Schlagwort-Archive: Kirchenreform

Nein sagen oder Nein hören? Ein Kommentar zum 73. Pfarrertag in Worms

von Friedhelm Schneider

Titel und Motto: „Manchmal musst Du Nein sagen können“ bot dem Hauptredner Heiner Geißler eine Steilvorlage nicht nur allgemein psychologisch oder spachphilosophisch an das gestellte Thema heranzugehen, sondern konkret ökonomische, politische aber auch kirchliche Entwicklungen darzustellen und anschließend zu – pardon – geißeln. Geboten ist Nein- Sagen gemäß Geißler heute nicht aus einer naiven Trotz-Haltung, sondern aus der ökonomischen, politischen und kirchlich-theologischen,  der reinen und praktischen Vernunft heraus. Und das an etlichen Stellen.

Dabei mochten die Gastgeber und rund 300 Hörerinnen und Hörer wohl am meisten an den kirchlichen Themen rund um die sogenannten kirchlichen Reformprozesse interessiert sein. Denn gerade hatte die 5. KMU durch eine empirische Studie ans Licht gebracht, dass die die Kirche ins gesellschaftliche Abseits schiebenden Veränderungsprozesse durch die sog. Reformen eben nicht verhindert oder wenigstens abgeschwächt werden konnten, sondern durch die Reformen im Gegenteil noch beschleunigt wurden. Namentlich der Abbruch der kirchlichen Tradition bei den Jugendlichen ist fatal. Schon zuvor hatte sich ein prominenter Protagonist der Reformen, Thies Gundlach, von dem Impulspaier Kirche der Freiheit spektakulär distanziert. Und zuvor hatte die Artikelserie „Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse“ im Dt. Pfarrerblatt die eklatanten Strategiedefizite der kirchlichen Reformprozesse aus Theorie und Pfarramtspraxis heraus beschrieben. Und die kirchlichen Prozesse als Teil einer einheitlichen Mustern folgenden Reform aller Bereiche der Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit) erkannt. Alle erforderlichen Fakten lagen also auf dem Tisch. Und Heiner Geißler greift auch virulente kirchliche Themen auf und liefert in seinem Vortrag dem Pfarrertag auch noch eine inhaltliche Steilvorlage. Und der Pfarrertag? Er hört sich das alles brav an, diskutiert am Nachmittag noch einige Themen und das war’s dann auch. Du musst Nein sagen können? Vorsichtiges Nein- Sagen überließ man einzelnen, etwa dem neuen Vorsitzenden des Pfarrverbandes Andreas Kahnt. Was war mit dem gastgebenden Pfarrrverein der EKHN oder der versammelten Pfarrerschaft ? Ein Wort zu den verfehlten Reformen? Ein Wort zu den fatalen Fehlinvestitionen in meist sinnlose Strukturprozesse oder Doppik? Ein Wort zur Überlastung des Personals durch die Umbauprozesse? Was war mit einer Resolution, einem Moratorium? Kein Wort. Das Nein-Sagen überließ man einzelnen wie dem Redner Heiner Geißler. Der angemessene Titel für den Pfarrertag hätte angesichts des Schweigens also lauten müssen: Du musst manchmal Nein hören können. Kein Trost, dass die PfarrerInnen selbst ihr überwiegendes nur Nein-Hören selbst durch wachsende berufliche Belastungen schon erleiden und in Zukunft verstärkt werden ausbaden müssen…

Gegenwart und Zukunft des Pfarrhauses. Vortrag von Landesbischof Dr. Christoph Meyns.

Vortrag auf dem Sommerfest der Evangelischen Akademie „Abt Jerusalem“
am 9. Juli 2014

„Wenn ich heute über die Gegenwart und Zukunft des Pfarrhauses rede, dann tue ich das auf dreierlei Weise. Erstens als Betroffener und Zeitzeuge, zweitens als wissenschaftlicher Theologe und drittens, in einer für mich noch ungewohnten Rolle, in kirchenleitender Perspektive.“
daraus folgender Auszug: Kirche hat in den letzten 25 Jahren den Selbstinszenierern und Schaumschlägern ein bisschen zu viel Raum gegeben:

„In ähnlicher Weise spricht Jan Hermelink von der Kirche als „Organisation zur öffentlichen Inszenierung des Glaubens“. Ich halte das Sprachspiel der Theaterwelt in des für wenig geeignet, Licht auf gesellschaftliche Zusammenhänge im Allgemeinen und das Pfarrhaus im Besonderen zu werfen. So interessant mögliche Parallelen sind, darf man die Unterschiede doch nicht vergessen, oder um es mit Søren Kierkegaard zu sagen: „Die Garantie für den Unterschied zwischen Theater und Kirche ist die Nachfolge“. Pfarrer wie Albert Schweitzer und Dietrich Bonhoeffer haben gerade deshalb noch Bedeutung für uns, weil es Ihnen nicht darum ging, sich zu inszenieren, sondern mit dem Zuspruch auch dem Anspruch des
Evangeliums auf das ganze Leben gerecht zu werden. Wir haben in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren für meinen Geschmack in der Kirche den Selbstinszenierern und Schaumschlägern ein bisschen zu viel Raum gegeben. Es wird Zeit, sich von einer Reduzierung der Verkündigung auf Marketing und Event-Management zu verabschieden.“

Der Vortrag.

Zukunftsforum für die Mittlere Ebene in Wuppertal

Informieren – Transformieren – Reformieren. Uber die eigentlichen Aufgaben der sog. Mittleren Ebene.

Ein Kommentar von Maximilian Heßlein.

80 Jahre ist es in diesen Tagen her, dass die Barmer Theologische Erklärung das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Für die Evangelische Kirche ist das der grundlegende Text ihres Kircheseins im 20. und anbrechenden 21. Jahrhundert, weil sie neben der klaren Ausrichtung an Jesus Christus, weil sie über Zuspruch und Anspruch Gottes an uns auch etwas sagt zur Gestalt der Kirche und zu ihrem Leben in der säkularen Welt.
80 Jahre sind also seither vergangen und der Befund ist eindeutig. In dieser Zeit hat sich die Evangelische Kirche massiv verändert. Sie ist beweglicher, vielfältiger, in der Öffentlichkeit einflussreicher und an Gebäuden und Geldmitteln reicher geworden. Wer in die Zahlen und das Leben der Kirche schaut, wird das nicht übersehen können.
Nun haben sich an diesem Wochenende etwa 800 Vertreterinnen und Vertreter der 600 verschiedenen Kirchenkreise, Dekanate und Synodalverbände der EKD an eben diesem Ort der Entstehung der Barmer Theologischen Erklärung getroffen, um die Veränderungen der Kirche zu beleuchten. Sie sollten und wollten sich informieren, transformieren und reformieren. So jedenfalls war der öffentliche Anspruch des Zukunftsforums in Wuppertal überschrieben. Kirchenkonferenz und Rat der EKD hatten dazu eingeladen.
Dabei wurde im Vorfeld festgestellt: „Die evangelische Kirche verändert sich. Herausgefordert von wachsender religiöser Vielfalt und individualisierter Daseinsgestaltung, von sinkenden Mitgliederzahlen und Finanzmitteln, ist sie auf der Suche nach theologisch verantworteten Schwerpunktsetzungen, nach beweglicheren Formen und stärkerer Außenorientierung.“
Zugleich wurde in der Einladung zum Zukunftsforum der sog. Mittleren Ebene, also der Kirchenleitung in Kirchenkreisen und Dekanaten, eine besondere Rolle zugespielt: Die Mittlere Ebene habe eine Schlüsselfunktion in der Bestärkung, Verbreiterung und Nachhaltigkeit der Veränderungsprozesse.
Der geneigte Leser staunt und kommt aus dem Staunen so schnell auch nicht heraus. Nicht nur, dass der Veränderungsprozess überhaupt nicht mehr hinterfragt wird – die V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung deutet ja zumindest an, dass die Veränderungen in keiner Weise greifen, sondern den Abbau der Bindungen eher noch beschleunigen. Darüber hinaus aber wird unter dieser Aufgabenzuschreibung ein Kirchenbild im Verständnis zementiert, das eine klare hierarchische Ordnung erkennen lässt. Im Kirchenamt, der Kirchenkonferenz und im Rat der EKD wird gedacht und wird die Gestalt der Evangelischen Kirche für die nächsten Jahren festgelegt. Dann wird über die Landeskirchen dieses Denken und die konkreten Ausformungen immer weiter gegeben, bis es über die Kirchenkreise und Dekanate letztlich bei den Gemeinden, den ortsnahen kirchlichen Arbeitsformen und bei den Menschen ankommt.
Eigentlich ist es eine Schande, dass ausgerechnet in Wuppertal ein solcher Prozess weitergetrieben wird. Ist doch gerade in Barmen ganz anderes über die Kirche gedacht worden. Es gibt nur einen Herrn, der die Kirche lenkt. Er heißt Jesus Christus. Es gibt keine Herrschaft der einen über die anderen. Es gibt vielmehr den Auftrag, sein Wort auszurichten an alles Volk. Sein Wort aber wird hörbar unter den Menschen, in deren Versammlung im Glauben. Es ist nicht festgeschrieben in Prognosen und Annahmen oder wiederkehrend falschen Voraussetzungen.
Dabei ist festzuhalten: Die Herausforderungen sind in der Einladung zum Zukunftsforum klar benannt. Es ist wichtig und gut, dass sich die Kirche diesen Herausforderungen bewusst stellt. Es ist aber mindestens so wichtig, dass die Kirche überprüft, ob die benannten Herausforderungen auch wirklich stimmen, oder ob mit diesen Dingen nicht vielmehr ein Herrschaftsinstrument etabliert und legitimiert wird, um die Kirche nach kirchenleitenden Vorstellungen zu verändern.
So ist die eigentliche Aufgabe der Kirchenleitung, gerade in den Dekanaten und Kirchenkreisen einmal nachzufragen und zu hören, ob denn die Herausforderungen überhaupt richtig benannt sind.
Allein die immer wiederkehrende Feststellung schwindender Finanzmittel ist schlicht und ergreifend falsch. Ja, die Kirchenglieder werden weniger. Die Aktiven aber werden an vielen Stellen mehr. Zugleich steigt auch die Produktivität in diesem Land immer weiter. Es ist genug Geld da. Auch für die Kirche. Die Steuereinnahmen wachsen seit Jahren. Nur wohin wird das Geld verteilt? Wer profitiert von den eingenommenen Mitteln? Und wer bestimmt darüber? Das ist nicht nur in der Kirche eine der Grundfragen menschlichen Zusammenlebens.
Auch gibt es theologische Schwerpunktsetzungen zuhauf und gelebte Frömmigkeit. Die erfährt man allerdings nicht in den warmen Stuben der Kirchenverwaltungen, sondern im dichten Kontakt zu den Menschen. Dort wo der Glaube gelebt wird. Nikolaus Schneider hat diesen Kontakt möglicherweise verloren, sonst müsste er sich nicht „mehr Alltagsfrömmigkeit in den Gemeinden“ wünschen ( wenn er denn wirklich richtig zitiert ist; siehe sein Zitat).
Es reicht der Blick auf die einzelnen Gemeinden. Es reicht der Blick auf die ganz konkrete Verkündigungsbereitschaft der Menschen an Ort und Stelle. In vielen Bereichen wird auf hohem Niveau Theologie betrieben für die Menschen eines Stadtteils oder eines Dorfes, für Umherziehende und Bleibende, für Suchende und für Zweifelnde genauso wie für diejenigen, die in dieser Zeit fest im Glauben stehen. Das kann mehr werden. Das darf auch mehr werden. Die Leitungen jedoch tun gerade so, als gäbe es das gar nicht.
All diese Dinge laufen nämlich dezentral. Sie sind nicht von einem einzelnen Ort aus gesteuert, sondern entstehen dort, wo Menschen sich um Gottes Wort versammeln und miteinander ins Gespräch kommen, ihre Kirche und Gemeinde gestalten und letztlich wirklich die Kirche sind mit all ihren Stärken, aber auch all ihren Schwächen.
So stünde es der EKD wie auch den Kirchenleitungen der einzelnen Landeskirchen eigentlich gut an, vor allem erst einmal zuzuhören, anzuerkennen und wertzuschätzen, was in der Kirche gearbeitet und gelebt wird und zu schauen, wie diese dezentrale Ausrichtung der evangelischen Kirche gestärkt und nicht immer weiter beschnitten werden kann.
Da wäre es gut, nur ein einziges Mal wirklich zuzuhören. Wie viele durch die Umstrukturierungen und Zusammenlegungen abservierte oder überlastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derjenigen kirchlichen Arbeitsfelder, die sich den Zusprüchen und Ansprüchen der Menschen an Ort und Stelle widmen sollen und wollen, sind denn eigentlich mal gefragt worden?
Wer fragt die ausgebrannten und wegen ständiger Deputatskürzungen überforderten Sekretärinnen, die keine Kontaktpflege mehr betreiben können. Immerhin ist diese Berufsgruppe gemäß der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung nach den Pfarrerinnen und Pfarrern diejenige mit den meisten von außen wahrgenommenen Kontakten zu den Menschen.
Wer fragt die Hausmeister, die in fünf Stunden pro Woche ganze Kirchen und zugehörige Gemeindehäuser betreuen sollen?
Wer fragt die Pfarrerinnen und Pfarrer, die alles liegen gebliebene auffangen, Briefe austragen, Wäsche waschen, Stühle stellen, Abendmahlsgeschirr reinigen und nebenher auch Gottesdienste halten, Seelsorge üben und diakonische Aufgaben übernehmen?
Wer fragt die? – Keiner.
Das aber wäre die eigentliche Aufgabe der sog. Mittleren Ebene, wenn sie nicht als Herrschaftsinstrument von den Kirchenleitungen instrumentalisiert würde, sondern als Teil des innerkirchlichen Kommunikationsprozesses wahrgenommen würde, der nicht dem Herrschen und Verwalten, sondern dem Leben der Kirche und ihrer Gestaltung dient.
80 Jahre Barmer Theologische Erklärung sind ein guter Zeitpunkt umzudenken. Eine Chance dafür wurde in Wuppertal und den verschiedenen Orten des Ruhrgebiets schon im Vorfeld vertan.

Braunschweigische Landeskirche: starker Mitgliederschwund. Synode fordert neue Gesamtstrategie statt Strukturdebatten.

Goslar (epd). Der Strukturwandel im Braunschweiger Land wirkt sich stark auf die Mitgliederzahlen der braunschweigischen Landeskirche aus. «Die Überalterung und der Einwohnerverlust, insbesondere in den ländlichen Bereichen unserer Region, sind dramatisch», sagte Oberlandeskirchenrat Jörg Mayer am Freitag vor der Synode der evangelischen Landeskirche in Goslar. Von 2010 bis 2013 sei die Kirche im Südosten Niedersachsen um rund 16.000 Mitglieder auf aktuell noch 364.000 geschrumpft.

Besonders die Kirchenaustritte hätten stark zugenommen, hieß es. Allein in den vergangenen zwölf Monaten seien rund 3.500 Menschen aus Gemeinden der Landeskirche ausgetreten. Das seien rund tausend mehr als Vergleichszeitraum davor. Starke Austrittsschübe seien Mayer zufolge im Oktober und im Januar zu verzeichnen gewesen.

Reaktion auf die Entwicklung?

Landessynode fordert neue Gesamtstrategie statt weiterer Strukturdebatten
16.05.2014 Mehr auf Inhalte konzentrieren

Goslar. In einer Generaldebatte zum Lage- und Tätigkeitsbericht des Landeskirchenamtes hat die braunschweigische Landessynode am 16. Mai in Goslar eine neue Orientierung auf die inhaltlichen Ziele der Kirche gefordert. Dr. Wolfgang Hemminger (Braunschweig) forderte eine Gesamtstrategie gegen den kontinuierlichen Mitgliederschwund. Dazu gehöre auch eine Auseinandersetzung mit dem Leitbild Pfarrer. Die Reformbeschlüsse der vergangenen Jahre seien vorwiegend Sparbeschlüsse gewesen, kritisierte er. Jetzt müsse es stärker um einen neuen inhaltlichen Aufbruch gehen. Zur Quelle.

 

Mein Blick auf das Konzil – Dr. Daniel Kosch Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)

… Aber schon während meines Theologiestudiums wurde spürbar, dass die Errungenschaften des Konzils bedroht waren. Man begann man von der Kirche «in winterlicher Zeit» zu sprechen und es meldeten sich die «zornigen alten Männer in der Kirche» zu Wort. Der «Fall Haas», die Art und Weise, wie Rom die Befreiungstheologinnen und –theologen zum Schweigen zu bringen versuchte, die theologische Diskreditierung der historisch-kritischen Exegese durch den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, der römische Zentralismus und andere problematische Entwicklungen führten mich je länger, je mehr zur Überzeugung, dass das Konzil gegen den Rückfall der Kirchenleitung hinter das Vatikanum II verteidigt werden müsse. Das gleiche Konzil, dessen Texte ich zu Beginn des Studiums als «zu brav» und zu «affirmativ» empfunden hatte, wurde zur «gefährlichen Erinnerung» (J.B. Metz), diesbezüglich dem Zeugnis der Bibel verwandt. Um so erfreulicher, dass ich in meinem Fachbereich, dem Neuen Testament und der Bibelpastoral, viele Frauen und Männer kennen lernte, die im Geist des Konzils  das Evangelium, seine Option für die Armen, seine Vision vom Reich Gottes und den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit mitten in der Welt von heute ins Zentrum stellten… Zum Beitrag von Dr. theol. Daniel Kosch, CH.

Der Geist weht in den Gemeinden

Die evangelische Kirche schrumpft. Mitglieder und Geld werden weniger. Was bedeutet das für die Gemeinden? Viele sagen: „Jetzt erst recht!“ Sie haben spannende Ideen und gestalten ihr Gemeindeleben mit Freude. Einige dieser Gemeinden besucht evangelisch.de in den nächsten Wochen, die Reportagen sind in unserer Serie „Jetzt erst recht! Gute Gemeinde-Ideen“ zu lesen.
Daraus aus dem ersten Beitrag:
… Vielen Pfarrerinnen und Pfarrern stößt die Rede von „Rückbau“ und „Reform“ seit langem sauer auf, vor allem der betriebswirtschaftliche Ansatz wird kritisiert. Hauptamtliche leiden unter Strukturveränderungen: Fusionen mit Nachbargemeinden und der Verkauf von Gebäuden kosten Kraft und Nerven. Auch für Friedhelm Schneider ist „Reformprozess“ mittlerweile ein Reizwort. Der Pfarrer arbeitet als Managementberater und ist Vorstandsmitglied des Vereins wort-meldungen.de. Schneider hat im Pfarrerblatt (Ausgabe 1/2014) ein Fazit zu „Kirche der Freiheit“ veröffentlicht. Seine These: Die Reform sei in Wahrheit ein zentral gesteuerter Umbauprozess, der mit spekulativen Zahlen begründet werde.

Die „einfache Formel“, so Schneider, basiere auf einer Prognose, die „schon falsifiziert“ sei. Die zugrunde liegenden Zahlen stammten aus Mitte der Achtziger Jahre, so Schneider, und „seither kann man feststellen, dass die Kirchensteuern nicht zurückgegangen sind, sondern gestiegen“. Das stimmt: Mit 4,6 Milliarden Euro haben Kirchensteuereinnahmen 2012 einen Höchststand erreicht. Allerdings liege das an der Konjunktur, erklärt Konrad Merzyn: „Wir haben im Augenblick eine relativ florierende Kirchensteuerquelle, aber die langfristige Perspektive hat sich nicht geändert.“ Friedhelm Schneider dagegen hält es für „höchst bedenklich“, überhaupt Prognosen für einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren aufzustellen. „Das ist nicht mal mehr Trendforschung, sondern das ist Astrologie.“… Zum Artikel.

„Kirchenreformen im Vergleich“ – Eine Besprechung von Heft 2 -2013 „Evangelische Theologie“

Von Hans-Jürgen Volk (vgl. auch www.zwischenrufe-diskussion.de)

1. Ein Forschungsprojekt – Motive und Ziele der Reformen. Zur Besprechnung.

2. „Kirche unter Druck“ – Blick auf die evangelischen Landeskirchen und die EKD. Zur Besprechnung.

3. Blick nach Außen – Die ev.-methodistische Kirche, der Bund Freier evangelischer Gemeinden und die Katholische Kirche. Zur Besprechnung.

4. Resümee und kritische Anfragen. Zur Besprechnung.

Hier die Besprechnung des Beitrages von Christoph Meyns: „Kirche unter Druck“

Der mitunter peinlichen „Aufbruch“-Rhetorik exponierter Kirchenfunktionäre stellt Christoph Meyns nüchtern die Realität kirchlicher Rückbauprozesse mit all ihren Konflikten und schmerzhaften Verlusten gegenüber, wobei er sich vor allem auf Erfahrungen aus der Nordelbischen Kirche stützt. Auf Grund der gegenwärtigen ökonomischen Perspektiven hält er einen weiteren Verlust an Finanzkraft und die daraus folgende Notwendigkeit einer Fortsetzung der Rückbauprozesse für wahrscheinlich.

Meyns stellt in diesem Zusammenhang zwei Forderungen auf:

  • Konsequenter Abschied „von ökonomischen Denk- und Sprachmustern“. „Mikroökonomisch orientierte Analysen, die religiöse Gemeinschaften als Unternehmen auf dem Markt der Sinnangebote interpretieren, und darauf aufbauende betriebswirtschaftliche Handlungsempfehlungen sind nicht in der Lage, die für die Vitalität und Stabilität religiöser Überzeugungen, Praktiken und Zugehörigkeiten wichtigen Faktoren zu erfassen.“
  • Die evangelische Kirche muss sich „davon lösen, den Erfolg ihrer Arbeit an sichtbaren Maßstäben zu messen“. Im Blick auf die „seit Jahrzehnten parallel zueinander laufende Zahl der Austritte aus der evangelischen und der katholischen Kirche“ stellt Meyns fest: „Die Kirchen können das Verhalten ihrer Mitglieder im Rahmen der geltenden staatskirchenrechtlichen Regelungen so gut wie nicht beeinflussen.“

Bemerkenswert sind die Anmerkungen von Meyns zum Finanzdiskurs. Völlig korrekt sieht er in der schlechten Beschäftigungslage der 90-er Jahre und vor allem in der staatlichen Steuerpolitik die Ursache für den Verlust an Finanzkraft der Kirchen an. „Die Ursachen für die gegenwärtigen Schwierigkeiten der evangelischen Kirche liegen also nicht im angeblichen Konkurrenzdruck durch andere Sinnanbieter auf einem Markt religiöser und weltanschaulicher Angebote …, sondern in der starken Abhängigkeit ihrer institutionellen Stabilität und ihres wirtschaftlichen Wohlergehens von der staatlichen Religions- und Steuerpolitik.“

Bedeutsam ist der Hinweis von Meyns auf Forschungen zur Steuermoral, nach denen „dass lokal vorhandene Wissen um die Höhe der Steuereinnahmen und ihre Verwendung zusammen mit der Möglichkeit, darüber mitzuentscheiden, das Vertrauen der Steuerzahler und ihre Bereitschaft zur Zahlung von Steuern stärkt.“ Und umgekehrt gilt: „Je weiter weg die steuererhebende Körperschaft und je anonymer der Einzug, desto schwächer fällt dagegen die Zahlungsbereitschaft aus.“ Nun haben die Landeskirchen nicht nur bei der Kirchensteuer ihrem Drang zur Zentralisierung nachgegeben – in der rheinischen Kirche steht z.B. das formal noch existierende Ortskirchensteuerprinzip in Frage – und damit „wahrscheinlich ungewollt der Anonymisierung des Mitgliedschaftsverhältnisses und der Distanzierung von der Kirche Vorschub geleistet“.

Die Ursachen für die „gegenwärtigen Schwierigkeiten der ev. Kirche“ sah Meyns in der zu großen Staatsnähe bzw. in der ausgeprägten Abhängigkeit von politischen Entscheidungen. Erstaunlich und ein wenig widersprüchlich ist, dass er dennoch eine Verstärkung der „Lobby-Arbeit bei Parteien, Parlamenten und Regierungen“ fordert und am bisherigen Kirchensteuereinzugsverfahren offenbar trotz allem festhalten will. Dass es sich hierbei womöglich nur um einen pragmatischen Zwischenschritt handelt, legt sein Hinweis auf die Arbeiten der Ökonomin Elinor Ostrom zu gemeinwirtschaftlichen Ansätzen nahe.

Pfarrberuf und Kirchenreform

In den Pfarrvereinsblättern wurden schon zahlreiche Beiträge und auch die „Freiburger Erklärung“ zu der Änderung des § 107 (2) PfDG veröffentlicht. In seinem vor dem Freiburger Stadtkonvent gehaltenen Vortrag bettet der Münsteraner Professor für Praktische Theologie, Christian Grethlein, diesen „Fall“-. in die allgemeine Debatte um Kirchenreform und PfarrerInnenbild ein. Er kommt von dort aus zu einer kritischen Bewertung der Änderung des § 107 (2), die für ihn eben gerade nicht der Kommunikation des Evangeliums als grundlegender Aufgabe der Kirche förderlich ist.

Der grundsätzliche Beitrag von Prof. Gretlein, Münster, im badischen Pfarrerblatt Ausgabe 9/2010 reflektiert im konkreten Fall das Ansinnen der badischen Kirche aus dem Jahr 2009, Schulpfarrer zusätzlich auch zu Gemeindediensten zu verpflichten. Der Vorstoß der Landeskirche wurde damals gestoppt.