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Was die Kirche vom Fernsehen lernen kann II: Die Geiselhaft der Quote

Das Fernsehen vereint momentan extreme Gegensätze, die nebeneinander existieren. Biedere Konzepte, die sich in Dauerschleifen wiederholen und kreative, mitreißende, neue Stoffe. Auf der einen Seite kaputtgesparter Diletantismus und auf der anderen große Investitionen mit hoher Qualität.

Es gibt strukturelle Gründe warum sich das Fernsehen parallel unterschiedlich entwickelt. Dabei lassen sich interessante Parallelen zur Lage der Kirche ziehen. Es zeigt sich, das die Kirche die Wahl hat, welchen Kurs sie einschlagen. Daher lohnt der Blick auf das Fernsehprogramm.

In einer Serie werden  9 in Einzelartikeln dargelegte Thesen zur Zukunft von Kirche und Fernsehen entfaltet. Hier sind wir also beim 2. Beitrag .

  1. Qualität kostet Geld
  2. Die Quote ist eine Form der Geiselhaft
  3. Man muss seinem Produkt vertrauen
  4. Gebt den Kreativen die Macht
  5. Es gibt eine Sehnsucht nach großen Erzählungen
  6. Die feste Programmierung ist ambivalent
  7. Erfolg ist da, wo man ihn nicht sucht
  8. Wer seine Kunden/Gemeinde kennt hat Erfolg
  9. Versprechen Sie keine Wunder

Die Gefangenschaft der Quote

Im Zeitalter des öffentlich-rechtlichen Staatsfunks interessierte die Quotejahrzehntelang nicht. Erst seit dem Erstarken der privaten Fernsehsender ist die Quote eine relevante Größe. Sie liefert eine scheinbar objektive Zahl, den Wert der käuflichen Werbeblöcke zu ermitteln.

Zahlen gelten als objektiv und wissenschaftlich und lassen sich hervorragend vergleichen. Jeder weiß, dass vier Millionen mehr sind als drei Millionen.

Wie wenig die Quote mit Wissenschaft und Objektivität zu tun hat, zeigt sich an der Messmethode. Da lange Zeit RTL, Sat1 und Co gegenüber ARD und ZDF im Nachteil waren, wurde die „werberelevante Zielgruppe“ eingeführt. Gemessen werden nur ZuschauerInnen zwischen 14 und 45 Jahren, da jüngere ZuschauerInnen tendenziell das Privatfernsehen schauen. Da die Reichweite in der Zielgruppe sinkt, wird die Neudefinition der „werberelevante Zielgruppe“ diskutiert. Die Quote folgt also eng begrenzten Zielen und manipuliert damit die Wahrnehmung.

Unsäglicher Weise haben sich die öffentlich- rechtlichen Sender der Quote und ihrem Druck angeschlossen. Seit dem ist die Quote das goldene Kalb um das fast jeder Fernsehschaffende tanzt. Für ARD und ZDF ergibt es wenig Sinn sich der Quote auszuliefern. Am offensichtlichsten haben sie kaum Werbezeit zu verkaufen. Aber am wichtigsten: Ihr Auftrag ist keine große Reichweite sondern die Grundversorgung an Bildung, Kultur und Unterhaltung. Dieser Auftrag alleine rechtfertigt eine bundesweite Zwangsabgabe aller Haushalte. Ob das öffentlich rechtliche Fernsehen diesen Auftrag erfüllt, lässt sich also an der Quote nicht erkennen. Besser wäre es Befragungen dergestalt durchzuführen:

Hatte die Berichterstattung im Fernsehen einen Einfluss auf die letzte Wahlentscheidung?

Half das Fernsehen komplexe politische Zusammenhänge zu verstehen?

Wann habe ich Neues vom Fernsehen gelernt?

Die Geiselhaft der Quote beginnt in dem Moment, wo sie das Programm diktiert. Obwohl sie unfähig ist die Erfüllung des Auftrags zu erfüllen, wird das gesamte Programm nach ihr ausgerichtet. Gesendet werden keine interessanten Dokumentationen, sondern Checks in denen Trivialwissen der ZuschauerInnen bestätigt wird. Der Sport wird durch König Fußball dominiert und die politische Berichterstattung findet in boulevardesken Talkshows statt, in denen sich die gleichen Leute mit den selben Phrasen nicht zu Wort kommen lassen.

Die Quote verhindert jegliche Änderung. Sobald die ZuschauerInnen nicht das gewohnte Programm vorgesetzt bekommen, bleiben sie fern. Während neue ZuschauerInnen nicht von Beginn an bemerken, wenn gutes im Programm versteckt wurde. Das Diktat der Quote geht so weit, dass sich Schauspielerin Iris Berben beschwerte, dass sie in Deutschland nur drehen können, wenn Geranien blühen. Sonst befürchten die Sendechefs, dass die Quote ausbleibt.

Die Kirche könnte aus der Geiselhaft der Quote lernen. Zuerst müsste sie sich selber aus der Geiselhaft ihrer Statistiken befreien. Wenn die EKD im Impulspapier „Kirche der Freiheit“ fordert die Quote der GottesdienstbesucherInnen mehr als zu verdoppeln, befindet sie sich schon in deren Geiselhaft. Dabei sagt die Zahl der Gottesdienstbesucher nichts über den Erfolg der Verkündigung aus. Selbst wenn mehr Menschen einen Gottesdienst besuchen, kann durch de Anpassungen dafür gesorgt werden, dass weniger Impulse mitnehmen oder sich in ihrem Glauben bestätigt fühlen. Genau wie ARD und ZDF benutzt die Kirche quantitative Statistik, während eine qualitative Auswertung ihrem Auftrag eher entspricht. Damit setzt die Kirche Anreize für ein quantitatives Wachstum. Wie ich letzte Woche geschrieben habe, hat die Kirche auch ein qualitatives Problem. Es ist nicht Absicht von „Kirche der Freiheit“ auf Kosten der Qualität zu wachsen. Dennoch begibt sich die Kircheauf ein gefährliches Terrain., wenn sie auf die falschen Zahlen schaut oder schauen lässt. 

Ebenso sind die quartalsmäßigen Zahlen der Kirchenaustritte zu betrachten. Es ist schmerzhaft trotz einem fast universalen Anspruch Mitglieder zu verlieren. Auf die Verluste zu schauen lähmt alle Beteiligten. Die neueste Mitgliederbefragung hat einen Schritt in eine gute Richtung getan. Statt auf die Mitgliederstatistik zu schauen, sollte in den Fokus rücken, wo Kirche ihrem Auftrag gerecht wird. Die Bindung an die Kirche liegt in großem Maßen an der Qualität der persönlichen Begegnung. Die gilt es auszubauen. Die ist aber kaum messbar.

Ein Blick auf diese Statistiken ist zuerst schmerzlich. Wie viele Mitglieder kann die Kirche nicht erreichen? Alle werden es niemals sein. Das schaffen auch nicht die Gewerkschaften, Parteien, Vereine oder das Fernsehen. „Wachstum gegen den Trend“ muss hier anfangen. Es muss ein neuer Trend einer offenen persönlichen Kirche gestartet werden. Leuchttürme können gegen den Trend wachsen. Eine einige Kirche in denen motivierte verantwortliche Personen an der Qualität arbeiten kann einen Trend setzten. Ob das zu einem Wachstum bei den Mitgliedern führt mag ich bezweifeln. Aber diese Statistik interessiert mich nicht als Mitglied und Akteur in der Kirche. Die Momente, wo ich für eine Person im richtigem Moment Dasein kann sind wichtiger als die Reichweite meiner Veranstaltung. Wer der Versuchung falscher Statistiken widersteht, kann den Weg zu wirklichen Reformen finden.

Reformern sind genau das Stichwort für nächste Woche. Dann geht es darum, warum man seinem eigenen Produkt vertrauen muss. Ich werde zeigen, wie panische Reformanstrengungen und immer wieder neues Gegensteuern einen negativen Sog aufbauen. Auch das kann Kirche vom Fernsehen lernen.

Synode der ELK Sachsen: Bischof Bohl äußert Zweifel an den Strukturreformen angesichts anhaltenden Rückgangs der Gemeindegliederzahlen.

Zu Beginn des zweiten Sitzungstages hielt Landesbischof Jochen Bohl seinen diesjährigen Bericht vor der Landessynode, der zugleich der letzte seiner Amtszeit ist. Er widmete sich in diesem Bericht der Frage der zurückgehenden Gemeindegliederzahlen. Die Entwicklung in den zurückliegenden Jahren stelle für ihn und die Landeskirche eine permanente Herausforderung dar. Leider sei es nicht nur eine vorübergehende Schwächephase, sondern ein Trend, der bereits seit 90 Jahren anhält, so Bohl. Dies sei schmerzhaft in einer Gesellschaft, die von Wachstumsdenken geprägt ist…
„Es ist daher von höchster Bedeutung, dass wir uns nicht nur mit Strukturfragen beschäftigen, sondern darüber reden, wie wir geistlich mit der Situation umgehen“, sagte Bohl. Es sei eine geistliche, spirituelle Frage, wie in der Kirche mit Berufsmüdigkeit, Burn-out, Erschöpfung und Vergeblichkeit umgegangen werde… Zur Quelle (dort auch der Wortlaut des Berichts des Landesbischofs).