Archiv der Kategorie:
Kirche in der Nazidiktatur

Gegenwart wird gemacht. Vom Ursprung des Naziregimes. Besprechung eines Buchs von Éric Vuillard. SZ

17. April 2018,
Éric Vuillard inszeniert in knappster Form historische Begebenheiten. 2017 erhielt er den Prix Goncourt.

Éric Vuillard erzählt in „Die Tagesordnung“ vom Ursprung des Naziregimes: einem Geheimtreffen zwischen den Nationalsozialisten und der deutschen Industrie im Jahr 1933.

Von Joseph Hanimann

Mehr dazu.

Buchbesprechung: Martin Arnold: Der Kirchenkreis Eschwege und der Nationalsozialismus. Einverständnis und Konfliktlinien zwischen Kirche, NSDAP und Staat. von Gernot Gerlach

01/2018, Hess. Pfarrerblatt 6/2017

 

…Große Aufmerksamkeit weckt das vierte Kapitel
„Blinde Flecken der Kirche“ (49-62). Die
entscheidenden Themen der nationalsozialistischen,
rassistischen, menschenverachtenden,
kriegsorientierten Diktatur werden mit dem
regionalen Bezug bearbeitet: Verfolgung und
Ermordung der Juden, Euthanasie und der
Angriffskrieg. „Aus Eschwege sind schon seit
März 1933 Übergriffe gegen Juden bekannt“
(50). Konkrete Hinweise zu Diskriminierungen
mit Bezug auf die Unrechts-Gesetzgebung
werden aufgeführt. Martin Arnold untersucht
nach den Pogromen vom 8. (!) November 1938
die Reaktion der Kirche bei dem am 16. November
stattfindenden Buß- und Bettag. Er
entdeckt „keine Spur einer Andeutung“ (53)
zu einer theologisch differenzierten Reaktion.
Zur großen Überraschung des Lesers zitiert er
eine Besinnung, die an jenem Tag zur Sprache
kam, in der es heißt: „[…] welch ‚gutes Regiment‘
im Sinne Luthers doch heute besteht…
Und sein Gebet verband mit dem Danke hier
für die Bitte an den Allmächtigen, dem Wirken
des Führers auch künftig den Segen zuteil
werden zu lassen, den er ihn bis heute in
so überreichlichem Maße zuteil werden ließ“
(53).
Ein Verweis auf die theologische Haltung
von Kreispfarrer Hermann Wepler (vgl. 51)
lässt erahnen, wie im Kirchenkreis theologisch
– oder besser nicht – gearbeitet wurde. Allerdings
können drei Pfarrer als Ausnahmen hervorgehoben
werden. …

Mehr dazu, vgl. S. 196f

Anmerkungen zur Geschichte der deutschen evangelischen Pfarrervereine 1933-1946: Unerschütterliche Treue zu Volk und Vaterland?

11/2017, Deutsches Pfarrerblatt

Von: Peter Gbiorczyk

Die Geschichte des Verbandes der – wie es damals hieß – deutschen evangelischen Pfarrervereine in den Jahren 1933-1945 ist politisch stark belastet. Der Verband stellte im Blick auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus kein leuchtendes Beispiel dar – im Gegenteil. Peter Gbiorczyk fördert historisches Material zutage und fordert die angemessene historische Aufarbeitung dieser Phase aus der Geschichte des Verbandes.1

Mehr dazu.

„Sagen Sie Adolf Hitler, es reiche nun…!“ Pastor Kaj Munk, die Stimme des dänischen Widerstandes.

11/2017, Von Hartmut Ludwig

„Sagen Sie Adolf Hitler, es reiche nun…!“

Pastor Kaj Munk, die Stimme des dänischen Widerstandes, erschoss die SS 1944

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten die Synagogen in Deutschland, Geschäfte der Juden wurden zerstört, Wohnhäuser abgebrannt, Juden ermordet, tausende jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt. Die Kirchen schwiegen dazu. In Berlin ging nur der Hilfsprediger der Bekennenden Kirche Helmut Gollwitzer in seiner Predigt am Bußtag, dem 16. November, auf den Pogrom ein. Mit dem Pogrom begann die forcierte Vertreibung und Ermordung der Juden.

 

Am 17. November 1938, eine Woche nach dem Pogrom in Deutschland, erschien von dem dänischen Pastor Kaj Munk ein „Offener Brief“ an den italienischen Diktator Benito Mussolini in der großen Tageszeitung „Jyllands-Posten“:
„Was da dieser Tage in Deutschland geschehen ist, muss allen menschlich Fühlenden das Herz zerreißen. Dass ein so starkes und stolzes und edles Volk wie das deutsche sich so herabwürdigen kann zur Terrorisierung von Wehrlosen und zur Schändung von Gotteshäusern ist genau so entsetzlich, wie es bestürzend ist. … Sagen Sie Ihrem Freund Adolf Hitler, es reiche nun… Sagen Sie ihm, dass nun eine humane Regelung in der Judenfrage getroffen werden muss und auf keinen Fall mehr wahnsinniges Wüten, sonst wird – das ist das erste Gebot – Gott ihn und sein Volk strafen.“

Kaj Munk beschwor Mussolini, Hitler von der Judenverfolgung abzubringen. Der eigentliche Adressat des Briefes war aber das dänische Volk. Munk artikulierte Abscheu und Entsetzen der Mehrzahl der Dänen gegenüber dem Judenmord.

Kaj Munk, geboren am 13. Januar 1898, studierte Theologie in Kopenhagen. Sören Kierkegaards Kirchenkritik verstärkten Munks Zweifel, ob er Pfarrer werden könne. Viel lieber wollte er Dichter und Schriftsteller werden. Theologisch orientierte er sich an der Tradition der lutherischen Staatskirche und dem dänischen Theologen Grundtvig (1783-1872). Von 1924 bis 1944 war er Pfarrer in Vedersø(Westjütland). Er war einer der bekanntesten Dichter Dänemarks. Sein Werk umfasste Lyrik, Erzählungen, Balladen, Schauspiele, Dramen, Kirchenlieder und eine Autobiografie.

Kaj Munk liebte Deutschland und bewunderte dessen kulturelle Tradition. 1931 bewarb er sich um die Stelle des Pfarrers der dänischen Gemeinde in Berlin. Im Januar 1934 reiste er mit seiner Frau über Flensburg, Berlin und Rom nach Ägypten und Jerusalem. Im November 1936 rezensierte er das Buch des deutschen Erfolgsautors Gustav Frenssen „Der Glaube der Nordmark“ unter dem Titel „Das christenfeindliche Deutschland“. Munk schrieb: „Das Zentrale im Christentum ist Jesus. Nicht weniger, nein, aber wahrhaftig auch nicht mehr… Jesus war ein Jude.“

Anfang Januar 1938 war er erneut in Berlin und verfasste in wenigen Tagen das Drama „Er sitzt am Schmelztiegel“ – ein Protest gegen die Judenverfolgung im „Dritten Reich“ und gegen die deutschchristliche Irrlehre, der historische Jesus von Nazareth sei kein Jude, sondern ein „Arier“ gewesen. Der Titel ist ein Choral aus dem dänischen Gesangbuch. Inspiriert hat den Textdichter der Prophet Maleachi 3,2, dass am Tag des Gerichts Gottes ein Läuterungsprozess stattfindet. Die Erde befinde sich dann wie im Schmelztiegel.

Im Mittelpunkt des Stückes stehen zwei Archäologen, überzeugte Nazis. Professor Dorn will bewiesen haben, dass Christus „Arier“ war. Der andere Archäologe, Professor Mensch, fand eine antike Tonscherbe mit einem Gesicht. Dorn schlägt ihn Hitler für den Deutschlandpreis vor. Sie geraten in Streit: Wenn er an der Meinung festhalte, dass auf der Tonscherbe Jesus zu sehen sei, werde er den Preis nicht erhalten. Professor Mensch kontert: Dann werde er es über ganz Deutschland hinausschreien, dass er ein Bild von Christus gefunden habe, der ein Jude war. Dorn droht, ihn dann ins Irrenhaus zu bringen. Der Kollege lenkt zum Schein ein. Am folgenden Tag ist die Preisverleihung in der Aula der Berliner Universität, an der viele hohe NS-Funktionäre teilnahmen. Bevor Hitler die Tonscherbe erhielt, kam es zu einem Disput über die Wahrheit. Hitler erklärte, dass es für ihn nur eine Wahrheit gibt: das Vaterland. Alle andere Wahrheit werde er niederschlagen. Professor Mensch erklärte: „Siehe, Deutschland, sieh hier sein Angesicht, ihn, für den du deine Kirchen gebaut hast, und nach dessen Namen du deine Kultur benennst. … Ist das Bildnis hier für uns zu gefährlich? Ja, es ist zu gefährlich. … Was die rassenreine Menge damals gegen diesen Menschen schrie, das müssen wir nun auch. … Rufen Sie mit, meine Herren: Kreuzige ihn! Dabei schmetterte er die Tonscherbe zu Boden.“ Eisige Stille. Die Nazis verließen betreten die Aula.

Die Bekennende Kirche in Deutschland hat die NS-Judenverfolgung nie thematisiert, geschweige denn verurteilt. Erst 1938 hat sie sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – um getaufte Juden gekümmert. Auch nach dem Krieg hat sie das Thema weitgehend verschwiegen. Erst zwei Jahrzehnte nach 1945 begann sie, sich mit dem christlichen Antijudaismus kritisch auseinanderzusetzen.

In Dänemark fand sich 1938 keine Bühne für das Drama, so dass die Erstaufführung von „Er sitzt am Schmelztiegel“ in Norwegen erfolgte. Doch dann wurde es ein großer Erfolg: Bis zur Besetzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 sahen das Stück 160.000 Dänen. Kaj Munk galt als die Stimme des dänischen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung: „Wenn das Unrecht auf den Straßen schreit, kann meine Kirche nicht stumm verharren.“ Ein unpolitisches Christentum lehnte Munk ab. „Was ist das für eine sinnlose Forderung, dass die Kirche vorsichtig sein soll? War Christus etwa vorsichtig? Waren etwa die Märtyrer vorsichtig?“ In einer Rede vor Studenten in Kopenhagen im November 1942 sagte Munk: „Eine Kirche, die für sich selbst da ist, ist es nicht wert, da zu sein.“

Als die Deutschen in Dänemark im August 1943 den militärischen Ausnahmezustand verhängen wollten und damit Presse- und Versammlungsfreiheit noch weiter eingeschränkt würde, kam es zum Bruch zwischen der Besatzungsmacht und dänischen Regierung. Als bekannt wurde, dass die Deutschen die dänischen Juden in Vernichtungslager abtransportieren wollen, retteten dänische Widerstandskreise im Oktober in einer Nacht- und Nebelaktion mehr als 7000 von ihnen in Fischerkähnen über den Öresund nach Schweden. Am 5. Dezember 1943 predigte Kaj Munk trotz deutschen Verbots im Kopenhagener Dom: „Wenn man hier im Lande mit der Verfolgung einer gewissen Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: ‚Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi. … Geschieht das noch einmal, dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen.“ Einen Monat später, am Abend des 4. Januar 1944, verhaftete ein von Berlin entsandtes SS-Kommando Munk in seinem Pfarrhaus. Am Morgen des 5. Januar fand man ihn erschossen in einem abgelegenen Waldstück. Kaj Munk gehört in eine Reihe mit den Märtyrern während der NS-Zeit und bleibt ein Vorbild im Glauben.

Leseratschlag:

– Kaj Munk: Er sitzt am Schmelztiegel – Drama, aus dem Dänischen übersetzt und herausgegeben von Paul Gerhard Schoenborn, NordPark Verlag Wuppertal,
ISBN: 978-3-943940-32-9

– Paul Gerhard Schoenborn: Kaj Munk, der politische Pfarrer und Dichter, den die SS erschoss, NordPark Verlag Wuppertal, ISBN: 978-3-935421-99-7

Nationalsozialismus in Franken. Wo die Nazis Stimmen holten

30. August 2017, SZ
Rainer Hambrecht analysierte den frühen Aufstieg der NSDAP in Franken – schon vor 41 Jahren. Erst jetzt ist sein Buch erschienen. Mit unbequemen Fakten

Interview von Olaf Przybilla

…Es gab dort sehr wohl ein paar evangelische
Pfarrer, die sich gegen die Nazis aufgelehnt
haben. Aber Rückendeckung der Kirchenleitung
hatten sie nicht. Der den Nationalsozialismus
predigende Pfarrer war in
Westmittelfranken keine Ausnahme….
mehr dazu (über kostenlosen Testzugang)

EKD-Kulturbeauftragter: NS-Relikte in Kirchen nicht verschweigen.

24.07.2017, Speyer (epd).

Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, empfiehlt, Relikte aus der NS-Zeit in kirchlichen Räumen nicht zu verschweigen. „Kirchengemeinden tun gut daran, offen, klar und deutlich dieses Thema anzusprechen“, sagte Claussen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Streit über eine Adolf Hitler gewidmete Glocke im Turm der protestantischen Jakobskirche in Herxheim am Berg in Rheinland-Pfalz sei es sinnvoll, mit einer Plakette oder auf der Internetseite auf deren belastete Geschichte hinzuweisen…

Mehr dazu.

Unerschütterliche Treue zu Volk und Vaterland? Anmerkungen zur Geschichte der deutschen evangelischen Pfarrervereine 1933-19461. Von Peter Gbiorczyk

Hess. Pfarrerblatt 01/2017,


Als den stärksten Angriff auf die deutsche Mannesehre  empfindet Hermann Wepler dann das Wort von Reichstagspräsident Hermann Göring: „Ich frage, wo waren die Pfarrer damals, als wir im Weltkrieg standen…!“ Er stellt dem das mit großer Eile und Sorgfalt vom Reichs bund erhobene statistische Material des Weltkrieges für das evangelische Pfarrhaus dagegen, aus dem hervorgehe, dass 36,2 % der in den Kampf gezogenen Pfarrer gefallen seien, weit mehr als aus anderen akademischen Berufen. Die beste Rechtfertigung und eine Wiederherstellung der Mannesehre jedoch erfahre der Pfarrerstand nun in diesem Krieg….
mehr dazu, vgl. S. 3ff

Geschichte der Ev. Kirche zw. 1933 und 1948 bei wikipedia

04/2016

„…Nur drei Landeskirchen konnten sich der Herrschaft der „Deutschen Christen“ entziehen und blieben „intakt“: Württemberg, Bayern und Hannover. Reichsbischof wurde Ludwig Müller, ein überzeugter Nationalsozialist. 1934 formierte sich als Gegenpol zur DEK die Bekennende Kirche. ..

Im Frühjahr 1939 gründeten 13 evangelische Landeskirchen in Eisenach das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Im Mai des Jahres wurde es auf der Wartburg eingeweiht,…  Die nach 1945 verschwundenen Akten des „Entjudungsinstituts“ wurden erst 1990 nach dem Umzug des Landeskirchlichen Archivs der Öffentlichkeit bekannt.[4]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unternahmen die führenden Geistlichen der Evangelischen Landeskirchen unter Führung des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm einen neuen Versuch, den unterschiedlichen Kirchen ein gemeinsames Dach zu geben. “

vgl. hier.

Anm. F.S.: Bemerkenswert ist die von der Uni-Kirchengeschichte der Nachkriegsszeit deutlich abweichende Benennung der Fakten: erwähnt wird das „Entjudungsinstitut“, nicht aber das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“. Hinter letzterem standen 1945 nur vier Landeskirchen gegenüber den 13 des Eisenacher Instituts. Also eine notwendige Korrektur der Kirchengeschichtsdarstellung?

Rede von Ruth Klüger im Bundestag: ZWANGSARBEITERINNEN

Gedenkveranstaltung, Mittwoch, 27.01.2016

Sonderveranstaltung aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus

Meine Herren und Damen, ich habe jetzt eine ganze Weile
über moderne Versklavung als Zwangsarbeit in Nazi-Europa gesprochen und Beispiele aus dem Verdrängungsprozess zitiert, wie er im Nachkriegsdeutschland stattfand. Aber eine neue Generation, nein, zwei oder sogar drei Generationen sind seither hier aufgewachsen, und dieses Land, das vor achtzig Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Groβherzigkeit, mit der Sie die Flut von syrischen und anderen Flüchtlingen aufgenommen haben und noch aufnehmen. Ich bin eine von den vielen Auβenstehenden, die von Verwunderung zu Bewunderung übergegangen sind. Das war der Hauptgrund, warum ich mit groβer Freude Ihre Einladung angenommen und die Gelegenheit wahrgenommen habe, in diesem Rahmen, in Ihrer Hauptstadt, über die früheren Untaten sprechen zu dürfen, hier, wo ein gegensätzliches Vorbild entstanden ist und entsteht, mit dem bescheiden anmutendem und dabei heroischem Wahlwort: Wir schaffen das. Der vollständige Text der Rede.