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„Sagen Sie Adolf Hitler, es reiche nun…!“ Pastor Kaj Munk, die Stimme des dänischen Widerstandes.

11/2017, Von Hartmut Ludwig

„Sagen Sie Adolf Hitler, es reiche nun…!“

Pastor Kaj Munk, die Stimme des dänischen Widerstandes, erschoss die SS 1944

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten die Synagogen in Deutschland, Geschäfte der Juden wurden zerstört, Wohnhäuser abgebrannt, Juden ermordet, tausende jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt. Die Kirchen schwiegen dazu. In Berlin ging nur der Hilfsprediger der Bekennenden Kirche Helmut Gollwitzer in seiner Predigt am Bußtag, dem 16. November, auf den Pogrom ein. Mit dem Pogrom begann die forcierte Vertreibung und Ermordung der Juden.

 

Am 17. November 1938, eine Woche nach dem Pogrom in Deutschland, erschien von dem dänischen Pastor Kaj Munk ein „Offener Brief“ an den italienischen Diktator Benito Mussolini in der großen Tageszeitung „Jyllands-Posten“:
„Was da dieser Tage in Deutschland geschehen ist, muss allen menschlich Fühlenden das Herz zerreißen. Dass ein so starkes und stolzes und edles Volk wie das deutsche sich so herabwürdigen kann zur Terrorisierung von Wehrlosen und zur Schändung von Gotteshäusern ist genau so entsetzlich, wie es bestürzend ist. … Sagen Sie Ihrem Freund Adolf Hitler, es reiche nun… Sagen Sie ihm, dass nun eine humane Regelung in der Judenfrage getroffen werden muss und auf keinen Fall mehr wahnsinniges Wüten, sonst wird – das ist das erste Gebot – Gott ihn und sein Volk strafen.“

Kaj Munk beschwor Mussolini, Hitler von der Judenverfolgung abzubringen. Der eigentliche Adressat des Briefes war aber das dänische Volk. Munk artikulierte Abscheu und Entsetzen der Mehrzahl der Dänen gegenüber dem Judenmord.

Kaj Munk, geboren am 13. Januar 1898, studierte Theologie in Kopenhagen. Sören Kierkegaards Kirchenkritik verstärkten Munks Zweifel, ob er Pfarrer werden könne. Viel lieber wollte er Dichter und Schriftsteller werden. Theologisch orientierte er sich an der Tradition der lutherischen Staatskirche und dem dänischen Theologen Grundtvig (1783-1872). Von 1924 bis 1944 war er Pfarrer in Vedersø(Westjütland). Er war einer der bekanntesten Dichter Dänemarks. Sein Werk umfasste Lyrik, Erzählungen, Balladen, Schauspiele, Dramen, Kirchenlieder und eine Autobiografie.

Kaj Munk liebte Deutschland und bewunderte dessen kulturelle Tradition. 1931 bewarb er sich um die Stelle des Pfarrers der dänischen Gemeinde in Berlin. Im Januar 1934 reiste er mit seiner Frau über Flensburg, Berlin und Rom nach Ägypten und Jerusalem. Im November 1936 rezensierte er das Buch des deutschen Erfolgsautors Gustav Frenssen „Der Glaube der Nordmark“ unter dem Titel „Das christenfeindliche Deutschland“. Munk schrieb: „Das Zentrale im Christentum ist Jesus. Nicht weniger, nein, aber wahrhaftig auch nicht mehr… Jesus war ein Jude.“

Anfang Januar 1938 war er erneut in Berlin und verfasste in wenigen Tagen das Drama „Er sitzt am Schmelztiegel“ – ein Protest gegen die Judenverfolgung im „Dritten Reich“ und gegen die deutschchristliche Irrlehre, der historische Jesus von Nazareth sei kein Jude, sondern ein „Arier“ gewesen. Der Titel ist ein Choral aus dem dänischen Gesangbuch. Inspiriert hat den Textdichter der Prophet Maleachi 3,2, dass am Tag des Gerichts Gottes ein Läuterungsprozess stattfindet. Die Erde befinde sich dann wie im Schmelztiegel.

Im Mittelpunkt des Stückes stehen zwei Archäologen, überzeugte Nazis. Professor Dorn will bewiesen haben, dass Christus „Arier“ war. Der andere Archäologe, Professor Mensch, fand eine antike Tonscherbe mit einem Gesicht. Dorn schlägt ihn Hitler für den Deutschlandpreis vor. Sie geraten in Streit: Wenn er an der Meinung festhalte, dass auf der Tonscherbe Jesus zu sehen sei, werde er den Preis nicht erhalten. Professor Mensch kontert: Dann werde er es über ganz Deutschland hinausschreien, dass er ein Bild von Christus gefunden habe, der ein Jude war. Dorn droht, ihn dann ins Irrenhaus zu bringen. Der Kollege lenkt zum Schein ein. Am folgenden Tag ist die Preisverleihung in der Aula der Berliner Universität, an der viele hohe NS-Funktionäre teilnahmen. Bevor Hitler die Tonscherbe erhielt, kam es zu einem Disput über die Wahrheit. Hitler erklärte, dass es für ihn nur eine Wahrheit gibt: das Vaterland. Alle andere Wahrheit werde er niederschlagen. Professor Mensch erklärte: „Siehe, Deutschland, sieh hier sein Angesicht, ihn, für den du deine Kirchen gebaut hast, und nach dessen Namen du deine Kultur benennst. … Ist das Bildnis hier für uns zu gefährlich? Ja, es ist zu gefährlich. … Was die rassenreine Menge damals gegen diesen Menschen schrie, das müssen wir nun auch. … Rufen Sie mit, meine Herren: Kreuzige ihn! Dabei schmetterte er die Tonscherbe zu Boden.“ Eisige Stille. Die Nazis verließen betreten die Aula.

Die Bekennende Kirche in Deutschland hat die NS-Judenverfolgung nie thematisiert, geschweige denn verurteilt. Erst 1938 hat sie sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – um getaufte Juden gekümmert. Auch nach dem Krieg hat sie das Thema weitgehend verschwiegen. Erst zwei Jahrzehnte nach 1945 begann sie, sich mit dem christlichen Antijudaismus kritisch auseinanderzusetzen.

In Dänemark fand sich 1938 keine Bühne für das Drama, so dass die Erstaufführung von „Er sitzt am Schmelztiegel“ in Norwegen erfolgte. Doch dann wurde es ein großer Erfolg: Bis zur Besetzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 sahen das Stück 160.000 Dänen. Kaj Munk galt als die Stimme des dänischen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung: „Wenn das Unrecht auf den Straßen schreit, kann meine Kirche nicht stumm verharren.“ Ein unpolitisches Christentum lehnte Munk ab. „Was ist das für eine sinnlose Forderung, dass die Kirche vorsichtig sein soll? War Christus etwa vorsichtig? Waren etwa die Märtyrer vorsichtig?“ In einer Rede vor Studenten in Kopenhagen im November 1942 sagte Munk: „Eine Kirche, die für sich selbst da ist, ist es nicht wert, da zu sein.“

Als die Deutschen in Dänemark im August 1943 den militärischen Ausnahmezustand verhängen wollten und damit Presse- und Versammlungsfreiheit noch weiter eingeschränkt würde, kam es zum Bruch zwischen der Besatzungsmacht und dänischen Regierung. Als bekannt wurde, dass die Deutschen die dänischen Juden in Vernichtungslager abtransportieren wollen, retteten dänische Widerstandskreise im Oktober in einer Nacht- und Nebelaktion mehr als 7000 von ihnen in Fischerkähnen über den Öresund nach Schweden. Am 5. Dezember 1943 predigte Kaj Munk trotz deutschen Verbots im Kopenhagener Dom: „Wenn man hier im Lande mit der Verfolgung einer gewissen Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: ‚Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi. … Geschieht das noch einmal, dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen.“ Einen Monat später, am Abend des 4. Januar 1944, verhaftete ein von Berlin entsandtes SS-Kommando Munk in seinem Pfarrhaus. Am Morgen des 5. Januar fand man ihn erschossen in einem abgelegenen Waldstück. Kaj Munk gehört in eine Reihe mit den Märtyrern während der NS-Zeit und bleibt ein Vorbild im Glauben.

Leseratschlag:

– Kaj Munk: Er sitzt am Schmelztiegel – Drama, aus dem Dänischen übersetzt und herausgegeben von Paul Gerhard Schoenborn, NordPark Verlag Wuppertal,
ISBN: 978-3-943940-32-9

– Paul Gerhard Schoenborn: Kaj Munk, der politische Pfarrer und Dichter, den die SS erschoss, NordPark Verlag Wuppertal, ISBN: 978-3-935421-99-7

Kaj Munks Drama „Das Wort“ soeben in deutscher Übersetzung erschienen. Von Okko Herlyn

08/2016

Es gehört offenbar zur spezifisch deutschen Provinzialität, dass künstlerische Werke anderer Länder und Kulturkreise hierzulande manchmal nur wenig Beachtung finden. Anders lässt sich wohl nicht erklären, dass etwa das dramatische Werk des dänischen Theologen und Dichters Kaj Munk in unseren Breitengraden bislang so gut wie unbekannt geblieben ist.

Munk (1898 – 1944), als Frühwaise in einem eher pietistisch-erwecklichen Milieu auf der Insel Lolland groß geworden, kommt schon in jungen Jahren mit den Gedanken Nicolaj Grundtvigs, des theologischen Begründers der dänischen Volkskirche, in Berührung. Er studiert Theologie und wird alsbald Pfarrer in Vedersø, einem kleinen Dorf an der jütländischen Küste…

Es ist das große Verdienst von Paul Gerhard Schoenborn, der sich seit vielen Jahren für ein angemessenes Gedächtnis des Theologen, Dichters und Widerstandskämpfers Kaj Munk engagiert, dass er nun eines seiner wichtigsten Schauspiele ins Deutsche übersetzt hat. Dabei gelingt es ihm, Munks eindringliche, ursprünglich eher spröde, ja kantige Sprache zu erhalten und so authentisch über die Bühne zu bringen… Mehr dazu.