Schlagwort-Archive: Hans-Eberhard Dietrich

Entlarvendes Selbstverständnis: Was die Kirchen auf dem Weg der Entstaatlichung in den 20iger Jahren versäumten. Von: Hans-Eberhard Dietrich

Dt. Pfarrrerblatt 02/2017

Defizitäres theologisches Selbstverständnis

Die Antwort der Dissertation ist ernüchternd: Die leitenden Motive bei der Bildung der Kirchenverfassung in den Jahren 1918-1924 waren keine theologischen. Die Kirche formulierte zwar ihre Verfassung und damit ihr Recht. Sie hat es aber keiner theologischen Reflexion unterzogen: weder in der Kirchenleitung noch in der Landessynode noch in Landeskirchenversammlung. Die wichtigste Bestimmung für die damals handelnden Personen war: Die Kirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Man knüpfte an die damals schon vorfindliche Sicht der Kirche als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an, die seit 1805 galt (381). Wenn sie aber Körperschaft öffentlichen Rechts ist, dann hat sie ein rein verwaltungstechnisches, aber kein theologisches Selbstverständnis (379)…

Welche negative Auswirkungen ein solcher Mangel an theologischer Reflexion nach sich zieht, macht Reitzig am Beispiel einer Bestimmung des Pfarrerdienstrechts deutlich: an der Bestimmung über die zwangsweise Versetzung eines Geistlichen: …
Genau diese Mobbingaktivitäten nimmt das heutige Pfarrerdienstrecht billigend in Kauf….

Mehr dazu.

Kirche der Reformation ?

Stuttgart im April 2014, von Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer

1. Das Lutherjahres 2017 wirft seine Schatten voraus
Die evangelische Kirche ist stolz darauf, sich auf die Reformation Martin Luthers zu berufen. Der kalendarische Beginn stellt das Jahr 1517 mit dem berühmten Thesenanschlag dar. An dieses Ereignis wollen die Kirchen im Jahr 2017 mit vielen Aktivitäten und Aktionen erinnern. Die EKD hat eigens zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums einen Wissenschaftlichen Beirat „Luther 2017“ gegründet.
Wer an Luther erinnert, sollte aber die Relevanz einer theologischen Grundentscheidung des Reformators nicht ausblenden. Gemeint ist bei der Ausgestaltung des Pfarrerdienstrechts die Frage, wie zu verfahren ist, wenn es zu Konflikten zwischen Pfarrer oder Pfarrerin mit der Gemeinde kommt. Hier hat sich Luther eindeutig positioniert:
„Sie sollen sich hüten, ihren Pfarrer zu vertreiben!“
Das geltende Pfarrerdienstrecht aber lässt dies gerade zu, fördert es oder nimmt es zumindest billigend in Kauf. Ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat am 9. Dezember 2008 (AZ BVerfG Beschluss 5. Dezember 2008 – 2. BvR 717/08) dies als Recht bestätigt. Das wäre an dieser Stelle nicht erwähnenswert, wenn nicht die EKD den Mann zum Vorsitzenden dieses Gremiums berufen hätte, unter dessen Vorsitz das Urteil gefällt wurde:
Udo di Fabio. Für Kenner und Kritiker des Pfarrerdienstrechts ist er also kein Unbekannter.
Nun ist dieses Urteil nicht nur in Kreisen von Rechtswissenschaftlern höchst umstritten. Sie kritisieren, dass das Verfassungsgericht wieder einmal die umstrittene Frage der Geltung der Justizgewährleistung im kirchlichen Amtsrecht und ihre Grenzen nicht behandelt und entschieden hat: „Seit langem wartet die Fachwelt auf eine sorgfältig begründete, Maßstäbe setzende Entscheidung des BVerfG, mit der dem Streit [um die Pflicht staatlicher Gerichte zur Justizgewährleistung im kirchlichen Amtsrecht und ihren Grenzen] ein allseits befriedigendes Ende gesetzt werden könnte. Diese Erwartung ist durch die soeben ergangene …Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats – nicht zum ersten Mal – bitter enttäuscht worden.“ (Professor Hermann Weber, Frankfurt a.M., in der NJW 2009 Heft 17 S. 1179ff)… Zum Artikel.

Zerrüttungsprinzip in der Kirche?

Anmerkungen zu einem fragwürdigen Rechtsprinzip und dem Urteil eines Kirchengerichts vom 29.11.2013 von Professorin Gisela Kittel und Hans-Eberhard Dietrich, Dezember 2013


Damit reiht sich diese Entscheidung in die unendlich große Anzahl all der Urteile ein, die seit der Einführung von Ungedeihlichkeit und Wartestand im Jahre 1939 ergangen sind. Damit bleibt aber auch die Kritik an diesem Recht bestehen, die seit mehr als 75 Jahren geäußert wird, insbesondere aber in den letzten 10 Jahren in der Fachliteratur veröffentlich wurde. Um nur ein paar Kritikpunkte beispielhaft herauszugreifen:

+ Es schadet den betroffenen Gemeinden und dem Ansehen der Kirche:
„Kuckucksei im Pfarrerdienstrecht der EKD. Eine pastoralpsychologische Betrachtung einer konfliktträchtigen Regelung.“ Traugott Schall. Deutsches Pfarrerblatt 6/2011.
Kuckucksei

+ Es ist in keiner Weise mit reformatorischem Amtsverständnis vereinbar:
„Wider Kirchenraub und Kläffer. Luthers Ablehnung einer Zwangsversetzung von Pfarrern.“ Hans-Eberhard Dietrich. Deutsches Pfarrerblatt, 8/ 2008.“
Kirchenraub

Und: „Ohne geistlichen Sinn und biblische Weisung.“ Kirchenrecht darf es nicht ohne Bindung ans Bekenntnis geben. Hans-Eberhard Dietrich. Kirchliche Zeitgeschichte 2/2009.
OhneSinn

+ Es wird von der Kirchenverwaltung als „Unrühmliches Instrument kirchlicher Personalplanung“ missbraucht. „Wartestand – ein unrühmliches Kapitel kirchlicher Personalplanung“. Hans-Eberhard Dietrich. Deutsches Pfarrerblatt 2/2010
UnrKapitel

+ Das Zustandekommen der „nachhaltigen Störung“ wird als Willkür empfunden:
„Ist Willkür theologisch zu begründen? Oder Wie häretisch ist der Wartestand?
Karlheinz Drescher-Pfeiffer, Deutsches Pfarrerblatt 3/2011.
Willkür

Frau Professorin Kittel ist zuzustimmen, wenn sie sagte, dass die Diskussion über die Ungedeihlichkeit trotz des neuen Pfarrdienstrecht weiter gehen muss, und zwar im Interesse der Kirche und der gesamten Pfarrerschaft.
Mehr dazu.

Traugott Schall im Dt. Pfarrerblatt 6/2011 (s.o.):

„Zerrüttung hat es wie jede andere Störung einer Beziehung mit Emotionen, mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind veränderbar, wandelbar, mitunter höchst unbeständig. Psychologische und pastoralpsychologische Kompetenz nimmt eine Störung in einer Beziehung wahr, fragt aber zugleich nach den Einzelheiten dieser Störung. Innerhalb einer zeitlichen Abfolge von Beratungskontakten verändern sich Gefühle. Eheberatung heißt manchmal nichts anderes als Menschen über eine schwierige Zeit bringen und ihnen Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bei einer Beziehungsstörung in einer Kirchengemeinde ist Ähnliches anzunehmen. … Ich postuliere: Konflikte, bzw. Zerrüttung zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen.“