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Der Bildungsputsch.

14. März 2016, Jens Wernicke sprach hierzu mit Matthias Burchardt, einem der Autoren der Publikation.

… Die Probleme mit G8 sind ja seit Langem bekannt und die Landesregierungen haben die Reform bereits mannigfach nachjustiert: Lehrpläne entschlackt, den gestiegenen Druck wieder reduziert etc. Wogegen richtet sich da noch Ihre Kritik?

Das war im Grunde alles nur Kosmetik. Der Kern blieb unberührt: Die Errichtung eines zeitpolitischen Regimes über die Kindheit, das in hohem Maße zerstörerisch wirkt. Man könnte fast von symbolischem Kannibalismus sprechen: Das Auffressen kindlichen Mensch-Seins durch maximal intensive und extensive Bewirtschaftung von Lebenszeit: G8 komprimiert die Schulzeit und verdichtet dadurch Leistungsdruck, frisst sich aber zugleich auch immer mehr in die Nachmittage.

Dadurch entsteht eine besinnungslose Hetze in der Schule, die einem taylorisierten Arbeitsprozess – Stichwort Fließband – angepasst wird. Auf der anderen Seite fallen außerschulische Bildungsgelegenheiten weg: Freunde, Vereine, Brauchtum, politisches und soziales Engagement. Als Surrogat bietet sich den Kindern die Orwellsche Welt der sozialen Netzwerke, die sie aber wiederum nur stresst und vereinzelt.

Fatal ist ja, dass G8 die Kinder wie beschrieben einerseits quantitativ überfordert, andererseits qualitativ unterfordert, weil im Zuge der Kompetenzorientierungen fachliche Bewährungsmöglichkeiten abgebaut wurden.

Verständnisfrage: Sie meinen also, es geht womöglich im Kern darum, Kinder bewusst zu überfordern, damit Sie nicht mehr zu Reflexionen und kritischem Hinterfragen in der Lage sind? Sie ihrer sozialen Bindungen etc. zu berauben, damit Sie zu, ja, sagen wir, später besser verwertbarem Humankapital zu machen sind?

Der Eindruck entsteht tatsächlich, zumindest ist es ein Effekt in der Summe der Reformmaßnahmen: Vieles, was einmal zur Bildung gehörte und zur Humanisierung der Gesellschaft beitragen sollte, verkümmert heute: fundierte Sachkenntnisse, ein Können im Sinne des Sich-auf-etwas-Verstehens, Urteilskraft, Selbsterkenntnis, Gemeinschaftssinn…

All das bedarf einer anderen Grundsituation. Unser Wort „Schule“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet dort „Muße“, also befreit von Zwängen sich einer Sache zuzuwenden – nicht um untätig zu bleiben, sondern um zu einer besonnenen und verantwortungsbewusst handelnden Person werden zu können…. Zum Interview.