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Ludwig Baumann: Niemals gegen das Gewissen, Plädoyer des letzten Wehrmachtsdeserteurs. Eine Buchbesprechnung von Pfr. i.R. Hans Dieter Zepf.

Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2014, (in Zusammenarbeit mit Norbert Joa), ISBN: 978 – 3 – 451 – 30984 – 7

02/2015, von Hans Dieter Zepf, Pfarrer i. R.

Ludwig Baumann ist der letzte noch lebende Wehrmachtsdeserteur. Er schildert auf 126 Seiten seinen zähen Kampf für seine Würde, für Gerechtigkeit und Frieden. Es ist eine bewegende und bewegte Lebensgeschichte.

Ludwig Baumann wurde 1921 als Sohn eines Tabakhändlers geboren geboren. Er wollte kein Soldat werden und wurde es doch am 6. Februar 1941, bei der Kriegmarine. In der Hafenkompanie Bordeaux reifte in ihm und seinem Freund Kurt Oldenberg der Entschluss: „Diesen Krieg, diese Verbrechen wollen wir nicht mitmachen.

Wir wollen keine Leute umbringen.

Wir wollen ganz einfach leben.

Wir werden abhauen. Wir wollen frei sein.“ (S. 28)

Am 3. Juni 1942 desertierten beide und wurden von einer deutschen Zollstreife erwischt.

„Am 30. Juni war unser Prozess – er hat gerade mal 40 Minuten gedauert. Dann verlas Marinekriegsgerichtsrat Dr. Carl Lüder das Urteil: ´Die Angeklagten Baumann und Oldenburg werden wegen schweren Diebstahls und Fahnenflucht im Felde zum Tode verurteilt (…). Die Flucht von der Fahne ist und bleibt das schimpflichste Verbrechen, das der deutsche Soldat begehen kann.`“ (S. 34f.)

Am 20. August 1942 wurden Ludwig Baumann und sein Freund Kurt Oldenberg begnadigt, sieben Wochen nach dem Todesurteil. Das Todesurteil wurde umgewandelt in eine 12-jährige Zuchthausstrafe. Beide erfuhren erst acht Monate später davon. Die Begnadigung erfolgte aufgrund einer Intervention des Vaters von Ludwig Baumann.

„Gleich nach meinem Todesurteil hatte er sich an einen Geschäftsfreund gewandt und dieser sich an Großadmiral Rader – die beiden waren Offiezierskameraden aus dem ersten Weltkrieg. Raeder anwortete, er sei bereit, diesen Baumann und seinen Freund Oldenburg zu begnadigen, und es läge nun an beiden, dem Führer durch Tapferkeit und Mut zu beweisen, dass sie der Begandigung würdig seien. Kurz: Wir sollten ins Strafbataillon und – falls wir das überlebten – unsere zwölf Jahre Zuchthaus nach Kriegsende absitzen. Das Schreiben des Oberkommandos der Kriegsmarine endet:
,Die Verurteilten sind zur Überprüfung ihrer Eignung für die Bewährungstruppe in das Wehrmachtsgefängnis Torgau einzuweisen. – Berlin, den 20. August 1942´“. (Seite 49 f.)

Nach einem sechswöchigen Aufenthalt im Emslandlager Esterwegen (Konzentrationslager) ging es weiter ins Wehrmachtsgefängnis Torgau, dann in die Strafdivision 500 im Osten. „In der Strafdivision 500 war man nicht lange – wir waren eingesetzt zum Minenräumen, gegen Partisanen, als Stoßtrupps oder Vorauskommandos. Eine typische Meldung an die Heeresleitung hieß: ,Bewährungsbataillon hat sich ausgezeichnet geschlagen – fast aufgerieben.` Ein Bataillon mit 800 Mann waren nach drei Monaten gewöhnlich vernichtet“. (S. 72)

Ludwig Baumann überlebte den Krieg (sein Freund Kurt Oldenburg nicht). Er kehrte aus russischer Gefangenschaft kurz vor Weihnachten nach Hamburg zurück.

Ludwig Baumann war ein gebrochener Mann. Die Nachkriegjahre waren geprägt von
von Schicksalsschlägen. Er berichtet: “Ich stieg in das Familiengeschäft ein. Als Großhändler erhielt Vater auch unter britischer Besatzung weiterhin große Tabak-Kontingente und wir belieferten unter anderen die Hamburger Gefängnisse, ganz legal. Ich erklärte ihm, dass man mit einem Teil des Tabaks auf dem Schwarzmarkt sehr viel Geld machen könne, schließlich waren Zigaretten die Leitwährung Nach allem, was ich erlebt hatte, kam mir eine geregelte Arbeit gar nicht in den Sinn. Den meisten Opfern der Kriegsgerichte ging es ähnlich: Unsere Leute waren einfach kaputt, auch weil sie nach dem Krieg so demütigend behandelt wurden. Und selbst wer wollte, hat oft keine richtige Arbeit bekommen, wir waren ja alle vorbestraft. Bald hatte ich schräge Freunde, die mithalfen, unsere Zigaretten zu veschieben, und zog mit ihnen auch nachts durch die Kneipen in Sankt Pauli. Da ging das richtig los mit dem Trinken. … Ich hatte gehofft, dass mein Handeln jetzt, nach dem Krieg, anerkannt würde. Auf dem Schwarzmarkt gab ich mich einmal als Deserteur zu erkennen. Da wurde ich von ehemaligen Soldaten als Feigling und Verräter zusammengeschlagen und flüchtete blutend auf die nächste Polizeiwache, um dort Schutz zu suchen und Anzeige zu erstatten. Aber dort haben sie mir den Rest gegeben und mich noch mal fürchterlich verprügelt. Ich bin nie wieder zur Polizei gegangen.

Noch in derselben Nacht wurden meinem Vater die Scheiben eingeworfen. Da dämmerte mir: Für die anderen sind wir weiterhin, Feiglinge, Kameradenschweine und Verräter.` Und irgendwann glaubte ich das auch. Und schwieg. Und verdrängte. Und trank“. (S. 94)

Nach dem Tod seines Vaters erhielt er ein beträchtliches Erbe, das er nach drei Jahren mit anderen vertrunken hatte. Seine Frau Frau Waltraud starb nach dem sechsten Kind.

Der Abschied vom Alkohol dauerte Jahre. Der endgültige Wendepunkt kam, als ein Psychologe ihm sagte: „Herr Baumann, wenn sie weiter trinken, wird sich das Jugendamt um ihre Kinder kümmern“. (S. 98) Von da an übernahm er Verantwortung für sich und seine Kinder.

Ludwig Baumann ging es nicht um Ehre, sondern um Würde. Die wurde vielfach mit Füßen getreten, wie die folgenden Beispiele belegen.

„ ,Post vom Dezember 1993 – Absender anonym

Sehr geehrter Herr Baumann!

Ich kann nur bedauern, dass sie nicht erschossen oder geköpft wurden. Wo in der Welt haben habe Deserteure sich eingebildet, noch Kränze geflochten zu bekommen? Halunken, Strolche, feige Schurken waren sie. Diese Deserteure haben das Leben von Hunderttausenden Kameraden auf dem Gewissen.

Dass sie es wagen, überhaupt noch in der Öffentlichkeit anzutreten, ist eine Schande. Sie mögen dafür in der Hölle büßen.

In meinen Augen sind Sie und die anderen Deserteure elende, verachtenswerte Lumpen und Banditen und Mörder an ihren im Stich gelassenen Kameraden. Sie wollten doch nicht das System bekämpfen, sondern waren ein feiger, hinterhältiger Schurke.

Opfer der Militärjustiz? – Man kann darüber nur lachen.´“ (S. 10)

Der Weg bis zur Rehabilitation war steinig und dornig. 1990 wurde auf Initiative von Ludwig Baumann die „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e. V.“ gegründet. „Um für unsere Rehabilitierung zu kämpfen, die Aufhebung unserer Urteile, für unsere späte Würde.“ (S. 56) Erst 57 Jahre nach Kriegsende hat der Deutsche Bundestag am 17. Mai 2002 die Urteile gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer aufgehoben. Sie sind nun nicht mehr vorbestraft. Einer der größten Widersacher – was die Rehabilitation betrifft – war der Bundestagsabgeordnete und rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

„Mitteilung 362 der Unionsfraktion: 1. März 2002 – Geis: eine Schande

,Die Geschichtsforschung … hat längst nachgewiesen, dass die Deserteure in der Regel keine Widerstandskämpfer waren, sondern dass viele von ihnen auch nach heutigen Maßstäben aus verwerflichen Gründen gehandelt haben … Wenn wir diejenigen, die weggelaufen sind und damit andere in Not gebracht haben, jetzt als die eigentlichen Helden des Krieges rechtfertigen, begehen wir gegen die Unrecht, die ausgehalten haben, um den Schaden für unser Volk zu begrenzen. Fast 60 Jahre nach dem Krieg handeln wir schändlich gegen unsere Väter, die in den Krieg ziehen mussten, die nicht geflohen sind, ihr Leben eingebüßt haben oder schwer verwundet worden sind oder erst nach langer Kriegsgefangenschaft heimkehren konnten.´“ (S. 110)

Ludwig Baumann kämpfte nicht nur jahrzentelang für die Rehabilitierung der Deserteure, sondern auch gegen den Krieg, für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.

Das Buch ist das Zeugnis eines mutigen und außergewöhnlichen Mannes, der trotz vieler Schicksalsschläge nicht kapituliert hat.

Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre an unseren Schulen werden, im Geschichts-,und Religionsunterricht, ebenso im Konfirmandenunterricht.

Da Buch endet mit denWorten: „Ich bin nun wohl der letzte Deserteuer.

Lange dachte ich, mein Leben sei wertlos, ich sei wertlos. Darum habe ich mich auch lange geweigert, über mein Leben zu sschreiben. Und auch, weil das Erinnern schmerzte. Das sehe ich nun anders. Ich möchte, dass mein Schicksal der Nachwelt erhalten bleibt.

Jüngst fragte mich ein Freund: ,Was soll, was darf jetzt – mit 92 – noch kommen in deinem Leben?´

Nun, ich möchte noch so lange wie möglich wach und tatkräftig bleiben.

Und dann in Würde sterben.“