Schlagwort-Archive: Wandel des Berufsbildes

Von Pfarrern und Priestern in der evangelischen Kirche oder: Was Kirche ist und was das für ihr Personal und all die anderen bedeutet. Von Prof. Alexander Deeg.

09/2016, Korrespondenzblatt Bayern

Dr. Alexander Deeg, Professor für Praktische Theologie, Leipzig

4. Pastorale Berufsbilder
4.1 Närrische Berufsperspektiven

Das Pfarramt ist strukturell als paradoxes Amt zu beschreiben. Zwei Kollegen, einer aus den USA und einer aus Südafrika, Charles Campbell und Johan Cilliers gehen hier sogar noch einen Schritt weiter. Wer sind wir als Pfarrerinnen und Pfarrer, so fragen sie. Ihre Antwort lautet: Wir sind Narren. »Preaching Fools« heißt ihr Buch: »Predigende Narren«, »Narren, die predigen« – aber auch: »Eine Predigt, die zum Narren hält«. …
4.2 Flaneur, Abenteurer, Resonanzexperte – drei visionäre Konkretionen

Und wie sieht sie nun genauer aus? Diese närrische Existenz? Aus der jüngeren Literatur stelle ich drei Typen vor Augen. Nicht weil ich meine, wir müssten genauso sein wie eine von diesen. Aber doch weil ich denke, dass wir Berufsbilder brauchen, die sich nicht in Dienstordnungen und Anforderungskatalogen und Kompetenzbestimmungen erschöpfen (so wichtig all das ist!), sondern utopisch-befreiende Perspektiven bieten. Und weil ich mir ganz sicher bin, dass es nicht die eine Rolle für alle geben kann, sondern faktisch jede Kollegin und jeder Kollege die Freiheit braucht, sich eigene visionäre Rollenmodelle zu suchen, sich an ihnen eine Zeitlang abzuarbeiten, sie dann vielleicht auch wieder abzulegen und nach neuen Ausschau zu halten.
4.2.1 Pfarrerinnen und Pfarrer als Flaneure auf den Spuren der Weltwirklichkeit Gottes (Albrecht Grözinger)…
4.2.2 Pfarrerinnen und Pfarrer als Abenteurer der Nachfolge in einer nachchristlichen Gesellschaft (Stanley Hauerwas; William H. Willimon) …-
4.2.3 Pfarrerinnen und Pfarrer als Resonanzexperten (mit Hartmut Rosa) Der in Jena lehrende Soziologe Hartmut Rosa hat gerade ein über 800-seitiges Buch mit dem Titel »Resonanz« veröffentlicht. Im Klappentext heißt es: »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.« Es geht in dem ganzen Buch um das Projekt einer soziologischen Beschreibung des »guten Lebens«. …

5. Leitung als Empowerment und Pfarrersein als Dienst am Priestersein und Priesterwerden der anderen Flaneure, Abenteurer, Resonanzexperten – vielleicht sehen Ihre Traumbilder des Pfarramtes ganz anders aus. Aber hoffentlich haben auch Sie das eine oder andere Bild mit närrisch-utopischem Potential, das sie an vielen Tagen gerne aufstehen und Pfarrer sein lässt – und an den Tagen, an denen es schwer fällt, wenigstens eine Perspektive bietet und eine Erinnerung an den Grund, aus dem heraus …

S. 104-112 (Print)

Pfarrerinnen und Pfarrer wozu? Thesen zu Aufgaben und zukünftiger Gestaltung des Pfarrberufs in der EKKW von Daniel Goldmann.

Thesen zu Aufgaben und zukünftiger Gestaltung des Pfarrberufs
in der EKKW von Daniel Goldmann, Direktor des Predigerseminars Hofgeismar
im Hess. Pfarrerblatt 2/2014.

Kommentar FS:

Zu Recht ist immer wieder davon die Rede, dass PfarrerInnen, insbesondere in der Gemeinde tätige PfarrerInnen,  von fachfremder, ungeordneten Tätigkeiten wie z.B. Verwaltungsarbeit entlastet werden müssten. So auch in diesem Beitrag.

Solche Beiträge übersehen häufig eine wichtige Differenzierung hinsichtlich „administrativen Tätigkeiten“. Die Differenzierung nach Entscheidungsphase und operativer Ausführungsphase/ Umsetzung. Bis zur Entscheidungsfindung muss der Pfarrer als Hauptverantwortlicher selbstverständlich an der Arbeit beteiligt sein, an der Informationsbeschaffung, der Erstellung des Konzepts etc.. Und zwar bei wichtigen Projekten federführend. Er/sie ist dafür verantwortlich, dass die Informationsbasis für die Entscheidung ausreichend ist. Und er/sie wird sich für die aus seiner/ihrer Sicht beste Lösung mit guten Argumenten einsetzen.
Wer davon befreit werden möchte, ist nicht Pfarrer (und „Manager“) im herkömmlichen Sinne, sondern Pfarragent. Vergleichbar den Agenten einer Versicherungsagentur. Dies wäre ein Konzept, das sowohl theologisch als auch praktisch erhebliche Probleme bereiten würde.
Das kann es also nicht sein. Dann bleibt: die Pfarrerin mit Entscheidungskompetenz. Aber
mit einem 100 prozentigen Support nach der Entscheidungsfindung bei der Umsetzung. Hier tut Entlastung Not! Hier ist sie hilfreich. Und hier muss man keine größeren Kollateralschäden befürchten. Vgl. zum selben Problemkreis auch  unseren Beitrag zum „Gemeindemanager“ in den Wort-Meldungen.de .

Pfarrbilder. Das Plurale im heutigen Pfarrberuf. Von Dr. Dieter Becker.

von Dr. Dieter Becker

…Die Anforderungen an den Pfarrberuf zeichnen sich vielmehr durch eine unübersehbare
Ausdifferenzierung und Fragmentarisierung aus.Weder kann sicher gestellt werden, dass die abzuarbeitenden Funktionen und Aufgaben in jeder Pfarrstelle identisch und gleichförmig sind. Noch ist es möglich, dass die Entwicklung der jeweiligen Pfarrperson von Ordination bis Pensionierung den immer selben Aufgabenbestandteil umfasst…

Zum Artikel in der Reihe „aus der Praxis Für die Praxis“ von 2011.

 

Berufsbilder im Verkündigungsdienst der Ev.–Luth. Landeskirche Sachsens – ein Beitrag für die Pfarrerschaft

Ein Beitrag aus der sächsischen Landeskirche zum Pfarrerbild mit abschließenden Thesen:

Thesen:
1) Der Pfarrberuf ist zugleich Berufung und Sendung, die das gesamte Leben einer
Pfarrerin bzw. eines Pfarrers umfasst.
2.) Die Anstellung der Pfarrerinnen und Pfarrer in einem beamtenähnlichen Verhältnis
trägt dem Rechnung und gibt Verlässlichkeit und Sicherheit, ebenso wie das
Parochialprinzip.
3.) Verkündigung des Evangeliums, Verwaltung der Sakramente und Seelsorge sind
die Kernaufgaben eines Pfarrers bzw. einer Pfarrerin im Gemeindedienst. Verbindliche
Rahmenbedingungen, die in der Landeskirche gelten, lassen genügend Raum zur
individuellen Prägung dieses Dienstes.
4.) Die hauptamtlich Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst geben Kirche vor Ort ein
Gesicht, allen voran ein Pfarrer bzw. eine Pfarrerin. Insofern ist der Pfarrberuf der
„Schlüsselberuf“ in unserer Kirche.
5.) Eine Vergrößerung von Gemeindegebieten und Addition von Aufgaben können
nicht mehr beliebig fortgeführt werden. Bei strukturellen Veränderungen muss darauf
geachtet werden, dass damit auch Entlastung und Zusammenführung geschieht.
– dafür ist bei Dienstbeginn in einer Pfarrstelle sowohl bei Teilzeit- als auch bei
Vollzeitstellen eine Vereinbarung mit dem Kirchenvorstand über die zu
leistenden Aufgaben zu treffen
– die Erfordernisse vor Ort, aber auch die Fähigkeiten und Begabungen des
Pfarres/der Pfarrerin müssen dabei berücksichtigt werden
6.) Der zunehmenden Vereinzelung von Pfarrerinnen und Pfarrern muss
entgegengewirkt werden durch:
– Begleitung im Dienst durch externe Berater
– ein ausgewogenes Zeitmanagement mit einem ausgeglichenen Verhältnis von
festen Diensten, Zeiten für Vorbereitungen, eigener Stärkung, Familie,
theologischer Arbeit und Spiritualität
– Förderung der Zusammenarbeit mit allen Mitarbeitenden, besonders derer, im
Verkündigungsdienst. Das sog. „Dreigespann“ wird ausgebaut. Die
geografischen Arbeitsgebiete sind deckungsgleich. Angestrebt werden
Gemeinden mit 2 Pfarrstellen, 1 Kirchenmusiker/in, 1 Gemeindepädagogen/in
bzw. 1 Kantorkatecheten/in
– verbindliche Phasen der Regeneration, Weiterbildung usw.
– angemessene Würdigung des Einsatzes
– Förderung der Dienstgemeinschaft innerhalb eines Konventes und einer
Ephorie
7.) Eine Entlastung der Pfarrerschaft sollte befördert werden durch:
– Schaffung von attraktiven Arbeitsplätzen in der Verwaltung so nahe wie irgend
möglich vor Ort
– Gewinnung und Befähigung von ehrenamtlich Mitarbeitenden (v.a. zur Leitung
von Gemeindekreisen)
– Festlegung einer Höchstzahl von Gottesdiensten pro Sonntag / Feiertag auf 2
– eindeutige Vertretungsregelungen

 

Zur Genese des Pfarrdienstgesetzes der EKD

Die zuständigen Gremien der EKD erstellten – nach jahrelanger Vorarbeit – einen ersten Entwurf: Stand 18. August 2009. Vom selben Datum stammt auch die erste amtliche Begründung zu diesem Entwurf. Darin hielten die EKD-Gremien noch am Jahrhunderte bewährten Grundsatz der Unabhängigkeit der Pfarrerinnen und Pfarrer fest. Sie sollten als Personen in Verkündigung und Seelsorge unabhängig sein…

Im Jahr 2010 dagegen ist dieser Grundsatz aufgegeben. Lediglich die Verkündigung soll unabhängig sein. Nur noch das Amt wird geschützt. Und das nicht einmal in vollem Umfang: Von allen Aufgabenfeldern des Amts nur die Verkündigung. Diese kleine Unabhängigkeitserklärung ist nur noch eine kleine Mauer vor der „beliebigen Versetzbarkeit“.

Lesen Sie den ganzen Beitrag von Rainer Mischke.