09/2015
Vortrag im Landesmuseum Braunschweig am 4. Dezember 2014
von Dietrich Kuessner
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Die christlichen Kirchen in Europa nehmen also drei verschiedene Haltungen zum Krieg ein:
Die einen rechtfertigen ihre Haltung als Teilnahme an einem Verteidigungskrieg, sie behaupten, sie führten einen heiligen Krieg und Gott sei auf ihrer Seite. Sie glorifizieren ihre Toten, sie verwechseln den Willen ihrer Heeresleitungen mit dem Willen Gottes.
Andere verweigern sich der Teilnahme am Krieg und bleiben neutral. Das wirft unweigerlich die Frage auf: warum war das keine Möglichkeit für das Deutsche Reich und für die evangelische Kirche. …
Eine dritte Möglichkeit war, wie Belgien gezeigt hat: Widerstand im Krieg…
Die christlichen Kirchen befanden sich zwischen Irrsinn und Versöhnungsbereitschaft.
In dieser Situation noch zwei Lichtblicke zum Abschluss:
Papst Benedict XV. hatte bereits zu Beginn seiner Tätigkeit im November 1914 in seiner Antrittsenzyklika erkennen lassen, dass sich der Vatikan zur Neutralität verpflichtet fühle und hatte die kriegführenden Länder zum Ende der Kriegshandlungen aufgefordert. Der Papst wiederholte seinen Aufruf im Sommer 1917 und fügte praktische Vorschläge an, nämlich Rückzug auf die territorialen Ausgangspositionen vom Juli 1914, dazu u.a. Rüstungsbeschränkung und Freiheit der Meere. Das war für das Deutsche Reich eine sehr günstige Ausgangsposition, zumal der Reichstag im Juli seine Friedensresolution beschlossen hatte, die im Grund ähnlich war. Die Aktion des Papstes löste auch einige diplomatische Verhandlungen vor und nach der Veröffentlichung aus, fand aber keine Mehrheit, weil die deutsche Regierung keinen Verzicht auf Belgien zu Beginn der Verhandlungen aussprechen wollte, eventuell am Ende von Verhandlungen.
Der deutsche Generalgouverneur v. Bissingen hatte bereits Wiederaufbaupläne für die zerstörten belgischen Städte in Auftrag gegeben und drucken lassen, in der Überzeugung, dass Belgien dem Deutschen Reich angegliedert werde…
Die Initiative des Papstes zeigte dagegen: : Friede war denkbar und machbar. Man wollte ihn nicht.
Man befand sich auf der Seuchenstation.
Einen weiteren Lichtblick bildeten die Friedensbemühungen in den angelsächsischen Ländern.
Unter Beteiligung der USA hatte sich in England die Church Peace Union gebildet, die im August 1914 eine gemeinsame Konferenz in Konstanz veranstaltete, zu der am 2. August 70 Personen aus den verschiedenen Ländern Europas und der USA erschienen waren. Aus dieser ging in London der „Weltbund für Internationale Freundschaftsarbeit durch die Kirchen“ hervor, der noch ím Herbst 1914 von Friedrich Siegmund Schultze und dem englische Quäker Henry Hodgkin begründete worden war. Dieser setzte seine Arbeit 1915 in Bern fort, gab sich eine Verfassung und einen Ausschuss, dessen Mitglieder aus neun europäischen Ländern stammten. Er kümmerte sich insbesondere um die Kriegsgefangenen aller Länder und erinnerte durch Interventionen an ein Ende des Völkerabschlachtens.
Kirchen im Ersten Weltkrieg zwischen Irrsinn und Versöhnung, zwischen Verrantheit und offen gehaltenen Türen.
1919 war dieser Versöhnungsbund der erste, der ein Treffen in der Nähe vom Den Haag ( in Oud Wassenaar) mit Teilnehmern aus den verfeindeten Ländern organisierte. Unter ihnen auch Nathan Söderblom und der deutsche Prof. für Altes Testament, Adolf Deißmann, der den unsäglichen Aufruf an die Kulturwelt mit unterzeichnet hatte. Sie begegneten sich in der Erkenntnis der Schuld und fanden auf diesem Wege einen Anfang für ein neues Miteinander.