06/2016, in: Ethik und Gesellschaft, Prof. Torsten Meireis, Lehrstuhl Systemat. Theologie, Berlin
„“… Damit ergibt sich ein doppelter Befund: Einerseits werden moderne Arbeitsbedingungen, wie sie in Eggers‘ dystopischem Roman gezeichnet werden, von uns lebensweltlich als hochproblematisch empfunden – sonst würden wir den Roman genausowenig wie Lossmanns Film als dystopisch wahrnehmen und Ehrenbergs Verbindung von Depression und Arbeitsbedingungen bliebe nur absurd. Die Intuition der Problematik moderner Arbeitsverhältnisse, in denen die Initiative und Kreativität der Erwerbstätigen unter Drohung des Anerkennungs-, Teilhabe- und Teilnahmeentzugs für die Zwecke des Unternehmens und seiner Kapitaleigner möglichst grenzenlos und komplett genutzt werden steht im Hintergrund der gesamten ›Burnout‹-Semantik (auch wenn diese das Problem ins Heroische zu drehen droht) und lässt die Ausdehnung der Depressionsdiagnose auf die Erwerbsverhältnisse plausibel erscheinen….
Im Bereich der Subjektivierung der Arbeit wäre es dann gerade der doppelte spätmoderne Bruch des sich erwerbsarbeitsgesellschaftlich herausgebildeten Arbeitsversprechens, der Kritik
motivierte. Erstens nämlich bricht sowohl prekäre Erwerbsarbeit wie auch strukturelle (Langzeit-)Arbeitslosigkeit mit der normativen Unterstellung, dass jede Person, die zur qualifizierten Einbringung ihrer Arbeitskraft bereit ist, auch mit Teilhabe-, Teilnahme- und Anerkennungschancen rechnen darf (Meireis 2008, 490-505). Zweitens bricht die durch die Entgrenzung, Verdichtung und künstliche Wettbewerbe bewirkte Überladung der Arbeit genau mit demjenigen Lebenssinnversprechen, das am Beginn der Arbeitsgesellschaft steht und durch die Künstlerkritik aktualisiert worden war, sofern sie dieses ad absurdum
führt. Die durch die gegenwärtige Realität entgrenzter, verdichteter und
überladener subjektivierter Erwerbsarbeit gekennzeichnete Situation stellt damit eine Pervertierung der Lebensform der Erwerbsarbeitsgesellschaft dar – von dieser lebensformbezogenen Analyse aus lässt sich dann auch auf weitere moralische Verantwortung blicken…