04.10.2016, von Pfr. Hans-Joachim Greifenstein, Bensheim (auch: 1. Allgemeines Babenhäuser Pfarrerkabarett), erschien zuvor in der Kirchenzeitung er EKHN
Ich bin unter anderem deshalb lieber evangelisch als was anderes, weil es bei uns doch zumeist halbwegs demokratisch zugeht und wir Synoden haben, in denen wichtige Entscheidungen getroffen werden. In nicht wenigen Konfessionsvergleichsdebatten habe ich schon öfter mit Stolz darauf verwiesen, dass bei uns sich auch kirchenleitende Personen zur Wahl stellen müssen und am Ende gar abgewählt werden können. Darum bin ich allen Menschen dankbar, die ihre kostbare Freizeit in Kirchenvorständen, Dekanatssynoden oder unserer Landessynode opfern. Vielen Dank, Ihr vielen guten Menschen!
Manchmal gibt es aber auch Entscheidungen wo ich mir gewünscht hätte, nicht die Synode hätte entschieden sondern ein Rat weiser Frauen und Männer die ganz meiner Meinung sind. Ich z.B. hätte niemals dafür gestimmt, unser kirchliches Haushaltswesen radikal umzufrisieren und die gute alte Kameralistik gegen die neue möglicherweise gar nicht so gute Doppik einzutauschen. Die Kameralistik war ein Haushaltssystem aus dem zu Ende gehenden Feudalismus wo man nach Art der klugen Hausfrau für alle möglichen Ausgaben ein paar verschiedene Zuckerdosen hatte in die man etwas hinein tat und wenn man es brauchte herausnahm. Es war manchmal ein bisschen umständlich aber es hat viele Generationen öffentlicher Finanzen leidlich ordentlich verwaltet. Dann begann aber das neoliberale Neuerungsfieber und zuerst hat es die Kommunalhaushalte erfasst und schließlich mit der kirchenüblichen Verspätung jetzt auch unsere EKHN. Künftig soll nach Art der kaufmännischen Buchhaltung (Kreditoren kriegen was, Debitoren müssen was geben weil sie die „Debben“ sind) gerechnet werden. Ein paar Unglückliche – darunter auch mein Heimatdekanat – wurden zu Pilotregionen erklärt, und es kam zum probeweisen „Roll-out“ der neuen Software und ganz plötzlich trat ein Zustand ein der in etwa mit der Situation in Apg 19,32 zu vergleichen ist: „Etliche schrien so, etliche ein anderes, und die Gemeinde war irre, und die meisten wussten nicht, warum sie zusammengekommen waren.“ Ein fröhlicher Italiener würde so etwas vielleicht als eine „bella confusione“ bezeichnen, den Mitarbeitenden in unserer Regionalverwaltung ist das Lachen schon lange vergangen. Jahresabschlüsse konnten nicht gemacht werden, Haushalte wurden im Blindflug gefahren, Stromrechnungen blieben unbezahlt und ausstehende Kindergartenbeiträge konnten nicht eingetrieben werden. Und wenn man das ganze ganz ernst nimmt kommt in ganz vielen Kirchengemeinden heraus dass sie sich ihre Gebäude eigentlich gar nicht mehr leisten können. Kameralistisch konnten sie es immer irgendwie, doppisch können sie es dann irgendwie nicht mehr. Oh Wunder der Finanzjonglage!
Und billig war die Umstellung auch nicht. Und wird – wie bei solchen Projekte wohl üblich – auf die Dauer noch weitere hübsche Batzen kosten. Wenn man nun aber diejenigen fragt, die mit der Doppik schon leben müssen, also Stadtverordnete, Bürgermeister und Angestellte in Rathäusern und Landratsämtern dringen einem niemals spitze Schreie der Begeisterung entgegen. Die Computerfritzen haben ein Sprichwort: „Never change a running system“, weil sie viel Erfahrung mit teuren Verschlimmbesserungen habe. Kann man so was wie die Doppik eigentlich wieder abblasen? Das würde sicher noch viel mehr Mut als Geld kosten. Ob die Synode so viel hat?
Leider hatte die Synode jüngst nicht den Mut die Doppik zu stoppen. Die Entschuldigung des Kirchenpräsidenten und die Versprechungen von Herrn Striegler: „Wir haben das Projekt neu aufgestellt…“ ließen die Synodalen hoffen: Jetzt wird alles wieder gut – nein, jetzt wird sogar alles noch besser. Ich vermute, das wird ein erneuter bitterer (teurer) Trugschluss! Herr Striegler hat vielleicht die Pferde gewechselt und für den flächendeckenden „Roll out“ einige neue Pferde in den Stall geholt, die jetzt zunächst den Karren aus den Pilotregionen-Sumpf ziehen sollen und diese Pferde wurden auch von ihm der Synode vorgestellt, aber der eingeschlagene Weg ist das Problem. Hier ist von einer Richtungskorrektur oder gar Abkehr von der Doppik nichts zu spüren. Die Kosten für die neuen Rollout-Rennpferde (inkl. MACH-Ausstattung vom Feinsten): Zusätzlich 8 Mio (!) €. Diesen Betrag kann man übrigens nicht doppisch abschreiben, nein, er belastet die EKHN in voller Höhe. Die Folgekosten in den Regionalverwaltungen, falls das doppische System eines Tages mal laufen sollte, sind noch gar nicht beziffert. Mittlerweile stehen nun satte 21,4 Mio € für das Projekt in den Büchern. (Da fehlen nur noch 10 Mio., um die Skandalsumme in Limburg zu toppen.) Man könnte in gewogener synodaler Weise nun sagen: Okay- jetzt MACH mal, aber gleichzeitig erhob Herr Striegler mit ernstem Blick die Forderung nach einer neuen Einsparsumme für den Zeitraum 2018 – 2020 in Höhe von mindestens 10 Mio. €, (!) da die EKHN den Haushalt 2017 wegen einer Personalaufwandssteigerung trotz wiederum leicht steigender Kirchensteuereinnahmen nur durch eine Rücklagenentnahme ausgleichen kann. Da reibt man sich die Augen und die Nackenhaare sträuben sich und müssen wieder glattgestriegelt werden. Bei dem Begriff „Personalaufwandssteigerung“ denkt man vielleicht sogleich an die Pfarrgehälter. Nein, damit ist man auf dem Holzweg: Der Anteil der Pfarrstellenkosten am Gesamthaushalt der EKHN liegt aktuell bei ca. 14,1 %. Übrigens: Dieser Wert lag einmal bei deutlich über 20 % – auch hier wurde einiges weggestriegelt.