09/2015:
Kleine Statistik der EKHN 2015 (zu finden unter Überschrift „Kirchengebiet der EKHN“)
Kirchenaustritte EKHN: 19.703
Eintritte: 3.153
Kleine Statistik der EKHN- 2011
Austritte: 10.978
Eintritte: 4.226
09/2015:
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06/2015, Beitrag mit freundlicher Erlaubnis aus den „Zwischenrufen“ übernommen
Der Autor dieses Textes, Matthias Burchardt, ist Akademischer Rat am Institut für Bildungsphilosophie der Universität zu Köln. Neben seiner Kritik an Transformationsprozessen im Bildungswesen (Pisa, Bologna) gilt sein Augenmerk auch den sog. „Reformen“ in der Ev. Kirche.
Der nachfolgende Text ist zwar aus dem Jahr 2008, aber immer noch aktuell, zumal die von Burchardt befürchteten destruktiven Auswirkungen der neoliberalen „Modernisierung“ immer deutlicher zu Tage treten.
Begründung meines Kirchaustrittes
Aus Protest gegen das Impulspapier ›Kirche der Freiheit‹ und dessen Umsetzung durch die EKD trete ich bis auf weiteres aus der Evangelischen Kirche aus.
1. Die ›Kirche der Freiheit‹ ist durchdrungen vom Jargon und den Modellen des Neoliberalismus. Ich betrachte das Dokument als sinnfälliges Symptom einer Immunschwäche der leitenden Kircheninstitution gegenüber einer gesellschaftlichen Tendenz, die von Soziologen treffend als ›ökonomischer Totalitarismus‹ bezeichnet wird.
2. ›Ökonomischer Totalitarismus‹ ist die Homogenisierung aller Lebensbereiche einer Gesellschaft durch das Regime des Managements. Dieses Regime expandiert das Kosten-Nutzen-Kalkül als alternativlose Rationalität, setzt Individuen und Gemeinschaften einem externen Marktdruck aus, indem es ein Kraftfeld der Konkurrenz um knappe Sozialchancen errichtet, auf dem nur derjenige besteht, der ›Alleinstellungsmerkmale‹ ausbildet und seine Humanressourcen besser ausschöpft als die Wettbewerber. Diese Doktrin der Selbstvermarktung unter der kaum verhohlenen Drohung eines ›Rechts des Stärkeren‹ macht Menschen krank und erzeugt soziale Verwerfungen. McKinsey, federführend beim EKD-Papier, ist keine unabhängige Beratungseinrichtung, sondern interessierter Akteur, der die Transformation der Gesellschaft in diesem Sinne vorantreibt.
3. Es ist eine Illusion, die aufgrund der Erfahrungen mit der neoliberalen ›Modernisierung‹ im Bildungsbereich als solche durchschaubar wäre, dass durch eine ökonomistische Optimierung der ›Organisation‹ die eigentlichen Zwecke der Kirche erfolgreicher verfolgt werden könnten. Genau das Gegenteil wird der Fall sein: Die im Papier ›Kirche der Freiheit‹ intendierten Mittel werden die ursprünglichen Zwecke korrumpieren und schließlich liquidieren. Die metrischen Verfahren der Qualitätssicherung beispielsweise wirken implizit normativ, und was in einer Brötchenfabrik möglicherweise funktioniert, wirkt dort fatal, wo Qualität – wie in der Kirche oder in der Bildung – nicht quantifizierbar oder nach den Kriterien der Kundenzufriedenheit oder der Prozesseffizienz zu definieren ist. Der Horizont legitimierbarer Zwecke schrumpft zusammen auf das, was sich messen und zum Gegenstand von Zielvereinbarungen machen lässt (z.B. Taufquoten steigern).
4. Ich plädiere für eine ›Kirche der Verantwortung‹, die sowohl programmatisch als auch institutionell eine Alternative zur inhumanen und nihilistischen Totalisierung des Management-Kalküls bietet. Gerade in den sich ankündigenden Zeiten der wirtschaftlichen Krise und den damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten sollte m. E. die Verantwortung der Kirche darin bestehen, in ihren Beschäftigungsverhältnissen einen humaneren Lebensentwurf zu verwirklichen als es in Wirtschaftsunternehmen, Schulen, Krankenhäusern oder Universitäten der Fall ist. Mehr noch ist die Kirche aber als eine Sinnmacht gefordert, die die drängenden existenziellen und sozialen Fragen vor dem Hintergrund der Offenbarung stellt und der historischen Stunde entsprechend und d.h. auch unzeitgemäß beantwortet. Eine Optimierung von Funktionen ist eben nicht identisch mit der Stiftung von Sinn.
Meine Kritik richtet sich ausdrücklich nicht gegen die engagierten Vertreter der Kirche in meiner Gemeinde. Trotzdem erscheint es mir vor dem Hintergrund der angeführten Thesen ein Gebot meines Gewissens zu sein, ein Zeichen gegen diese bedenkliche Entwicklung zu setzen. An meinem christlichen Bekenntnis halte ich fest!
im Dezember 2008,
Matthias Burchardt
Die neue Kirchenmitgliederbefragung als Lernchance für unsere Kirche
Von der Schwierigkeit, ein liebgewordenes Tabu aufzugeben
Von: Herbert Dieckmann in: Deutsches Pfarrerblatt 12/2014
Dass der Pfarrberuf in der Kirche ebenso wie in deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit eine zentrale Rolle spielt, wird eigentlich von einer Kirchenmitgliederbefragung zur nächsten bestätigt. Dennoch lassen sich die Großstrategen in den Kirchenleitungen von ihrem irregeleiteten Reformkurs nicht abbringen. Herbert Dieckmann führt das Dilemma vor Augen und verweist auf Auswege.
Die Schlüsselrolle der Pastorenschaft – ein kirchliches Tabu
Es geschah vor etwa zehn Jahren. Da wagte der Präsident des Landeskirchenamtes, Dr. von Vietinghoff, öffentlich anzusprechen, was bis dahin auch in der hann. Landeskirche als absolutes Tabu galt: die »Schlüsselrolle« der PastorInnen in den Gemeinden. Reflexartig erschallte ein Aufschrei des Entsetzens: Mitarbeitende, Ehrenamtliche, Synodale, ja selbst Kirchenleitende wollten einfach nicht wahrhaben, was in jeder Gemeinde die übergroße Mehrheit der Kirchenglieder selbstverständlich erlebt und dankbar anerkennt: die zentrale Stellung der PastorIn. Doch diese gemeindliche Selbstverständlichkeit wirklich zu benennen, war kirchenpolitisch inkorrekt. Denn die landeskirchlichen Meinungsmacher wollten die Gemeindepfarrstellen als willkommenes Einsparpotential nutzen, weil sie behaupteten, die Kircheneinnahmen würden sich bis 2030 halbieren. Tatsächlich sind die Kirchensteuereinnahmen in der EKD im letzten Jahrzehnt um über 30% gestiegen, nachdem sie sich von 1967 bis 1970 verdoppelt und von 1970 bis 1990 verdreifacht hatten!1 Darum war 2004 diese Entwicklung tendenziell vorhersehbar. Dennoch wurden drohende Einnahmeverluste als sicher unterstellt und sogleich PastorInnen als überflüssige Amtsträger identifiziert, die lediglich hohe Ausgaben verursachen und zudem das eigenständige Wirken engagierter Ehrenamtlicher behindern und Mitarbeitende autoritär und inkompetent behandeln würden. Stereotype PastorInnenschelte mit ernster Warnung vor einer antiquierten »Pastorenkirche« war seinerzeit »angesagter Ton«. Dass den PastorInnen als einziger kirchlicher Dienstgruppe die Gehälter erheblich gekürzt, etwa 350 junge TheologInnen trotz bestandener Examina einfach abgewiesen und vor allem viele Gemeindepfarrstellen (in manchen Kirchenkreisen bis zu 50%) ohne nennenswerten Widerstand kurzerhand gestrichen wurden, verstand sich danach beinahe von selbst… Zum Artikel.