von Friedhelm Schneider
Eigentlich kann sie einem leid tun, Barbara Kittelberger, die Stadtdekanin von München. Denn eigentlich hatte sie alles richtig gemacht: eine zeitgemäße, ethisch korrekte, risikoarme, verordnungskonforme Anlage wollte sie und wollte ihr Beschlussgremium. Eine Anlage also, die zeitgemäßem protestantischem Selbstverständnis entspricht. So weit, so gut. Doch dann kam alles anders. Heute ist klar: gut 5 Mio. der über ca. 30 Mio. Rücklagen des Dekanates sind perdu, vielleicht sogar bis zu 13 Mio. . Größer als der finanzielle Schaden ist aber der Image-Schaden. Die Dekanin wird jetzt in den Medien auch mal in einem Zug genannt mit ‚Protzbischof‘ Tebartz-van Elst. Selbstverständlich mit Betonung der Unterschiede. Aber beim unkritischen Leser bleibt dennoch der Eindruck von einer gewissen Ähnlichkeit der Fälle hängen. Für die betroffene Person, Dekanin Kittelberger, ist das fatal. Fatal ist das auch für die Kirche in München, die Bayerische Landeskirche, ja die Ev. Kirche insgesamt. Seit Jahren prangern Kritiker den Reichtum der Kirchen an. Seit Jahren haben Menschen aus der Kirche selbst Zweifel, ob mit den gezahlten (hohen) Kirchensteuern denn auch sorgsam umgegangen wird. Seit Jahren sind die Finanzen für indifferente Kirchenmitglieder ein Hauptgrund für Kirchenaustritte. Mag also die Frage der Finanzen theologisch peripher sein, so ist sie doch sowohl aus der Perspektive eines wirksamen Managements als auch in Hinsicht auf die Mitgliedschaft zentral. Man kann sagen, es ist die Achillesferse der Organisation. Und die Achillesferse ist in diesem Fall getroffen. Das Medienecho ist der Beweis.
Kurz zum Fakt: Die besagte Anlage war gemäß den Kriterien in korrekten Beschüssen gefasst. Es gab korrekte Anweisungen der – gemäß noch gültigem Kirchenrecht – weisungsbefugten Dekanin an die Verwaltung. Vielmehr seien „die Geschäftsprozesse“ im Kirchengemeindeamt „völlig unzureichend ausgestaltet“ gewesen. Und die Überwachung funktionierte nicht. Das richtet sich an die Adressen des Finanzabteilungsleiters und Verwaltungsamtsleiters. Verantwortlich für die Fehlinvestition und den Skandal ist ganz offensichtlich nicht die Dekanin oder das Beschlussgremium, sondern eben der Finanzchef, Abteilungsleiter Andreas R., ein ehemaliger Banker. Der Staatsanwalt ermittelt. Das einzige, was man der Dekanin vorwerfen könnte ist, dass sie nicht auch noch ausreichend kontrolliert hat, ob ihre Anweisungen auch tatsächlich umgesetzt werden. Weitere Details im Bayerischen Sonntagsblatt.
Leser aus anderen Landeskirchen, etwa der EKiR, werden sich jetzt die Augen reiben. Keine Sorge: Sie haben richtig gelesen. In Bayern gehen die Uhren noch etwas anders, auch in der Landeskirche. Noch. Streift man das Lokalkolorit ab, dann stößt man im Hintergrund des Skandals auf einen tiefsitzenden, ca. 20 Jahre währenden Konflikt innerhalb der Landeskirchen, man müsste besser sagen: einen Machtkampf. Es ist der Machtkampf zwischen Theologie und Bürokratie. Hier: der Finanzabteilungsleiter, ehemaliger Banker, der Experte. Der als Autokrat einen seinem Bereich agiert. Und andere hierin als inkompetent einstuft. Die mutige Regionalbischöfin Breit-Kessler, die die Untersuchung ins Rollen bringt, erntet von Seiten der beiden genannten „empörte Reaktionen“ (Sonntagsblatt). Richtig ist: er ist der Experte – der Experte in Finanzfragen, also in Sachfragen. Oder er sollte es sein, wird man ohne Häme hinzufügen dürfen. In diesem Falle reichte seine Kompetenz offensichtlich nicht, fühlte sich aber so und gab in seinem Sachbereich den Autokraten. Hier setzte er sich offensichtlich über Vorgaben und Bestimmungen ( hier z.B. das 4- Augen- Prinzip) selbstherrlich hinweg. Und das geschieht hier offensichtlich in einer gewissen Dreistigkeit. Regionalbischöfin Breit-Kessler: „es war davon die Rede, dass ich keine Kompetenz und kein Durchgriffsrecht hätte“. Eine Dreistigkeit, die auf das Bewußtsein einer gewissen Deckung aus der Organisation schließen lässt. Auch Oberkirchenrat Hübner ist in den Fall involviert. Ab Bekanntwerden des Falls am 02.07. brauchte er über 4 Monate und bis weitere Fälle bekannt wurden, um eine Sonderprüfung zu veranlassen! (Sonntagsblatt). Dass dabei die Erkenntnis dämmert, dass das Anlagegeschäft überaus anspruchsvoll ist, dem die Verwaltungen in ihrer jetzigen Ausstattung nicht gewachsen sind, dämmert jetzt auch in Bayern. Zuvor hatte dies schon eine ebenfalls von Mut zeugende Prüfung des Rechnungsprüfungsamtes für die EKHN aufgezeigt. Erhebliche Kompetenzmängel der Verwaltung werden schlagartig offensichtlich. Leser aus allen Landeskirchen werden entsprechende analoge Beispiele vor Augen haben.
Woran es bei alledem fehlt ist – Managementkenntnis. In solchen Fällen würde die Unterscheidung von Management und Sachaufgaben, wie sie von Prof. Malik in der Artikelserie „Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse“ des Deutschen Pfarrerblattes dargelegt wurde, weiterhelfen. Denn sie würde das nicht nur übertriebene, sondern schlicht dumme Selbstbewußtsein der Bürokratie den Boden entziehen. Die Bürokratie erfüllt Sachaufgaben. Und wenn sie das kompetent erledigt, kann der/die Vorgesetzte (ob Theologe, Laie, Organisation) zufrieden sein. Mehr braucht es nicht! Aber weniger eben auch nicht! Folgt man dieser für das Funktionieren von Organisationen und Betrieben essentiellen Differenzierung, wird man also die Managementfunktion stärken und die Sachfunktionen dort ein- und unterordnen. Bei gutem Management. In der Kirche passiert derzeit genau das Gegenteil. Die Kompetenzen und damit die Macht zwischen Theologie und Bürokratie werden nun auch kirchenrechtlich neu zu Gunsten der Sachfunktion (!) justiert. Und dabei erhalten die Sachfunktionen, genauer: das Finanzwesen, die Funktion des Managements, also der Führung. So jedenfalls das EKD-Muster, das dem Prinzip nach in der EkiR ( vgl. Kap. A 2 – Verwaltungsstrukturgesetz 2013 Kritische Analyse) und EKBO den Synoden vorgelegt, aber nur in der EKiR beschlossen wurde. Die Synode der EKBO hat den Beschluss abgelehnt. Die Ironie des aktuellen Münchner Finanzskandals: selbst in der Bayerischen Landeskirche – mit einem völlig anderen organisationskulturellen Hintergrund – ist eben diese Diskussion gerade in Gang. Der Kompetenzentzug der Theologie wird also auch dort betrieben. Was daraus bei Skandal oder Missmanagement folgt, wird am aktuellen Finanzskandal überdeutlich: der Theologe/die Theologin wird als RepräsentantIn der Kirche in der Öffentlichkeit nur noch die Prangerposition eingeräumt. Aber er/sie hat dann nicht mehr den Ansatz einer Möglichkeit, das Übel vorher abzuwenden. Denn die Kompetenz dazu ist entzogen – und damit nebenbei auch die Gefahr der Tebartz’schen Protzposition. Bei dieser neuen Rollenverteilung mag es dem einen oder anderen DekanIn mulmig werden. Denn man kennt ja seine Pappenheimer… Und das nicht nur in Bayern (Offensichtlich kennt man die Pappenheimer aber nicht bei der EKD in Hannover…). Klar ist, dass das Problem des zufälligen Münchner Finanzskandals in Zukunft auch in Bayern noch eine strukturelle Fundierung, eine Legitimation der Organisation erhalten soll. Und darin liegt das Problem. Man wird sich dann dreimal überlegen, ob man sich als geeignete Theologin den Dekansposten noch antut. Denn diese Struktur bedeutet nachgerade: organisiertes Ungemach. Weil fehlende Kontrolle neue und größere Skandale provozieren (Ein Blick in die Wirtschaft und Politik liefert Anschauungsmaterial) und weil TheologInnen und mit ihnen die Theologie an den Rand gedrängt werden, die Kirche für die Menschen also belanglos wird. Und eine zunehmend belangloser werdende, vermehrt Skandale produzierende Organisation Kirche – wer braucht die?
p.s.: um Missverständnisse zu vermeiden: Der Autor ist nicht der Ansicht, dass das Problem von Finanzskandalen allein durch die Dominanz von TheologInnen behoben werden könnte. Hier haben zwei mutige Frauen das Übel bekämpft. Sie sind der Beleg, dass die Richtung stimmt. Aber das reicht nicht zu. In wie vielen anderen Fällen haben auch Theologen schon gekniffen? Und kneifen noch? Und: auch Mut allein reicht nicht. Ganz einfach sind Lösungen hier also nicht. Aber vorstellbar, wenn man das Problem ganzheitlich angeht.