Langsam muss sich wohl jeder Sorgen um die Verfassung der EKD machen. In der letzten Ausgabe der Wort-Meldungen berichteten wir, dass die EKD der Auffassung ist, dass sie nicht durch die Grundrechte gebunden sei: „Die Kirche ist nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV in der Ausgestaltung ihres Dienstrechtes unabhängig. Daraus folgt, dass sie generell weder durch die Grundrechte noch durch … gebunden ist“. Diese Aussage darf man ruhig noch einmal nachlesen und überdenken.
Wie frei und souverän man sich fühlt, zeigt die EKD jetzt aufs Neue mit einem Urteil der Disziplinarkammer in einem Falle sexuellen Missbrauchs.
Was ist vorgefallen? Im Jahr 2011 war in der Bayerischen Presse zu lesen:
„Hof/Bayern. In der Schwere der Fälle und der „drückenden Beweislast“ sieht der Hofer Dekan Günter Saalfrank die Gründe für die Verurteilung gegen einen in Hof lebenden ehemaligen Pfarrer und Oberkirchenrat. Der heute 87-Jährige war wie berichtet von der Disziplinarkammer der evangelischen Landeskirche aus dem kirchlichen Dienstverhältnis entfernt worden, weil er in den 60er-Jahren ein junges Mädchen missbraucht und sich später sexueller Übergriffe an zwei erwachsenen Frauen schuldig gemacht hatte.“ Mehr dazu.
Der Beschuldigte ging bei einem übergeordneten EKD- Gericht in Berufung. Dort wurde jetzt das Disziplinarverfahren vom Disziplinarhof der EKD überraschend eingestellt (AZ 0125/1-11). „Die bayerische Landeskirche kann dieser ganzen Argumentation nicht folgen“, heißt es im Bayerischen Sonntagsblatt vom 30.06.13. (die Zitate auf den S. 4-6). „In den Äußerungen des Disziplinarhofs ‚dominieren die Interessen des Täters‘, die Situation der schwer traumatisierten Opfer und die Folgen der Entscheidung für Ansehen und Glaubwürdigkeit der Kirche bliebe außer Betracht“. Die vom Disziplinarhof benannten Gründe scheinen der Bayerischen Landeskirche „in entscheidenden Punkten verfehlt“, weswegen Regionalbischöfin Greiner auch offen und öffentlich von einem „Fehlurteil“ spricht.
Sprechend sind die Ereignisse an den Verhandlungstagen. Das Opfer war am 1. Tag auf 13 h bestellt, die Verhandlung wurde aber schon vorher – um 12.54h – endgültig beendet. Als sie dennoch den Verhandlungssaal betrat, „musste sie ansehen, wie der Angeklagte auf die Richter zuschritt und sich bei jedem Mitglied des Gerichts mit Handschlag dankend verabschiedete. Sie selbst wurde von der Vorsitzenden Richterin auf die Nachfrage, warum sie nicht aussagen durfte mit der Antwort abgefertigt: ‚Das war nicht unser Thema’“.
Besonders brisant: dem Beschluss wurden „Leitsatz“ und „Tenor“ vorangestellt. Ein Leitsatz enthält die Essenz des Urteils. Er „entfaltet oft große praktische Bedeutung als Quasi-Richtlinie für die nachgeordneten Gerichte“(wikipedia). Dem Urteil kommt also auch noch Präzedenzwirkung zu.
Auch in der katholischen Kirche stockt der Aufklärungsprozess. Daher wendet sich die
Priesterinitiative in der Diözese Augsburg
in einem Schreiben an die deutschen Bischöfe:
Aufruf an die deutschen Bischöfe zur Fastenzeit 2013 Aufklärung der durch Priester und Ordensleute begangenen Missbrauchsfälle und zukünftige Prävention.
vgl. zum Thema sexueller Missbrauch einen Fall aus Krems im Wiener Standard vom 01.07.13:
Missbrauch im Kloster erstmals vor einem Strafgericht
Am Landesgericht Steyr startet der Prozess gegen einen ehemaligen hochrangigen Geistlichen des Stiftes Kremsmünster. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 79-Jährigen unter anderem schweren sexuellen Missbrauch vor