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Konsequenzen aus Tschernobyl – „Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr auch so umkommen“ (Lk 13,3)

Immer noch aktueller Beitrag zu einem ‚Kommentargottesdienst‘ in der Nürnberger St. Lorenzkirche am 15.6.86 von Pfr. Günter Unger, München

Tschernobyl als Mahnung

„Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr auch alle umkommen“ – vor Worten wie diesem, liebe Freunde, bin ich früher erschrocken. Sie klingen so drohend. Mittlerweile verstehe ich: Jesus droht nicht, sondern deckt konsequent Unwahrhaftigkeit auf: Der Turm von Siloah ist eingestürzt und hat Menschen erschlagen. Die davon hören, erschrecken und fragen nach dem Sinn. Doch statt zu bedenken, ob sie vor ihren jeweiligen Türmen unverletzlich sicher sind oder ob ihr Leben bisher sinnvoll verlief, unterstellen Jesu Zeitgenossen den Er­schlagenen ‚besondere Sünde‘ – und glauben, das sei die Erklärung. Anstatt sich um eine positive Sinngebung hier zu bemühen, unterschieben sie den Unglücklichen eine phanta­sierte negative Sinngebung dort – Flucht vor der Betroffenheit, Vermeidung wahrhaftigen Sich-Besinnens. Und das läßt Jesus nicht durchgehen.

Wenn Christen in unserem Land das Unglück von Tschernobyl benutzen zur Kritik am sowjetischen System, anstatt nachzudenken, ob wir unsere Zukunft wirklich auf Kernkraft gründen sollen, dann liefern sie das Musterbeispiel einer zeitgenössischen Parallele zu Lk 13; dann gilt auch ihnen Jesu Wort: „Ihr glaubt, daß diese . . . mehr als alle . . . Sünder ge­wesen sind? Keineswegs. Ich sage euch vielmehr: wenn ihr nicht umdenkt, werdet ihr alle auch so umkommen.“

 

Der Christ ist gefordert

Woran orientieren wir unser Denken? Ein Bibelwort zur Kernkraft werden wir nicht finden. Doch auch weiland Martin Luther hatte kein direktes Wort zum „Ablaßhandel“. Und den­noch gibt die Schrift und hat unser Glaube klare Grundlinien, die wir mit ehrlicher Ver­nunft erkennen können und anwenden – so wie auch Luther 1521 sich auf diese zwei beru­fen hat: die Schrift und klare Gründe der Vernunft. Und beides einzusetzen, ist geboten. Denn wenn der Christ zur Kernkraft schweigt, dann kann er gleich zu allem schweigen: für jedes Sachgebiet gibts Spezialisten. Doch wo, wenn nicht in Fragen, die an Tod und Leben rühren, bin ich selbst mein Spezialist, hat mein Glaube mir die Grundlinien zu zeigen?

 

Kernkraft und „Vergebung“

„Vergebung“ und „Versöhnung“ sind so eine Grundlinie des Christentums. Davon leben wir. Eine Welt ohne Vergebung wäre die „Hölle“. Aber radioaktive Strahlung kennt keine „Vergebung“, ist unumkehrbar. Was strahlt, strahlt. Die Halbwertzeiten sind Naturgesetz. Einmal strahlend gemacht, kann Materie nicht mehr ent-strahlt werden. Auch in einer Wie­deraufarbeitungs-Anlage nicht. Die sortiert ja nur. Man muß warten. Ewigkeiten. Profan gesagt: x mal zehn hoch n Jahre. Jahrtausende. – Bedenken wir: Am Anfang unseres Jahr­hunderts hat Deutschland sich mit Frankreich in Todfeindschaft bekriegt. Ein Menschenle­ben später – und Versöhnung wurde möglich. Wo wäre aber die Vergebung, hätten damals wir die Länder uns verstrahlt? Sogar nach schwersten Kriegen konnte man bislang die To­ten beweinen und begraben, die Trümmer beseitigen, aufbauen, neu anfangen. War das nicht der Stolz der Deutschen? Leben wir nicht sichtlich von Vergebung? Aber die gäbe es nicht mehr bei starker radioaktiver Verseuchung. Sogar Umkehr, Buße, Sinnesänderung, ja Liebe wären machtlos vor den losgetretenen Gewalten. Der einst nur theologische Gedanke von der „Sünde, die nicht vergeben werden kann“ wird physikalische Realität. Und was die antike Welt „Dämonen“ nannte, übermenschliche, aber unter-göttliche Kräfte – droht es nicht hier, erlebbar zu werden? Wenn Schädigung des Lebens auch bisher schon nicht „gutzumachen“ war – jetzt ist die „Unvergebbarkeit“ nicht mehr nur individuell, sie ist nun kollektiv, sogar global, im schlimmsten Fall, und schließt, den Völkermord noch übertref­fend, selbst Tiere, Pflanzen, ja die ganze Schöpfung ein. Irreversibilität in einer solchen Dimension ist „anti“-„christlich“.

 

Kernkraft und Schöpfung

In unserm Credo sprechen wir von Gott als Schöpfer. Er will, daß wir leben. Die Schöp­fung enthält alles, was wir zum Leben brauchen. Uns ist erlaubt, sie zu benutzen, als ver­antwortliche Herren, und aufgetragen, sie zu pflegen, als verantwortlichen Dienern. Die Balance ist stets zu suchen. Schon bisher leiden wir an den Folgen eines unpfleglichen Umgangs mit der Schöpfung. Aber eine Technik, welche die reale Möglichkeit beinhaltet, ganze Gebiete unbewohnbar zu machen oder der zum Menschen hinführenden Entwicklung der Evolution durch Gen-Schädigung in den Rücken zu fallen, birgt die Gefahr, ja die Wahrscheinlichkeit der Destruktion dessen in sich, was Gottes „Konstruktion“, die Schöp­fung ist. Der Mensch hat nicht das Recht, die Schöpfung auch nur ansatzweise rückgängig zu machen.

Auch aus Jesu Wachstums-Gleichnissen oder den Worten von den Vögeln und Lilien spricht tiefes Vertrauen in die guten Kräfte der Schöpfung. Wollte man an dem Unterschied zwischen jenem Landmann, der nach Mk 4 sein Feld bestellt und darauf vertraut, daß Gott es wachsen lassen wird, und dem „reichen Kornbauern“, der in Lk 12 Vorräte hortet und ausgesorgt haben will für den Rest seines Lebens – der „Narr“, der dies mit seiner „Seele“, seinem Leben, bezahlt – wollte man daran die Grundzüge einer energiepolitischen Alterna­tive entwickeln, dann hieße das: die Haltung des Vertrauens in Gottes Schöpfung, des „Vertrauens“ überhaupt, und das ist: des „Glaubens“, rät zu Energiequellen, die regenerier­bar sind und die uns geschenkt werden („es wächst, er weiß nicht wie“), etwa der Sonne; nicht zu jenen, die wir „erzwingen“ müssen und die uns scheinbare Sicherheit auf Dauer verheißen und uns der jährlichen „Ernte“ entheben und damit des schöpfungsgemäßen Le­bens.

Wir haben auch energiepolitisch zu wählen zwischen zwei Wegen: des „Erzwingens“ oder des „Sich-Beschenken-Lassens“, des „Hortens“ oder des „Er-Lebens“, des „Habens“ oder „Seins“ – und wer den ersten Weg geht, büßt seine „lebendige Seele“ ein: das ist mehr als eine metaphorische Gleichniswahrheit, dem entsprechen die gesellschaftlichen Perspekti­ven der Plutoniumswirtschaft – vom Unfall noch ganz abgesehen.

 

Kernkraft und „Nächstenliebe“

Und wenn aus allem, was Jesus sagt und tut, der Rat zur Nächstenliebe spricht, die Ermuti­gung, mich zu lieben, den nahen „Nächsten“ zu lieben, den räumlich und zeitlich „fernen“ „Nächsten“ zu lieben – wie kann ich dann um kurzfristigen Wohlstands willen mich, die Nahen und die räumlich Fernen mit stets neu zu zähmender Todeskraft bedrohen und den zeitlich fernen Nächsten ein unübersehbar gefährliches Erbe hinterlassen? Ist es Nächsten­liebe, wenn wir für den Strombedarf einiger Jahrzehnte Stoffe erzeugen, die auf zehntau­sende von Jahren lebensbedrohlich sind? Bedenken wir: die ganze sogenannte Weltge­schichte ist gerade sechstausend Jahre alt. In dieser Zeit sind Völker, Reiche und Kulturen, auch Hochkulturen, gekommen und gegangen. Was wissen wir, wer in zehntausend Jahren Gorleben bewacht, noch seine Lage kennt, wer damit umzugehen weiß, wenn die Notwen­digkeit entsteht, zumindest der Versuchung nicht erliegt, es zu mißbrauchen? Wir verdam­men ungezählte Generationen dazu, eine Technik weiter zu betreiben, eine Sorgfalt fortzu­führen, ohne daß wir wissen können, ob sie es noch wünschen oder gar noch können wer­den – schließlich haben dort, wo einmal die antike Hochkultur war, einige Jahrhunderte später Analphabeten, Barbaren gelebt – und wir sind ihre Kinder.

Oder: Es ist noch kein Menschenleben her, daß ein geisteskranker „Führer“ das Volk in sei­nen Untergang hineinreißen wollte und den Befehl gab, Deutschland gar restlos zu zerstö­ren. Der Befehl wurde nicht ausgeführt. Zum Glück. Doch was wäre geschehen, hätte es damals Kernkraftwerke gegeben? Zwei bis drei treu ergebene Menschen hätten genügt… Verstehen wir doch, daß die Atomwirtschaft neben technischem Funktionieren auch „ethisches Funktionieren“ voraussetzt und politische und gesellschaftliche Stabilität – und wer kann die auf zehntausend Jahre im voraus garantieren? Der Mensch ist fehlbar, hat ver­sagt und wird versagen. Und deshalb, und weil es Zeiten gibt, in denen die „Nächstenliebe“ im großen Stil zusammenbricht, ist es ein Gebot, in ihrem Namen vorzusorgen und die schlimmsten Möglichkeiten künftiger Bedrohung einzuschränken. (Daß dies gleichermaßen für die militärische Nutzung der Atomenergie gilt, ist offensichtlich.)

Einen Musterfall, schöner als jedes Predigtbeispiel, wie Nächstenliebe und Vergebung ge­rade im Bezug zum „Feind“ ganz ungeahnte Chancen bringt, erleben wir ja derzeit: Plötz­lich sind Ost und West um Zusammenarbeit und Datenaustausch bemüht – im eigensten Interesse. Ein Arzt aus USA hilft Bürgern der Sowjetunion, gibt eine Pressekonferenz im Fernsehen für den Westen; der Osten macht es möglich. Die Grenze zwischen Hilfe und Eigeninteresse verschwimmt. Welch eine Perspektive, die freilich schon die ganze Zeit vorhanden war, nur nicht gesehen wurde: Zusammenarbeit statt Abschreckung – die beste Friedenssicherung! Je mehr Verflechtung zwei Länder aufbauen, desto weniger kann eins das andere vernichten. Je mehr Zusammenarbeit, desto weniger Abschreckung ist nötig. Warum haben wir in diese Möglichkeit nicht investiert, statt dessen für Milliarden Overkill gekauft und stets versucht, den Gegner technologisch abzuhängen?

Die Chance, mit der Sowjetunion jetzt ins Gespräch zu kommen, darf nicht verpatzt wer­den. Ihr Hilfe anzubieten, anstatt sie auf der Anklagebank der Schadensersatzforderungen zu isolieren, würde sich vermutlich unendlich mehr auszahlen. Wer Augen hat, zu sehen, sieht ein Beispiel, wie Jesu Rat, sogar und gerade die „Feinde“ zu lieben, nicht Verzicht be­deutet, sondern Gewinn, nicht übermenschliche Leistung ist, nur „Heiligen“ erreichbar, sondern das Vernünftigste, was es geben kann.

 

Kernkraft und christliche Gemeinschaft

Von der „Gemeinschaft der Heiligen“ und der „Vergebung der Sünden“ sprechen wir im dritten Glaubensartikel. Sofern diese Ziele eine Bedeutung auch in diesem unseren Leben haben sollen, muß es möglich sein, und lohnt es sich, darauf hinzuarbeiten, daß freie, nicht von den Entscheidungen der Väter schier ausweglos determinierte und nicht in bedrohliche Sachzwänge eingesperrte Menschen versuchen können, auf der Basis der guten Kräfte der Schöpfung und mit dem Regulativ der Nächstenliebe ihr Leben zu gestalten. Und „Vergebung der Sünden“: dann muß es möglich sein, aus einer Fehlentwicklung auszustei­gen, und keine Schande, den Irrtum zuzugeben.

Das schiere Gegenteil von dem, was eine an den Seligpreisungen Jesu orientierte, eine an Freiheit und Liebe maßnehmende und sich diesen Werten verpflichtet fühlende menschli­che Gemeinschaft ist, haben wir in letzter Zeit erlebt: den Nebel der offiziösen Unwahrhaf­tigkeit, den Sturm der Gewalt, KZ-mäßig befestigte Areale im sonst so schönen Land [scil. das mit Hochsicherheitszäunen abgeschirmte Gelände von Wackersdorf – das wurde 1986 spontan verstanden; d.V.], Men­schen ohnmächtig in Hilflosigkeit, Panik und Wut, oder alleingelassen in Fragen, Zweifeln und dem Wunsch, gehört zu werden, und ratlos in der Sprachverwirrung – und alles zu­sammen ist nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt, wenn in der Plutoniumswirtschaft mit dem Stoff, aus dem die Bomben sind, im ganzen Land hantiert wird. Gemeinschaft der Heiligen, Gemeinschaft der Christen, die doch viele sein wollen, nein, die sieht anders aus. Und wenn sie auch nie rein in Erscheinung treten wird in dieser Welt – wir haben zu ent­scheiden, ob wir sie fördern oder hindern.

 

Kirche und Naturwissenschaft/Technik

Viele Christen wollen nicht in den Geruch geraten, wissenschaftsfeindlich zu sein. Eine Art „Galilei-Trauma“ wirkt nach: die mittelalterliche Kirche hat die Entwicklung der Naturwis­senschaft behindert. Aber Technik ist nicht Naturwissenschaft, sondern der Versuch, Na­turgesetze anzuwenden, Naturphänomene „auszubeuten“. Naturgesetze sind zuverlässig. Technik ist fehlbar. Naturgesetze sind „Wahrheiten“, Techniken sind „Nutzanwendungen“. Naturgesetze sind gültig, sogar ehe sie der Mensch entdeckt. Technik kann versagen, auch nachdem sie bereits funktioniert hat. Daß Wasser bei 100 Grad Celsius und einem gegebe­nen Luftdruck kocht, ist keine Frage, sondern ein Naturgesetz. Ob aber ein Dampfkessel oder eine Dampfmaschine sicher arbeiten, ist sehr wohl eine Frage; und sie hängt davon ab, wie sicher der Mensch das Naturphänomen, das er ja nutzen, „melken“ will, großtechnisch fehlerfrei beherrscht, und: wie wenig Irrtümer ihm fortan unterlaufen. Die Erfahrung lehrt, daß jede bisherige Technik nur um den Preis ihres gelegentlichen Versagens zu haben war. Dieser Preis ist bei der Kerntechnik zu hoch. Wenn Christen gegen die Kerntechnik auftre­ten, sind sie nicht wissenschaftsfeindlich, sondern fordern verantwortbare Techniken. Der dogmatische Wahrheitsanspruch der mittelalterlichen Kirche, der neue Erkenntnisse nicht wahrhaben wollte, scheint heute eher die Achillesferse jener zu sein, die sagen, ein Reak­torunfall sei auszuschließen.

Nun könnte man einwenden, daß doch die Technik schon immer ihre Unfälle hatte und wegen des „Restrisikos“, das ich beim Besteigen eines Autos oder Flugzeugs eingehe, auch ethisch verantwortliche Menschen und Christen nicht deren Abschaffung fordern. Dem ist zu entgegnen, daß es sich hier um freiwillige Gefährdung handelt, und vor allem: daß we­der Fahren, Fliegen oder schwimmen an sich gesundheitsschädlich ist, eben nur im Aus­nahme-Fall, im Un-fall . Dagegen ist Strahlung, Radioaktivität, immer schädlich, tödlich für Lebewesen (von medizinischer Behandlung abgesehen – die Grenze zwischen Gift und Arznei ist auch sonst fließend). Nicht eine gute oder neutrale Kraft wird benutzt mit dem Risiko, daß sie umkippen und verderblich werden kann, sondern eine immer schädliche Kraft wird benutzt in der Hoffnung, daß sie mir nicht entgleiten wird. Das ist, pardon, wie wenn ein Mensch Pest-Erreger züchtet, weil sie beim Wachsen Wärme geben. Und wenn dem einen Züchter seine Bierflasche zerbricht und alles ringsum flüchtet oder stirbt, die anderen sagen: wir machen weiter, denn wir züchten in Cola-Flaschen, die sind dicker.

Dazu kommt: Strahlung kann man nicht auf Null bringen. Ein Auto kann ich zum Stillstand bringen, ein Flugzeug landen, einen Dampfkessel druckentleeren – und wenn es rechtzeitig gelingt, ist die Gefahr gebannt. Dagegen: strahlendes Material kann keiner unstrahlend ma­chen. Selbst wenn ich den Reaktor abschalte, bleibt sein Material doch strahlend, muß mit größter Sorgfalt weiter behandelt, betreut, gelagert werden; es darf kein Leck, keinen Feh­ler, kein Versagen geben, auf Jahrtausende – spüren wir die Hybris? Wir können nicht einerseits vom Menschen als fehlbarem Sünder reden und uns andererseits das zutrauen. Und das ist etwas Neues in der Geschichte der Technik.

Und anders als bei bisherigen Unfällen sind die Spätfolgen der Strahlung, die Krankheit, die nach 10 oder 20 Jahren ausbricht, nicht nur ein heimtückischer, sondern geradezu ein unmoralischer Effekt: Verantwortliche sind nicht mehr im Amt, Entscheidungen zu ändern, ist’s zu spät, die Folgen sind nur noch statistisch sichtbar, der spürbare Ursache-Wirkungs-Zusammenhang wird im großen Maßstab zerrissen, kann nur noch gedacht werden, nicht mehr direkt erlebt, kann verdrängt werden, geleugnet, weggelogen, ganz leicht – die Ethik wird durchlöchert wie ein Sieb.

 

Umdenken oder Verstockung?

Wir müssen uns ändern. Der christliche Urbegriff „Buße“ heißt ja „den Sinn ändern“, „umdenken“, „umkehren“. Umkehren muß jeder von dort, wo er gerade steht. Zum Beispiel ist es Umkehr, wenn der Verbraucher plötzlich spart, der Lobbyist Systemzusammenhänge denkt, der Technik-Konzern sich andere Prioritäten setzt, der Gesetzgeber Sparsamkeit be­lohnt, der Wähler Umkehrwilligkeit honoriert – und vieles mehr, und jeder jeden ermutigt, daß wir „es“ schaffen können.

Doch „was“? Was ist das Ziel? Wo läge der Konsens? Ich suche ihn dort, wo wir mit dem wirtschaften und energetisch auskommen, was uns zugemessen wird in unserer Lebens­spanne; ohne frühere Vorräte zu erschöpfen – die enden sowieso – und ohne der Nachwelt Erblasten zu hinterlassen: auskommen mit dem Wasser, das fließt, dem Wind, der weht, den Pflanzen, die wachsen, der Sonne, die scheint – so wie der Mensch in Markus 4. – Eine Utopie? Nicht mehr, als vor 50 Jahren Kerntechnik utopisch war.

Freilich: ein Fluchtweg vor der Umkehr ist nie zu verschließen: biblisch gesprochen die Verstockung, modern gesagt die Verdrängung. Das erleben wir ja auch. Verstockung ist seit Jesaja 6 wohl das ernsteste Problem, das sich einem „Propheten“, einem Mahner, Um­kehrrufer stellt. Auch Jesus wurde ja gekreuzigt. Nur: wer entscheidet, ob ein Prophet die Wahrheit redet oder nicht? Das ist nicht leicht. Er sagt: ich bin Prophet und ihr wollt nicht hören, seid verstockt. Sie sagen: nein, du bist fanatisch und wir sind normal. Genau das hält man ja den Warnern vor der Kernkraft entgegen.

Wie unterscheidet die Bibel „wahre „und „falsche“ Propheten? Der Apostel Paulus mußte hier eine Antwort entwickeln. Seine Gegner im Zweiten Korintherbrief bekämpften ihn und sagten, er lügt, sie seien die wahren Apostel. Ähnlich Jeremia: so viele „falsche Propheten“ gab es ringsum, die sprachen, was die Mächtigen gern hören wollten, und ihnen ging es gut, nur er saß in der Grube.

Aber das ist auch die Antwort: bei beiden, Paulus und Jeremia, ist das Echtheitszeichen ihrer Worte, daß sie bereit sind, für sie zu leiden.

Das kann heute heißen, daß ein Mensch bereit ist, Nachteile einzustecken für ein aufrichti­ges Engagement. Das dürfte aber in noch viel breiterem Maßstab heißen, daß wir die Ernsthaftigkeit unserer Überzeugung unterstreichen durch die Bereitschaft zum Verzicht. Verzicht kann eine mögliche, gegenwärtig nötige Konkretion des „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich“ sein; und er erweist letzten Endes das Mahnen als ehrlich. Verzicht steckt ja auch in jedem gerade an-gedachten Schritt der Umkehr drin. Drum fällt sie ja so schwer. Aber vielleicht ist „Verzicht“ nur die negative Seite: Harmonie ist ja die positive Gegenseite, Harmonie mit der Schöpfung. Sie zu entdecken und zu üben, ist eine Chance.

Und eine Chance ist es auch, daß wir an der friedlichen Nutzung der Atomenergie das wer­den üben müssen, was uns viel mehr noch mit der militärischen aufgegeben ist: herauszu­finden aus der Falle, in die wir getappt sind.

Eine Frage zum Schluß: Unter welcher Bedingung geht eine Maus nicht in die Falle?

Antwort: Wenn sie auf den Käse verzichtet.

Sehr einfach.

Sehr schwer.

Aber man hat schon beobachtet, daß Tiere sich lernfähig gezeigt haben.