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Prof. Eberhard Mechels verstorben.

05/2017

Prof. Eberhard Mechels, der Mitherausgeber des Buches „Kirche der Reformation?“, verstarb am Dienstag nach Ostern nach schwerer Krankheit.

Aus diesem Anlass stellen wir hier einen seiner kritischen Reflexionen zum Reformprozess „Kirche der Freiheit“ ein. Der Artikel erschien in der Ausgabe 06/2010 des deutschen Pfarrerblattes.

Der Reformprozess als Strategie der Integration von Christentum, Kirche und Gesellschaft. Von Eberhard Mechels. Eine Leseprobe.

10/2015

(Leseprobe aus dem Buch „Kirche der Reformation?“, Hrsg. Gisela Kittel und Eberhard Mechels, Neukirchner Verlag, 2016)

…Das theologische Grundmodell des Impulspapiers ist nicht die Ekklesiologie der „Kirche für andere“, sondern die Christentumstheorie.1
Was bedeutet „Christentumstheorie“? Es handelt sich um eine theologische Konzeption, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemein wurde. Ihr Zentralbegriff ist „das Christentum“ als eine gesellschaftlich – kulturelle Grösse, die kritisch unterschieden wird von der Institution Kirche und ihrer Dogmatik, in der die Kirche, so ist die Theorie, monopolartig und autoritär festlegen will, was Christen zu glauben haben. Das moderne, aufgeklärte Individuum ist aber emanzipiert, es lässt seine Freiheit, auch seine religiöse Freiheit nicht einschränken durch eine Organisation und ihre autoritären Vorgaben.
Ausgangs- und Mittelpunkt der Theorie ist demnach die gesellschaftliche Verfassung des Christentums und die christliche Verfassung der modernen Gesellschaft. Ihre Orientierungsgröße ist „das Christentum“ als neuzeitlich-emanzipatorischer Begriff, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemein wird und mit dem der positiven historisch-christlichen Institution, der Kirche und ihrer Dogmatik, das Monopol streitig gemacht wird, allein zu bestimmen, was christliche Religion ist.2 Ihr zentrales Anliegen ist die Integration von christlicher Religion und Gesellschaft, d.h. der Aufweis der gesellschaftlichen Verfasstheit des Christentums bzw. der christlichen Verfasstheit der Gesellschaft. Es geht demnach nicht primär um „Integration“ als Aufgabe oder Projekt, sondern um das Postulat der faktischen Integriertheit von Christentum und Gesellschaft. So ist oft die Rede von der „Christlichkeit unserer Gesellschaft“, 3 vom außerkirchlichen „Christentum in unserer Gesellschaft“4, von der „Welt des Christentums“ 5 als „christlicher Welt“ 6. So kann die Studie der Perspektivkommission der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau konstatieren: Wenn man unter Religion nicht nur ein gedankliches Erlebnis verstehe sondern einen weiteren Religionsbegriff voraussetze, dann werde erkennbar, dass die christliche Religion unsere gesamte Lebenswelt durchdringe. „Der Umgang mit Geld, die Einstellung zur Arbeit, die Gestaltung der Sexualität, das Erleben von Kunst, die Feier von Festen und Lebenshöhepunkten, das politisch-soziale Engagement – all diese Handlungsfelder bewahren christliche Überlieferung.“ 7 Ebenso ist die Individualisierung als ein gesamtgesellschaftlicher Prozess „eine späte Folge des Protestantismus selbst, für den Individualität (´der einzelne in seinem Gewissen vor Gott ´) eine leitende Kategorie der christlichen Theologie war.“8 Alle diese Beispiele zeigen das Bemühen, die gegenseitige Beeinflussung und Durchdringung von Christentum und heutiger Gesellschaft aufzuzeigen.
Von da aus wird die Kirche als eine Gestalt des Christentums in die Gesellschaft integriert als das Besondere dieses Allgemeinen. In der Neuzeit habe sich ein neuzeitliches Christentum konstituiert, in deutlicher Selbstunterscheidung vom kirchlich verfassten Christentum, befördert vor allem durch die Renaissance und die deutsche Aufklärung. Die Neuzeit ist „in gleichem Maße aus spezifischen Einsichten und Argumenten des Christentums hervorgegangen, wie sie andererseits durch ihre Entfaltung das Christentum zutiefst beeinflusst hat.“9 Und darum sind die oben genannten drei Gestalten des Christentums in der Neuzeit zu unterscheiden: das öffentliche, das kirchliche und das private Christentum. Und innerhalb des kirchlichen Christentums ist wiederum die Gemeinde eine von sieben möglichen Wahrnehmungen von Kirchenmitgliedschaft.10
Aus dieser christentumstheoretischen Systematik wird bereits ersichtlich, was in den Reformprogrammen von EKD und Landeskirchenleitungen mit Händen zu greifen ist: die entschlossene Marginalisierung der Gemeinden.

Neuerscheinung: Kirche der Reformation? Anfragen an die evangelische Kirche zum Reformationsjubiläum 2017

06/2016, E x p o s é von Prof. Gisela Kittel (Hrsg.), Cover

Dieses Buch möchte die evangelische Kirche in Deutschland an ihre reformatorischen Wurzeln erinnern. Während die mancherlei Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum bei Beobachtern den Eindruck hinterlassen, hier ginge es den das Jubiläum Vorbereitenden vorrangig darum, die Evangelische Kirche nach außen, in der Öffentlichkeit, darzustellen und die Bedeutung des eigenen Erbes für das Heraufkommen der Moderne, für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, hervorzuheben, richtet sich der Blick in diesem Buch nach innen. Hier wird die selbstkritische Frage gestellt, wie weit die heutige evangelische Kirche selbst noch von ihrem reformatorischen Erbe geprägt ist und ob sie sich von diesem Erbe in ihren Entscheidungen bestimmen lässt.

Dabei werden die Reform- und Umbauprozesse in den Blick genommen, denen die evangelischen Gemeinden und Kirchenkreise in den letzten 20 Jahren, spätestens aber seit dem Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“ 2006, ausgesetzt sind. Erstmals kommen Stimmen der kirchlichen Basis – aus unterschiedlichen Landeskirchen – zu Wort, die beschreiben, was die durchgeführten Strukturreformen jetzt schon an der Basis mancher Gemeinden in ländlichen Gebieten, aber auch in einer Großstadt wie Berlin bewirken und was bei der Durchsetzung dieser Reformen auch in bisher noch nicht so betroffenen kirchlichen Regionen zu erwarten ist. Von einem „Wachsen gegen den Trend“ kann schon lange nicht mehr gesprochen werden. Eher hat sich das Gegenteil eingestellt. Gerade dort, wo Ortsgemeinden dem Druck zu Fusionierungen nachgeben mussten, wo unter dem Stichwort der „Regionalisierung“ Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse auf die regionale Ebene verschoben wurden, wo an die Stelle der früheren Ortskirchenvorstände Kreiskirchenvorstände traten, die das gemeindliche Leben vor Ort organisieren, hatte dies das Schwinden oder gar Erliegen gemeindlicher Aktivitäten vor Ort zur Folge. Auch Zentralgottesdienste, die an Stelle gering besuchter Gottesdienste in Dörfern oder Stadtteilen mal hier, mal dort angeboten werden, bringen nicht mehr Menschen sonntäglich in die Kirche, eher weniger.

Begründet wurde und wird der organisatorische Umbau der Kirche mit den immer wieder hervorgehobenen Sparnotwendigkeiten und der Prognose, dass sich bis zum Jahr 2030 die Zahl der Kirchenmitglieder auf die Hälfte reduzieren würde, somit auch die Kirchensteuereinnahmen um ca ein Drittel schrumpfen. Doch auch diese Rechnungen werden von fachlich versierten Leuten in Frage gestellt. Vornehmlich die Konsequenz, heute schon dringend benötigte Gelder in den Arbeiten an der Basis einzusparen, Kirchengebäude und Pfarrhäuser zu schließen, Pfarrstellen nicht mehr zu besetzen, weil man dies alles in ca 20 Jahren nicht mehr bezahlen kann, setzt eine sich selbst erfüllende Prophetie in Gang, die das Schrumpfen der Kirche verstärkt herbeiführt.

Dem behaupteten Sparzwang sind in den letzten Jahren in überproportionalem Ausmaß Pfarrstellen zum Opfer gefallen und tun dies auch weiterhin. Diese Einsparungen gehen mit der Entwicklung eines neues Pfarrerleitbildes einher, nach dem Pfarrpersonen nicht mehr primär Prediger oder Predigerinnen, Seelsorger oder Seelsorgerinnen in ihren Gemeinden sind, sondern theologische Fachleute, die ehrenamtliche Kräfte schulen. Sie sollen Moderatoren für Kommunikationsprozesse sein, die nun auch besondere zusätzliche Eignungsprüfungen (Assessments) zu bestehen haben.

Angesichts all dieser im Gang befindlichen „Reform“-Prozesse fragt das geplante Buch nach den theologischen Grundlagen.

I. Das theologische Einleitungskapitel erinnert an die Luther und Calvin gemeinsamen reformatorischen Grundentscheidungen: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.“ (CA VII). Kirche ist also die konkrete Gemeinschaft derer, die sich um Wort und Sakrament versammeln, und nicht eine ferne Institution. Von den Reformatoren wird Gottes Wort verstanden als ein wirkkräftiges, schöpferisches Wort, das den Glauben erweckt und die Kirche schafft. Daher ist das Predigtamt unersetzlich, von Gott selbst gestiftet. Nach evangelischem Verständnis kann die Kirche daher auch nur im Hören auf dieses Wort geleitet werden – von der Gemeinschaft derer, die sich um dieses Wort versammeln. Alle institutionellen, auf Dauer gestellten Funktionen sind Hilfsfunktionen und dienen der Gemeinde. Eine Herrschaft der einen über die anderen kann es in der nach Gottes Wort erneuerten Kirche nicht geben.

II. Das zweite Kapitel hebt die Weichenstellungen des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ hervor. Der Einspruch, im Jahr 2010 formuliert, beschreibt die Vorgaben, nach denen der Reformprozess in Gang gesetzt wurde und weiter voranschreitet.

III A Die neuen kirchlichen Entwicklungen werden im zweiten Kapitel sehr konkret beschrieben. Es enthält Einzelberichte aus einzelnen Landeskirchen, von engagierten Pfarrern, aber auch den Vorsitzenden der Pfarrvereine des Rheinlands, Niedersachsens, der Nordkirche und dem Vorsitzenden des Gemeindebundes der EKBO (Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz) verfasst. Unter den Stichworten „Ökonomisierung“, „Regionalisierung“, „Pfarrstellenabbau“, „Herrschaft von Menschen über Menschen“ wird berichtet, was sich nicht nur in diesen Kirchen entwickelt hat. Hier wird ein allgemeinerer Trend sichtbar, der auch die nicht genannten Landeskirchen berührt. Zu Willkür und Herrschaftsanmaßungen lädt insbesondere auch das inzwischen in alle Landeskirchen übernommene Pfarrdienstgesetz der EKD ein. Es macht in seinen Versetzungsparagrafen Pfarrer und Pfarrerinnen buchstäblich zum Freiwild ihnen missgünstig gesonnener einzelner Kirchenältester und Superintendenten. Ein paar aktuelle Beispiele sind aufgenommen.

III B Die theologischen Anfragen offenbaren einen Kontrast. Fragen, die hier gestellt werden, sind die nach Wesen und Gestalt der Kirche, ihrer Rolle in der Gesellschaft, ihrem Auftrag. Ist es die Aufgabe der Kirche, sich der Gesellschaft zu integrieren, ihre Prozesse zu kopieren und sich ihr gleich zu gestalten in der Hoffnung auf Akzeptanz und allgemeine Anerkennung? Muss sie nicht, geleitet durch Gottes Wort, wohl in der Gesellschaft leben, aber doch im kritischen Gegenüber zu ihr? Das viel zitierte Wort von der „ecclesia semper reformanda“ meint ja nicht die Kirche, die sich ständig der Welt anpasst, sondern jene, die sich nach Röm 12,2 auch in allen Umbruchsituationen immer wieder neu zu Jesus Christus zurückwenden, also „re-formieren“, lässt.

IV Das vorliegende Buch ist unter das Motto der ersten Ablassthese Martin Luthers aus dem Jahr 1517 gestellt. Damit erinnert es bewusst an das Datum, welches den Anlass zur Jubiläumsfeier im Jahr 2017 gibt. Mit Bezug auf die 1. These betont es die Notwendigkeit der Umkehr, der Buße.

Eine solche Umkehr hatte bereits im Jahr 1999 ein bayerischer Initiativkreis „Kirche in der Wettbewerbsgesellschaft“ gefordert. Dieser theologische Ruf zur Erneuerung wird hier noch einmal abgedruckt, da er heute noch brisanter und aktueller erscheint als vor sechszehn Jahren. Mit einem Ausblick „Schritte in eine andere Richtung“ endet das Buch. Während das „Wormser Wort“, formuliert im Umfeld des Pfarrertags in Worms im Herbst 2014, zum Innehalten aufruft, während es dringend nach einem Moratorium verlangt, „um den aktuellen Status schonungslos offen zu legen und zur Besinnung zu kommen“, versucht dieses Buch im Ausblick zu formulieren, welche Schritte in eine andere Richtung heute nötig sind.

Adressaten
Die Adressaten des Buches sind die Pfarrerschaft der evangelischen Landeskirchen, die Synodalen der EKD-Synode wie auch der Landes- und Kreissynoden, Presbyter, Mitglieder kritischer kirchlicher Gruppen wie „Gemeindebund“, „Kirche im Aufbruch“, „Gemeinde im Aufwind“, „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e.V.“ und andere Initiativen, sowie engagierte Gemeindeglieder.