Aus einem überaus lesenswerten Gespräch in der SZ vom 10./11.14, S. 15 zwischen Kia Vahland und Horst Bredekamp, Prof. für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin:
Kia Vahland: Früher wollte die Kunst oft die Distanz zum Betrachter verringern. Viele der alten Maler, etwa Caravaggio, bemühten sich um Figuren, die den Betrachter mit Gesten und Blicken möglichst direkt ansprechen.
Horst Bredekamp: Aber das geschah aus dem geöffneten Denkraum der Besonnenheit heraus, aus dem Anderssein des Bildes. Es gab immer den Zwischenraum zwischen Bild und Betrachter. Gäbe es den nicht mehr, würde sich die Kunst den kommerziellen Internetbildern und der RTL-Wüste angleichen. Wenn alles eins ist, privat und öffentlich, verboten und erlaubt, dann gibt es keinen Reflexionsort. Ob es gelingt, neue Distanzräume zu schaffen, ist in letzter Konsequenz eine Frage auf Leben und Tod.
Kia Vahland: Edathy beruft sich auf die Kunstgeschichte des Aktes, um den Konsum von Kinderbildern zu erklären. Was unterscheidet, sagen wir, Caravaggios barockes Amor-Gemälde und die Fotos auf Edathys Computer?
Horst Bredekamp: Im alten Gemälde ist keine Überlegung je am Ende. Es bietet einen Reflexionsraum, Kunst zeigt die Hölle, die wir alle in uns haben, wie auch die Gegenwelt der Utopie. Die bloßstellenden Kinderbilder im Netz dagegen produzieren eben diese Hölle. Und: die Kunst ist nicht rein kommerziell, sie unterliegt keinem Zweck. Sie ist in ihrem Wesen frei. Auch wenn er einen Auftraggeber hat, wird der Künstler eigensinnig handeln.
Kia Vahland: Was passiert dagegen bei Pornos und Gewaltvideos?
Horst Bredekamp: Das sind unmittelbarste körperliche Angebote. Es ist wie eine Droge. Die US-Armee setzt mit Gewaltvideos die angeborene Tötungshemmung ihrer Soldaten herunter. Und wenn dieselben Firmen dann distanzlose, gewalttätige Videospiele für den großen Markt herausbringen, sollen die nichts bewirken, wie die Unterhaltungsindustrie und manche Wissenschaftler sagen? Das scheint mir zutiefst unlogisch zu sein. Bilder wirken!