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Bildungsreformen: „von der Muße und den Musen verabschiedet“. Neue Leitbegriffe einer Erziehung zur Unmündigkeit: Steuerung, Effizienz und Kontrolle.

„Vielmehr kann das neue Leitbild in drei Begriffen gefasst werden, die aus meiner Sicht eine Erziehung zur Unmündigkeit bewirken: Steuerung, Effizienz und Kontrolle. Es sind Begriffe, die zunächst nichts mit Bildung zu tun haben…“

Veröffentlicht am 13.07.15

Unberechenbare Bildung, Gastbeitrag von Pierangelo Maset in Bildung-Wissen.eu

Erschienen in: DAS PLATEAU. Die Zeitschrift im Radius-Verlag, Ausgabe 149, Juni 2015.

Die unter dem Titel »Erziehung zur Mündigkeit« Anfang der siebziger Jahre versammelte Aufsatzsammlung mit Texten von Theodor W. Adorno zu philosophisch-pädagogischen Fragen war jahrzehntelang ein klassischer Text für Lehrende und Studierende. Heute findet man kaum noch Studenten, die dieses Buch kennen. Und die Lehrenden, die es noch empfehlen – immerhin befinden sich darin solch wichtige Artikel wie »Erziehung nach Auschwitz« und »Tabus über dem Lehrberuf« – sind längst eine kleine Minderheit. Viel zu sehr hat sich das pädagogische Denken seit den neunziger Jahren in die Fänge ihrer »empirischen« Ausrichtung begeben. Sie war dabei sehr erfolgreich, hat ungeheure Summen für zum Teil sinnlose Projekte bei Forschungsinstitutionen eingeworben, doch was sie nicht zu leisten vermochte, war, z. B. in unserem Land ein gerechteres und weniger ausgrenzendes Schulsystem zu ermöglichen. Internationale Studien belegen dies in regelmäßigen Abständen immer wieder aufs Neue. So führt die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) in ihrer Studie »Bildung auf einen Blick 2014« für Deutschland aus, dass der zu erwartende Bildungsabschluss hierzulande wesentlich mit dem elterlichen Hintergrund zusammenhängt und die bildungsbezogene Mobilität eher mit einem sozialen Abstieg als mit einem Aufstieg verbunden ist. Doch die OECD stellt nicht die Frage, ob das auch am Bildungsverständnis liegen könnte, denn die heute dominierenden, ökonomisch ausgerichteten Leitvorstellungen haben durchaus eine stark selektive Wirkung im Bildungssystem. Während sich die einen geschmeidig durchs System an die Spitze bewegen, haben die anderen unentwegt damit zu tun, sich überhaupt darin zurechtzufinden. Eine »Erziehung zur Mündigkeit« konnte solche Ungleichheit noch als Frage der Bildungsgerechtigkeit thematisieren, doch diese steht nicht mehr im Zentrum pädagogischen Handelns. Vielmehr kann das neue Leitbild in drei Begriffen gefasst werden, die aus meiner Sicht eine Erziehung zur Unmündigkeit bewirken: Steuerung, Effizienz und Kontrolle. Es sind Begriffe, die zunächst nichts mit Bildung zu tun haben, sie stammen aus anderen Zusammenhängen, aus der Wirtschaft, der Politik, der Regelungsund Automatisierungstechnik. Um deutlicher zu machen, weshalb das Beharren auf einer Tradition, die den Bildungsbegriff weiterführt, unverzichtbar ist, möchte ich kurz zurückblicken …
Zur Quelle und zum vollständigen Essay als pdf.

Religion und Allgemeinbildung. Plädoyer für die Zweckfreiheit religiöser Bildung. Von Bernhard Dressler.

05/2015, (RPI der EKHN 14.3.2011)

Vorbemerkung: Zur veränderten Zeitlage der Pädagogik nach dem Ende der Fortschrittsutopien

Wir können gegenwärtig das Ende einer dem Fortschrittsglauben verpflichteten Pädagogik beobachten, wie sie im Reformjahrzehnt zwischen 1965 und 1975 in Westdeutschland nicht nur theoretisch dominant wurde, sondern auch praktisch die Schulwirklichkeit bestimmt und die Hegemonie in den Lehrerzimmern gewonnen hat. Damit hängt zusammen, dass damals der Bildungsbegriff zugunsten der Begriffe ‚Lernen’ und ‚Sozialisation’ zurücktrat. Eine Grundidee bestimmte den fortschrittlich-emanzipatorischen pädagogischen mainstream: Gesellschaftsveränderung mittels Erziehung zur Kritikfähigkeit. Was soll dagegen einzuwenden sein?

Die Rede im Wortlaut als WORD Datei…

‚Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett‘ – ein Lob der Schule von Prof. Joachim Bauer (Rezension)

Schule wie Kirche?  Parallele Entwicklungen in unterschiedlichen Institutionen. Eine Buchempfehlung – nicht nur für Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit!

Joachim Bauer: Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hamburg 2007 ISBN 978-3-455-50032-5

Gut zu lesen, kurz und knapp, aber doch sehr bildreich beschrieben („’Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett‘- und Schüler werden vom Testen nicht klüger.“ S. 120) All dies empfinde ich für unsere kirchliche Arbeit nicht nur mit Kindern und Jugendlichen äußerst entlastend und hilfreich zu hören.

Worum geht es?
– ungeschminkt wird die Situation des Lehrers vor einer Klasse beschrieben;
– die universitäre Ausbildung der Lehrer wird kritisch gesehen und Vorschläge zur Verbindung von Universität und Schule ähnlich wie bei den Medizinern gemacht;
– vor allem aber wird das Urteil über Lehrer in der Politik und Öffentlichkeit schärfstens abgelehnt, denn Lehrer leisten Schwerstarbeit;
– der Einfluss der elektronischen Medien auf die Kinder und Heranwachsenden wird in seinen negativen Auswirkungen insbesondere auf die Gewaltbereitschaft benannt;
– es werden in kurzen und klaren Worten Orientierungen für den Lehrer gegeben, wie er sich angesichts dieser Situation verhalten und seine eigene Gesundheit schützen kann.
– Es wird auf die Untersuchungen der Gründe für die hohe Zahl der früh berenteten oder pensionierten Lehrer hingewiesen.
– Die Übernahme von Mess- und Kontrollsystemen, die von außen nicht nur auf Schulen, sondern auch auf „Industriebetriebe, Dienstleistungseinrichtungen, Arztpraxen, Krankenhäuser oder Schulen“ wird kritisiert, da sie die Tendenz haben, „zu parasitären Apparaten zu werden, zu Biotopen, in denen sich viele Zaungäste ernähren, ohne letztlich die Einrichtungen zu stärken, die sie evaluieren und kontrollieren sollen.“ (S. 120) – Als Kirche beginnen wir damit ja gerade in großem Maßstab.

Wichtige Parallelen zur kirchlichen Situation:
– Vor allem die drei Seiten über die „Beziehungen im Lehrerkollegium“ und den Umgang mit Klagen von Eltern und Schülern über Kollegen ist sicher für viele von unseren Mitarbeitergruppen sehr hilfreich. Ein professioneller, an Qualitätsmangagements (QM)ausgerichteter Prozess wird hier gefordert: schriftliches festhalten der Beschwerden, Schaffung eines Vertrauensgremiums, das aufgrund dessen Rücksprache hält und diese Beschwerden einordnet als üble Nachrede oder berechtigt. (S. 60ff)

Joachim Bauer ist Medizin Professor und Psychotherapeut. Er leitet das Münchener Institut für Gesundheit in pädagogischen Berufen“ . Bei Hoffmann und Campe sind 2005 und 2006 weitere sehr lesenswerte Bücher erschienen, die über die Wirkung unserer Spiegelneuronen Auskunft geben.

K.D.