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Ein Schiff auf Sand. Anmerkungen zum Zustand der Ev. Kirche im Rheinland im Jahr des Reformationsjubiläums. Von Hans-Jürgen Volk.

01/2017

Martin Luther war wahrhaftig kein Heiliger. Prägend für den Protestantismus ist jedoch sein Auftritt auf dem Wormser Reichstag 1521. Das Schicksal von Jan Hus noch im Gedächtnis, der trotz Sicherheitszusagen im Rahmen des Konstanzer Konzils als Ketzer verbrannt worden war, widersetzt sich Luther dem autoritären Ansinnen auf Widerruf seiner Positionen, wie er sie insbesondere in den 1520 erschienen Schriften „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ und „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ zum Ausdruck gebracht hatte. Luther sagte damals: „… wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“

Trotz des Netzwerks an Unterstützern, zu dem eine Reihe von einflussreichen Landesfürsten gehörte, offenbart diese Haltung Mut. Ein einzelner Theologe stellt sich der sich selbst sakralisierenden Großorganisation „Kirche“ entgegen, die in der damaligen Zeit keinerlei Skrupel hat, vermeintliche oder tatsächliche Widersacher auf demütigende und schmerzhafte Weise ins Jenseits zu befördern.

Offene Debatten nicht gewünscht!
Blickt man auf die Landessynoden der Ev. Kirche im Rheinland (EKiR) der vergangenen Jahre, so wird man von diesem mutigen, widerständigen und organisationskritischen Geist Luthers bestenfalls Spurenelemente ausmachen können. Es ist zu befürchten, dass sich dies auch bei der Landessynode im Jahr des Reformationsjubiläums kaum anders darstellen wird.
Diese fehlende Debattenkultur hat für die EKiR schädliche Nebenwirkungen. Falsche Weichenstellungen werden so verstetigt. Neue Fakten, die diese falschen Weichenstellungen in Frage stellen, werden nicht genügend wahrgenommen oder gänzlich ignoriert. Offenkundige Baumängel werden nicht behoben, sondern hinter Putz verbaler Euphemismen verborgen. Dies gefährdet zunehmend die Statik des gesamten Kirchengebäudes.
Es wird immer deutlicher, dass die grundsätzlichen Bedenken im Blick auf zentrale Umbauprojekte wie der Verwaltungsstrukturreform, der Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF) oder zum Thema „Personalplanung“ mehr als berechtigt waren. Empfohlen sei eine durchaus kritischer Blick die „Zwischenrufe“ und hier vor allem auf die Beiträge aus dem Jahr 2011 unter den Rubriken EKiR, „Kirche und Geld“ und „Landessynode“. Leider ist aus heutiger Sicht festzustellen, dass die damaligen Befürchtungen vielfach durch die Realität negativ überboten worden sind.
In etlichen Kirchenkreisen haben sich die Vollzeitstellen in der Finanzverwaltung vervielfacht. Begründet wird dies in der Regel mit dem erhöhten Aufwand durch das NKF. Aber auch in anderen Arbeitsfeldern kommt es, beflügelt durch die von der Kirchenleitung empfohlenen Vorgaben zur Personalbemessung, zu einem Stellenaufwuchs bei den zentralen Verwaltungen.
Die Kosten für den erhöhten Finanzbedarf tragen überwiegend die Kirchengemeinden, deren Finanzlage in einigen Regionen der Landeskirche immer prekärer wird.
Der Personalplanung der Kirchenkreise wird hierdurch die finanzielle Basis entzogen. Stellen im Küsterdienst, in der Jugendarbeit oder der Kirchenmusik sind gefährdeter denn je. Gemeindefusionen werden vorangetrieben und kirchliche Häuser aufgebeben, auch um die gestiegenen Verwaltungskosten zu stemmen. Nahezu überall werden Stellen reduziert, in jedem Fall gilt dies immer noch für den Pfarrdienst. Gegen den Trend wächst in der EKiR zur Zeit alleine die Verwaltung.
Von dem an sich guten Gedanken des „Personalmix“ kann angesichts einer derartigen Entwicklung keine Rede mehr sehr. In einigen Kirchenkreisen ist absehbar, dass in wenigen Jahren bei ungebremster (Fehl-)entwicklung die Anzahl der Vollzeitstellen in der zentralen Verwaltung mindestens doppelt so hoch sein werden, wie z.B. im Pfarrdienst. Die bittere Wahrheit ist, dass, um die steigenden Verwaltungskosten zu schultern, Stellen in anderen Arbeitsfeldern reduziert oder ganz gestrichen werden und Einrichtungen wie Jugendzentren, Büchereien oder Kindertagesstätten bedroht sind.
Es wäre die Aufgabe der Landessynode, eine gründliche Evaluation dieser Umbauprozesse zu fordern. Die Pflicht insbesondere der Superintendenten aus strukturschwachen Regionen wäre, die prekäre Situation in ihren Kirchenkreisen offensiv zu thematisieren. Man darf gespannt sein!

Die Fiktion von einer „Kirche mit leichtem Gepäck“
Das Kirchenschiff der EKiR hat kräftig Schlagseite und hängt fest auf der Sandbank aufreibender Selbstbeschäftigung, mit der man es nunmehr vor allem in den Kirchenkreisen zu tun hat. Trotz des enormen Aufwands zeigen wichtige „Kennzahlen“ wie die Mitgliederentwicklung oder die Teilnahme an unseren Gottesdiensten tendenziell nach unten. Es geht nicht voran, jedenfalls nicht in die richtige Richtung.
Im Rahmen der Sondersynode von Hilden entwickelte Manfred Rekowski das Bild von einer „Kirche mit leichtem Gepäck“. Ein enormer Finanzalarmismus veranlasste die Synode dazu, ein drastisches Sparprogramm zu beschließen.
Basis der den Beschlüssen zu Grunde liegenden Berechnungen war ein Netto-Kirchensteueraufkommen von 575,4 Mio. € sowie ein strukturelles Defizit im landeskirchlichen Haushalt von ca. 8. Mio. €. Ausgelöst wurde der schon damals nicht plausible Finanzalarmismus durch die nach den EKD-Vorgaben des sog. „erweiterten Solidarpakts“ zu geringe Ausfinanzierung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche.
Die Sondersynode in Hilden folgte der Kirchenleitung und beschloss im November 2013, ein Sparpaket („Aufgabenkritik“) in Höhe von 8 Mio. € bereits bis 2015 und weitere Kürzungen in Höhe von 12 Mio. € bis 2018 auf den Weg zu bringen. Insgesamt sollte der Haushalt der Landeskirche um drastische 35% reduziert werden.
Mittlerweile hat sich die Einnahmesituation der EKiR derart verbessert, dass den damaligen Beschlüssen jegliche sachliche Grundlage entzogen ist. Seit 2005 erleben wir eine Phase stetig steigender Kirchensteuereinnahmen, die lediglich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 etwas gedämpft wurde. 2005 gab es ein Nettokirchensteueraufkommen von 492 Mio. €. Für 2017 können wir mit einem Betrag von 710 Mio. € planen. Dies entspricht einer Steigerung von 218 Mio. € (30,70 %). Im Vergleich zu 2013 ergibt sich eine beachtliche Steigerung von 134,6 Mio. €. (18,87%), was deutlich macht, dass sich die positive Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen verstärkt hat.
Da ist es verblüffend offen, wenn in der Drucksache 1.2 „Bericht über den Stand der Umsetzungen aus der Aufgabenkritik und zur Weiterarbeit an der Umsetzung der Haushaltskonsolidierung“ folgender Satz zu lesen ist: „Unabhängig von Veränderungen gegenüber der Ausgangssituation im Jahr 2013 hält die Kirchenleitung an den Zielen der Aufgabenkritik und der Haushaltskonsolidierung fest. Die angestrebten Veränderungen sind notwendig, um auch in Zukunft handlungsfähig zu bleiben.“
Sparen als purer Selbstzweck? – Wohl eher nicht. Es geht tatsächlich um eine Umschichtung von Mitteln. Organisation und Verwaltung werden gestärkt. Mindestens 25% des Netto-Kirchensteueraufkommens dienen zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche. Überall dort, wo Menschen in direktem Kontakt mit Menschen arbeiten, werden Mittel abgezogen, Einrichtungen geschlossen und Stellen abgebaut.
Das schwere Gepäck explodierender Verwaltungskosten sowie in astronomische Höhen steigender Finanzabflüsse, die zur Kapitalbildung dienen, bringt das Kirchenschiff in Schräglage. Wäre einem an einer positiven Entwicklung kirchlicher Arbeit gelegen, so würde man angesichts der positiven Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen durch eine moderate Senkung der Versorgungsicherungsumlage um 2-4 Punkte etwas Luft geben. So aber pumpt man alles, was man hat in Richtung Versorgungskasse und offenbart damit ein geradezu naives Zutrauen in die zukünftige Integrität der Finanzmärkte.

„Ohne Druck geht es nicht“
Auf S. 5 und 6 der Vorlage werden u.a. die sozialen Folgen des Sparkurses angesprochen. Zu loben ist auch hier wieder die Offenheit in der Analyse, aus der hervorgeht, dass gering Qualifizierte und hier wiederum vor allem Frauen am stärksten betroffen sind. Deutlich wird, dass hier rote Linien überschritten werden. Obwohl theoretisch genügend Finanzmittel vorhanden wären, verlieren vor allem die „Kleinen“ durch Stellenstreichungen und Outsourcing gesicherte Arbeitsplätze.
Warum hält man derart ideologisch am einmal eingeschlagenen Kurs fest, obwohl sich die Finanzlage deutlich verbessert hat?
Es gibt starke Indizien dafür, das hinter all dem das simple, jedoch zutiefst autoritäre und elitäre Ressentiment steht, ohne Finanzdruck käme man nicht zu den gewünschten strukturellen Veränderungen. Ich möchte dies am Beispiel des „Hauses der Stille“ verdeutlichen.
Es ist eine politische Entscheidung, ob man eine derartige Einrichtung vorhalten möchte oder nicht. Ich persönlich gehöre zu denen, die einen derartigen Ort gerade in unseren hektischen Zeiten für unentbehrlich halten. Dann allerdings sollten man denen, die dort die fachliche Arbeit leisten, auch den Rücken freihalten. Das Gegenteil geschieht. Auf S. 19 der Vorlage wird festgehalten, dass von den angestrebten 333.430 € an Einsparvolumen bereits 263.430 € erreicht worden sind. Es bleibt ein Restbetrag von 70.000 €. Dennoch lassen die Beschlussvorschläge die Zukunft dieser Einrichtung weiter offen, was zwangsläufig die dort Beschäftigten unter Druck setzen muss. Noch einmal, es geht um 70.000 €, mehr nicht. Kirchenkreise stocken im Augenblick in erheblich größerem Umfang Stellen insbesondere in der Finanzbuchhaltung auf. 70.000 € sind in etwa die Kosten für einen qualifizierten Finanzbuchhalter. Eine Kirche, die derart schräg ihre Prioritäten setzt, ist auf dem falschen Weg.
Ceterum censeo: In strategischer Hinsicht betreibt die EKiR Selbstdemontage. Sie entwickelt sich zu einer Behördenkirche mit gut ausgebauter Investmentabteilung, der die Basis mehr und mehr wegbricht. Eine Umkehr, wie das „Wormser Wort“ sie fordert, ist dringlicher denn je.

Neuerscheinung: Kirche der Reformation? Anfragen an die evangelische Kirche zum Reformationsjubiläum 2017

06/2016, E x p o s é von Prof. Gisela Kittel (Hrsg.), Cover

Dieses Buch möchte die evangelische Kirche in Deutschland an ihre reformatorischen Wurzeln erinnern. Während die mancherlei Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum bei Beobachtern den Eindruck hinterlassen, hier ginge es den das Jubiläum Vorbereitenden vorrangig darum, die Evangelische Kirche nach außen, in der Öffentlichkeit, darzustellen und die Bedeutung des eigenen Erbes für das Heraufkommen der Moderne, für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, hervorzuheben, richtet sich der Blick in diesem Buch nach innen. Hier wird die selbstkritische Frage gestellt, wie weit die heutige evangelische Kirche selbst noch von ihrem reformatorischen Erbe geprägt ist und ob sie sich von diesem Erbe in ihren Entscheidungen bestimmen lässt.

Dabei werden die Reform- und Umbauprozesse in den Blick genommen, denen die evangelischen Gemeinden und Kirchenkreise in den letzten 20 Jahren, spätestens aber seit dem Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“ 2006, ausgesetzt sind. Erstmals kommen Stimmen der kirchlichen Basis – aus unterschiedlichen Landeskirchen – zu Wort, die beschreiben, was die durchgeführten Strukturreformen jetzt schon an der Basis mancher Gemeinden in ländlichen Gebieten, aber auch in einer Großstadt wie Berlin bewirken und was bei der Durchsetzung dieser Reformen auch in bisher noch nicht so betroffenen kirchlichen Regionen zu erwarten ist. Von einem „Wachsen gegen den Trend“ kann schon lange nicht mehr gesprochen werden. Eher hat sich das Gegenteil eingestellt. Gerade dort, wo Ortsgemeinden dem Druck zu Fusionierungen nachgeben mussten, wo unter dem Stichwort der „Regionalisierung“ Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse auf die regionale Ebene verschoben wurden, wo an die Stelle der früheren Ortskirchenvorstände Kreiskirchenvorstände traten, die das gemeindliche Leben vor Ort organisieren, hatte dies das Schwinden oder gar Erliegen gemeindlicher Aktivitäten vor Ort zur Folge. Auch Zentralgottesdienste, die an Stelle gering besuchter Gottesdienste in Dörfern oder Stadtteilen mal hier, mal dort angeboten werden, bringen nicht mehr Menschen sonntäglich in die Kirche, eher weniger.

Begründet wurde und wird der organisatorische Umbau der Kirche mit den immer wieder hervorgehobenen Sparnotwendigkeiten und der Prognose, dass sich bis zum Jahr 2030 die Zahl der Kirchenmitglieder auf die Hälfte reduzieren würde, somit auch die Kirchensteuereinnahmen um ca ein Drittel schrumpfen. Doch auch diese Rechnungen werden von fachlich versierten Leuten in Frage gestellt. Vornehmlich die Konsequenz, heute schon dringend benötigte Gelder in den Arbeiten an der Basis einzusparen, Kirchengebäude und Pfarrhäuser zu schließen, Pfarrstellen nicht mehr zu besetzen, weil man dies alles in ca 20 Jahren nicht mehr bezahlen kann, setzt eine sich selbst erfüllende Prophetie in Gang, die das Schrumpfen der Kirche verstärkt herbeiführt.

Dem behaupteten Sparzwang sind in den letzten Jahren in überproportionalem Ausmaß Pfarrstellen zum Opfer gefallen und tun dies auch weiterhin. Diese Einsparungen gehen mit der Entwicklung eines neues Pfarrerleitbildes einher, nach dem Pfarrpersonen nicht mehr primär Prediger oder Predigerinnen, Seelsorger oder Seelsorgerinnen in ihren Gemeinden sind, sondern theologische Fachleute, die ehrenamtliche Kräfte schulen. Sie sollen Moderatoren für Kommunikationsprozesse sein, die nun auch besondere zusätzliche Eignungsprüfungen (Assessments) zu bestehen haben.

Angesichts all dieser im Gang befindlichen „Reform“-Prozesse fragt das geplante Buch nach den theologischen Grundlagen.

I. Das theologische Einleitungskapitel erinnert an die Luther und Calvin gemeinsamen reformatorischen Grundentscheidungen: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.“ (CA VII). Kirche ist also die konkrete Gemeinschaft derer, die sich um Wort und Sakrament versammeln, und nicht eine ferne Institution. Von den Reformatoren wird Gottes Wort verstanden als ein wirkkräftiges, schöpferisches Wort, das den Glauben erweckt und die Kirche schafft. Daher ist das Predigtamt unersetzlich, von Gott selbst gestiftet. Nach evangelischem Verständnis kann die Kirche daher auch nur im Hören auf dieses Wort geleitet werden – von der Gemeinschaft derer, die sich um dieses Wort versammeln. Alle institutionellen, auf Dauer gestellten Funktionen sind Hilfsfunktionen und dienen der Gemeinde. Eine Herrschaft der einen über die anderen kann es in der nach Gottes Wort erneuerten Kirche nicht geben.

II. Das zweite Kapitel hebt die Weichenstellungen des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ hervor. Der Einspruch, im Jahr 2010 formuliert, beschreibt die Vorgaben, nach denen der Reformprozess in Gang gesetzt wurde und weiter voranschreitet.

III A Die neuen kirchlichen Entwicklungen werden im zweiten Kapitel sehr konkret beschrieben. Es enthält Einzelberichte aus einzelnen Landeskirchen, von engagierten Pfarrern, aber auch den Vorsitzenden der Pfarrvereine des Rheinlands, Niedersachsens, der Nordkirche und dem Vorsitzenden des Gemeindebundes der EKBO (Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz) verfasst. Unter den Stichworten „Ökonomisierung“, „Regionalisierung“, „Pfarrstellenabbau“, „Herrschaft von Menschen über Menschen“ wird berichtet, was sich nicht nur in diesen Kirchen entwickelt hat. Hier wird ein allgemeinerer Trend sichtbar, der auch die nicht genannten Landeskirchen berührt. Zu Willkür und Herrschaftsanmaßungen lädt insbesondere auch das inzwischen in alle Landeskirchen übernommene Pfarrdienstgesetz der EKD ein. Es macht in seinen Versetzungsparagrafen Pfarrer und Pfarrerinnen buchstäblich zum Freiwild ihnen missgünstig gesonnener einzelner Kirchenältester und Superintendenten. Ein paar aktuelle Beispiele sind aufgenommen.

III B Die theologischen Anfragen offenbaren einen Kontrast. Fragen, die hier gestellt werden, sind die nach Wesen und Gestalt der Kirche, ihrer Rolle in der Gesellschaft, ihrem Auftrag. Ist es die Aufgabe der Kirche, sich der Gesellschaft zu integrieren, ihre Prozesse zu kopieren und sich ihr gleich zu gestalten in der Hoffnung auf Akzeptanz und allgemeine Anerkennung? Muss sie nicht, geleitet durch Gottes Wort, wohl in der Gesellschaft leben, aber doch im kritischen Gegenüber zu ihr? Das viel zitierte Wort von der „ecclesia semper reformanda“ meint ja nicht die Kirche, die sich ständig der Welt anpasst, sondern jene, die sich nach Röm 12,2 auch in allen Umbruchsituationen immer wieder neu zu Jesus Christus zurückwenden, also „re-formieren“, lässt.

IV Das vorliegende Buch ist unter das Motto der ersten Ablassthese Martin Luthers aus dem Jahr 1517 gestellt. Damit erinnert es bewusst an das Datum, welches den Anlass zur Jubiläumsfeier im Jahr 2017 gibt. Mit Bezug auf die 1. These betont es die Notwendigkeit der Umkehr, der Buße.

Eine solche Umkehr hatte bereits im Jahr 1999 ein bayerischer Initiativkreis „Kirche in der Wettbewerbsgesellschaft“ gefordert. Dieser theologische Ruf zur Erneuerung wird hier noch einmal abgedruckt, da er heute noch brisanter und aktueller erscheint als vor sechszehn Jahren. Mit einem Ausblick „Schritte in eine andere Richtung“ endet das Buch. Während das „Wormser Wort“, formuliert im Umfeld des Pfarrertags in Worms im Herbst 2014, zum Innehalten aufruft, während es dringend nach einem Moratorium verlangt, „um den aktuellen Status schonungslos offen zu legen und zur Besinnung zu kommen“, versucht dieses Buch im Ausblick zu formulieren, welche Schritte in eine andere Richtung heute nötig sind.

Adressaten
Die Adressaten des Buches sind die Pfarrerschaft der evangelischen Landeskirchen, die Synodalen der EKD-Synode wie auch der Landes- und Kreissynoden, Presbyter, Mitglieder kritischer kirchlicher Gruppen wie „Gemeindebund“, „Kirche im Aufbruch“, „Gemeinde im Aufwind“, „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e.V.“ und andere Initiativen, sowie engagierte Gemeindeglieder.

Fragen zum Kirchenverständnis im Reformprozess der EKD: »Zwo Kirchen«? Von Prof. Martin Honecker

10/2015, Deutsches Pfarrerblatt
Kirche ist nicht nur Institution, sondern auch Organisation. Doch gerade um die Ordnungen von Kirche bricht oft Streit aus. So auch im Rahmen des Reformprozesses der EKD. Martin Honecker greift auf Orientierungen bei Luther sowie bei der Konstituierung der EKD nach 1945 zurück und resümiert den Stand der Debatte um den Reformprozess.

Ein wesentliches Grundproblem ist inzwischen das Misstrauen gegen einen Vorschlag von oben, wie ihn das Impulspapier »Kirche der Freiheit« vorgelegt hat, und dem dadurch bedingten Einspruch von unten, der über mangelnde Partizipation klagt und sich von einer kirchenleitenden Macht beeinträchtigt fühlt. Damit ist ein Vertrauensverlust eingetreten. Der Vertrauensverlust kann keineswegs durch die Ausübung von Macht durch kirchenleitende Instanzen behoben werden. Denn nach Max Weber beruht Macht – im Unterschied zu Gewalt – in der Regel auf Zustimmung und Anerkennung von Autorität. Machtausübung kann eben nicht nur zur Stärkung und Legitimation von Herrschaft, sondern auch zum Vertrauensverlust und zur Schwächung von Macht führen. Zum Artikel.

Kirchentag in Stuttgart: Gemeindebund Bayern und Gemeindebund Berlin-Brandenburg sammeln 171 Unterschriften für das Wormser Wort.

06/2015

Beim Kirchentag in Stuttgart war der Gemeindebund Bayern zusammen mit dem Gemeindebund Berlin-Brandenburg von Donnerstag, 4. Juni bis Samstag, 6. Juni 2015 mit einem Stand auf dem “Markt der Möglichkeiten” vertreten. Wir konnten zahlreiche Besucher begrüßen und fanden viel Verständnis und Zustimmung für unsere Anliegen. 171 Unterschriften konnten wir für das Wormser Wort sammeln… Mehr dazu.

13 Kommentare zur Antwort des Ratsvorsitzenden auf das Wormser Wort

05/2015, bisher eingestellte Kommentare von UnterzeichnerInnen des Wormser Wortes zur Antwort des Ratsvorsitzenden bzw. seines Mitarbeiters Dr. Goldenstein:

1. Die Antwort des Sekretärs seiner Majestät Bedford Strohm ist schlicht dreist. Sie besagt, kurz gefasst:

a. Ihr wollt in der Kirche für alle Zeit alles beim Alten lassen. Das geht aber nicht. Die Zeiten ändern sich. Ergo: Herr Goldenstein hat gar nichts begriffen, nämlich dass es um die Richtung der Veränderung geht, nicht um die Behauptung eines unveränderlichen Zustandes.

b. Wir reagieren doch nur auf demographische und finanzielle Herausforderungen. Das ist alternativlos. Ergo: Herr Goldenstein hat wiederum nicht begriffen, dass Programme wie “Kirche der Freiheit” nicht nur reagieren, sondern agieren, d.h. Entwicklungen massiv beeinflussen (nämlich z.B. und vor allem in Richtung Erosion der evangelischen Gemeindebasis). (Prof. Eberhard Mechels)

2. Die “Antwort” des Ratsvorsitzenden zeigt leider das übliche Vorgehensmuster. Zuerst eine vermeintliche Anerkennung der Bemühungen. Dann die Betonung, wie wichtig das Anliegen genommen wird. Es folgt ein mehr als oberflächliches eingehen auf die Kritik. Dann die Abwiegelung der Kritik. Dass in Frage stellen der Kompetenz der Kritiker. Nicht zu vergessen, die allzeit beliebte Methode, gar nicht verstehen zu können, weshalb überhaupt Kritik erfolgt. Zusammenfassung: Diese ganze “Antwort” hat nur ein Ziel: Es soll Ruhe einkehren und die Kritik keine weiteren Kreise ziehen. In harmloser Abwandlung eines bekannten Facebook-Slogans: “Kann man so machen, kommt aber schlecht an!”
Ich bitte die Initiatorinnen und Initiatoren der Petition “Wormser Wort”, die Petition um die aktuelle Entwicklung (Übergabe der Unterschriften, sowie die bisherige, als dürftig zu bezeichnende Reaktion) zu ergänzen und fortzuführen. Es ist wohl offensichtlich, dass die Meinung von über 1.000 unterzeichnenden Christen die EKD nicht veranlasst, sich ernsthaft mit der vorgebrachten Kritik auseinanderzusetzen. Vielleicht wird das bei 10.000 Unterschriften der Fall sein. Oder bei 100.000 Unterschriften. Wer weiß. Früher oder später wird man zur Kenntnis nehmen müssen, dass weder Kritiker/Innen, noch Kritik, auf Dauer ignoriert werden können. Der öffentliche Druck scheint zurzeit schlicht und ergreifend dafür noch nicht groß genug zu sein. Also heißt es am Ball zu bleiben und dies zu ändern.(Carmen Splitt)

3. Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können! Bitte, führen sie die Petition in der oben beschriebenen, erweiterten Form fort! Die Antwort des persönlichen Referenten des Ratsvorsitzenden hat mich tief enttäuscht. (Ulrike Polster)

4. Ihren Ausführungen kann ich mich nur anschließen. Zu Ihrer Post auf der FB-Seite des Ratsvorsitzenden kann ich nur sagen: “Gefällt mir”! (Johannes Taig)

5. Schade, da hätte der Ratsvorsitzende doch lieber selber antworten sollen. Die Antwort des Referenten bleibt unbefriedigend. Da perlt einfach alles ab 🙁 (Klaus Völkl)

6. Liebe Carmen Splitt, vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Es ist ja leider alles sooo richtig. Ich habe mich genau so gärgert aber – ganz ehrlich – ich war zu bequem, mir diese Arbeit zu machen. Und ja, das ist falsch.
Aber: Für jede Zuschrift wird sich mit viel bla bla bedankt. Und dann wird jedes Argument zerpflückt. Da in der Kirche keine Fehler gemacht werden (siehe NKF; das wird auf Deibel komm raus durchgezogen koste es was es wolle) braucht man auch keine Fehler zuzugeben. (Gerhard Niemeyer)

7. Wer ist dieser Herr Goldenstein? Hat er seine eigene Meinung kundgetan oder seine Aussagen von Herrn Bedford-Strohm diktiert bekommen, damit sich der Ratsvorsitzende unauffälliger hinter dem wohlklingenden Namen Goldenstein verstecken kann? Jedenfalls scheint Herr Goldenstein die platten Platitüden des Papiers “Kirche der Freiheit” bestens internalisiert zu haben.
Seine Antwort ist weder differenziert noch hilfreich für einen weiteren inhaltlichen Diskurs. Anscheinend hat er oder auch sein Chef die Ergebnisse der neuesten Mitgliederstudie missverstanden oder er muss in seinem Job als Referent unwillkürlich darüberhinwegreden. Ich finde die Antwort enttäuschend! Das übliche Blabla von “oben herab”. Unzweifelhaft EKD-stromlinienförmig angepasste Worthülsenklauberei! Dazu ernüchternd, denn ich dachte, die neue Mitgliederstudie würde manchem EKD-Funktionär die Augen öffnen, wie sich “das Volk” seine Volkskirche zukünftig vorstellt. Die von Herrn Goldenstein „wohl“formulierten Phrasen zeigen, dass sich die EKD-Führungsebene nach wie vor immer weiter von den Realitäten in den Gemeinden entfernt und im Elfenbeinturm von Hannover einfach nicht wahrhaben möchte, dass die Reformen von „Kirche der Freiheit“, die bisher umgesetzt wurden, mehr Schaden als Nutzen gebracht haben und vielerorts absehbar in einem Desaster enden. Im Grunde peinlich, was in diesen Goldenstein’schen Zeilen evident wird. (Axel Weber)

8. Lieber Herr Bischof,

Ihr Referent hat Ihnen einen Bärendienst erwiesen. In der Tat: Sie hätten besser selbst geantwortet.

Zu 1: Kein(e) Unterzeichner(in) bestreitet die Notwendigkeit von Anpassungs- und Veränderungsprozessen. Niemand will, dass alles so bleibt wie ist.

Zu 2/4: Der Satz: “Gerade die in der jüngsten KMU bestätigten Entwicklungen setzen eine Bündelung von Kräften voraus” ist so platt wie er falsch ist. Der Ausdruck “Bündelung von Kräfte” hat in ökonomischen oder militärischen Zusammenhängen seinen Sein. Sie sitzt in der Tat “zentralistische Institutionen” voraus. Es geht nicht darum, Kräfte zu bündeln, sondern sie freizusetzen.

zu 3: Dasselbe gilt für die Feststellung, “dass ein kontinuierlicher und langfristig stabiler Verkündigungsdienst eine verlässliche materielle Basis benötigt.” Im Gegensatz müsste man folgerichtig behaupten dass ohne Verwaltungsstruktur oder NKF oder dergleichen die Verkündigung des Wortes Gottes ernsthaft gefährdet ist. Sie trauen ihm nichts mehr zu und verfallen in blanke Gesetzlichkeit, wenn Sie meinen, es müsse “durch beständige Reorganisation sicher gestellt werden”! (Stephan Sticherling)

9. Beton, zartviolett angestrichen! Aber eigentlich war das zu erwarten. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Eine richtige Auffassung wird nicht falsch, indem sie in den falschen Kontext gestellt wird! Machen wir weiter! Es gibt keinen Grund, die Fehler der EKD und der EKiR nicht auch weiterhin aufzuzeigen. (Ulrich Schmitz)

10. Ich glaube nicht, dass der Herr Ratsvorsitzende hier reinguckt. Vielleicht sollte man all die treffenden Kommentare gesammelt in seine FaceBook-Seite posten – da soll er sich nämlich öfter aufhalten.

https://www.facebook.com/landesbischof (Andreas Reinhold)

11. Ein guter Hinweis, Andreas Reinhold. Wer auf Facebook unterwegs ist, sollte dies unbedingt tun. Ich war so frei, machte den Anfang und habe dort soeben folgendes gepostet:

Sehr geehrter Herr Bedford-Strohm,

als Mitunterzeichnende der Petition „Wormser Wort“ bringe ich hiermit zum Ausdruck, wie empörend der Umgang mit Kritik und Kritikerinnen/Kritikern innerhalb der EKD ist. Es ist extrem enttäuschend, dass selbst Sie nicht bereit sind, sich ernsthaft mit den vorgebrachten Punkten auseinanderzusetzen. Erste Reaktionen auf die von Ihrem Sprecher überbrachte „Antwort“ können Sie unter anderem unter http://wort-meldungen.de/?p=11277#comments nachlesen. (Carmen Splitt)

12. “Bei der Erwiderung des Ratsvorsitzenden bzw. seines Referenten ist wieder einmal auffallend, dass jede Grundsatzfrage vermieden wird und nur von Sachzwängen die Rede ist. Vergleicht man übrigens die heutigen Gemeindegliederzahlen mit denen etwa von 1860, kann von einem Rückgang in absoluten Zahlen nicht die Rede sein. Nur ist man früher mit viel bescheideneren Verhältnissen ausgekommen, hatte geringere Gehälter, keine Gemeindehäuser, keine kreiskirchlichen Verwaltungsämter, viel kleinere Konsistorien, keine Landesbischöfe, keine Landeskirchen in der heutigen Form, keine EKD, noch von der Kirche unabhängige diakonische Werke und Missionsgesellschaften usw.

Der öffentlich-rechtliche Status ist heute die Richtschnur, die Angst, zu kleine Gemeinden oder gar die Landeskirchen könnten ihren Status verlieren, wenn sie nicht wie staatliche Körperschaften organisiert sind. Außerdem geht es natürlich um das gesellschaftliche Ansehen; ein Superintendent soll einem Landrat, ein Generalsuperintendent einem Regierungspräsidenten und ein Bischof einem Ministerpräsidenten gleich sein. Wenn dann ein Pfarrer auf einen Bürgermeister käme, wäre alles im Lot.

Das Ehrenamt kommt eigentlich gar nicht mehr vor. Und dabei unterscheidet dieses Kirche von modernen staatlichen Einrichtungen, bei denen alles professionalisiert ist. Noch deutlicher unterscheidet dieses Kirche von Wirtschaftsunternehmen. Aber soll auch in der Kirche alles professionalisiert sein? Braucht man Professionalisierung zur Hierarchisierung? Offenbar ja. Die Rechtfertigung kommt über das Qualitätsmanagement.” (Georg Hoffmann)

13. entscheidend der Einwurf: “Das Ehrenamt kommt eigentlich gar nicht mehr vor.
Ehrenamt: die Frontsoldaten.
Innendienst-Hauptberufliche: die Etappe.
Die Schlacht wird immer von der Front gewonnen.
Aber kaum einer will dahin.
Die “Innendienstchristen” erhalten die Kirche?
Im Ernst: wer glaubt daran?
Wer ist nicht bereit, seinen Glauben zu leben ohne d i e s e Kirche?
Evangelisch leben kann ich auch anderswo. (Dr. Kurt Schröder)

 

Wormser Wort: Die Antwort des Ratsvorsitzenden der EKD. Eine Entgegnung und etliche Kommentare von UnterzeichnerInnen.

05/2015, die Petition „Wormser Wort“ wurde mittlerweile von 1100 Personen unterzeichnet. Auf die Zusendung des Inhalts und des Ergebnisses reagiert nun der Ratsvorsitzende. Wir veröffentlichen zunächst den Wortlaut. im Anschluss veröffentlichen wir eine erste Stellungnahme. Wer von den Lesern die Antwort des Ratsvorsitzenden ebenfalls kommentieren möchte, ist eingeladen, dazu die Kommentarfunktion zu nutzen. 

Es schreibt der persönliche Referent des Ratsvorsitzenden:

„Der Ratsvorsitzende hat Ihr Schreiben persönlich zur Kenntnis genommen und mich gebeten, Ihnen zu antworten:

In der Petition „Wormser Wort“ wird engagiert gerungen um die Frage nach zukünftigen Ausrichtungen und Gestaltungen der evangelischen Kirche. Mitglieder unserer Kirche haben Zeit und Kraft investiert, um das gemeinsame Nachdenken mit einem neuen Impuls zu versehen. Dieses Engagement begrüßen wir und sehen uns mit den Unterstützerinnen und Unterstützern der Petition verbunden in der gemeinsamen Aufgabe, kirchliches Leben in der Gegenwart und für die Zukunft zu gestalten. Gerade in einer Kirche, die wie die reformatorisch geprägten Kirchen aus einem Reformimpuls heraus entstanden ist, stellt das Nachdenken über angemessene Strukturen und auftragsgemäßes Handeln eine bleibende, zentrale Aufgabe dar. In der Petition werden die aus den Diskussionen um das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ hervorgegangenen Überlegungen in einer Weise dargestellt, die der Richtigstellung bedarf:

1. An keiner Stelle wird im Kontext des Reformprozesses die Fusion von Gemeinden und die Reorganisation von Strukturen anders verstanden denn als Reaktion auf abnehmende Zahlen von Gemeindegliedern oder finanzierbaren Personalstellen. Nicht die Reorganisation kommt zuerst und dann die rückläufigen Zahlen – als ob der Reformprozess den Umbau verursachte oder dieser ohne ihn unnötig sei.

2. Die Forderungen der Petition scheinen von einer Kirche auszugehen, die sich den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen entziehen könnte. Es ist u.E. jedoch eine Illusion, dass unsere Kirche durch die gravierenden Veränderungen ihres Umfelds unverändert bleiben könnte. Gerade die in der jüngsten KMU bestätigten Entwicklungen setzen eine Bündelung von Kräften voraus, um elementare Aufgaben weiterhin wahrnehmen zu können. Über die Richtung der Reorganisation kann man natürlich streiten, aber alles möglichst unverändert zu lassen, entspricht nicht der Dramatik der Herausforderungen.

3. Die Petition arbeitet verschiedentlich mit der Gegenüberstellung von Reorganisationsprozessen und dem „eigentlichen Auftrag“, nämlich der Kommunikation des Evangeliums. Diese Gegenüberstellung verkennt, dass ein kontinuierlicher und langfristig stabiler Verkündigungsdienst eine verlässliche materielle Basis benötigt. M.a.W.: Die Sorge um die Erfüllung des Kernauftrags der Kirche hat immer auch eine materielle und rechtliche Komponente, die durch beständige Reorganisation sicher gestellt werden muss.

4. In der Petition wird der Eindruck erweckt, als wäre hier eine zentralistische Institution am Werk, die analog zu einem großen Unternehmen die evangelische Kirche in Deutschland von oben neu aufstellen wolle. Das wird den Reformbemühungen in keiner Weise gerecht. In den Landeskirchen werden vielfältige Diskussionen um die notwendigen Veränderungen geführt. Dass darin die von der EKD angestoßenen Überlegungen einfließen und weiterentwickelt werden, entspricht dem guten Zusammenwirken innerhalb unserer Kirche.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Goldenstein“

 

Stellungnahme:

Scheinwelten
Es wichtig festzuhalten, dass sich die demografische Entwicklung und andere wichtige Rahmenbedingungen unsere Kirche verändern und also auch Auswirkungen auf die Organisation und den kirchlichen Alltag haben werden. Es gehört zu den Schwierigkeiten der innerkirchlichen Diskussion, dass die „Reformer“ gerne in Abrede stellen, dass Kritiker der Reform die Voraussetzungen der Reform überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist falsch. Es geht um unterschiedliche Antworten auf die Herausforderungen der Zeit.

Dazu einige Beispiele:
1.Vor 15 Jahren erklärte beispielsweise die Kirchenleitung der EKHN, dass ein Dekanat mindestens 20.000 Mitglieder brauche um „lebensfähig“ zu sein. Bis dahin gab es viele Dekanate, die deutlich kleiner waren, insbesondere im ländlichen Bereich. Entsprechend wurden Dekanate zusammen gelegt. Einige Jahre später erklärte die gleiche Kirchenleitung, dass ein Dekanat 40.000 Gemeindeglieder brauche, um „lebensfähig“ zu sein. Inzwischen ist diese Größe auf 70.000 Mitglieder hoch gesetzt. Die damit verbunden Reorganisationen sind zeitaufwändig, teuer und haben für die Präsenz der Kirche vor Ort und die alltägliche Arbeit wenig feststellbare Verbesserungen, aber sehr viele Nachteile gebracht. Die Festlegung der Gemeindegliederzahl eines Dekanats lässt sich nicht einfach aus „abnehmenden Zahlen und finanzierbaren Personalstellen“ ableiten. Die Zahlen haben jedenfalls mit demographischen Herausforderungen nichts zu tun.

2. Ähnliches gilt für die Größe von Gemeinden und die damit in Beziehung gesetzte Feier des Gottesdienstes. Jahrzehntelang wurde in Diasporadörfern ein sonntäglicher Gottesdienst gehalten, zu dem 10-15 Gemeindeglieder erschienen. Inzwischen hat man die Gemeinden und Pfarrer überzeugt, dass solche Gottesdienste getrost ausfallen können. Die Menschen werden aufgefordert in Nachbardörfer zum Gottesdienst zu gehen. Aus unserer Sicht ist das ein großer Verlust für unsere Kirche. Die jüngste KMU scheint die Auswirkungen dieser Reduktion kirchlicher Arbeit aufzuzeigen. Professor Pollack, einer der wissenschaftlichen Begleiter der Studie, weist auf diesen Zusammenhang eindrücklich hin: „Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme ist der Glaube jedoch kein von der Institution Kirche isolierter rein individueller Akt. Er bedarf vielmehr der institutionellen Unterstützung, und er verkümmert, wenn ihm die kommunikative Unterstützung durch Interaktionen im Raum der Kirche, durch Kontakte zum Pfarrer, durch den Gottesdienst fehlt. Das haben unsere Analysen, die repräsentativ sind und höchsten sozialwissenschaftlichen Standards genügen, immer wieder gezeigt: Intensive kirchliche Praxis und das Bekenntnis zum Glauben an Gott korrelieren hoch.“

3. Es ist ein Merkmal der Reformprozesse, dass sie sich vielfältig selbst überholen. Eine Reform löst die nächste aus. Bei der ersten Dekanatsfusion gab es lange Diskussionen und vielfältige Anfragen aus den Gemeinden. Dann wurde in Synoden von Seiten der Kirchenleitung vorgetragen, man solle doch diesen Reformschritt tun, um endlich wieder zur „eigentlichen Arbeit“ zu kommen. Doch schon wenige Jahre später wurden neue Reformen angestrebt, die die eigentliche Arbeit wiederum behindert haben. So ist zum Beispiel das religionspädagogische Amt der EKHN inzwischen zweimal Mal umgezogen. Die angekündigten Kosteneinsparungen sind nie eingetreten, dafür sind aber deutlich höhere Kosten für Umbau und Neubaumaßnahmen entstanden. Die beschlossenen Evaluationen wurden in der Regel nicht durchgeführt, bzw. waren schon durch weitere Reformen obsolet.

4. Inzwischen hat sich der rheinische Präses Rekowski bei den Pfarrern für Versäumnisse in der Personalpolitik erstmals öffentlich entschuldigt. Wenn Sie schreiben, dass die Kirche ihre Kräfte bündeln müsse, um elementare Aufgaben weiterhin wahrnehmen zu können, dann muss man leider feststellen, dass in der Zeit der Reorganisation von Seiten der Kirchenleitung und den ev. Landeskirchen bewusst auf die Werbung des pastoralen Nachwuchses verzichtet worden ist. Es stellt sich in der Tat die Frage, ob nicht eine Diskussion notwendig ist, welches die „elementaren Aufgaben“ der Kirche sind. Der Gottesdienst und die Verkündigung jedenfalls gehören dazu. Die Reorganisation unserer Kirche weist an dieser Stelle Defizite auf, die dringend behoben werden müssen.

5. Dass bei den Reformprozessen in vielfältiger Weise eine Zentralisierung der Arbeit vorgenommen wurde, ist eine Kritik, die vielfältig erhoben worden ist. Es ist Teil des Problems, dass die leitenden Stellen dies bestreiten. Deshalb findet man auch keine Verantwortlichen für die vielen Mängel der Reformen. Niemand ist verantwortlich für den fehlenden Pfarrnachwuchs, obwohl die Probleme frühzeitig benannt wurden. Niemand ist für die Probleme der Doppik verantwortlich, obwohl dringend Handlungsbedarf besteht. Damit freilich kommt ein besonderes Problem der Reformprozesse in den Blick: Die Qualität der Kirchenleitungen. Da sie sich gegen Kritik von außen weitgehend immun gemacht haben, wie auch der Brief von Herrn Goldenstein zeigt, fehlt an der entscheidenden Stelle die Reformfähigkeit.

(BB) (Name des Autors ist der Redaktion bekannt)

 

 

Nordkirche: Aufregung auf dem Land: Pfarrstellen sollen wegfallen. Werden einer kranken Kirche „immer mehr Körperteile amputiert“?

vom 29. April 2015, Schleswiger nachrichten

HAVETOFT | Die vielen kleinen Kirchengemeinden in Angeln haben Angst. Angst davor, dass sie künftig ohne Pastor dastehen. Denn im Zuge der geplanten Einrichtung von „Gemeindlichen Handlungsräumen“ könnten der ländlichen Region zwischen Kappeln, Schleswig und Flensburg mit ihren insgesamt 40 Kirchen künftig statt 27,5 nur noch 20 Pfarrstellen zustehen. So steht es in der ersten Übersicht, die die Leitung des Kirchenkreises auf einer kircheninternen Informationsveranstaltung zum Thema in Havetoft vorgestellt hat…

Pastor Hergen Köhnke aus Kropp rechnete in Havetoft vor, dass nur gut 25 Prozent der Kirchensteuereinnahmen als Gemeindezuweisung (14 Prozent) und Gemeindepfarrstellen (11,8 Prozent) vor Ort ankämen. Er verglich die Kirche mit einem kranken Patienten, dem immer mehr Körperteile amputiert werden. „Eine Amputation des Beines – 20 Prozent der Gemeindepfarrstellen – spart drei Prozent der kirchlichen Ausgaben ein. Selbst mit der Amputation aller Gemeindepfarrstellen käme man nicht über einen Kürzungsbetrag von zwölf Prozent hinaus… Zum Artikel.

 

Leserbrief zum Artikel von Rudolf Schlüter

Betr.: „Kirche gibt die ländliche Region auf“ 3.5.2015

Um das Jahr 1300 steht die kirchliche Organisation in Angeln mit über 40 Kirchen und Pfarreien. Und daran hat sich in den nächsten 700 Jahren sehr wenig geändert. Ein Erfolgsmodell sollte man meinen. Aber die Kirchenleitung sieht das anders. Die Organisation soll grundlegend verändert werden. Man erfindet die „Gemeindlichen Handlungsräume“. Schon diese Wortschöpfung lässt bürokratisches und verwaltungstechnisches Denken erkennen. Es geht nicht mehr um Seelsorge, eigentlich Markenzeichen der Kirche, sondern um den Aufbau einer hierachischen und bürokratischen Struktur. Es wird amputiert, wie es so schön im Artikel ausgedrückt wird. Alle sogenannten Reformen der letzten Jahre haben gezeigt, sie waren nicht effektiv. Das wird von der Kirchenleitung aber nicht zugegeben, sondern man versucht die nächste Reform. Aber ohne das Fußvolk mit einzubinden. Begründet wird diese Reform mit schwindenden Einnahmen und Mitgliederzahlen. Davon wird seit Jahren geredet, aber die Einnahmen sind in den letzten Jahren sehr gestiegen.
Wenn Pröpstin Lenz-Aude vom Guten Hirten gesprochen hat, dann sei sie hier daran erinnert, dass der Gute Hirte das 100. Schaf sucht, also Seelsorge betreibt.
Mit der Schaffung der „Gemeindlichen Handlungsräume“ wird nicht nur meiner Meinung nach die Seelsorge heruntergefahren. Das kann es doch wohl nicht sein. Der hl. Ansgar dreht sich im Grabe herum, wenn er von diesen Plänen in seinem Missionsbezirk erfährt. Er hat sich nicht träumen lassen, dass sein Bistum ein Koloß der Verwaltungshierachie wird. Es sei daran erinnert, dass „er den Blinden Auge, den Lahmen Fuß und den Armen ein wahrer Vater sein wollte“. Das heißt aber bei den Menschen zu sein, das Leben mit ihnen zu teilen, mit intensiver Arbeit in der Gemeinde.
Herzlichen Dank an Herrn Köhnke, dass er einmal aufgezeigt hat, was von den Kirchensteuern bei den Zahlern wieder ankommt. Das gibt doch sehr zu denken.
Mein Vorschlag: Gründung einer „bekennenden und praktizierenden Kirche“, damit sich die „verwaltende Kirche“ einmal rechtfertigen und auseinandersetzen muß. Anfänge gibt es schon in der EKD, nachzulesen im Internet unter „Wormser Wort.de“.

Ich unterzeichne aus Sorge um die zunehmende Neoliberalisierung in unserer Kirche. Neue Komentare zur Petition „Wormser Wort“.

 Seit 29.12.14 steht das Wormser Wort als Online-Petition im Netz. An dieser Stelle veröffentlichen wir schon zuvor dort angebrachte Kommentare und neue Kommentare.  Wir setzen die Veröffentlichung heute mit Teil V fort: 

Dorothea J.

Es ist unverantwortlich, den Gemeindepfarrern immer mehr Dorfgemeinden zuzuteilen, die sie kaputt machen.

Volker D.
Weil nicht die Kirchenbürokratie bestimmen darf, wie Kirche zu sein hat.

Erhard W.
ich unterzeichne aus Sorge um die zunehmende Neoliberalisierung in unserer Kirche.

Ute S.
Wegen der Anpassung der EKD an den neoliberalen Trend und der damit verbundenen Preisgabe von Inhalt und Sinn bei gleichzeitigem Druck auf die in den Gemeinden angestellt und ehrenamtlich arbeitenden Menschen.

Karola G.
Ich arbeite mit in Gemeinde in Berlin. Wir sind durch die Halbtagsstelle unserer Pastorin sehr eingeschränkt.

Matthias W.
meine Sorge ist, dass die Landeskirchenämter sich immer mehr von Juristen bestimmen und leiten lassen.

Heinz-Udo K.
meine Sorge ist, dass unsere eigentlichen Kernaufgaben durch immer mehr Verwaltungstätigkeit von Pfarrern in den Hintergrund geraten.

Lutherischer Konvent in der EKiR stimmt Wormser Wort zu.

Der Lutherische Konvent im Rheinland ist eine Gemeinschaft evangelisch-lutherischer Christen im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland. Der Konvent wurde während des Kirchenkampfes am 29. Dezember 1936 gegründet. Er ist Mitglied in der Lutherischen Arbeitsgemeinschaft in Deutschland.

Wie Idea (Idea Spektrum 05.03.2015, S. 40) berichtet, stimmt der Konvent dem Wormser Wort zu. Dort heißt es: „Der Lutherische Konvent im Rheinland hat sich auf seiner Frühjahrstagung in BOnn dem kirchenkritischen Wormser Wort angeschlossen. Wie ihr Vorsitzender Pfr. Winfried Krause sagte, hält der Konvent die Abbau- und Umbauprozesse in der EKD und in der rheinischen Kirche für bedenklich…“

Nach Publik Forum berichtete damit auch Idea über die Erklärung. Anzumerken ist, dass bei der Berichterstattung bei Idea der Satz „Kommunikation des Evangeliums“ der 1. These des Wormser Wortes (vgl. dazu etwa Prof. Christian Grethlein „Praktische Theologie“) ersetzt wird durch „Verkündigung des Evangeliums“. Das ist ein deutlicher Unterschied, der bei einer professionellen Berichterstattung nicht passieren sollte. F.S.

„Auf die Möglichkeit wenigstens dieses Protestes habe ich seit Jahren gewartet.“ – Neue Kommentare zur Petition ‚Wormser Wort‘.

Seit 29.12.14 steht das Wormser Wort als Online-Petition im Netz. An dieser Stelle veröffentlichen wir schon zuvor dort angebrachte Kommentare.  Wir setzen die Veröffentlichung heute fort: 

Jürgen M.
Auf die Möglichkeit wenigstens dieses Protestes habe ich seit Jahren gewartet.

Joachim W.
Ich habe unterzeichnet, weil ich erlebe wie belastend die vielen Sitzungen für Haupt-und Ehrenamtliche sind. Immer weniger Verkündigung, immer mehr Strukturdiskussion macht keinen Spaß.

Margit v.
Ich wünsche mir, dass unsere Kirche zukunftsfähig wird!

Siegfried H.
Neoliberaler Umbau der Kirche unter scheinheiligen Vorwänden. Die BWLer haben auch in der Kirche die Macht übernommen und machen sie kaputt.

Friedrich M.
weil ich eine marktkonforme Kirche ablehne

Thomas d.
Die Kirche ist für die Menschen da und nicht umgekehrt. Nur aus den Gemeinden schöpfen wir Kraft.

Helge B.
Zusammenhalt und Erhalt leisten die Kirchenmitglieder, an ihnen kann nicht „gespart“ werden!

Bodo K.
Wir brauchen echte Konzentrationsprozesse, die auch neue Arbeitsformen ermöglichen, keine Reduktionsprozesse, die den erwarteten Stand von 2030 einfach vorwegnehmen.

Bernhard L.
Wenn die Kirche es nicht mehr als ihre Aufgabe sieht die Menschen aufzufangen, sondern sogar die Türen vor ihnen schließt, ist das nicht im Sinne des christlichen Gedankens.

Günter Z.
Es fehlt der persönliche Bezug. Übergemeindliche Angebote machen nur Sinn, wenn auch eine Basis da ist.

Melchior H.
Im Vertrauen auf Jesus mutige Schritte der Nachfolge zu wagen und die frohe Botschaft mit Begeisterung zu verkünden: Das sind nicht mehr Dinge, die man mit der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung bringt. Es ist Zeit für eine Kurskorrektur und ein überzeugtes Bekenntnis „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“! Die finanziellen Entscheidungen in unserer Kirche müssen dem Reich Gottes untergeordnet werden, nicht andersherum.