01/2017
Unter einer anderen Fragestellung geht Günter Unger hier an die Themen heran, die er schon in „Das Glaubensbekenntnis“ und „Das Vaterunser“ behandelt hatte:
Was hat Jesus gelehrt und gewollt und was ist daraus geworden?
Zuerst analysiert er – vor allem am Text des Markus – welche Stellung Jesus zum Religionsgesetz einnahm. Über das Sabbatgebot stellte Jesus die Pflicht Leben zu erhalten und zu fördern. „ Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ Die Frage von rein und unrein erklärte er für müßig: diese Unterscheidung ist Menschenwerk und nicht von Gott. Ebenso ist das Fasten von Menschen erdacht, die meinen sich so vor Gott Verdienst erwerben zu müssen. Im Umgang mit Schuld verließ Jesus ebenfalls den Weg des Gesetzes. Er ging zu den Sündern hin, lud sie ein und ließ sich einladen, kannte auch hier kein rein und unrein. In seinen Gleichnissen wurde deutlich, dass nicht Gott versöhnt werden muss, sondern der Mensch muss umkehren, heimkehren – Gott wartet schon auf ihn. Allerdings bedeutet Heimkehren auch, sich von Gottes Haltung anstecken zu lassen, sonst bleibt man draußen und verloren wie der Schalksknecht in Matth. 18. Jesus lud zur Gottesherrschaft ein, die ganz andere Regeln hat als das Religionsgesetz: Es gilt nur eine Orientierung, nämlich die im Doppelgebot der Liebe beschrieben ist oder in der goldenen Regel: „Alles was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“
In den Antithesen der Bergpredigt scheint Jesus das Gesetz zu verschärfen, in Wirklichkeit vertieft er es. Schon die Gedanken sollen bewusst gemacht werden, aus ihnen kommen die bösen Taten. Scheidebrief und Eid sind Notlösungen, sie sollten gar nicht nötig sein. Vergeltung und Feindeshass machen alles schlimmer; wer sich davon freimachen kann, schafft Frieden.
Das ist das Gegenteil von Kasuistik (für jeden Einzelfall gibt es Regeln), frei und mündig soll der von Gott angenommene Mensch handeln, innen- und nicht außengesteuert.
Aber schon Matthäus hat wieder korrigiert; den Satz über den Sabbat weggelassen, bei rein und unrein sich auf die bösen Gedanken und das Händewaschen beschränkt, beim Fasten gibt er die Anleitung zu echtem Fasten.
Und vom Gesetz soll kein Tüttel wegfallen. Jakobus hatte schon in der Urgemeinde die Rolle des Gesetzeshüters übernommen, der sogar Petrus bei der Stange halten konnte.
Die Opferpraxis in diesem Umfang hatten die Priester ausgearbeitet, sie lebten schließlich davon. Und sie verdarben mit dieser Praxis die Religion. Schon die Propheten hatten dagegen gewettert, dass mit diesen Ersatzhandlungen den Menschen suggeriert wurde, so könnten sie ihre Schuld bereinigen und ihr Verhältnis zu Gott in Ordnung bringen. „ Lass allda deine Gabe und versöhne dich mit deinem Bruder“ sagte Jesus. Wo Matthäus allerdings gleich wieder anfügt: „Und dann komm und bring deine Gabe!“
Nach Jesu Kreuzigung konnten die Jünger zunächst keinen Sinn sehen in dem, was geschehen war. Mit Hilfe des AT, mit Hilfe von Jesaja 53 versuchten sie diesen Sinn zu finden: Jesu Tod war ein Sühnopfer. Was Jesus bekämpft hatte, führten sie damit durch die Hintertür wieder ein und legten diese Deutung auch noch dem Auferstandenen in den Mund. Gott braucht keine Opfergaben, keine Ersatzhandlungen, er will ja vergeben, er wartet auf die Menschen, die sich ihm zu wenden. Und er will, dass die Menschen ihre Verfehlungen in Ordnung bringen statt sie durch Opfer abzugelten.
Jesus hat die Gottesherrschaft gepredigt: sie ist nah, sie ist unter euch, sie ist in euch.
Wer dazu gehören will, muss umdenken, anders denken als bisher, neu denken. In den Gleichnissen zeigt er das Wesen der Gottesherrschaft, in den Seligpreisungen das Wesen ihrer Teilnehmer. Hoffnung und Zuversicht spricht aus seinen Gleichnissen, bei Matthäus jedoch wird daraus gleich wieder das Weltgericht und ein richtender Menschensohn. Ebenso wie beim Sühnopfer brauchten die Jünger eine Erklärung für das Scheitern Jesu als Messias:
Der Menschensohn aus dem Buch Daniel war die Lösung, er würde das angefangene Werk zu Ende führen. Die Urgemeinde erwartete die Parusie (Wiederkunft Jesu) binnen Monaten, Paulus bei seinen Lebzeiten, Matthäus lässt sogar schon die Jünger, die auf dem Ölberg neben Jesus sitzen, nach seiner Parusie fragen.
Und fast 2000 Jahre lang warten nun Menschen mehr oder weniger angestrengt darauf. Dabei aber geriet die Predigt Jesu in Vergessenheit: Die Gottesherrschaft ist da, ihr könnt dazu gehören, wenn ihr umdenkt, wenn ihr als Kinder Gottes lebt und seinen Willen tut.
Wenn wir die Lehre und die Praxis der Kirche heute anschauen: das Glaubensbekenntnis mit den Heilstatsachen, die Sühnopfervorstellung, die Priester als Mittler, das Fasten, die Bergpredigt als Gesinnungsethik betrachtet – dann kann man sich schon fragen, ob wir trotz aller exegetischen Erkenntnisse einfach so weitermachen und weiterreden dürfen wie bisher.
Günther Unger: Jesus als Reformator
Verlag Tredition, Hamburg 2016, 342 S.
Paperback 978-3-7345-4912-0 € 14,80
Hardcover 978-3-7345-4913-7 € 21,99
e-Book 978-3-7345-4914-4 € 7,99