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Luise Schottroff im Gespräch mit Claudia Janssen: „Meine inneren Adressat/innen sitzen nicht auf Lehrstühlen“

Claudia Janssen :
Luise, mit Deinem aktuellen Buch hast Du eine neue Gattung, wenn nicht erfunden – so doch auf ganz neue Weise profiliert: einen sozialgeschichtlichen Kommentar. Du erarbeitest die
alltäglichen, sozialen und politischen Hintergründe eines Textes und deutest sie dann theologisch aus. Ich wäre bei dieser Art exegetischer Literatur nie auf den Gedanken gekommen, sie von Anfang bis Ende zu lesen. Aber diese Auslegung zum ersten Brief an die Gemeinde in Korinth liest sich so spannend, dass ich es allen an paulinischer Theologie Interessierten nur empfehlen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass sich so viel Neues entdecken lässt. Herzlichen Glückwunsch dazu!  Wie bist Du eigentlich zur Sozialgeschichte gekommen?

Luise Schottroff:
In meinem Studium habe ich das nicht gelernt. Die Professoren in den Bibelwissenschaften redeten spöttisch über Archäologie und „Realitätenhuberei“. Sie waren fest der Überzeugung, dass so etwas mit ernsthafter Exegese nichts zu tun habe. Bei mir kam Verschiedenes zusammen: der befreiungstheologische Aufbruch in der Kirche – nicht in der wissenschaftlichen Theologie, der christlich-jüdische Dialog und die feministische Theologie.
In meiner Anfangszeit als Assistentin in Mainz habe ich die politisch engagierten Studierenden erlebt, die mich mit ihrer Begeisterung angesteckt haben. Doch in diesen Gruppen war es verpönt, die Bibel ernst zu nehmen. Sie galt als konservativ und überflüssig, allenfalls dafür geeignet sich gegen über Oberkirchenräten zu rechtfertigen, wenn man für politische Anliegen eintrat. Ich wollte meine Freude an der biblischen Tradition mit diesen politischen Aufbrüchen verbinden. Und so war es der erste konsequente Schritt, die Bibel sozialgeschichtlich auszulegen. Wann war das? Eine meiner ersten
wichtigsten sozialgeschichtlichen Arbeiten war ein wissenschaftlicher Artikel zur Feindesliebe, der 1975 veröffentlicht wurde. Zum Interview.