02/2019
„Geld ist … nicht nur ein Mittel, um den Verkündigungsauftrag zu erfüllen. Die Art, wie die Kirche mit ihrem Geld umgeht, ist selbst ein Teil glaubwürdiger Verkündigung. Wort und Tat müssen im Einklang miteinander stehen. Hier hat sich die Parallelität von christlicher Botschaft und kirchlichem Handeln zu bewähren. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht nur nach innen, sondern insbesondere auch im öffentlichen Raum.“ (Aus dem Bericht der Höppner-Kommission an die Landessynode 2013)
Ein Beispiel unter Vielen zu Anfang: in einem ländlichen Kirchenkreis haben 3 Kirchengemeinden fusioniert. Die Familie Müller lebt in einem Dorf mit 800 Einwohnern und eigener Kirche. Bis vor kurzem gab es auch ein Gemeindehaus, in das der Sohn Max zum Konfirmandenunterricht ging. Doch das Gemeindehaus wurde verkauft. Jetzt muss Max zum Unterricht in die 10 km entfernte Kreisstadt. Seine Oma ging gerne zur Frauenhilfe. Sie ist gehbehindert und auf einen Rollator angewiesen. Auch die Frauenhilfen wurden zusammengelegt und treffen sich nun im großen Gemeindehaus der Stadt. Oma Müller kann kaum mehr teilnehmen. Bei ihr sind schon Tränen geflossen. Die Zentralisierung der Frauenhilfe empfindet die Familie als lieblos. Die Eltern Müller sind drauf und dran, ihren Sohn Max vom Konfirmandenunterricht abzumelden, zumal sie vor einigen Tagen in ihrer Zeitung gelesen haben, dass die Kirchensteuereinnahmen erneut gestiegen sind. Und sie sehen an ihrer Gehaltsabrechnung, dass sich auch ihr eigener Kirchensteuerbeitrag in den vergangenen Jahren erheblich erhöht hat. Sie zahlen immer mehr, und die Kirche zieht sich immer weiter von ihnen zurück. Das verdirbt die Stimmung.
Die Landessynode im Januar 2006 war der Ausgangspunkt massiver struktureller und atmosphärischer Veränderungen der Ev. Kirche im Rheinland. Grundlage dieser Veränderungen war die Einschätzung der zukünftigen finanziellen Rahmenbedingungen. Die Arbeitsgruppe II zum Dienst- und Arbeitsrecht stellt in ihrem Papier fest:
„Die finanziellen Rahmenbedingungen der Ev. Kirche im Rheinland werden sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in grundlegender Weise verändern. Die Folge dieses demografischen Wandels lässt sich auf eine schlichte Kurzformel bringen:
Im Jahre 2030 wird die evangelische Kirche ein Drittel weniger Mitglieder als im Jahre 2002 haben und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.
Die Veränderung der finanziellen Rahmenbedingungen wird zu einer massiven Veränderung der Gestalt der Evangelischen Kirche im Rheinland führen. Dieser Veränderungsprozess ist bereits im Gange.“
Der Tiefpunkt bei den Kirchensteuereinnahmen war im Jahr 2004 mit einem Nettokirchensteueraufkommen von unter 500 Mio. € erreicht. Doch statt dies prognostizierten Rückgangs von 1-2% im Jahr stiegen die kirchlichen Einnahmen zunächst moderat an. Ab 2013 wurden die Zuwächse bei den kirchlichen Einnahmen kräftiger. Für das Jahr 2019 plant die rheinische Kirche mit einem Verteilbetrag von 744 Mio. €. Spannend bleibt die Frage, welche Entscheidungen die Landessynoden ab 2006 wohl getroffen hätten, wäre ihnen das Faktum der tatsächlichen Finanzentwicklung bekannt gewesen.
Mehr als eine Kampagne
Man kann nachvollziehen, warum die sog „einfache Formel“ für Viele in den Jahren 2006 und danach plausibel war. Tatsächlich gab es bei den Kirchensteuereinnahmen ab 1994 ein Auf und Ab mit Tendenz nach unten. So konnte man problemlos der Landessynode Graphiken präsentieren, nach denen sich der Negativtrend bei der Mitgliederentwicklung in der Finanzentwicklung widerspiegelte. Stellt man allerdings Mitgliederentwicklung und Finanzentwicklung über einen längeren Zeitraum gegenüber, ergibt sich ein anderes Bild. Die folgende Tabelle macht Eins zumindest deutlich: Man kann nicht monokausal, wie es mit der „einfachen Formel“ geschah, auf Grund sinkender Mitgliederzahlen eine sinkende Finanzkraft prognostizieren:
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1970
|
1977
|
1987
|
1990
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2000
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2007
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2014
|
2018
|
2019
|
Gemeindeglieder in Mio.
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3,856
|
3,604
|
3,318
|
3,269
|
3,113
|
2,92
|
2,70
|
2,544
|
—
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Nettokirchen-
steuer-Aufkommen
in Euro
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200 Mio.
|
350 Mio.
|
440 Mio.
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580 Mio.
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551 Mio.
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562 Mio.
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586 Mio.
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737 Mio.
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744 Mio.
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Gleichen Zeitraum stiegen die Einnahmen aus Kirchensteuermitteln um satte 544 Mio. €. Wir reden hier über einen Trend, der seit nahezu einem halben Jahrhundert anhält. Die allzu simple Logik „weniger Mitglieder = Verlust an Finanzkraft“ stimmt so nicht.
Dennoch wird sie bis heute von Verantwortungsträgern unserer Kirche, insbesondere von den Finanzdezernenten, als Tatsache dargestellt. So sollte man in einer Kirche nicht miteinander umgehen! Bis heute sind die Finanzverantwortlichen der rheinischen Kirche nicht aus dem überholten und widerlegten Narrativ von 2006 ausgestiegen. Der ökonomisch kompetente Georg Immel, der in seinen Äußerung realistisch und zutreffend darstellen konnte, welche Faktoren die Einnahmesituation einer Kirche beeinflussen, erweckte dennoch den Eindruck, allein auf Grund des demographischen Wandels stehe der Einbruch bei den Kirchensteuermitteln kurz bevor und es könne gar nicht anders sein, als dass die Kirche im Jahr 2030 nur noch über die Hälfte der Finanzkraft gegenüber dem Jahr 2002 verfüge. Sein Nachfolger Bernd Baucks äußert sich zwar vorsichtiger. In seinem Finanzbericht an die Landessynode von 2017 kündigt allerdings auch er eine „Trendwende“ an. Nach seiner Darlegung habe sich die Kirchensteuerentwicklung möglichweise bereits von der Entwicklung der staatlichen Steuereinnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer abgekoppelt – und zwar auf Grund der negativen Mitgliederentwicklung.
Die positive Situation bei den Kirchensteuereinnahmen wird als Intermezzo dargestellt. Als 2006 entgegen der einfachen Formel die Einnahmen moderat stiegen, war das für Immel „kein Grund zum Jubeln“. Später sprach er angesichts der notorisch positiven Entwicklung bei den Kirchensteuern von einer „positiven Hypothek“ (,was immer das sein mag,) oder einem „Zwischenhoch“. Bekanntermaßen wurde daraus ein kräftiges Langzeithoch. Dennoch erweckt auch Baucks immer wieder den Eindruck, alleine auf Grund des demographischen Wandels und der negativen Mitgliederentwicklung könne es auf Dauer mit den Kirchensteuereinnahmen nur bergab gehen.
Die „einfache Formel“ von 2006 war mitnichten eine sachliche, an Fakten orientierte Information. Tatsächlich handelte es sich um eine kirchenpolitisch motivierte Kampagne. Eine krisenhafte Mangelsituation wurde leicht abseits der Faktenlage prognostiziert, um gewünschte Umbaumaßnahmen und Strukturveränderungen durchzudrücken. Dies beschädigt Vertrauen!
Noch bedrückender ist Folgendes: Was als Kampagne begann, entwickelte im Blick auf zukünftige Versorgungsansprüche von Pfarrern und Kirchenbeamten eine schädliche Eigendynamik. Je nach Ausgangslage wurden versicherungsmathematische Gutachten erstellt mit der Vorgabe, dass auf Grund der Mitgliederentwicklung die Finanzkraft der Kirche um 1-2% im Jahr sinken würde. Die Folge waren übertriebene Zuführungen an die Versorgungskasse bei gleichzeitiger finanzieller Auszehrung der kirchlichen Basis. Mit mehr als 25% der Kirchensteuereinnahmen werden aktuell in der rheinischen Kirche zukünftige Versorgungs- und Beihilfeansprüche abgesichert.
Gewiss werden die Kirchensteuereinnahmen auf Grund wirtschaftlicher Krisen in Zukunft auch einmal rückläufig sein. Und gesamtwirtschaftliche Risiken gibt es ja zu Genüge.
Bestritten wird lediglich, es könne mit den kirchlichen Einnahmen in Zukunft nur noch bergab gehen. Bestritten wird mit großer Entschiedenheit, man könne alleine auf Grund einer prognostizierten Mitgliederentwicklung präzise Aussagen über die zukünftige Finanzkraft einer Kirche machen.
Der Auftrag der Kirche und der fragwürdige Umgang mit dem ihr anvertrauten Geld
Im Blick auf die Frage, wie die Kirche mit dem ihr vertrauten Geld umgehen soll, heißt es im Papier der Höppner-Kommission unter 3.1.1.: „Dabei müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es der genuine Auftrag der Kirche ist die Verkündigung des Evangelium von Jesus Christus. An diesem Auftrag muss sich alles andere ausrichten.“
Nun wäre es eine außerordentlich kühne Behauptung, all die seit 2006 vollzogenen Umbaumaßnahmen hätten nur dem einen Ziel gedient, nämlich die Verkündigung des Evangeliums voranzubringen. Tatsächlich standen zwei Ziele im Vordergrund: 1. Kostenreduzierung gerade dort, wo es um den Dienst der Verkündigung, die Arbeit mit Menschen vor Ort und um Begegnungsräume (z.B. Gemeindezentren und Kirchen) ging.
2. Die Stärkung der Organisation, um so zu einer zentral gelenkten, kampagnenfähigen Kirchenstruktur zu kommen, bei der der Kirchenkreisebene zulasten der Gemeinden die entscheidende Scharnierfunktion zukommen sollte.
Wer statt einer positiven Vision von Kirche eine „einfache Formel“ zum Ausgangspunkt sog. „Reformen“ nimmt, erzeugt eine „Kirche der Angst“. Schaut man genauer hin, so ist die Angst vor Finanzkraft- und Kontrollverlust das handlungsleitende Motiv der „Reformer“ bis heute. Auch deswegen wirken die kirchenleitenden Appelle, „Mut zur Veränderung“ zu entwickeln unter Inkaufnahme „schmerzlicher Abschiede“ so schal und wenig überzeugend. Tatsächlich zeigt sich da eine mutlose Kirche, die sich im Zweifel trotz hehrer Sozialrhetorik unsozial gegenüber den eigenen Mitarbeitenden verhält und die Zuwächse an Finanzkraft zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche verwendet, sowie die Verwaltungen massiv aufstockt. Es geht um Rückbau, um Downsizing, um zu retten, was aus Sicht der Mutlosen noch zu retten ist.
Am Auftrag der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus soll sich alles andere ausrichten! So forderte es damals die Höppner-Kommission in ihrem bemerkenswerten Papier. Wer die Barmer Theologische Erklärung als Kompass ansieht, kann dem nur zustimmen. Wenn dies im Zentrum der Überlegungen zu einer Umgestaltung der Kirche steht, sind folgende Punkte zu beachten:
Verkündigung und Finanzprognostik: Es sollte endgültig Abschied genommen werden von der sog. „einfachen Formel“ und der damit verbundenen Grundannahme „weniger Mitglieder = Rückgang der Kirchensteuereinnahmen“. Wenn eine Grundannahme seit fast 5 Jahrzehnten durch die tatsächliche Finanzentwicklung wiederlegt wird, kann sie nur falsch sein. Diese falsche Finanzprognostik war im Übrigen ursächlich für den massiven Abbau an Pfarrstellen, die bedrückende Behandlung des theologischen Nachwuchses ab 2006 und vor allem den schlimmen Umgang mit der „Generation Sonderdienst“. Damals verloren etliche Pastorinnen und Pastoren ihre berufliche Existenz, die zum Teil seit vielen Jahren gedeihlich für unsere Kirche Dienst taten. Dass heute nur noch Wenige Theologie mit dem Berufsziel Pfarramt studieren möchte, dürfte auch in diesem sozialethischen Sündenfall seine Ursache haben. Hiermit soll keineswegs für einen unbesonnene Umgang mit kirchlichen Geldern plädiert werden. Gerade weil wir nicht wissen, wie es um die Finanzkraft unserer Kirche im Jahr 2015 oder 2030 steht, ist ein vorsichtiger und disziplinierter Umgang mit kirchlichen Haushalten geboten.
Verkündigung und zukünftige Versorgungsansprüche: Hier gibt es keine einfache Lösung. Die rheinische Kirche steht wie andere Landeskirchen auch vor der großen Herausforderung, in den kommenden Jahren für eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen im Ruhestand Pensionen zu gewährleisten. Vor längerer Zeit, bereits Ende der 80-er Jahre, hat man sich für eine kaitalgedeckte Lösung entschieden. Dies ist nur dann verantwortbar, wenn man Vertrauen in die langfristige Integrität der aktuellen Finanzmarktstruktur hat. Dies wäre allerdings naiv. Die gewaltigen Risiken, die das angelegte Kapitalvermögen betreffen, seien hier nur kurz umrissen:
Die Finanzkrise von Herbst 2008 war nur der Höhepunkt in einer Reihe von zyklisch auftretenden Krisen an den Finanzmärkten. Die Politik zumindest in Europa hat damals alles daran gesetzt, ein an sich marodes System stabil zu halten, um damit die angelegten Vermögenswerte zu schütze.
Dies geschah vor allem durch die Politik des billigen Geldes durch die EZB. Hiermit wurden Banken und schließlich auch Staaten gestützt. Die Vermehrung der Geldmenge führte allerdings nur sehr begrenzt zu mehr Investitionen im Bereich der Realwirtschaft. Vor allem der Handel mit spekulativen Finanzprodukten wurde befördert.
Dies geschah auch deshalb, weil trotz halbherziger Regulierungsbemühungen mit Finanzspekulationen immer noch deutlich höhere Renditen zu erzielen sind als mit Investitionen in der Realwirtschaft. Das weltweit angelegte Kapitalvermögen übersteigt schon seit langem um ein Mehrfaches das Weltbruttosozialprodukt mit rasch wachsender Tendenz. Es handelt sich um eine globale Megablase, bei der früher oder später eine Bereinigung unausweichlich ist.
Es wäre ein glattes Wunder, könnten das Kapitalvermögen, dass zur Zeit zur Absicherung von Versorgungsansprüchen angelegt ist, über die Jahrzehnte hinweg einigermaßen unbeschadet gerettet werden. Die Fallhöhe ist deutlich höher sowie die Möglichkeiten staatlicher Interventionen begrenzter als im Herbst 2008.
Wie geht man nun mit einer derartigen Analyse um? Eine Abkehr von einer kapitalgedeckten Altersvorsorge für Pfarrer und Kirchenbeamte ist kaum mehr möglich. Hier kann man nur hoffen, dass es am Ende doch nicht so schlimm kommt. Im Augenblick fließt allerdings ein gutes Viertel der Kirchensteuereinnahmen in Finanzanlagen. Gerade angesichts der guten Kirchensteuereinnahmen der letzten Jahre ist dies eine ungute Übertreibung, zumal dann, wenn dies einhergeht mit Personalabbau beim Dienst am Menschen und vor allem auch in der Verkündigung. Die Analyse relativiert die Frage erheblich, ob die Mittel zur Versorgungssicherung nun 18, 22 oder 24% des Nettokirchensteueraufkommens ausmachen. Sinnvoll wäre eine maßvolle Reduzierung der Versorgungssicherungsumlage, um finanziellen Spielraum zu schaffen für Dienste in den Gemeinden. An der immer prekären Situation im Pfarrdienst wird sich auf Grund der geringen Zahl an Theologiestudenten kurzfristig kaum etwas ändern lassen. Andere Berufsgruppen wie Jugendreferenten oder Gemeindepädagogen stehen allerdings ebenfalls im Dienst der Verkündigung. Durch eine personelle Verstärkung könnten hier die im Pfarrdienst sich abzeichnenden Lücken zumindest teilweise kompensiert werden.
Verkündigung und Verwaltung: Bei der Arbeit mit Mensch wurden in den Einrichtung und Diensten auf allen kirchlichen Ebenen, in der Jugendarbeit, bei der Kirchenmusik und vor allem im Pfarrdienst kräftige Einschnitte vorgenommen mit dem Argument, man müsse sparen. Dagegen wurden immer mehr Finanzmittel zur Absicherung zukünftiger Versorgungsansprüche abgezogen. Vielleicht noch stärker war der finanzielle Mehraufwand durch die Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF) sowie der Verwaltungsstrukturreform. Ursprünglich einmal wollte man mit beiden Projekten Kosten reduzieren. Tatsächlich gibt es etliche Kirchenkreise, in denen sich die Verwaltungskosten seit 2010 mehr als verdoppelt haben. Das geht zu Lasten der Finanzkraft der Gemeinden!
Ein Szenario, bei dem in manchen Kirchenkreisen 2-3 Mal so viele Vollzeitstellen in der Verwaltung einem ausgezehrten Pfarrdienst gegenüberstehen, ist ebenso wahrscheinlich wie im Blick auf seine Öffentlichkeitswirksamkeit verheerend. Die durch die Kirchenleitung vorgenommene Vereinfachung der Kirchlichen Verwaltungsordnung ist hier ein erster, begrüßenswerter Schritt. Notwendig ist allerdings eine Trendumkehr. Vorbild könnten hier mittelständische Unternehmen sein, die vom IT-Bereich über die Personal- und Finanzverwaltung Arbeiten von externen Anbietern kostengünstig erledigen lassen. Modellhaft sollte man versuchen, dezentrale Verwaltungsstrukturen zu ermöglichen, die von mehreren Gemeinde getragen werden.
Die Kraft der Kirche
Es sind nicht die Kirchensteuereinnahmen, es ist nicht die Finanzkraft und erst recht nicht eine mehr oder weniger effiziente Verwaltung, die die Kraft der Kirche ausmachen. Es sind die Menschen, die sich von Gottes Wort ansprechen und begeistern lassen.
Dies wird belegt durch den klassischen paulinischen Text in 1. Kor. 12,12-30: Das Bild vom Leib. Als Christen leben wir in Beziehung zueinander wie die einzelnen Glieder, die gemeinsam einen Leib bilden und in dem jedes Glied seinen Platz und seine Wertigkeit hat. Dass dieser Leib zumindest zeichenhaft Christus darstellt, geht aus V. 27 hervor: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.“ Von daher hat sowohl die äußere Gestalt wie auch das interne Miteinander der Kirche Verkündigungscharakter. Der reale Zustand der Kirche unterstreicht und bezeugt das Evangelium von Jesus Christus oder er macht die eigene Botschaft unglaubwürdig und verstellt Menschen den Weg zu Christus.
Das gerade evangelische Christen in eigener Weise auf ihre konkreten Alltagserfahrung mit ihrer Kirche reagieren, ist mir spätestens seit einem Gespräch auf einem Dorffriedhof im nördlichen Westerwald deutlich geworden. Die Trauerfeier ist vorüber und ich habe mich von den Angehörigen der Verstorbenen bereits verabschiedet. Ein Gespräch mit dem Bestatter kommt zustande. Da gab es zahlreiche Beerdigungen in den letzten Wochen. Der Bestatter, den ich sehr schätze, berichtet von zunehmenden Schwierigkeiten, Pfarrerinnen und Pfarrer für Beerdigungen zu finden. Ich selbst weiß von Engpässen, die es in der letzten Zeit bei der einen oder anderen Trauung und bei Hochzeitsjubiläen gab. Allerdings konnte schließlich doch jemand gefunden werden, der den Dienst übernahm. Was der Bestatter mir dann erzählt, überrascht mich dann doch. Zunehmend würden auch in unserer Region freie Theologen angefragt. Da gäbe es z.B. ein Unternehmen mit mehreren Theologen und Psychologen. Die böten alles an von der Trauerfeier, der Trauung bis hin zur seelsorgerlichen Begleitung. Die nähmen sich Zeit für die Leute. Und sie würden zunehmend auch von Mitgliedern der beiden Kirchen angefragt. Ich frage mich, was sich da entwickelt – vor allem dann, wenn in ein paar Jahren die Lücken im Pfarrdienst noch größer werden.
Ich unterhalte mich mit einer jungen Frau, die in der Medienbranche tätig ist. Sie unterstützt uns bei unserer Öffentlichkeitsarbeit und sie hat vielfältige Kontakte zu freien Gemeinden. Das da bundesweit seit einigen Jahren die Mitgliederzahlen wachsen, wohingegen sie bei den beiden großen Kirchen rückläufig sind, ist mir bekannt. Wir unterhalten uns über die Situation in der rheinischen Kirchen, dass es da kaum noch junge Theologinnen und Theologen gibt. Sie berichtet, dass nahezu alle Bildungseinrichtungen, die den theologischen Nachwuchs für freie Gemeinden und Gemeinschaften ausbilden, überlaufen sind. Das überrascht mich, denn diese Pastoren habe deutlich geringere Verdienstmöglichkeiten und unsichere Konditionen als Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche.
Wenn ausgerechnet die Menschen, die sich von Gottes Wort ansprechen und begeistern lassen, sich jenseits der Volkskirchen einbringen und ihr Christsein leben, verliert eine Kirche an Kraft. Auch dies ist ein Grund, umzudenken und Abschied zu nehmen von einer fragwürdigen Finanzprognostik, die bereits in der Vergangenheit erhebliche Schäden verursacht hat.