüchtlinge, die sich in Europa bereits aufhalten – in Deutschland z.B. durch Lagerunterbringung, Arbeitsverbote, Einschränkungen der Freizügigkeit (Residenzpflicht), das Asylbewerberleistungsgesetz, das Leistungen weit unter Sozialhilfeniveau (ca. 1/3 weniger) vorsieht, die zudem vorrangig in Sachleistungen anstatt Bargeld gewährt werden sollen. Außerdem wird Krankenhilfe nur noch „zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ geleistet (AsylbLG § 4). Das soll sich in d in den Herkunftsregionen herumsprechen und jeden Anreiz zur Flucht im Keim ersticken. Zum Text des Vortrags.

Ein Wort gegen den Massensterben im Mittelmeer

Die Not der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ersaufen ist immer mehr zu einem Thema der Kirche geworden. Angesichts eines Massengrabs vor den europäischen Küsten ist es gut, dass die Kirchen auf die Missstände hinweisen. Vorbildlich war es, dass der Papst mit einem Besuch auf dem Mittelmeer die Aufmerksamkeit der Medien auf das Massensterben lenkte.

Nun hat sich auch Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN und Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration zu der Katastrophe geäußert: „Dass Europa bis heute kein gemeinsames und umfassendes Seenotrettungssystem im Mittelmeer organisiert hat, ist eine Schande“.

Die Lage ist ernst. Vor etwa einem Jahr reagierte Italien auf zwei besonders schlimme Unfälle und schickte seine Marine zur Rettung von Flüchtlingen ins Mittelmeer. Doch der Rest Europas beteiligte sich nicht. Italien trägt 90% der Kosten für die Seenotrettung, die sich bis auf das Internationale Gewässer ausdehnt. Auch die 115.000 Flüchtlinge, die gerettet wurden, müssen in Italien versorgt werden.

Da sich die EU weigerte sich solidarisch an dem Projekt zu beteiligen, ließ zog sich Italien bereits im Mai einmal vor Libyen zurück. „1.600 der 1.800 ertrunkenen Flüchtlinge in diesem Jahr starben in dieser Zeit. „, so die TAZ.

Ab November soll Frontex Plus übernehmen. Die Mission soll nur noch die Außengrenzen der EU überwachen. Und selbst hierfür ist die Finanzierung nicht gesichert. Schwierig ist es auch, dass die Frontex bisher die Aufgabe hatte, Flüchtlinge daran zu hindern in europäisches Hoheitsgebiet zu kommen. Die selbe Organisation, die Jahrelang Flüchtlingsboote abdrängte soll nun zum Retter werden.

Doch auch in Deutschland ist die Lage der Flüchtlinge prekär. Die Aufnahmelager sind überfüllt und Flüchtlinge werden in Zelten untergebracht. Letztens weinten Kinder vor Hunger. Da ein anderes Erstaufnahmelager wegen Masern geschlossen wurde, konnte Hessen die ankommenden Flüchtlinge nicht einmal mehr grundlegend versorgen.

Die Übergriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen nehmen von den Medien oft unbeachtet wieder zu und die NPD instrumentalisiert geschürte Ängste für ihre Proteste. Die Bilder erinnern an die Proteste der 90er Jahre. Damals spielte sich ein Rechter Mob als Stimme der BürgerInnen auf. Teile des bürgerlichen Lagers schlossen sich darauf hin der Das-Boot-ist-voll-Argumentation an. Alle Parteien erarbeiteten dann gemeinsam ein System von sicheren Drittstaaten, dass es fast unmöglich macht als Flüchtling in Deutschland Asyl zu beantragen. Der Rechte Mob hatte gewonnen. Und auch heute fangen die ersten wieder an uns mit dem vollen Boot auf die nächste Runde vorzubereiten.

Viele Gemeinden und PfarrerInnen zeigen sich vor Ort solidarisch mit Flüchtlingen. Sie schmeißen sich mit dem Kirchenasyl in die Räder des Grenzregimes. Es ist Zeit ein starkes Wort zu sprechen.