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Müller, Marx und der kurze Dienstweg in den Vatikan

Von Martin Schuck

Reinhard Marx kokettiert gerne mit seinem Familiennamen. 2008, da war er gerade als Erzbischof von München und Freising eingeführt, veröffentlichte er ein Buch mit dem sinnigen Titel „Das Kapital“. „Statt einer Einleitung“ gab es einen fiktiven Brief „Marx schreibt an Marx“, in dem der Namensvetter Karl über die Vorzüge seines Zeitgenossen Wilhelm Emmanuel von Ketteler aufgeklärt wurde. Ketteler wurde 1850 Bischof von Mainz und ging als „Arbeiterbischof“ in die Geschichte ein. Marx (Karl), auch das erfahren wir bei Marx (Reinhard), fühlte sich durch Ketteler gehörig genervt, denn er schrieb 1869 nach einer Reise durch das Rheinland an Friedrich Engels: „Bei dieser Tour durch Belgien, Aufenthalt in Aachen und Fahrt den Rhein herauf, habe ich mich überzeugt, dass energisch, speziell in den katholischen Gegenden, gegen die Pfaffen losgegangen werden muss. Ich werde in diesem Sinne durch die Internationale wirken. Die Hunde kokettieren (z.B. Bischof Ketteler in Mainz, die Pfaffen auf dem Düsseldorfer Kongress usw.), wo es passend scheint, mit der Arbeiterfrage.“
Der Ausgang dieser Geschichte ist bekannt. Das Kokettieren der – nennen wir sie so: Pfaffen – mit der Arbeiterfrage führte zu einigen sehr respektablen Ergebnissen, die sich im katholischen Bereich nicht nur in mehreren Enzykliken und zahlreichen Sozialworten niederschlugen, sondern auch eine katholische Arbeitnehmerbewegung und zahlreiche weitere Organisationen im Laienkatholizismus zuwege brachte. Im außereuropäischen Bereich entstanden Bewegungen wie die Theologie der Befreiung in Lateinamerika, die nicht nur auf das säkulare Wirtschaftsleben Einfluss ausübten, sondern die Kirche selbst zu verändern versuchten.
Als vorläufiges Fazit dieser Entwicklung kann festgehalten werden, dass der Marxismus zwar kurzzeitig das Gesicht der Welt verändern konnte, aber seine Rolle als sozialpolitischer Antreiber verloren hat; die katholische Kirche dagegen konnte mit ihrer Soziallehre nur selten alleine etwas erreichen, gilt dafür aber auch heute noch in zahlreichen Gesellschaften als wichtiger Impulsgeber – und sei es nur für die Sonntagsreden, in denen den vom neoliberalen Reformalltag gestressten Politikern Mut zum Durchhalten gemacht werden soll. Und damit kommen wir zur Rolle, die Reinhard Marx als Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz spielen wird.
In der Führungsetage der römisch-katholischen Kirche wird seit der Wahl von Papst Franziskus vor einem Jahr ein neuer Stil gepflegt. Der Papst selbst trägt eine erkennbare Bescheidenheit als Markenzeichen vor sich her; das verunsicherte zunächst die Würdenträger innerhalb der Kurie, denn es war völlig unklar, wer seine Ämter behalten durfte und wer gehen musste. Spätestens mit der Ernennung des von Benedikt XVI. in das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation beförderten Gerhard Ludwig Müller zum Kardinal ist allerdings ein deutliches Zeichen gesetzt: In den Fragen der kirchlichen Lehre wird Franziskus keinen Deut von der konservativen Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils abweichen, sondern sogar die Müller’schen Zuspitzungen zumindest tolerieren. In den Fragen der Soziallehre jedoch gilt der Weg, den der Papst als Kardinal Bergoglio bereits erfolgreich eingeschlagen hat: persönliche Bescheidenheit und karitative Zuwendung, sozusagen die Pflege der unpolitischen Restbestände der Theologie der Befreiung – eben das, was nach der Zerschlagung des politischen Kerns dieser Bewegung durch die Personalpolitik Johannes Pauls II. übrig geblieben ist. Hier genau passen Bergoglio und Müller zu mehr als hundert Prozent zusammen, denn auch der hierzulande als konservativ bis reaktionär verschrieene Müller hat seine besten Freunde genau dort, wo man sie nicht vermuten würde, etwa beim „Vater der Befreiungstheologie“, Gustavo Gutièrrez, der Müller wegen seines sozialen Engagements in den Armenvierteln von Lima über alle Maßen lobt und sogar mit ihm gemeinsam ein Buch geschrieben hat.
Auch Reinhard Marx passt formvollendet in dieses Profil des lehramtstreuen, sozialkaritativen Katholizismus. Unvergessen ist sein hartes Vorgehen gegen Gotthold Hasenhüttl nach dem Ersten Ökumenischen Kirchentag 2003, als er dafür sorgte, dass diesen seine offene Einladung zur Eucharistie an alle Christen zuerst das Priesteramt und dann die Lehrerlaubnis kostete. Unabhängig davon gilt Marx als mahnende Stimme gegen den enthemmten Kapitalismus und als Kämpfer für eine Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft alter Prägung. In seinem Buch „Das Kapital“ betont er, ein „Kapitalismus ohne Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit“ habe „keine Moral und auch keine Zukunft“. Das sind Sätze, die sich nach dem Rheinischen Kapitalismus zurücksehnen, die sich von Franziskus aber auch gut in den südamerikanischen Kontext übersetzen lassen.
Man kann somit feststellen, dass die deutschen Bischöfe, die den kurzen Schock nach dem Amtsverzicht ihres Kollegen überwunden haben, den kurzen Dienstweg in den Vatikan wieder herstellen. Neben Müller ist Marx einer der engsten Mitarbeiter des Papstes; schon zu Beginn seines Pontifikats berief dieser Marx als einzigen Europäer in seinen achtköpfigen Kardinals-Beraterstab, und erst vor wenigen Wochen ernannte er ihn zum Koordinator des neugegründeten vatikanischen Wirtschaftsrates. Schon bevor der Rücktritt Benedikts XVI. absehbar war, kaufte Marx in Rom für fast zehn Millionen Euro eine stattliche Villa, weil das Erzbistum München-Freising schließlich eine Repräsentanz nahe beim Vatikan braucht.
Für die deutschen Bischöfe werden die häufigen Aufenthalte ihres Sprechers in Rom kein Schaden sein. In unsicheren Zeiten können sie darauf bauen, dass Marx dafür sorgen wird, dass die Kirche der Armen, von der der Papst aus Südamerika immer redet, schon nicht so schlimm wird. So etwas wie Limburg geht ja schon heute nicht mehr gut, und für die den Bischöfen wichtigen Fragen wie die Beibehaltung des Status quo beim Priesteramt und der Eucharistie interessiert sich dieser Papst nicht wirklich.

Ökumene und Abendmahlsgemeinschaft – von Prof. DDr. Gotthold Hasenhüttl (Thema des Monats)

Der Artikel erschien in gekürzter Fassung im Okt. 2013 im Dt. Pfarrerblatt. Wir veröffentlichen die Originalfassung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

1. Einleitung

Jeder weiß, dass wir Christen gespalten sind, gespalten in verschiedene Konfessionen, sodass Christen gegen Christen stehen und sich daher unchristlich verhalten. Nichts widerstreitet der Botschaft Christi mehr, als die gegenseitige Verurteilung und Abgrenzung. Gerade die Eucharistie wird von kirchlichen Hierarchen als Mittel der Ausgrenzung missbraucht. Das bedeutet, dass Kirchen Jesus Christus zu einem Ausschlussmittel umfunktionieren. Dazu gesellt sich ein Institutionenfetischismus: Wenn du nicht die gleiche Kirchenstruktur hast wie ich, bist du von der vollen Wahrheit abgefallen. „Die Institution der je eigenen Kirche bildet das Nadelöhr, in dem die ökumenischen Diskussionen stecken geblieben sind“ (H. Häring). Das kirchliche Denken ist bestimmt vom Mythos der hierarchischen Institution als schützender, für ein humanes Zusammenleben unverzichtbarer Ordnungsmacht. Dieser Gedanke ist heute jedoch obsolet. Konfessionen sind das Produkt vergangener Zeiten, vor allem der Moderne. Heute ist das Ende des Konfessionalismus gekommen, wenn sich die Kirchen nicht selbst aufgeben wollen. Ist der Pluralismus nicht ein Reichtum? Ist die Vielfalt der Kirchen nicht wie die Vielfalt der Kulturen wünschenswert? Gehört nicht der Pluralismus zum Wesen des christlichen Glaubens? Ein Blick in das NT genügt! Wir haben vier verschiedene Evangelien, die sich nicht harmonisieren lassen, wir haben in den paulinischen, nachpaulinischen und johanneischen Schriften ganz unterschiedliche Strukturen der Glaubensgemeinschaften. Gerade diese Vielfalt hat eine antiideologische Speerspitze, die jede Verabsolutierung ausschließt. Die Spaltung der Christenheit ist durch Absolutheitsansprüche entstanden und ist gegen die biblische Botschaft. Spaltung ist immer Ausschluss des Andersdenkenden. Vielfalt ermöglicht unterschiedliche Theologien, Institutionen, Symbole und Lebensentwürfe. Die Vielfalt schließt die Einheit nicht aus, wenn nur der andere anders sein darf und im Dialog bleibt. Die Spaltung hat den Dialog unmöglich gemacht und daher die jesuanische Botschaft verraten. Nur wenn wir den Weg zueinander finden, nicht stehenbleiben, und d.h. änderungsbereit sind, selbst im Dialog werden, neu werden, ist Spaltung überwindbar. Diesen Weg kennen wir – oder stellen auch wir die Thomas-Frage: Wir wissen nicht den Weg? – die Antwort Jesu war: Ich in der Weg. Wenn wir uns an der Existenzform Christi orientieren, haben wir den Weg zur Einheit in der Vielfalt. Prof_DDr_Hasenhüttl_Ökumene und Abendmahlsgemeinschaft