von Michael Huhn, Stimmen der Zeit
„Die Zukunft hat sich brasilianisiert.“ Was der brasilianische Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro in fünf Worte fasst, ist mehr als ein Bonmot: Sprachlich ein Paradox, eine Aussage über Künftiges im Perfekt, gibt sich der Satz als Feststellung, nicht als Prognose. Er spielt mit einem anderen oft zitierten Ausdruck, der die Wörter „Zukunft“ und „Brasilien“ verbindet: „Brasilien. Ein Land der Zukunft“, so der Titel eines 1941 erschienenen und sogleich ins Portugiesische übersetzten Buches von Stefan Zweig († 1942). Mit diesem Essay, das ein romantisch-ideales Bild einer als exotisch wahrgenommenen Neuen Welt zeichnet, versuchte Stefan Zweig, sich – auf seine Weise – das Land zu eigen zu machen, in das er sich im Jahr zuvor geflüchtet hatte, und die wehmütige Erinnerung an die Alte Welt zu lindern: „Europa hat unermesslich mehr Tradition und weniger Zukunft, Brasilien weniger Vergangenheit und mehr Zukunft!“